Kapitel 6
-Gwen Williams-
Als ich gerade an dem Café ankam, sah ich Sophia schon draußen an einem Tisch sitzen. Ich lief an ein paar Kobolden vorbei und schlängelte mich zum Tisch. Ihr Blick streifte mich und ich wollte schon direkt zu ihr laufen, doch sie stand nicht auf, um mich wie sonst zu umarmen. Verwirrt zog ich den Stuhl ihr gegenüber zurück und setzte mich.
Sie musste noch eben in der Uni gewesen sein, denn ihre Tasche lag neben ihr auf dem Boden und sie war eben noch in eine Lektüre vertieft. Nun verschränkte sie die Arme und begrüßte mich bloß mit einem Nicken. Das konnte ja lustig werden.
"Hey, schön dich zu sehen. Wie gehts dir? Ich war eben auch dem Campus, ich hätte dich abholen können", sagte ich zur Begrüßung.
"Ich war schon hier zum Lernen", erwiderte sie bloß und jetzt erst bemerkte ich ihre leere Tasse. Verstehend nickte ich.
"Ach so, dann hatte ich ja Glück", meinte ich. Sie nickte nur wieder kurz angebunden. Die Stimmung war komisch und ich wusste zunächst nicht, wie ich das wieder kippen konnte.
"Wie war denn Uni heute? Irgendwas Spannendes dabei gewesen?"
Sie schnaubte und lehnte sich mit verschränkten Armen in den Stuhl zurück.
"Möchtest du ernsthaft darüber reden? Über meinen Tag in der Uni?", hakte sie nach und ich verzog verwirrt die Brauen zusammen. Ich wartete mit der Antwort, da vor mir eine Karte des Cafés erschien. Schnell suchte ich nach einer Teesorte, die mir zusagte und deutete mit dem Finger darauf. Danach verschwand die Karte so schnell, wie sie erschienen war. Das war der Vorteil, wenn man im magischen Viertel aß.
"Ich wüsste nicht, worüber wir sonst sprechen sollten? Oder hast du mir etwas zu sagen?", hakte ich nach. Ich hatte mir zwar eine Entschuldigung erhofft, doch die Fee vor mir schien viel mehr in Angriffslaune zu sein und ich wappnete mich innerlich auf ihre Antwort.
"Ich weiß nicht. Irgendwie hatte ich ja erwartet, du würdest dich bei mir melden, um die Sache von Freitag zu klären", sagte sie mit erhobener Augenbraue. Mein Tee erschien mit einem leisen Klirren vor mir. Ich nahm den Tee in die Hand und versuchte ruhig meine nächsten Worte zu sagen.
"Interessant, dass wir beide dasselbe wollten. Ich hatte gehofft, du würdest dich auch noch mal übers Wochenende bei mir melden. Aber so wie es aussah, hatten wir beide viel zu tun."
"Was hattest du denn am Wochenende groß gemacht?", fragte sie zerknirscht nach. Ich nahm einen Schluck von meinem Tee. Ich wettete, sie spielte auf meinem arbeitslosen Alltag an, aber dasselbe Spiel konnte ich auch.
"Ich habe Stellenanzeigen durchsucht und Bewerbungen rausgeschickt. Ein paar Telefonate mit Arbeitgebern geführt. Was hättest du denn gedacht? Das ich meine Freizeit genieße und alleine im Park spaziere? Nicht jeder kann sich am Wochenende freinehmen und mit seinen Freunden feiern gehen", erklärte ich und Sophia musste verächtlich schnauben.
"Gehts dir darum? Bist du etwa eifersüchtig auf mich, weil ich Zeit mit anderen Freunden verbringe? Ich wollte nur das du dich für dein Verhalten entschuldigst, dann wäre die Sache für mich geklärt gewesen."
Kopfschüttelnd stellte ich meine Tasse ab. Wie ich es mir schon gedacht hatte. Nur hatte ich gehofft, dass sie nach ein paar Tagen Bedenkzeit zur Besinnung kommen würde.
