10. Es schlummert etwas

Auch Severus erwachte frustriert aus seinem Traum, als es penetrant an der Tür klopfte. Ein Blick auf die Uhr und er wurde wütend, halb sieben Uhr morgens an einem Sonntag, normalerweise gestand er sich an Wochenenden wenigstens noch eine Stunde mehr Schlaf zu, zumal es gestern mit seiner und Willows Arbeit an einem weiteren komplizierten Trank spät geworden war. Wehe, wenn das nicht wichtig ist, dachte er genervt und erhob sich aus dem Bett, schwang den Zauberstab und trug wieder seine üblichen Roben.
Mit einem Ruck riss er die Tür auf und sah in Poppys gehetztes Gesicht.
"Poppy, was verschafft mir die Ehre deines Besuchs zu dieser unchristlichen Zeit?", fragte er schroff, sah sie auffordernd an.
"Severus, ich brauche dringend das Skelewachs, das ich bei dir in Auftrag gegeben habe", teilte sie ihm gehetzt mit, "Zwei Erstklässler haben im Treppenhaus gerangelt und sind beide zusammen die Treppe hinunter gefallen. Mein Skelewachs reichte nur noch für Mister McGibbin's gebrochene Hand."
Severus verdrehte die Augen, diese verdammten Schüler, hätten sie nicht zu einer anderen Zeit die Treppe hinunter fallen können; vorzugsweise wenn er schon den ersten Kaffee intus hatte?
Er könnte jetzt noch immer mit der Hermine aus seinen Träumen im Bett liegen, er könnte jetzt Sex haben, jedenfalls in diesem Traum, aber nein, die Schüler mussten ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Er trat beiseite, ließ sie ein und ging in sein privates Labor, wo er eine kleine Holzkiste vom Regal nahm und einige Phiolen hinein stellte und ihr den Kasten hinterher in die Hand drückte.
"Ich habe dir noch einige andere Tränke dazu gestellt, die du sicher gebrauchen kannst und eine Heilsalbe für Prellungen und Schwellungen", informierte er sie emotionslos und sie bedankte sich eilig und verließ schnellen Schrittes seine Räume.
Severus lehnte sich von innen gegen die Tür, schloss für einen Moment die Augen.
Ein weiterer Adventssonntag, der mit dem erwachen aus einem Traum begann, der ihn erneut dazu brachte, an seinem Unterbewusstsein zu zweifeln. Die Woche über, seitdem er wusste, dass Hermine bald ebenfalls in Hogwarts lehren würde, hatte er versucht die Träume jeden Tag weiter in den Hintergrund zu drängen, er hatte sich dagegen gewehrt und sie so teilweise unterdrückt, hatte schon fast gehofft, er wäre sie los. So schön sie auch waren, er machte sich keine Hoffnungen ein solches Leben einmal tatsächlich führen zu können zudem würde ihre Hauptfigur bald leibhaftig jeden Tag vor ihm stehen. Daher hatte er es als klug angesehen, einfach zur Tagesordnung zurückzukehren, so zu tun, als wären diese Träume nie da gewesen. Aber als es ihn dann in dieser Nacht doch erneut unvorbereitet in diesen Traum gerissen hatte, hatte er ihn freudig angenommen. Es war wie Urlaub von seinem Leben, auch wenn er diesen Urlaub mit Hermine Granger verbrachte.
Als er die Augen wieder öffnete und zum ersten Mal an diesem Morgen seinem Wohnzimmer seine Aufmerksamkeit schenkte, stutzte er. Hob kritisch eine Augenbraue, beäugte sich die Veränderung, die seit dem vorigen Abend hier Einzug gehalten hatten. Der Kamin wurde nun von einer Tannengirlande umrahmt, an der kleine Lichter funkelten und auf seinem Tisch vor dem Sofa stand ein Adventskranz, auf dem zwei Kerzen brannten. Wie zum Merlin war dieses Zeug in seine Räume gekommen? Neben dem Kranz fand er ein Tablett mit Frühstück vor und einen Zettel. Er fischte ihn zwischen Kaffeekanne und Teller heraus und erkannte Minervas Handschrift.

Ich war so frei, den Elfen aufzutragen auch in deinen Räumen etwas Weihnachtsstimmung zu verbreiten. Einen schönen zweiten Advent.
-Minerva
P. S. Komm doch bitte nach dem Frühstück in mein Büro.

