Kapitel 48

-Elias Naumann-

„Was ist denn mit dir passiert?"

Katharinas aufgebrachte Stimme klang schrill in meinen Ohren, als ich an ihr vorbei die Hütte betrat.

„Arbeitsunfall. Ich will dich nicht lange aufhalten", sagte ich kurz angebunden, doch Kathi folgte mir schnell, nachdem sie die Haustür hinter sich schloss.

„Das sieht aber nicht nach einem Arbeitsunfall aus, eher so als hätte dir jemand eine reingehauen. Ich hoffe für dich du hast es demjenigen doppelt zurückgezahlt!", schimpfte sie schon los. Ich musste schmunzeln an den Gedanken was passiert wäre, hätte ich Alex einen ähnlichen Schlag verpasst. Wahrscheinlich hätte er das halbe Dorf auseinandergenommen.

„Das ist nur halb so wild", sagte ich abwinkend und lief Richtung Küche, doch bevor ich mir die angekündigten Essenreste schnappen konnte, schob sich Kathi zwischen mir und den Kühlschrank und deutete auf den Küchenstuhl.

„So schnell kommst du mir nicht davon. Setz dich und sag mir was du die ganze Zeit getrieben hast. Du hattest mir vor fast zwei Stunden die Nachricht geschrieben und bist jetzt erst um halb zwölf gekommen. Ich müsste eigentlich seit einer Stunde schlafen", sagte sie vorwurfsvoll, während sie aus dem Kühlfach eine Tüte gefrorener Erbsen holte. Diese reichte sie mir auffordernd. Seufzend nahm ich sie an und drückte sie gegen meine Nase.

„Du hättest dich hinlegen können. Ich hätte auch einen Tag ohne Essen überstanden."

Ihr Blick wurde eisig, als sie die Essenreste aus dem Kühlschrank holte und langsam damit begann die Folie zu entfernen.

„Nicht in meiner Familie! Mit sowas fangen wir nicht an", schimpfte sie weiter, bevor sie das Essen in die Mikrowelle schob. Das war wohl ihre Taktik um mich hierzubehalten und zum Reden zu zwingen.

„Wie du meinst", sagte ich und lehnte mich tiefer in den Stuhl hinein.

„Und?"

„Und was?", fragte ich nach. Sie seufzte theatralisch.

„Sag mir was dich aufgehalten hat. Ich will wissen, warum ich zwei Stunden warten musste."

Sie zog sich den Stuhl mir gegenüber zurück und setzte sich. Auffordernd hob sie die Brauen. Ich seufzte. Sie würde eins und eins zusammenzählen, wenn ich ihr erzählte das ich bei Alex und Helen war. Die Frau war schlimmer als jeder Spürhund, wenn es um Geheimnisse ging.

„Ich war noch arbeiten."

Sie verschränkte die Arme.

„Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass du die letzten zwei Stunden gearbeitet hast und auf magische weise eine angeschwollene Nase bekommen hast?"

„Kannst du es nicht dabei belassen?", fragte ich hoffnungsvoll, doch sie schüttelte den Kopf.

„Könnte ich vielleicht, würde mein Schwager nicht kurz vor Mitternacht verspätet mit einem verprügelten Gesicht vor meiner Haustür auftauchen", sagte sie schnippisch, kurz bevor die Mikrowelle piepste. Sie stand auf und stellte mir den aufgewärmten Nudelauflauf auf den Tisch.

Ich durfte ihr keine Vorwürfe für ihr Verhalten machen. Ich hätte ähnlich, wenn nicht sogar viel schlimmer reagiert, hätte ich Kathi oder Finn in einem ähnlichen Zustand vorgefunden. Kathi konnte ich vertrauen, auch wenn sie durch die Geschehnisse der letzten Wochen vorsichtiger mir gegenüber geworden war. Sie hatte mir nicht ohne Grund Finn entzogen und sie würde es wieder tun, wenn ich anfing mich wie ein Idiot zu verhalten.

