Kapitel 50

-Gwen Williams-

Der Impfstoff lag fertig vorbereitet in der Nierenschale und der Untersuchungsraum sah sauber aus. Heute hatte ich nur zwei Gespräche über das Siegel mit zwei Patienten gehabt, die eher einer Beratung ähnlicher sahen. Aber ich war froh wenigstens etwas Arbeit zu haben. Die letzten zwei Tage hatte ich wieder und wieder Mails beantwortet, mit Arbeitgebern gesprochen und parallel dazu mit Helens Assistentin Mara die Materialliste für das Erntedankfest erstellt.

Meine Tage hatten sich endlich nicht mehr langatmig angefühlt und ich hatte sogar bei Toms Rückkehr in das Rudel wieder das Gefühl gehabt wirklich meinem Job nachkommen zu können. Auch wenn ich damals unter Dr. Marvociks Drangsalierungen gelitten hatte, hatte ich einen Arbeitsrhythmus gehabt. Diesen vor ein paar Monaten verloren zu haben, hatte mich extrem aus dem Ruder geworfen. Umso positiver war ich gestimmt, als ich vor ein paar Minuten Tom und seine Mutter aus dem Behandlungsrum gehen sah und nun auf Finn und Katharina wartete.

Das war das was ich machen wollte! Dieser Tag half mir wieder ins Gedächtnis zu rufen, weshalb ich hier war. Um Geld zu verdienen und bald wieder auf eigenen Füßen stehen zu können! Ich durfte mein Ziel trotz der ganzen Dramen hier im Dorf nicht aus den Augen verlieren und meine gesamte Freizeit dafür nutzen einen neuen Job, als vollwertige Ärztin, zu finden!

Als Finn und Katharina den Raum betraten, war ich fest der Überzeugung gewesen ein bestimmter Herr würde mit von der Partie sein. Katharina hatte mir zum Glück geschrieben, dass sie Elias über die erste Impfung informieren würde, aber das er trotz dieser Info nicht da war, wunderte mich. Auch wenn ich die letzten Tage immer noch sauer gewesen war, so wuchs doch die Angst in mir er würde mein Geständnis weitererzählen. Deswegen hatte ich mir irgendwie erhofft nach der Impfung ihn für fünf Minuten hierzubehalten und ihm meinen Standpunkt klar zu machen. Das ich mich nicht von ihm unterkriegen ließ, auch wenn er mein „Geheimnis" preiß gab. Das ich hierbleiben würde, egal wie er sich nun verhalten würde. So hatte ich mir das jedenfalls ausgemalt.

Katharina bemerkte meinen fragenden Blick, als ich hinter ihr Ausschau hielt.

„Er ist heute nicht dabei. Er arbeitet", sagte sie kurz angebunden. Ich nickte verstehend und wandte mich daraufhin Finn zu. Der Junge sah aufgeregt aus, als ich ihn darum bat auf der Liege Platz zu nehmen.

Ich erklärte den beiden um welchen Impfstoff es sich handelte und das dieser vorsorglich gegen bestimmte Bakterienstämme helfen sollte. Finn hörte mir gespannt zu, während Katharina ernst nickte und versuchte alle Informationen zu verinnerlichen. Nach ein paar Fragen ihrerseits bat ich Finn sein Shirt an der Schulter hochzuschieben und begann damit die Haut zu desinfizieren.

Doch auch während der Behandlung, wich dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmte, nicht von mir. Elias würde doch nie seinen Neffen, ohne seine Anwesenheit, hier behandeln lassen? Plante er gerade irgendwas, um mich doch hier weg ekeln zu können? Oder war er wirklich nur zu beschäftigt? So oder so musste ich versuchen mit ihm zu sprechen. Ich konnte nicht gut mit dieser Unwissenheit umgehen.

Ich erklärte nach der Impfung das Finn die nächsten 24 Stunden sich nicht verwandeln durfte und keine großen sportlichen Attraktivitäten nachkommen sollte.

Nach der Behandlung lud mich Katharina zu sich und Finn nach Hause zum Essen ein. Auch wenn ich normalerweise absagen sollte um Professionalität zu wahren, so merkte ich doch wie ich nach den letzten Wochen etwas zwischenmenschliche Nähe gebrauchen könnte. Katharina war immer freundlich gewesen und hatte sich nicht wie die anderen gescheut mich einzuladen, mit offenen Armen willkommen zu heißen und mir sogar zu helfen. Nur weil ihr Schwager jetzt von meiner Magielosigkeit erfahren hatte, sollte ich nicht den Kontakt zu ihr meiden.

Ich lächelte.

„Das würde mich freuen."

Wir liefen zusammen zu ihrer Hütte und hörten zu wie Finn aufgeregt über die Schule berichtete und mich fragte, ob ich am Freitag den Unterricht übernehmen würde. Seine Klasse wechselte alle zwei Wochen mit einer anderen Klasse, während die älteren Schüler jeden Freitag von mir unterrichtet wurden. Ich nickte lächelnd und verriet ihn welche Themen wir behandeln würden.

