Kapitel 45

-Elias Naumann-

„Sind die Vorratslager in dem äußeren Gebiet überprüft worden?"

Jackson und Mara, zwei meiner erfahreneren Grenzwächter nickten und gaben mir ihre Aufzeichnungen über alle bedenklich abstehenden Bäume in ihrem Bereich. Ich schickte sie weiter damit sie die Aufräumarbeiten in der Nähe des Dorfes unterstützten konnten. So weit draußen im Wald gab es nur noch vier Paare und die hatten mir zugesichert, dass die umgefallenen Bäume für sie kein Problem darstellten. Zuerst hatte das Dorf und alle näherliegenden Vorratslager Vorrang.

Ich blickte zu Luis der gerade mit einer weiteren Liste zu mir aufschloss. Nach einem kurzen Austausch forderte ich von ihm die bereitsaufgelesenen Bäume zu unserem Sägewerk zu bringen. Wir mussten die Ressourcen die uns der Wald gab nutzen und die guten Bäume verwerten. Die Bäume waren eine unserer größten Einnahmequellen und Helen würde mir den Kopf umdrehen, wenn ich zuließe das gesunde Bäume auf den Boden vermoderten. Wir setzten jedes Jahr neue Bäume und achteten auf den Wald, aber selbst wir konnten es uns nicht leisten auf unsere gesunden Bäume und deren Holz zu verzichten.

In der Zentrale kamen immer wieder neue Wächter die mir ihre Aufzeichnungen übermittelten. Max half mir alle Dokumente zu digitalisieren damit sie Alex und ich jederzeit auf Abruf hatten. Will stattdessen erwies mir einen Gefallen um den ich ihm gebeten hatte, kaum das ich die Zentrale nach dem Gespräch mit Williams betreten hatte.

Mein Kopf ratterte und ich versuchte die ganze Zeit mich beschäftigt zu halten, damit ich nicht an Williams aufgelöstes Gesicht denken musste und das Geständnis was ihr so schwerfällig über die Lippen geglitten war. Verdammt, ich war so ein Arschloch.

Als ich heute in der Früh Will weckte und dazu aufforderte an den Rechner zu gehen, hatte ich das schlechteste Gewissen das mir seit langer Zeit auf der Brust lag. Doch ich brauchte ein letztes Mal die Bestätigung von Williams Aussage. Nur damit ich mir sicher sein konnte und mit Alex später ein sehr klärendes und überfälliges Gespräch führen konnte.

Über den ganzen Morgen und Nachmittag hatte der Nieselregen angehalten, sodass im großen Hauptraum der Zentrale der Boden nass und dreckig wurde, desto mehr Wolfsleiber oder Wölfe in menschlicher Gestalt hineinhuschten.

Ich hatte ein Funkgerät direkt neben mir mit dem ich mit Helen stetig im Kontakt stand. Sie koordinierte mit mir zusammen die Aufräumarbeiten und die Schadensaufklärung, während Alex dabei war den entstandenen Schaden mit anderen Wolfsrudeln zu teilen und nach Unterstützung zu bitten für die kommenden Festivitäten im nächsten Monat.

Es wunderte mich, dass dies das erste war woran er dachte, aber wahrscheinlich wollte er es vermeiden mit mir zu sprechen oder dachte die Situation wäre heikel genug um die anderen Rudel darüber zu informieren. Aber nach Helens und meinem Kenntnisstand, konnten wir alle Arbeiten in den nächsten zwei Wochen erledigt haben, wenn wir einige Kräfte aus der Zentrale und dem Ernteteam mobilisierten. Aber Alex wollte wahrscheinlich sicher gehen, dass sich niemand überarbeiten musste.

Seufzend strich ich mir übers Gesicht und funkte einen meiner Männer im Wald an, um zu hören wie weit sie waren. Es fehlte nur noch ein Baum von der roten Liste. Die Bäume die unbedingt heute aufgrund der Fallgefahr geborgen werden mussten.

Ich klapperte auch die anderen Außenpostenteams ab und nach dem immer mehr Wölfe aus dem Wald und der näheren Umgebung am Abend zurückkamen, desto unruhiger wurde ich. Die nötigsten Aufgaben für heute waren erledigt.