Er verdrehte die Augen. Nur weil er letztes Mal, als sie sich in seinen Räumen sahen, durch den Traum etwas melancholisch geworden war und einen Tannenbaum gezaubert hatte, hieß das nicht, dass sie auch seine Wohnung mit ihrem Kitsch dekorieren dürfte. Wobei, kitschig war es eigentlich nicht. Es war dezent, geschmackvoll und gemütlich - aber dennoch, das hier waren seine Räume, nicht irgendein Korridor im Schloss, den sie Wahllos mit Tannengrün, Weihnachtssternen, Samt und Weihnachtskugeln zuplüschen konnte. Genau das würde er auch ihr sagen, wenn er zu der Unterredung kam.
Bis dahin ignorierte er den Firlefanz und gönnte sich einen schwarzen Kaffee und eins der Croissants, die mit Käse und Speck gefüllt waren.
Was wollte Minerva wohl von ihm? Ging es wieder um die Bewerbung von Granger? Aus irgendeinem Grund hatte sie seit dem letzten Adventssonntag nicht mehr darüber gesprochen. Letzte Woche hatte er zu dieser Bewerbung, von der er immer noch nicht wusste, warum sie sie überhaupt eingereicht hatte, letztendlich doch ziemlich schnell ja gesagt, denn er hatte keinen Grund mehr gefunden, um sie abzulehnen, zudem dachte er gerade nach der letzten Nacht, er könnte durch ihre Gegenwart dieses seltsame Bild von ihr aus seinem Traum wieder gerade rücken, aber inzwischen war er sich nicht mehr sicher, ob er das auch wirklich wollte. Er kam nicht umhin sich selbst einzugestehen, dass er diese Träume mochte, dass er sich nun regelrecht darauf freute erneut in ihn hineingezogen zu werden. Sie hatten ihm eine neue Welt eröffnet, die er betreten konnte, ohne ein Risiko einzugehen und ohne sie verdienen zu müssen. Sie zeigten ihm ein Leben, das tatsächlich lebenswert war und er mochte es, wie er im Traum mit ihr war. Wenn Granger aber erstmal hier war, würden diese Träume vielleicht entzaubert werden und das wollte er inzwischen nicht mehr. Aber er hatte bereits zugesagt, er konnte es nicht mehr zurück nehmen.

