Kapitel 4
-Gwen Williams-
Sophia kam nach zwanzig Minuten von der Tanzfläche zurück und löste Michelle ab.
"Habt ihr euch gut verstanden?", fragte sie keuchend nach. Sie trank ihren Cocktail fast zur Hälfte leer und betrachtete mich aus ihren blauen Augen.
"Ging so. Besser als mit den anderen."
Sophia nickte und lehnte sich seufzend zurück in die Sitzecke.
"Sie ist eigentlich ziemlich korrekt, wenn man sie näher kennenlernt."
"Aha", gab ich nur von mir und Sophia lächelte.
"Vielleicht können wir ja mal was zu dritt unternehmen?", schlug sie fragend vor. Ich wusste nicht, wie ich erklären sollte, dass Michelle im Gegensatz zu den anderen ihre Feindseligkeit nicht offen zur Schau trug, sie mir aber einfach ein wenig zu gruselig war. Außerdem hatte ich wenig Interesse daran, von Jüngeren über meine Lebensentscheidungen belehrt zu werden.
"Wer weiß", sagte ich daher ausweichend. Sophia wusste, dass es in den meisten Fällen ein Nein meinerseits war, aber sie lächelte dennoch, als sie meine Antwort hörte.
"Wenn du willst, kannst du tanzen gehen. Ich mach' jetzt erst mal Pause."
Ich zog eine Augenbraue hoch und sah skeptisch auf die Tanzfläche.
"Hm, vielleicht später bei einem anderen Lied."
Sie sah mich wissend an und schlürfte weiter ihren Cocktail. Nicht lange und Layla und Mimi kamen auch von der Fläche, um sich etwas zu trinken zu genehmigen. Ich hörte bei ihren Gesprächen nur passiv zu, da ich nicht viel mitreden konnte und niemand einen Versuch unternahm, mich mit einzubinden. Als es mir jedoch ein wenig zu langweilig wurde, gab ich Sophia Bescheid, doch eine Runde tanzen zu gehen. Sie sagte, sie würde gleich nachkommen.
Also lief ich auf die untere Tanzfläche, auf der Sophia mich besser sehen konnte. Es lief ein bekannter Partysong und ich wippte am Rand mit. Vor ein paar Jahren bin ich noch recht gerne mit Sophia zusammen tanzen gewesen, aber als ich dann Vollzeit arbeiten musste, nahm es ein abruptes Ende. Umso komischer fühlte es sich daher an, wieder einen richtigen Rhythmus zur Musik zu finden.
Die Wesen standen dicht einander gedrängt, grölten den Liedtext mit, schienen sich nicht an der stickigen Luft oder den lauten Bässen zu stören. Wann hatte es angefangen, mich zu nerven? Ich fühlte mich zunehmend fehl am Platz und begann immer mehr meine alte Klappcouch zu vermissen. Ein Blick rüber zur Nische zeigte, dass Sophia noch bei den anderen saß. Sollte ich noch auf sie warten oder würde es sehr komisch wirken, wenn ich nun bereits wieder zurückkehrte? Nach nicht einmal zwei vollen Songs.
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, spürte ich zwei Hände um meine Hüfte und einen Atem an meinem Ohr.
"Na Schönheit. Hast du dich etwa verirrt?"
Bevor ich ihm auch nur eine Chance gab, seine Hände tiefer wandern zu lassen, schob ich mich aus seinen Griffeln.
"Nein, ich war gerade auf dem Weg raus", sagte ich in das Gesicht eines frech grinsenden Vampirs. Die spitzen Eckzähne waren nicht zu übersehen und die Gier war ihm ins Gesicht geschrieben.
"Kein Grund, wegzulaufen. Wir lernen uns doch gerade kennen."
Ich schnaubte verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust
"Nein danke. Ich habe kein Interesse daran, als Blutkonserve zu enden. Wenn du mich entschuldigst, es war kein Witz, dass ich gehen wollte", zischte ich ihm zu. Bevor er darauf reagieren konnte, lief ich schnurstracks an ihm vorbei und auf die Nische mit den anderen zu. Sie saßen wieder alle zusammen und unterhielten sich lachend.
"Hey, du bist ja schon wieder da? Ich wollte gleich herunterkommen", sagte Sophia zu mir, doch ich winkte ab.
"Die Musik hier ist nichts für mich. Werde wahrscheinlich gleich gehen."
Sophia sah mich verwirrt an, doch sie konnte nicht nachfragen, da das Gekicher ihrer Freunde sie ablenkte.
"Kaum bist du auf der Tanzfläche, schon willst du verschwinden? Was ist denn mit dir los?", fragte eine der Feen und ich verdrehte die Augen. Warum konnte man es einfach nicht dabei belassen?
"Christina, musst du die ganze Zeit so fies sein?", fragte Sophia zerknirscht und Christina zuckte mit den Schultern.
"Was denn? Ihr sagtet, dass sie einen Grund zum Feiern hat und das Einzige, was sie tut, ist sich über die Musik zu beschweren und Wasser zu trinken. Also wenn das Feiern für alte Menschen ist meinetwegen. Aber dann muss sie uns ja nicht begleiten und uns die Stimmung vermiesen", sagte Christina herausfordernd. Sophia wusste nicht sofort, was sie darauf erwidern sollte. Mir war das alles zu dumm.
"Hier Mädels, das ist für euch", sagte auf einmal ein Kellner hinter mir. Ich drehte mich verwirrt um, als die Gläser abgestellt wurden und Michelle sah misstrauisch zu dem Kellner.
"Wir haben nichts bestellt", sagte sie und der Kellner lächelte freundlich auf sie hinab.
