Kapitel 9
-Gwen Williams-
"Doktor Williams! Schön, Sie zu sehen. Das neben mir ist meine Gefährtin Helen. Sie war begeistert gewesen zu hören, dass Sie sich bei uns gemeldet haben", sagte Alexander Kronemann. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber sicherlich keinen zwei Meter Hüne, der im weißen Hemd und Vollbart zähne strahlend in die Kamera blickte. Er saß anscheinend in einem Wohnzimmer und seine Frau Helen lächelte warm in die Kamera. Sie mussten bestimmt beide Anfang vierzig sein, aber strahlten so ein familiäres Bild ab, dass ich dieses Bild sofort infrage stellen musste. Das wollten meine Arbeitgeber werden?
Helen hatte blonde Haare bis zu den Schultern und eine schmale Figur. Sie gaben ein schönes Paar ab, aber ich sah nichts Ungewöhnliches an ihnen. Beide sahen sehr menschlich aus, was in mir die Frage aufkommen ließ, ob es sich bei diesem Paar um Hexer handeln könnte.
"Die Freude liegt ganz meinerseits", sagte ich milde lächelnd.
"Sie haben in ihrer E-Mail geschrieben, dass sie bis Ende letzten Monats bei einer gewissen Doktor Marvocik gearbeitet haben. Sind sie denn noch irgendwie vertraglich dazu verpflichtet, eine bestimmte Zeit nicht praktizieren zu dürfen?", fragte Helen neugierig und ich schüttelte den Kopf.
"Nein, das bin ich nicht. Ich könnte rein theoretisch jederzeit anfangen."
"Oh, das freut uns natürlich zu hören. Wann würden Sie denn am liebsten anfangen? Ich schätze mal, sie werden eine gewisse Zeit benötigen, bis Sie alles in Hannover erledigt haben", sagte sie.
Verwirrt zog ich die Brauen zusammen.
"Wie meinen Sie das?"
"Oh, ich dachte, Sie würden sicherlich etwas Zeit benötigen, um mit den Umzugsarbeiten fertig zu werden. Und wegen der Familie und Formalia dachte ich, würden Sie sicherlich etwas mehr Zeit haben wollen", sagte Helen erklärend und sah von mir zu ihrem Mann.
Da mich Alexander nur angerufen und nicht direkt auf meine Mail geantwortet hatte, konnte ich auch keine Adresse der beiden finden. Das es sich bei dem Job um keinen in Hannover handeln würde, hätte ich mir auch denken können. Dennoch war es ein kleiner Schock zu hören, wie weit die Frau schon dachte.
"Ich glaube, bevor wir über Themen wie Umzug sprechen, würden Sie sicherlich erst mal wissen wollen, wie das Gehalt und der Vertrag aufgebaut sein würden. Danach können Sie uns ja immer noch sagen, wann es ihnen am besten passt", ruderte Alexander etwas zurück und ich sah zu dem großen Hünen.
"Ja, das würde ich als sehr sinnig empfinden", erwiderte ich.
"Na gut, dann fangen wir zunächst damit an."
Ich sah, wie Alexander ein paar Zettel vor sich durchblätterte, ehe er fortfuhr.
"Da wir noch nie zuvor eine Ärztin eingestellt haben, sind wir selbst ein wenig ratlos, was die vertraglichen Regelungen angeht. Aber wir hatten uns gedacht, dass sie zunächst einmal für drei Monate bei uns zur Probe eingestellt werden. Mit einem festen Gehalt versteht sich. Sie können, falls es ihnen überhaupt nicht zusagt, innerhalb der drei Monate jederzeit kündigen, wobei wir uns freuen würden, wenn wir uns am Ende der drei Monate auf eine weitere Zusammenarbeit einigen könnten."
Verstehend nickte ich. Es kam nicht selten vor, dass Ärzte privat angeheuert wurden oder in einer großen Firma angestellt waren. Das erklärte auch, warum ich Alexander Kronemann in den Ärzteforen nicht gefunden hatte. Er war schlicht und ergreifend kein Arzt.