Ich seufzte und schnappte mir die Gabel.

„Ich musste noch mit Alex und Helen sprechen", sagte ich, bevor ich mir den ersten Bissen Auflauf in den Mund schob. Kathis Augen wurden groß und ein „Oh" verließ ihre Lippen, als sie auf meine Nase blickte.

„Ja, oh trifft es gut", sagte ich kauend. Sie lehnte sich besorgt nach hinten.

„Darf ich wissen worum es ging?", hakte sie vorsichtig nach und ich schüttelte leicht den Kopf.

„Es wäre wohl am besten, wenn keiner im Rudel von diesem Gespräch erfährt. Das würden die beiden nicht wollen."

Sie verstand zum Glück was ich damit andeuten wollte und nickte langsam, auch wenn ihr Blick ihre Sorge widerspiegelte.

„War der Schlag gerechtfertigt?", fragte sie zaghaft und ich zuckte die Schultern.

„Kommt wahrscheinlich darauf an wen man fragt. Aber Helen war nicht glücklich darüber", verriet ich.

„Soll ich dir was zum Überschminken mitgeben? So kannst du morgen nicht in die Zentrale", sagte sie, doch ich verneinte.

„Ich werde morgen und die kommenden Tage hauptsächlich alleine im Wald unterwegs sein", erklärte ich zwischen zwei Bissen. Ihr Blick wurde ungläubig.

„Wieso denn das? So kurz vorm Rudeltreffen und dem Fest? Wer kam denn auf die Idee?"

„Alex."

Die Stille danach zog sich. Ich sah wie es in ihren Kopf arbeitete. Sie nach und nach versuchte die Puzzlestücke zusammenzufügen.

„Es hat was mit Williams zu tun habe ich recht? Wegen Toms Unfall."

Als ich nichts erwiderte, lehnte sie sich weiter nach vorne.

„Was hast du angestellt? Alex würde doch nicht auf seinen besten Mann ohne Grund verzichten", forschte sie weiter. Seufzend schob ich mir die letzte Gabel in den Mund und legte die Erbsen beiseite.

„Er hat mit mir über mein Verhalten gesprochen und mir eine verdiente Strafe aufgebrummt. Mehr ist nicht passiert", sagte ich ruhig. Ich hoffte sie würde lockerlassen. Ich wusste nicht inwieweit Williams mit Katharina sprach und sich ihr anvertraute. Natürlich hatte ich bemerkt wie gut die beiden sich verstanden und das Kathi aktiv nach ihrer Nähe suchte, doch nach dem Gespräch mit Williams zu urteilen war ihre Magielosigkeit kein Thema, welches sie gerne öffentlich besprach. Ich würde es nicht sein der Katharina davon berichtete.

„Wenn du es mir nicht erzählst, frag ich Williams", drohte sie mir, doch ich würde ihr nichts erzählen. Ich zuckte die Schultern.

„Mach doch."

Kathi lehnte sich in den Stuhl zurück und verschränkte die Arme. Das sie nicht die Informationen bekam die sie wollte, musste sie wohl aufregen. Doch sie entschied sich, es dabei zu belassen und seufzte tief.

„Sorg einfach dafür, dass das was auch immer du angestellt hast, nicht nochmal passieren wird!", sagte sie abschließend zu dem Thema. Nickend nahm ich ihre Aufforderung zur Kenntnis. Ich hatte eh nicht vor in den nächsten Wochen negativ aufzufallen. Nach dem Gespräch mit Helen zu urteilen konnte ich mir gar nichts mehr erlauben.

Ich wollte aufstehen um den Teller zur Spüle zu bringen, doch Kathi kam mir zuvor und begann damit routiniert den Teller über der Spüle zu säubern.