Es war erstaunlich wie offen und umgänglich die beiden in meiner Anwesenheit waren. In ihrer Hütte luden sie mich dazu ein mich selbst zu bedienen. Finn hatte viel von seiner anfänglichen Schüchternheit abgelegt und half mir den Tisch zu decken, während Katharina in der Küche schnell Nudeln mit Tomatensoße zubereiten wollte.

In der Zwischenzeit saßen Finn und ich bei der Kücheninsel und beobachteten seine Mutter. Diese wollte nämlich lieber alleine kochen, da es ihr sonst zu unruhig wurde. Das hinderte sie aber nicht daran sich an unseren Gesprächen zu beteiligen und regelmäßig zu uns rüber zu sehen.

Ich erzählte Finn schmunzelnd von meiner Vorliebe für Disney Filme nachdem er mich nach meinen Hobbies ausfragte. Als er verwirrt den Kopf schief legte erklärte ich, dass es sich dabei um Menschen gemachte Familienfilme handelte und erzählte über die unterschiedlichen Geschichten.

Als ich von Mulans Film berichtete forderte uns Katharina zum Tisch. Dort fragte Finn mit großen Augen, ob er sich denn die Filme ansehen dürfte. Etwas überrascht blickte sie zu mir.

„Klar, wieso nicht. Ich weiß nur nicht wie ich an die Filme kommen kann. Vielleicht kannst du Gwen nach Hilfe fragen", sagte sie lächelnd.

Ich versprach Finn ihm bald einen USB-Stick mit meinen liebsten Filmen vorbeizubringen die er zusammen mit seiner Mum gucken konnte. Grinsend bedankte er sich. Der restliche Abend verlief überraschend entspannt. Ich blieb nach dem Essen noch eine Weile und trank einen Tee mit Katharina, während Finn in seinem Zimmer spielte. Meine Aufforderung keinen Sport mehr zu treiben, nahm er zum Glück sehr ernst.

Katharina sprach über ihre Konditorei und ihr Problem mit den Hilfskräften. Sie erzählte davon wie ihre Schwester ihr bei Finn aushalf, da sie sich vor ein paar Wochen kurzzeitig mit Elias zerstritten hatte. Als sie ihn erwähnte hatte ich den Drang nachzuhaken, aber ich hielt mich zurück. Ihre Familienstreitigkeiten gingen mich nichts an. Doch ich war erfreut zu sehen, dass sie sich genauso wie immer mir gegenüber verhielt. Nichts deutete darauf hin, dass Elias etwas mir gegenüber erwähnt hatte. Wenn er das bei seiner Schwägerin nicht getan hatte, hatte ich eine gute Chance das er das auch bei den anderen Rudelmitgliedern nicht gemacht hatte.

Nachdem der Tee leer war, bedankte ich mich bei Katharina und wollte mich verabschieden. Doch überraschenderweise umarmte sie mich zum Abschied und lächelte mir breit zu.

„Komm gern öfter vorbei. Finn freut sich, wenn wir Besuch haben und ich freue mich auch mal über neue Gesprächsthemen. Hier passiert ja eh nie was spannendes", sagte sie schmunzelnd und ich nickte lächelnd.

Auch wenn sich eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf meldete das ich den intensiven Kontakt zu dem Rudel meiden sollte (vor allem gegenüber Elias Familie bzw. meinen Patienten), so fiel es mir doch schwer sie abzuweisen. Jemanden der ehrliches Interesse an meiner Person hatte und gerne mit mir sprach, war selten. Es war neu. Etwas einschüchternd, aber auch schön. Etwas an das ich mich nicht gewöhnen sollte.

Nach dem Abend bei Katharina und Finn hatte ich wieder zwei Hausbesuche im Wald gehabt. Außerdem beobachtete ich täglich Toms Fortschritte und ermahnte ihn das er vorsichtig bleiben sollte. Seine Mutter, eine sehr besorgte aber freundliche Person, hatte mir sogar eine Dose voller frisch gebackener Kekse als Dankeschön mitgebracht.

Zwischen den einzelnen Terminen schrieb ich weiter Mails und erkundigte mich noch weiter nach Finns Erkrankung. Ich hatte ein Forum mit ein paar älteren Ärzten und Professoren entdeckt, welches Immunerkrankungen bei Wechselhäutern näher untersucht hatte. Die meisten davon hatten eine altersbedingte Herkunft, aber es war dennoch interessant genug um drinnen zu bleiben und vielleicht Kontakte zu knöpfen.

Am Donnerstag traf ich mich noch kurz mit Susanne, bei Mathilda im Restaurant und ging mit ihr die Unterlagen für den kommenden Unterrichtstag durch. Sie erklärte zügig, aber dafür sehr akkurat welche Inhalte ich unbedingt vermitteln sollte und welche Arbeitsblätter ich zur Verinnerlichung verwenden musste. Auch wenn ich für den Unterricht eingetragen war, so sorgte aber allein Susanne für all die Unterrichtsmaterialien. Ich hatte Respekt ihr gegenüber. Sie war genauso jung wie ich, schaffte es sich aber noch Zeit in ihrem eh schon zu gefülltem Stundenplan zu nehmen, um mit mir nochmal alles durchzugehen, obwohl sie mir die Materialien auch nur per Mail hätte zuschicken können.