Ich funkte erneut Helen an und erkundigte mich übers Tom Zustand. Sie sagte das sie das letzte Mal vor einer Stunde von ihm gehört hätte. Tom ginge es den Umständen nach seiner Behandlung entsprechend und er sollte zur Sicherheit zwei weitere Tage im magischen Viertel bleiben. Aber sie versicherte mir, dass alles sehr positiv aussah und ich mir keine Sorgen machen musste. Sie dachte wahrscheinlich das ich Williams immer noch misstraute, aber mit ihrem Geständnis wich meine Wut und Angst die ich zuvor empfand und machte einer Scham und Unverständnis gegenüber Alex Platz.

Wir mussten dringend sprechen. Und der Grund würde sicherlich nicht allein Williams sein. Alex würde über mein Verhalten, meine Ängste und meine Vorbehalte reden wollen. Alles Themen die ich seit Jahren vermied. Das war der einzige Grund warum ich, nachdem die Arbeiten fertig waren, immer noch in der Zentrale saß. Ich versuchte die Zeit mit unnötigen Arbeiten hinauszuschieben die ich am nächsten Tag hätte erledigen können.

Max hatte bereits alle Dokumente digitalisiert und klopfte mir zur Verabschiedung auf die Schulter, ehe er sich in seinen wohlverdienten Feierabend verzog.

Alleine im Hauptraum ließ ich mich seufzend in den Stuhl fallen und sah zur Decke. Wie sollte ich Williams und Katharina je wieder ins Gesicht sehen, nachdem ich mich so kindisch verhalten hatte?

Nach wenigen Minuten kam Will aus seinem Raum und sah mich mitleidig an.

„Und?", fragte ich in den stillen Raum hinein und er nickte.

„Es ist so wie du gesagt hast. Die Mitarbeiterin im Ministerium vom letzten Mal hat es mir mündlich bestätigt und hat mir erklärt, dass dies sehr wahrscheinlich der Grund für Williams zahlreiche Absagen war", sagte er ruhig und ich schloss die Augen.

„Du wirst das für dich behalten hast du verstanden? Williams will sicher nicht, dass das halbe Dorf davon erfährt."

Nickend lief Will auf mich zu und ließ sich auf einen Stuhl neben mir fallen.

„Wirst du mit Alex darüber reden?"

Ich öffnete die Augen und sah auf seine verwuschelten blonden Haare und seinen ernsten Gesichtsausdruck.

„Ich muss. Das verändert alles und das weiß er", gab ich von mir und Will sah mich mitleidig an. Ein Ausdruck den ich oft wahrnahm, wenn die Leute in meinem Team und meiner Familie daran dachten, weshalb ich eine so große Abscheu gegen magiebegabte Wesen entwickelt hatte. Und Williams war keine von ihnen. Es gab Anzeichen die ich nicht gesehen hatte. Sei es der Schlag von Alena, Williams Behandlungsmethoden, ihre Art eher mit den Worten statt mit Magie zu drohen, die wir alle nicht im Blut trugen.

„Du zerstörst die Dokumente die ihr während ihrer Überprüfung angelegt habt und löscht auch Alex Kopien. Das wird alles nichtig sein."

Will nickte erneut.

„Brauchst du sonst noch was?", fragte er und ich musste schmunzeln. Ich wusste er meinte es gut, aber jetzt gerade konnte mir wahrscheinlich keiner helfen.

„Ich möchte das du schnell nach Hause kommst. Wie ich deine Mum kenne macht sie sich sicherlich schon Sorgen um dich", sagte ich witzelnd und Will verstand zum Glück, dass es für ihn an der Zeit war zu gehen.

Er verabschiedete sich mit wenigen Worten und sicherte mir zu, dass er morgen die Dokumente zerstört haben würde. Nickend ließ ich ihn gehen und blieb als einziger in der Zentrale zurück. Die Wölfe die heute draußen Dienst hatten, würden in der Nähe des Dorfes patrouillieren und erst in drei Stunden wechseln. Bis dahin, würde es hier erstmal leer bleiben. Alle hatten heute ein paar extra Stunden drauflegen müssen und falls etwas passieren würde, wäre ich die ganze Zeit über das Funkgerät erreichbar. Dafür müsste die Zentrale heute nicht mehr die ganze Zeit vollbemannt bleiben. So konnte ich wenigstens einigen meiner Teammitglieder eine längere Pause geben.