"Ich habe kein Problem damit, dass du abgesehen von mir andere Freunde hast. Und das habe ich wirklich. Stell mich also nicht als eifersüchtiges Miststück dar. Und verlange nicht von mir, mich bei dir oder jemand anderen zu entschuldigen. Für mich wäre dann nichts geklärt. Falls du es vergessen haben solltest, deine Freunde haben mich durchgehend beleidigt und provoziert. Ich kann verstehen, dass du nicht zwischen die Fronten geraten willst, hätte aber von dir erwartet, dass du dich für mich einsetzt oder dich zumindest für das Verhalten deiner Freunde entschuldigst."
Sophia schüttelte ungläubig den Kopf. Ich nahm einen Schluck von dem Tee und betrachtete Sophia aus Argusaugen.
"Ich glaubs nicht. Du siehst es auch echt nicht ein."
Sie pausierte kurz und musste wieder den Kopf schütteln. Am liebsten würde ich ihr den Kopf waschen und ihr sagen, was ich von ihren Freunden hielt, aber ich wartete, bis sie wieder anfing zu sprechen.
"Ich behaupte nicht, dass sich meine Freunde fair verhalten hätten, aber du hättest es besser wissen müssen. Das Glas direkt in ihre Richtung auszukippen und vor allen Leuten als dumm zu bezeichnen und mit Wörtern wie Vergewaltigung um dich zu schmeißen, war einfach zu viel. Du bist zu weit gegangen und hast ihre Sachen beschädigt. Ich hatte eine erwachsene Reaktion von dir erwartet."
"Ach und wie hätte diese erwachsene Reaktion für dich ausgesehen? Mich weiter beleidigen zu lassen? Sie die Drogen trinken lassen? Oder einfach zu gehen, damit du es einfacher mit deinen Freundinnen hast?", fragte ich herausfordernd und ich sah, wie ihre Nasenlöcher bebten. Ich stellte meine Tasse ab und ahmte Sophias verschränkte Arme nach.
"Du hättest es mit deinem Verstand regeln und ihr es einfach erklären können!", schoss sie zurück und jetzt musste ich auflachen.
"Du denkst doch nicht das Christina, die Frau, die mich als Schlampe, Mischblut und Menschen abgestempelt hat, auf mich gehört hätte? Sie hätte alles getan, um zu beweisen, dass sie im Recht liegt und alle Gläser auf dem Tisch leer getrunken."
Ich sah, wie ein Naturgeist an uns vorbeilief und uns verwirrte Blicke schenkte. Sophia sah entschuldigend zu ihm und lehnte sich dann nach vorne.
"Selbst wenn, das gibt dir doch nicht das Recht, sie so anzugreifen!", sagte sie nun in einem leiseren Ton. Einer meiner Mundwinkel zuckte. Das konnte sie doch nicht ernst meinen?
"Ach, aber sie darf das? Weil sie eine Fee ist wie du? Oder weil ich zur Hälfte Mensch bin? Wieso muss ich mich entschuldigen, wenn sie mit den ganzen Beleidigungen angefangen hat?", fragte ich zuckersüß und sie öffnete geschockt den Mund.
"Du weißt, wieso! Weil du klüger bist und es besser wissen müsstest!", sagte sie aufgebracht und die wenigen Gäste um uns herum bedachten uns erneut mit argwöhnischen Blicken bei Sophias angestiegener Lautstärke.
"Du liegst falsch! Du rechtfertigst ihre Taten, damit das ich es besser wissen müsste, das macht ihre dennoch nicht wieder wett! Du begünstigst ihre Seite, weil sie deine tolle Uni Freundin ist, die sich zu fein ist mit jemanden wie mir abzuhängen. Ich wette, sie haben von dir verlangt, dass ich mich entschuldige und für ihre Klamotten aufkomme. Und statt das du für mich Partei ergreifst und als angehende Anwältin klug und sachlich die Situation betrachtest, lässt du dich von ihnen einnehmen und entscheidest dich für den vermeintlich leichten Weg. Für den Weg, der dich nicht deine Uni Freunde kosten würde. Der dich nur dazu bringt, deiner ungezogenen Mischlingsfreundin eine Entschuldigung abzuringen."