*

Hermine hatte sich trotz der Tatsache, dass sie noch fast eine ganze Woche dafür hatte, nach einem ausgiebigen Frühstück daran gemacht, ihre Habseligkeiten zu ordnen und zu prüfen, was davon hier im Haus ihrer Eltern zurückbleiben würde und was sie mit nach Hogwarts nehmen wollte. Auch hatte sie Ginny darum gebeten sie später bei Madame Malkin's zu treffen, denn sie brauchte ein paar neue Roben für ihre zukünftige Lehrertätigkeit.  Sie wollte etwas, was sowohl Autorität als auch Zwanglosigkeit signalisierte, nichts so Förmliches, wie die Roben die sie im Ministerium hatte tragen müssen und sie wollte auch ihre Herkunft nicht verleugnen, sie durften ruhig zeigen, dass sie eine Muggelgeborene war. Sie brauchte das richtige Mittelmaß um alle Schüler gleichermaßen zu erreichen. Wenn sie Offenheit predigte, sollten ihre Kleider das auch widerspiegeln. Glücklicherweise boomte das Vorweihnachtsgeschäft auch in der Winkelgasse, sodass viele Ladeninhaber auch Sonntags öffneten.
Sie war inzwischen fertig damit ihren Kleiderschrank auf zwei Haufen zu sortieren und sie hatte ihre Bücher gewissenhaft durchgesehen, denn immerhin konnte sie schlecht alle mitnehmen, danach hatte sie sich daran gemacht Kosmetika und Toilettenartikel zusammenzupacken und schließlich fehlten nur noch wenige Dinge, wie persönliche Andenken und alles was sie für Dash brauchen würde, sowie alltäglich genutzte Dinge, die sie erst am Abend vorher einpacken würde. Sie war gut vorangekommen und hatte sogar noch Zeit entspannt einen Kaffee zu trinken und noch einmal im Kopf durchzugehen, ob sie an alles gedacht hatte, bevor sie in die Winkelgasse zu ihrer Verabredung mit Ginny musste.
Sie dachte auch darüber nach, wie ihr Leben sich in nächster Zeit verändern würde und wie ihr Umfeld darauf reagiert hatte. Von Ginny und Harry hatte sie ausnahmslos Unterstützung und Verständnis bekommen, von Ron wiederum nur halbherzige Scherze darüber, dass sie freiwillig wieder in die Schule zurückging, von Molly und Arthur hatte sie sich bedenken anhören müssen. Sie empfanden es als eine übereilte Entscheidung, ihre Stellung im Ministerium einfach aufzugeben um Halbstarke zu unterrichten, aus einer Laune heraus und noch so kurz vor Weihnachten ihr Leben so drastisch umzukrempeln, auch wenn Arthur es, aufgrund seiner anhaltenden Faszination für Muggeldinge, auch irgendwie nachvollziehen konnte und sie beide der Meinung waren, dass die Lehre eine respektable Tätigkeit war. Dennoch hatten sie es nicht verstanden. George hatte ihr das Versprechen abgenommen, sie dennoch am Wochenende immer zu besuchen und eher ein Lehrer wie Lupin zu werden, statt wie Snape. Das fiel ihr nicht schwer zu versprechen, denn sie wollte ihre Familie weiterhin sehen, sie ging ja nicht wieder nach Hogwarts um vor ihnen zu fliehen. Aber als George Snape erwähnte, musste sie doch schlucken. Diese Träume der letzten Wochen, in denen er eine zentrale Rolle eingenommen hatte und die zunehmend intensiver wurden und sie dazu brachten, sich zu dieser Traumversion von ihrem ehemaligen Professor hingezogen zu fühlen, würden nur noch unwirklicher werden, wenn sie ihn wiedersah. Sie war sich sicher, dass der echte Professor Snape niemals mit der Traumversion mithalten könnte und dass es ihr nur noch deutlicher klarmachen würde, wie verrückt sie war, den Mann aus ihren Träumen zu begehren. Gerade wenn sie an ihre letzten Begegnungen dachte, fragte sie sich erneut, warum sie sich darauf einließ ihn von jetzt an jeden Tag zu sehen. Am schlimmsten waren nicht seine Gemeinheiten während ihrer Schulzeit gewesen, oder die Kälte ihr gegenüber während einigen Feierlichkeiten nach dem Krieg, sondern wie er sie aus dem Sankt Mungos gejagt hatte, nachdem sie alles daran gesetzt hatte ihm den Aufenthalt dort so angenehm wie möglich zu machen. Er hatte sie unter anderem ein dummes Kind genannt, impertinent und aufdringlich. Er hatte sie beschimpft, ihr gesagt dass ihr Helfersyndrom nervig wäre und sie damit doch nur kompensierte, dass sie selbst nichts auf die Reihe bekam und dass sie die letzte Person war, mit der er freiwillig Zeit verbringen würde, vorher wäre er lieber gestorben. Nach allem was sie für ihn getan hatte, hatte er sie derart gekränkt und niedergemacht, dass sie sich geschworen hatte niemals wieder ein Wort mit ihm zu wechseln, es sei denn er würde sich entschuldigen. Aber darauf könnte sie wohl noch bis zum Sankt Nimmerleinstag warten und zudem hatte sie diesen Vorsatz, niemals wieder mit ihm zu sprechen, ohnehin bereits gebrochen. Und sicher käme sie als seine Kollegin nicht drum herum, ab und an mit ihm zu sprechen, Entschuldigung hin oder her, Vorsätze hin oder her. Severus Snape war kein Mensch der sich entschuldigte oder auch nur einen Fehler eingestand. Umso absurder war es, dass sie sich auf gewisse Art nach ihm sehnte oder jedenfalls nach dieser Traumversion von ihm. Würde der echte Severus ihre Träume zerstören, wenn sie ab jetzt mit ihm konfrontiert wäre? Denn das war das letzte was sie wollte. Sie wollte nicht dass diese Träume endeten, woher auch immer sie überhaupt erst gekommen waren und so absurd sie auch waren.