Ich sah ihr stumm dabei zu und ließ das Gespräch mit Helen Revue passieren. Auch wenn sich alles in mir stäubte, nur aufgrund von Alex und Helens Befehlen eine Partnerin zu finden, verstand ich wieso sie es von mir verlangten. Mein Bruder hatte sich ohne Einwände zu erheben auf die Partnersuche begeben und zum Glück Katharina getroffen. Die beiden waren zwar keine Gefährten, aber das schmälerte definitiv nicht die Liebe die sie empfunden hatten. Als Kathi recht schnell nach Bekanntgabe ihrer Beziehung schwanger wurde, heirateten sie beide hier im Rudel, bevor Finn zur Welt kam. Alex hatte die beiden getraut, während der engste Familienkreis bei der Zeremonie anwesend war.

Ich hatte mir immer vorgestellt meine zukünftige Partnerin selbst zu finden. Ich wollte nicht einer potenziellen Partnerin sagen müssen, dass sie sofort mit mir Kinder zeugen müsste, um in Zukunft an meiner Seite sein zu können. Ich wollte keiner Frau das Gefühl vermitteln, sie müsste eine Zuchtstute sein, nur um das Rudel und das Alphapaar glücklich zu machen. Das war mitunter der Grund, warum ich seit Jahren jeder Frau innerhalb des Rudels, klar gemacht hatte, dass ich kein Interesse an einer festen Partnerin hatte. Ich wollte genauso wenig von ihnen als Zuchthengst betrachtet werden, der ihnen eine Aufstiegschance zur Führungsregie bot. Denn so sahen mich die meisten Wölfinnen im Rudel und dessen war ich mir bewusst. Einzelne Affären oder One-Night-Stands die ich mir erlaubt hatte, kamen meist aus anderen Rudeln und sahen in mir weniger eine Trophäe die man erobern konnte.

Aber auf eine Partnerin -geschweige eine Gefährtin- zu hoffen, zu der ich tiefgreifende Gefühle empfand konnte ich mir anscheinend nicht leisten. Und selbst wenn ich so eine Frau finden würde, würde der Druck vom Rudel sicher für eine übereilte Flucht sorgen. Die Frauen die mir Helen vorgestellt hatte, waren alle zu solch einer emotionslosen Beziehung bereit die nur darauf abzielte ein Kind zu zeugen und in die Führungsregie zu kommen. Aber wollte ich wirklich ein Leben lang unglücklich mit einer fremden Frau zusammen sein, nur um für Nachwuchs zu sorgen? Was für eine Art Vorbild würde ich dann überhaupt für das Kind sein? Würde es wirklich Jungalpha werden, würden Helen, Alex und die Mutter des Kindes die ganze Zeit versuchen das Kind für sich zu beanspruchen. Ich könnte genauso gut ein Fremder für dieses Kind sein.

„Worüber denkst du nach? Du bist so still?"

Kathi ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Ich seufzte tief und sah sie aus dem Augenwinkel an. Ich hatte die letzten Jahre genügend Zeit gehabt, um auf die perfekte Partnerin zu warten und sie war nicht erschienen. Ich sollte es wohl aufgeben und jede Hilfe in Anspruch nehmen, um eine mögliche Partnerin zu finden.

„Hast du zufällig noch Kontakt zu deinen Freundinnen aus deinem alten Rudel?", fragte ich und ihre Brauen schossen in die Höhe.

„Ja, wieso fragst du?"

Seufzend lehnte ich mich vor.

„Hast du sie für das Fest eingeladen? Wenn ja würdest du mich vielleicht einigen von ihnen vorstellen?"

Perplex blinzelte sie und lehnte sich mit verschränkten Armen in den Stuhl zurück.

„Meinst du etwa diejenigen die noch keinen Partner haben?", hakte sie neugierig nach und ich nickte. Überrascht lachte sie auf.

„Wow. Das hätte ich nicht erwartet. Ich dachte du wärst nicht auf Partnersuche", sagte sie verwirrt.