"Ok, verstehe. Darf ich fragen, wie die Arbeitszeiten aussehen werden und das dazu passende Gehalt? Ich habe leider vergessen, ob sie in ihrer Anzeige bezüglich des Gehalts eine Zahl genannt hatten", versuchte ich meine Unwissenheit zu kaschieren.
"Nun, was das Gehalt angeht, sind wir sehr flexibel. Was die Arbeitszeit angeht, so können wir das nicht genau sagen", versuchte es Helen zu erklären, doch ich verstand es nicht wirklich.
"Wie meinen Sie das? Soll ich innerhalb einer Firma als Betriebsärztin fungieren oder doch eine Privatärztin für Sie beide sein?", fragte ich daher nach und Helen schüttelte den Kopf.
"Oh nein, da haben sie wohl etwas missverstanden. Ja, wir suchen eine Privatärztin, aber nicht für uns beide, sondern für unsere Familie. Wir haben des Öfteren Unfälle, die behandelt werden sollten und ein Kind erkrankt oft. Ich hätte gerne jemanden in der Nähe, falls etwas passiert, damit wir unseren Wohnort nicht verlassen müssen. Wir hätten auch kein Problem damit, wenn sie andere Wesen unabhängig unserer Familie behandeln wollen. So exklusiv wollen wir sie nicht festhalten müssen. Aber es ist uns ein wichtiges Bedürfnis, einen fähigen Arzt in der Nähe zu wissen, den wir zu jeder Tages- und Nachtzeit rufen können", erklärte Alexander.
"Wir würden ihnen auch eine vorübergehende Wohnung zur Verfügung stellen, damit sie nicht immer allzu weit fahren müssten. Unser Land ist sehr groß und wenn sie in der Kleinstadt wohnen würden, wäre das wahrscheinlich zu umständlich für sie", fügte Helen hinzu und ich sah sie erstaunt an.
"Sie bieten mir eine Wohnung an?"
"Zum Vermieten. Sie steht eh frei und wir haben genug Platz auf unserem Land", erklärte Alexander und ich lehnte mich in meinem Stuhl nach hinten. Das waren viele Informationen auf einmal und sie waren alle irgendwie nichtssagend.
"Ich verstehe. Das hört sich erst mal gut an. Aber was kann ich mir denn unter Unfällen vorstellen? Ich bin noch etwas überfragt, ob sie nicht vielleicht einen Arzt mit anderer Expertise benötigen."
"Nein nein, ihre Qualifikationen sind mehr als ausreichend! Wir haben uns schon ausführlich darüber informiert!", sagte Helen eilig und ich nickte mit hochgezogener Augenbraue.
"Na gut, wenn Sie sich da sicher sind. Ich will nur klarstellen, dass ich bei schweren Unfällen nur begrenzt Hilfe leisten kann. Ich bin keine Chirurgin und im Fall der Fälle müssten Sie dennoch einen anderen Arzt anfordern oder in die Stadt, das ist ihnen bewusst?", hakte ich nach und beide nickten eifrig. Ob sie wirklich verstanden, was ich ihnen versuchte zu sagen, konnte ich nicht abschätzen.
"Natürlich!", sagten die beiden wie aus einem Munde. Ich nickte und sprach weiter.
"Was das von Ihnen erwähnte Kind betrifft. Gibt es denn bereits einen Arzt, der ihre Familie betreut?", fragte ich nach. Falls es jemanden gab, brauchte ich Zugriff auf die Krankenakte und die Vorgeschichte der Familie.
"Nun, das war bisher nie nötig. Aber wir haben immer notiert, wenn jemanden etwas passiert ist oder Medikamente eingenommen wurden."
Ich konnte es nicht unterdrücken, verwundert zu schauen. Es konnte gut sein, dass sie nur sehr selten einen Arzt besuchten, weil sie sehr resistent gegen Krankheiten waren, doch das erklärte nicht, warum sie inzwischen einen benötigten. So wirklich meinen Zweck verstehen tat ich noch nicht.