Müde blickte ich zur Uhr. Es war 20 Uhr und ich hatte bereits ein paar Nachrichten von Katharina erhalten. Sie hatte mir geschrieben, dass es ihr und Finn gut gehe und wenn ich möchte nach der Arbeit vorbeikommen konnte, um mir Essensreste abzuholen. Sie hatte es sich wohl denken können, dass ich heute nicht wirklich zum Essen gekommen bin. Ich schrieb ihr das ich noch eine Sache erledigen musste und danach ihr einen kurzen Besuch abstatten würde.

Langsam erhob ich mich aus dem Stuhl und schaltete das Licht aus, bevor ich die Zentrale verließ. Der Himmel war seit einigen Minuten bereits dunkel. Ohne mich zu beeilen lief ich Richtung Rudelhaus. Etwas weiter dahinter im Wald, war die große Hütte von Alex und Helen die dem Alphapaar versprochen war. Es war extra für eine große Familie mit viel Nachwuchs ausgelegt worden, doch viele Zimmer standen leer. Zu unser aller bedauern.

Vor über zehn Jahren hatte Helen Katharina in der Schwangerschaft angeboten in dem Haus zusammen mit meinem Bruder zu leben. Das tat sie vor allem, weil sie sich erhoffte das Finn sich als Jungalpha herauskristallisierte und sie ihn zusammen erziehen könnten. Doch auch dieser Plan wurde früher oder später komplett über den Haufen geworfen. Es war einer der Gründe warum ich mir seit fünf Jahren regelmäßig neue Damen aus anderen Rudeln vorstellen lassen durfte. Helen machte da keinen Hehl aus ihren Bemühungen und verfrachtete mich so oft es ihr möglich war zu Veranstaltungen außerhalb des Rudels.

Dieser Umstand und die negativen Erinnerungen an das neu renovierte Haus, sorgten dafür das ich diese Ecke im Dorf besonders mied. Mittlerweile erkannte man die Spuren des Feuers gar nicht mehr, doch vor meinem inneren Auge sah ich weiterhin die Rauchschwaden und die brennenden Bäume die aufs Haus niederfielen und alles unter sich begruben.

Einige Meter vor dem Haus blieb ich stehen. Seit ungefähr acht Jahren betrat ich das Haus nur noch in seltenen Ausnahmefällen, wie zu wichtigen Geschäftsessen, wenn Alex meine Hilfe als seine rechte Hand brauchte. Das ihn aktuell der Umstand egal war, wie ich mich dabei fühlte das Haus zu betreten, ließ weit blicken was seine Gefühlslage mir gegenüber betraf. Er musste sehr sauer sein.

Die Lichter aus der unteren Etage waren an und beleuchteten die wenigen Meter in den Wald zu mir. Doch auch nach weiteren Minuten, nachdem ich das Huas ausgiebig beäugt hatte, wollten sich meine Beine nicht bewegen. Meine Ohren rauschten und in meinem Kopf ratterten alle Geschehnisse der letzten Wochen vorbei.

Wie ich wütend wurde, nachdem mir Alex und Helen kurzfristig von Williams Ankunft berichteten. Wie ich zu Williams gestürmt war und die naive Hoffnung in mir trug sie mit meinem Auftreten einzuschüchtern und sie dazu zu bringen wieder nach Hause zu fahren.

Hatte ich Alex mit meinem abrupten Aufstehen und Verhalten beim Gespräch dazu gebracht mir nichts von Williams Zustand zu sagen? Williams sagte sie wüssten, dass sie keine Magie wirken konnte. Und dennoch hatten sie es mir nicht gesagt. Warum? Hatten sie es etwa vergessen? Oder wollten sie mein Verhalten ohne dieses Wissen beobachten, um zu wissen wie ich mittlerweile zu magiebegabten Wesen stand? Doch für so skrupellos hielt ich die beiden nicht. Es musste ein Missverständnis geben.