„Bin ich auch erst seit kurzem wieder."

Sie nickte noch etwas überrascht.

„Aha. Ich schätzte mal dein neuer Entschluss hat nicht zufällig etwas mit dem zweistunden Gespräch und dem Schlag zu tun?"

Genervt verdrehte ich die Augen.

„Ich hätte dich wohl nicht um Hilfe bitten sollen", sagte ich und stand auf. Kathi hob entschuldigend die Hände und hielt mich auf.

„Sorry. Ich werde nicht weiter nachhaken. Ich bin nur etwas über den Sinneswandel überrascht. Natürlich helfe ich dir wo ich kann und frag ein paar alte Freunde, ob sie uns beim Fest Gesellschaft leisten wollen."

Dankend nickte ich und verabschiedete mich dann mit ein paar knappen Worten. Würde ich erstmal ein paar Freundinnen von Kathi kennenlernen, würden die meisten im Rudel nicht sofort Verdacht schöpfen das ich auf Partnersuche war. Ansonsten würden mir die alten Wolfsmütter all ihre Töchter auf den Hals hetzen und weder ich noch meine Leute in der Zentrale hätten eine ruhige Minute. Ich musste die Partnersuche so diskret wie möglich von statten bringen. Dann hätte ich annähernd die Chance eine Frau kennenzulernen, die sich nicht die ganze Zeit verstellte oder mir leere Versprechungen gab.

In meiner Hütte angekommen, zog ich mir die Sachen aus und stieg in die Dusche. Als der Dreck und das Blut von dem kalten Wasser weggespült wurden, spürte ich den Druck von Alex Worten weiter in meinem Kopf nachhallen. Ich musste eine Partnerin finden. Ansonsten würde er das für mich erledigen oder noch viel schlimmer. Er würde mich aus dem Rudel werfen.

...

Es war erstaunlich wie mich die Brünette mit einer Bestimmtheit mit sich zog, die ich bei ihr nicht erwartete hatte. Doch das was wir eben gesehen hatten, hatte wohl etwas mit ihr angestellt.

„Wo gehen wir hin?", fragte ich etwas dümmlich, doch sie zuckte nur die Schultern.

„Ich wollte bloß weg da", sagte sie und blieb unvermittelt stehen. Beinah wäre ich in sie hineingelaufen, doch kurz vor ihrem Rücken konnte ich abbremsen. Doch nun stand ihr gefährlich nahe und sah wie sich ihr Brustkorb schnell hob und senkte.

Als sie sich umdrehte und zu mir nach oben blickte, wich sie instinktiv einen Schritt zurück. Doch bevor ich darüber nachdenken konnte, schnellte meine Hand nach vorne um sie am Weitergehen zu hindern.

„Ist alles in Ordnung?", fragte ich besorgt. Ihr Blick richtete sich gen Boden. Sie zog ihre Hand nicht weg, aber rührte sich sonst auch nicht. Als sie nicht weiter reagierte berührte ich mit der anderen Hand ihre Schulter. Sie atmete zitternd ein und wich immer noch meinen Blick aus, doch ich sah wie sie mit den Tränen kämpfte, als sie ihre freie Hand hob um sich über die Augen zu wischen.

„Ja, alles gut wir können weiter", sagte sie mit erstickter Stimme. Doch ich glaubte ihr nicht. Aus einem inneren Impuls heraus, zog ich sie enger an mich, ließ ihre Hand los und umarmte sie. Sie war zunächst steif und hatte die Arme locker nach unten hängen. Doch nach wenigen Sekunden legten sich ihre Arme zaghaft um meinen Oberkörper und ihr Gesicht vergrub sich in meiner Brust, bevor sie anfing zu weinen.

Langsam und beruhigend streichelte ich mit einer Hand ihren Rücken und wartete. Wartete bis sie all ihren Emotionen freien Lauf gelassen hatte.

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