Meine Stimme war schneidend und normalerweise würde Sophia merken, dass spätestens jetzt nicht mehr Kirschen essen war.
Sophias Wangen wurden feuerrot und sie sah mich mit zusammen gekniffenen Augen an.
"Erwartest du etwa so was von einer Freundschaft? Das ich bei allem, was du sagst Amen sage und dir zustimme? Du bist bestimmt nicht einmal auf den Gedanken gekommen, dass ich die Sache rational betrachtet habe und mich bewusst nicht für deine Seite entschieden habe. Ich werde mich nicht zwischen dir und meinen anderen Freunden entscheiden, nur weil du es verlangst und werde mich sicherlich nicht dafür entschuldigen, dass ihr Streit hattet. Ich war nicht für dieses Chaos verantwortlich gewesen. Und nur weil ich deine einzige Freundin bin, die du hast, heißt das nicht, dass du erwarten kannst, dass ich für dich alles stehen und liegen lasse. Ich kann nichts dafür, dass die anderen dich nicht mögen, aber du hast im Gegensatz zu den anderen ein dickes Fell und weißt dich intellektuell zu verteidigen. Ich verstehe da einfach nicht, wie du dich auf so ein Niveau herab lassen konntest!"
Nach dieser Predigt wusste ich das Diskutieren nichts mehr brachte. Und es verletzte mich, sie so über mich denken zu hören. Ich kramte mein Portemonnaie aus meiner Tasche und suchte nach einem passenden Geldschein. Sophia sah mich aus großen Augen an.
"Und was soll das jetzt werden? Willst du wieder wie am Freitag weglaufen?"
Ich schnaubte und legte den Schein auf dem Tisch ab. In Sekundenschnelle verschwand er.
"Ich glaube nicht, dass wir hier noch weiterkommen. Du hast mir deinen Standpunkt klargemacht. Und ich denke, es wäre jetzt nun erwachsen von mir, mich aus dieser Situation herauszuziehen, bevor ich es wieder übertreibe und mich dann im Nachhinein noch entschuldigen muss", sagte ich zischend, während ich mir meine Tasche um die Schulter hing und aufstand.
"Du bist einfach unmöglich!", sagte Sophia kopfschüttelnd. Ich hatte es satt, dass alle, inklusive meiner Freundin, die Schuld bei mir suchten!
"Nein, Sophia. Unmöglich ist es, dass eine Jura Studentin die Seite begünstigt, die im Unrecht liegt, aber nichts dagegen tut, weil die Gesellschaft nichts dagegen einzuwenden hat! Du weißt es! Du weißt, dass es nicht fair ist! Du weißt, dass es nicht gerecht ist! Und dennoch akzeptierst du es, weil ich zur Hälfte Mensch bin. Wäre ich eine gewöhnliche Hexe mit magischen Kräften, würdest du keine Sekunde zögern und zu mir halten. Du bist dir nur zu fein, um das zuzugeben!", sagte ich in ihre Richtung. Ich schämte mich nicht davor, in aller Öffentlichkeit darüber zu streiten, denn ich hatte nicht mehr viel zu verlieren und nicht ich war diejenige, die als Rassistin bezichtigt wurde.
"Ich bin kein Rassist! Nimm das sofort wieder zurück oder du kannst diese Freundschaft in die Tonne schmeißen!", fauchte Sophia mir entgegen und ihre eiskalten Augen starrten mich geradezu nieder.