"Nun, wenn ich bei Ihnen arbeiten sollte, wäre meine Voraussetzung, dass ich bei ihnen allen ein Gesundheitscheck durchführen lasse. Damit übersehene Krankheiten oder Überraschungen aufgedeckt werden, und sie alle würden eine Krankenakte bekommen, damit im Falle eines Falles die Daten problemlos auf Abruf sind", forderte ich das einzig Sinnvolle, was mir aufgrund ihrer Antworten einfiel.
Das Paar sah sich kurz an, ehe Alexander antwortete.
"Wir werden ihnen wahrscheinlich nicht zusichern können, dass sich jeder diesem Gesundheitscheck unterziehen will, aber jeder, der ihres Fachwissens nach überprüft werden sollte, wird sich bei ihnen zur Behandlung einfinden."
Ich nickte zufrieden und notierte mir dies auf meiner Liste.
"Gibt es irgendwelche exotischen Erkrankungen oder Vorfälle, die ich im Vorfeld wissen müsste? Wenn sie wirklich so abgelegen wohnen, wäre es von Vorteil, sich vorher zu informieren und zu Not die Medikamente, Verbände und co aufzustocken", fuhr ich fort.
"Also in unserer Familie gibt es das erwähnte Kind mit der Immunschwäche. Seine Wunden heilen langsamer und er wird oft krank. Wir wollen nicht, dass es irgendwann ernst wird, deswegen wollen wir Sie in der Nähe", erklärte Helen und nun verstand ich etwas besser. Ein Kind mit Immunschwäche bedeutete meist nichts Gutes in der magischen Gesellschaft. Sie waren viel verletzlicher und manche Verhaltensmuster der Rassen konnten den Gesundheitszustand der Patienten verschlimmern, da sie sich noch nie mit einem schwachen Körper auseinandersetzen mussten.
Wenn es nun doch so kompliziert werden konnte, wollte ich die beiden nicht ohne Warnung lassen.
"Gut. Ich weiß nicht, inwiefern sie sich meine Abschlüsse und Lizenzen angesehen haben, aber ich möchte sie erneut darauf hinweisen. Ich bin Allgemeinmedizinerin und habe zuvor in Praxen gearbeitet und bei komplizierten Fällen auf andere Ärzte verwiesen. Ich habe keinen hohen Hexergrad und bin nicht in der Lage, heilende Magie zu wirken. Wenn sie mich immer noch einstellen wollen, müssen Sie wissen, dass ich auf alt bewehrte Methoden setzte und auch nur auf solche zurückgreifen kann. Gibt es jemanden in ihrer Familie, der eine wirkliche Schmerztherapie benötigt, so wird er sie nur von mir medikamentös oder mit magischen Extrakten erhalten können", sagte ich ernst. Wenn sie mir etwas verschwiegen und sich dadurch mein Arbeitsalltag doch schwieriger gestaltete, wollte ich es wissen!
"Wir sind uns dessen bewusst. Uns ist es egal, ob wir einen magiefähigen Arzt haben oder nicht. Uns ist ihre Expertise wichtig. Sie sind die beste ihres Jahrgangs gewesen, haben Sie geschrieben. Und Sie haben Berufserfahrung. Wir glauben, dass Sie qualifiziert genug sind", sagte Helen überzeugt und mit ernstem Ausdruck. Es kam mir beinahe so vor, als versuche sie mich zu überzeugen.
"Nun gut. Ich möchte nicht, dass sie im Nachhinein enttäuscht sind, weil ich nicht die Fähigkeiten mitbringe, die Sie sich erhofft haben, wenn Sie sich aber sicher sind, dann soll es nicht an mir scheitern. Wie viel wären Sie denn bereit, für eine Ärztin auf Abruf zu zahlen?", fragte ich und ging nun auf ein anderes und wichtiges Thema ein.
Ich nahm einen Schluck von meinem Tee und sah wie Alexander, ohne mit der Wimper zu zucken: „Nun, wir hätten da so mit 20.000 Euro gerechnet. Wir würden auch in Wechselscheinen zahlen", sagte.
Ich verschluckte mich bei der Zahl und musste kurz husten.