Der Unterricht am Freitag verlief dann zum Glück auch bei den zwei unbekannten Klassen gut. Finn hatte sich nicht auffällig mir gegenüber verhalten und wie die anderen Kinder gut beim Unterricht mitgemacht. Ich hatte mit ein wenig Getuschel gerechnet, da die Kinder sich Finns Zustand bestimmt bewusst waren und ich es nicht verheimlichte eine ausgebildete Ärztin zu sein. Doch zu meinem Erstaunen gab es zu keiner Sekunde blöde Witze oder Bemerkungen in Richtung Finn, die ich ausmachen konnte.

Erst als ich abends die finale Materialliste an Helens Sekretären Mara geschickt hatte und die vergangene Woche Revue passieren ließ, stellte ich wieder einmal fest: ich hatte nicht ein einziges Mal Elias gesehen. An den Tagen wo ich die Wochen zuvor im Dorf unterwegs war, war er fot auf dem Trainingsgelände gewesen oder war stets in der Nähe, um mich im Auge zu behalten. Aber nichts. Ich hatte weder seine Nummer, noch wollte ich aktiv nach ihm suchen, um dieses Gespräch endlich hinter mich zu bringen. Doch seit meinem Geständnis war er wie vom Erdboden verschluckt. Ich seufzte und strich mir übers Gesicht. Er hatte bisher nichts gesagt. Glaubte ich. Jedenfalls konnte ich bei niemanden irgendwelche Verhaltensänderungen bemerken. Bis auf ihn.

Ich blickte müde auf die Uhr. Morgen wäre die Rudelversammlung. Auf der letzten war Elias als Beta selbstverständlich dabei und hatte über seine eigene Abteilung berichtet. Da Helen mich darum gebeten hatte auch vorzutreten, da es morgen hauptsächlich um die Vorbereitungen des Erntedankfestes ging, konnte ich eigentlich ziemlich sicher davon ausgehen ihn morgen dort anzutreffen.

Müde schlurfte ich in mein Schlafzimmer. Morgen würde ich etwas früher da sein und auf ihn warten. Zu Not würde ich auch nach der Versammlung auf ihn zugehen. Falls er mir aktiv aus dem Weg ging, musste ich ihn direkt ansprechen, damit er mir nicht mehr ausweichen konnte. Denn egal was er nun von mir dachte, ich brauchte eine Antwort und eine Zusicherung auf sein Schweigen. Ihm war sicherlich längst bewusst, dass mit meiner Magielosigkeit auch meine Mischlingsherkunft einherging. Falls er davon jemanden berichten würde, würde es mich nicht wundern, wenn die anderen Wölfe einen Halbmenschen bei sich nicht mehr dulden wollten.

...

Ich war zwanzig Minuten vor dem Rudeltreffen im Saal. Es gab ein paar wenige Wölfe die kurz hinein huschten um Unterlagen auf einen Tisch bereitzustellen oder sich mit anderen zu unterhalten, während ich mit wippenden Bein ungeduldig auf meine Uhr blickte.

Ich hatte eine weiße Bluse und eine Jeans angezogen, um einen etwas seriöseren Look zu haben. Zwar würde ich nicht lange im Rudel bleiben, aber was mir Mara immer wieder mitgeteilt hatte war das ich nun eine eigene Abteilung im Rudel repräsentierte und bei den Rudeltreffen eine souveräne Person abgeben musste, auch wenn meine Qualifikationen dafür schon längst ausreichend waren. Dennoch wollte ich auch nach außen hin meinen Beruf verkörpern können.

Mein Blick huschte immer wieder zu den vier unterschiedlichen Eingängen, doch auch fünf Minuten vor der Versammlung betrat nicht Elias mit Helen und Alex den Saal, sondern der Wolf der mich in der Nacht von Toms Unfall abgelöst hatte. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte er sich mir als Pascal vorgestellt.

Als das Treffen endlich offiziell begann rauschten meine Ohren.

Was hatte das zu bedeuten? Ich drehte mich zu der höher gelegten Tribüne um und sah wie einige zu Pascal blickten und leise tuschelten, bevor sie Alex mit seiner Ansprach unterbrach. Das war nicht normal. Das spürte ich an der Stimmung, den Blicken und dem leisen Getuschel, als Pascal die Abteilung von Elias vertrat.

Mein Kopf ratterte unaufhörlich, während ich versuchte irgendwie mein Timing für meine Präsentation abzupassen.

Als ich dann dran war, stellte ich mich neben Helen und Pascal, wo man mir Platz gemacht hatte und erklärte kurz und wahrscheinlich etwas zu steif, das ich beim Erntedankfest vor Ort für Notfälle da war und ab wann ich mit dem Aufbau beginnen würde. Zum Glück schenkte man mir nicht zu viel Aufmerksamkeit. Denn das eigentlich interessante Thema war definitiv nicht ich. Sondern der nicht erschienene Beta des Rudels.

...

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen. Und keine Sorge, Elias wird bald wiederkommen ;)

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