„Elias? Elias!"

Ich spürte eine Hand an meinem Arm und zuckte zusammen. Mein Blick huschte von dem Dach des Hauses runter zu Helen die mich besorgt musterte.

„Wie lange stehst du denn schon hier? Ich habe nach dir gerufen", sagte sie besorgt und ein wenig vorwurfsvoll. Doch ich konnte nichts erwidern. Sie seufzte tief und blickte von mir zum Haus. Sie wusste um meine Situation. Hatte sie wohl nach einem kurzen Blick auf mich erfasst, während sie mein nasses Erscheinungsbild betrachtete. Es regnete nicht stark, doch ich musste wohl seit einiger Zeit schon vor der Hütte stehen.

„Alex ist im Haus und ich glaube auch nicht, dass ich ihn dazu bewegen kann jetzt noch raus zu kommen. Komm, er wartet auf dich", sagte sie ruhig, während sie mich an meinem Arm Richtung Haus mitzog.

Meine Schritte waren steif und mein Puls schlug schneller, als sich die Panik weiter in meinem Körper ausbreitete, doch Helen zog mich bestimmt mit sich und schubste mich dann schon regelrecht ins Haus hinein. Sie wusste das die Angst nachließ sobald man mich ins Haus verfrachtet hatte. Dafür kannte sie mich und meine Macken zu gut.

Kaum stand ich im Flur versuchte ich mit tiefen Atemzügen meinen Puls zu beruhigen und folgte Helen ins geräumige Wohnzimmer, das dem Raum vor acht Jahren nicht im Geringsten ähnlich sah. Ein Umstand dem ich sehr dankbar war.

Alex saß mit dem Rücken zu mir auf der Couch mit einigen Dokumenten vor sich verteilt und drehte sich auch nicht herum, als wir uns ins Wohnzimmer begaben. Ein Glas mit Whisky stand schon vor ihm auf dem Glastisch und ein weiteres ungefülltes stand daneben. Eine Tradition die mein Bruder damals einführte, wenn er schwierige Gespräche mit jemanden führen musste. Er sagte es lockerte die Zunge und die Stimmung. Es würde ihm dadurch einfacher fallen die unschönen Worte auszusprechen die im Raum standen. Eine Tradition die wir ihm zu verdanken hatten.

Das Alex den Whisky also schon bereit standen hatte, sagte vieles. Ich ließ mich auf den Sessel fallen und nahm mir gleich die Flasche Whisky. Ich befüllte mein Glas und nahm einen großen Schluck. Er war stark. Etwas an dem die Kobolde lange gebraut haben mussten. Alex ging es also nicht gut, wenn er den teuren Whisky geholt hatte.

Ich sah zu ihm und Helen die sich neben ihren Gefährten niedergelassen hatte. Deutete mit der Flasche auf das fast leere Whisky Glas von Alex, der mir nickend bestätigte das ich nachschenken konnte. Helen holte sich auch ein Glas und stellte es geräuschvoll auf den Tisch. Auch ihr schenkte ich ein.

Wir alle nahmen einen tiefen Schluck von dem Whisky. Auch etwas zu dem uns mein Bruder gezwungen hatte. Man trank zusammen bevor man das Gespräch begann.

Als ich das Glas auf den Tisch stellte und mich zurück in den Sessel lehnte sah ich die beiden auffordernd an. Ich wusste das dies nicht schön werden würde, aber ich wollte es nicht unnötig in die Länge ziehen.

„Bevor wir damit anfangen mich dafür zu beschimpfen wie ich mich die letzten Wochen verhalten habe, möchte ich von euch wissen wieso ihr mir verheimlicht habt das Williams keine Magie wirken kann?"

...

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen. Lasst gern einen Sternchen da ;)

PS: Dankeschön das ihr die letzten Wochen so viel gelesen habt! Mittlerweile hat die Geschichte schon mehr als 30k Aufrufe was für mich echt ein großer Erfolg ist! Danke dafür :)

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