"Wie bitte?", fragte ich peinlich berührt nach.
"Wir würden 20.000 im Monat zahlen", sagte er erneut. Ich hatte mich wohl nicht verhört.
"Sie wissen, dass Sie dies für einen angesehenen und viel erfahreneren Spezialisten verlangen könnten? Wenn nicht sogar für zwei Ärzte", sagte ich verblüfft. Sie schienen sich nicht an meiner Reaktion zu stören, sondern lehnten sich weiter nach vorne, um mich gut betrachten zu können.
"Sie sind die erste, die sich nach über einem Jahr bei uns gemeldet hat, Doktor Williams. Uns mangelt es nicht an Geld. Es mangelt an Ärzten, die Interesse haben, hier aufs Land zu kommen und bei uns im Schwarzwald leben zu wollen. Wie gesagt, unser Stück Land ist groß und wir, und wenige andere Wesen, leben hier ziemlich abgelegen. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können und uns ist der Preis nicht zu schade dafür."
Ich seufzte tief. Das hatte ich bereits geahnt. Sie wohnten so weit und so tief in der Natur, dass Karriere orientierte Leute darin keine Aufstiegschancen sahen. Helen sah meine Reaktion und blickte ihren Mann besorgt an.
"Bitte versprechen Sie uns, dass Sie darüber nachdenken werden. Wie ich sehe, hatten Sie nicht mit solch einer Entfernung gerechnet", sagte sie schnell und ich versuchte ehrlich mit ihnen zu sein.
"Nun, wenn ich ehrlich sein sollte, ist ihr Wohnort nun wirklich nicht der einfachste", gestand ich.
Es entstand eine kurze Pause und ich bemerkte, wie es den Köpfen der beiden arbeitete. Anscheinend würden sie wirklich alles für einen Arzt tun. Sie sahen über meine fehlenden Qualifikationen hinweg und boten mir eine utopische Summe an, mit der ich innerhalb weniger Jahre meine gesamten Schulden abbezahlen konnte.
Ich atmete tief durch und war kurz davor, ihnen abzusagen, doch Alexander bemerkte meine Unentschlossenheit und machte mir ein Angebot.
"Wie wäre es damit, Sie kommen einfach hier runter und schauen sich das Ganze für drei Monate an. Wir würden ihnen die Wohnung möbliert und kostenlos zur Verfügung stellen. Dadurch können Sie ihre Wohnung in Hannover behalten und müssten nur für ihre eigene Verpflegung aufkommen. Dafür erhalten Sie ein etwas abgespecktes Gehalt für die drei Monate. Wenn es Ihnen wider Erwarten bei uns gefällt, können Sie bleiben, sich eine eigene Wohnung suchen und erhalten die vollen 20.000 Euro jeden Monat. Wenn Sie aber gehen wollen, dann werden wir Reisende nicht aufhalten. Wären Sie damit einverstanden?"
Es war ein verlockendes Angebot. Und eher für einen erfahrenen Arzt in Pension gedacht, als für eine junge Ärztin, die bloß verzweifelt einen Job suchte.
"Geben Sie mir etwas Bedenkzeit?", fragte ich und den beiden schien ein Stein vom Herz zu fallen.
"Aber natürlich! Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen. Sagen Sie uns Bescheid, wenn Sie sich entschieden haben!", sagte Helen lächelnd und ich nickte ihnen zu.
"Gut, das werde ich machen. Ihnen noch einen schönen Tag."
"Danke ebenso", sagten sie zum Abschied.
Ich klappte den Laptop zu und ließ meinen Kopf in den Nacken fallen. Na super. Die ersten netten Wesen, die mir ein mega Gehalt und einen kostenlosen Wohnort anboten, mussten natürlich am anderen Ende Deutschlands wohnen und das im tiefsten Wald!
...
So das erste Kapitel der Lesenacht! Ich freue mich auf jeden der sich heute abend dafür Zeit genommen hat!
Was haltet ihr von Alex und Helen? Und vorallem von dem Angebot? Lasst es mich gern wissen und hinterlasst gern einen Sternchen :)
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