Innerlich war ich todtraurig und wusste, dass ich es bereuen würde, wenn sie aber nicht zur Einsicht kam, war diese Freundschaft wahrscheinlich wirklich nichts wert. Ich war lieber allein und einsam, statt mit einer heuchlerischen Freundin abzuhängen, die hinter meinen Rücken schlecht von mir dachte und nicht zu mir halten konnte. Ich hatte Sophia für mutig gehalten und dachte, sie würde moderne Werte vertreten. Doch sie ließ sich genauso sehr von den anderen beeinflussenm, wie alle vor ihr.
Seufzend meinte ich zu ihr: "Keine Sorge, die Freundschaft war wohl schon hinfällig, als du erkannt hattest, dass ich ein Mischling bin."
...
Ein paar Stunden später und zwei Rotweinflaschen weniger in meinem Schrank sah ich mir „Die Schöne und das Biest" an. Als Kind mochte ich den Gedanken sehr, dass der Charakter einer Person mehr als das Aussehen zählte. Mittlerweile wurde ich eines Besseren belehrt.
Ich schob mich von meiner ausgezogenen Klapp-Couch hoch, die als mein Bett fungierte. Meine Einzimmerwohnung bot mir alles, was ich zum Trost suchen brauchte. Ich musste sogar nur wenige Schritte gehen, um zu meiner kleinen Küchenzeile zu gelangen, die im selben Raum stand. Nur das Bad war ein separiertes Zimmer, ansonsten war mein ganzer Besitz in diesem Raum untergebracht. Lustig, dass diese Wohnung mich nun schon seit zehn grässlichen Jahren begleitete und ich es dennoch immer geschafft hatte, die Miete zu zahlen.
Ich öffnete einen der weißen Schränke und bemerkte, dass ich bei der falschen Ecke suchte. Kichernd öffnete ich den Schrank daneben und betrachtete stirnrunzelnd das Fach. Anscheinend war der Wein leer. Doch eine halb leere Wodka Flasche stand daneben und soweit ich wusste, hatte ich noch etwas Orangensaft übrig. Daraus könnte ich sicherlich auch noch was zaubern.
Ich schnappte mir meine Ausbeute und lief zurück zu meiner Couch, als das Biest gerade von der weinenden Belle gehalten wurde. Genauso wie Belle fühlte ich mich hundsmiserabel, aber ich wusste, dass sie im Gegensatz zu mir ein Happy End bekommen würde. Ihr Vater liebte sie noch und das Biest würde sich in einen hübschen Prinzen verwandeln, während meine einzige Freundin die Freundschaft lieber kündigte, als sich bei mir zu entschuldigen und meine alte Professorin sich zu fein war mir helfen zu wollen.
Meine Mutter anzuschreiben oder anzurufen konnte ich auch vergessen. Diese Frau schrieb erst nach einer Woche wieder zurück und schien sich seit meinem Auszug keine Gedanken mehr, um mich zu machen. Im Gegensatz zu mir war sie auch mittlerweile eine erfolgreiche Reinblüterhexe und ist nach England gezogen, um dort mit ihrem neuen Lover zusammen zu leben. Sie war wahrscheinlich heilfroh, dass sie den Schandfleck, den ich in ihrem Leben dargestellt hatte, wieder losgeworden war.
Fast schon genervt sah ich mir die letzten Minuten von dem Film an. Vielleicht sollte ich „Findet Nemo" lieber gucken. Da gab es wenigstens Fische, die genauso einsam waren wie ich. Ja, das hörte sich nach einem Plan an.
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Hey meine Lieben,
wie gefällt euch bisher Gwen? Wisst ihr noch nicht was ihr von ihr halten sollt oder habt ihr euch schon ein Bild gemacht?
Wenn euch die Geschichte gefällt, lasst doch ein Sternchen da und schreibt mir, ob ihr Interesse an einer Lesenacht hättet. Ich habe bereits viele Kapitel vorgeschrieben und wäre offen für eine solche Veranstaltung, wenn genügend Leser mitmachen und an den Abend mitlesen und kommentieren würden.
Liebe Grüße Myra :)
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