*

"Minerva!", herrschte er seine Freundin und Vorgesetzte an, als er ihr Büro betrat, "Ich finde es ungeheuerlich, dass du in deinem Wahn Weihnachtsstimmung zu verbreiten nicht einmal vor meinen Räumen halt machst. Und ich verlange, dass alles wieder entfernt wird."
"Dir auch einen guten Morgen, Severus", überging sie seine schlechte Laune, "Ich darf dich daran erinnern, dass du durchaus selbst in der Lage bist, das alles mit einigen Zaubern wieder verschwinden zu lassen, daher übergebe ich diese Aufgabe zurück in deine fähigen Hände." Sie lächelte ihn vergnügt an und Severus schnaubte, verdrehte genervt die Augen.
"Nun, da du mein gesamtes Wohnzimmer mit deinem Firlefanz zugeplüscht hast, wäre es nur angemessen, wenn du es auch wieder entfernst", gab er zurück, "Ich habe durchaus wichtigeres zu tun, als den Kram wieder verschwinden zu lassen."
"Das stimmt natürlich", räumte sie lächelnd ein, "Ich werde dir Mini schicken, damit sie das alles wieder entfernt, damit du dich deinen wichtigeren Aufgaben widmen kannst, wie zum Beispiel die alten Räume von Professor Slughorn für Hermine Granger vorzubereiten. Sie wird am Freitag bereits anreisen." Severus entglitten für seine Verhältnisse die Gesichtszüge. Das konnte doch nicht ihr ernst sein?
"Minerva, verschon mich mit deinen vorwitzigen Aufgaben", forderte er, aber sie sah ihn nur unbeteiligt an, "Für sowas behelligst du doch normalerweise auch die Hauselfen."
"Ich und auch die Hauselfen haben vor Weihnachten noch genug zu tun und du als stellvertretender Schulleiter hast ihrer Einstellung ebenso zugestimmt wie ich. Ich muss mich allerdings mit ihrem Lehrkonzept befassen und einen Weg finden ihre wunderbaren Ideen umzusetzen. Also obliegt es wohl dir, diese vorwitzige Aufgabe zu erledigen", sagte sie bestimmt.
"Warum verfrachtest du sie überhaupt in die Kerker? Unser zartes Blümchen wird doch ohne Licht eingehen", meinte er genervt, er hatte eindeutig keine Lust sie häufiger zu sehen, als ohnehin nötig.
"Miss Granger ist mit Nichten ein zartes Blümchen", schnaubte die Schulleiterin, "Das solltest du besser wissen als jeder andere."
"Aber wären nicht die alten Räume von-", begann er, aber sie schnitt ihm das Wort ab.
"Es sind die einzigen freien Räume, die Verbindung zu einem Büro und einem Klassenzimmer haben. Und ich diskutiere mit dir nicht darüber. Ich vermute Miss Granger wird länger bleiben als ihre Vorgänger, daher sollten wir ihr die Wege kurz halten, denkst du nicht? Und ein wenig Gesellschaft im Kerker täte dir auch ganz gut."
"Natürlich, Minerva", lenkte er zähneknirschend ein, "Sonst noch etwas?"
"Nimm die Aufgabe ernst und überlass ihr keine Räume die so duster sind wie die Hölle selbst", forderte sie nur und entließ ihn in seine neue Aufgabe.

"Was bezweckst du damit, meine Liebe?", fragte Dumbledores Portrait, nachdem Severus gegangen war, "Du weißt genau so gut wie ich, dass es nicht die einzigen Räume sind und er weiß es sicher auch."
"Ich weiß nicht warum, aber ich habe so eine Vorahnung", sagte sie grinsend, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, "Ich hoffe nur er nimmt die Aufgabe wirklich ernst und versetzt sich dabei ein wenig in sie hinein, um es ihr wohnlich zu machen."
"Eine Vorahnung?", fragte Albus nach, strich sich nachdenklich über den Bart.
"Vielleicht hast du in all den Jahren auf mich abgefärbt", sagte sie, "Ich denke da schlummert etwas, was geweckt werden will, im wahrsten Sinne des Wortes."
Zum ersten Mal in seiner Laufbahn verstand Albus, wie es Minerva immer gehen musste, wenn er etwas gesehen hatte, was ihr entgangen war und er sie zappeln ließ. Es war frustrierend und er hoffte bald die Zusammenhänge zu verstehen, die ihm diesmal entgangen waren.

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