"Oh ja, das ist ein Geschenk von der Gruppe Männer dort. Eine von ihnen begeistert sie wohl."
Unsere Blicke streiften die Gruppe Vampire, die ich zuvor schon gesehen hatte. Genervt sah ich dem Kellner hinterher, der schnell wieder verschwand. Christina lehnte sich nach vorne und nahm einen der Cocktails.
"Na wen sie damit wohl meinen."
"Christina, es reicht!", zischte Sophia.
"Ach, lass mich doch. Wir sollten die Chance nutzen und auf Gwens Kündigung anstoßen", sagte sie feixend, während sie jedem ein Glas zuschob. Sogar mir.
"Ich verzichte", sagte ich bloß und Layla grinste neben Christina.
"Wer hätte das gedacht."
"Ich an eurer Stelle würde das Zeug nicht trinken", warnte ich sie, doch die Feen lachten über meine Aussage, während Michelle und Sophia ihre Gläser nicht berührten.
"Keine Sorge, eine Ärztin sollte wohl verstehen, dass gebrauter Kobold Alkohol uns allen nichts anhaben kann. Na ja, vielleicht mit Ausnahme von dir."
Ich sah sie genervt an und erhob mich.
"Wenn du so dumm sein willst, einen Drink von Fremden anzunehmen, dann tu das, aber ich wette, dass dort drinnen irgendwelche Partydrogen untergemischt sind und du am Ende des Tages kotzend über dem Klo hängen wirst", erwiderte ich genervt.
"Ach ja und wie willst du das beweisen?", fragte Layla nach.
"Ey, Gwen hat recht. Wir sollten sie lieber nicht annehmen", meinte Sophia, aber die Feen ignorierten sie und die Pfauna betrachteten das Gespräch mit großen Augen. Michelle schien die einzige zu sein, der dieser Konflikt egal war.
"Wenn sie will, dass wir die Drinks nicht trinken, dann muss sie uns schon überzeugen", meinte Christina grinsend und führte langsam das Glas an den Mund. Ich konnte es kaum fassen, dass es so viel Dummheit auf einem Haufen gab und schnappte ihr das Glas aus der Hand und kippte es über den Tisch.
Die Mädels kreischten und Sophia und Michelle schafften es auszuweichen, doch das meiste bekamen die Feen ab.
"Du Miststück!", schrie Christina, während ich die Eiswürfel auf dem Tisch beiseiteschob und die kleinen weißen Partikel auf dem Tisch entdeckte, die definitiv kein kristalliner Zucker waren.
"Hier hast du deinen Beweis!", fauchte ich zurück und zeigte auf die aufgelöste Droge. Doch die Feen und Pfauna waren zu sehr auf ihre feuchten Klamotten bedacht und funkelten mich wütend an.
"Das wirst du bezahlen, Mischblut! Das sind Markenklamotten, die wirst du dir niemals leisten können, Schlampe!", zischte Christina aufgebracht. Doch ich blickte ihr wütend entgegen.
"Was ist dir lieber? Eine Überdosis mit einer kostenlosen Vergewaltigung oder dreckige Klamotten! Denk lieber nach, bevor du den Mund aufmachst!"
Ich sah schon die flache Hand auf mich zufliegen, doch bevor Christinas Handfläche meine Wange berühren konnte, schnellte Michelles Hand mit übermenschlicher Geschwindigkeit dazwischen und hielt Christinas Handgelenk fest umklammert. Mein Herz setzte einen Moment aus und ich betrachtete mit schock geweiteten Augen wie Christina böse zu Michelle blickte.
"Hör auf mit der Scheiße! Sie ist es nicht wert und du bist zu gut dafür", sagte Michelle mit einer tödlich ruhigen Stimme zu der Fee, und eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Ich wich langsam zurück, während Christina ihre Hand aus Michelles Umklammerung löste.
"Ich will das die Schlampe geht! Sonst geh ich", fauchte Christina in Sophias Richtung und zeigte mit ihren lackierten Nägeln auf mich. Die Pfauna und Layla nickten bestätigend, während Sophias Blick zwischen uns allen hin und her schnellte.
"Leute können wir uns nicht erst mal beruhigen? Es ist doch nichts Schlimmes passiert", stammelte Sophia vor sich hin. Wäre ich nicht von der Gewaltbereitschaft der Fee so erschrocken, würde es mich mehr kränken, dass Sophia nicht versuchte, mich zu verteidigen. Ich verschränkte die Arme und sah zwischen ihnen hin und her.
"Das kannst du doch nicht ernst meinen, Soph! Unsere Sachen sind ruiniert und du willst mir weiß machen, alles ist in Ordnung? Das Mischblut ist verrückt! Ich wollte die nie dabeihaben und jetzt sieh was passiert ist!"
Bei Christinas schriller Stimme blickten mehrere Wesen zu uns hinüber. Nachdem Sophia verzweifelt zwischen mir und Christina hin und her blickte, es offensichtlich nicht schaffte, die Fee zu beruhigen, fasste ich einen Entschluss, der längst überfällig gewesen war.
"Mach dir nicht die Mühe, Sophia. Ich gehe lieber. Wenn jemand seine eigenen Fehler nicht einsehen kann und die Schuld bei anderen sucht, kann man auch nicht mehr helfen. Das nächste Mal, wenn ihr ein Glas gereicht wird, haltet sie nicht auf. Vielleicht muss ja erst was Ernstes passieren, bevor sie aus ihren Fehlern lernt."
Christina sah mich entsetzt an und Sophia bedachte mich mit einem ungläubigen Blick. Ohne auf Christinas Beleidigungen und ihr Geschrei zu achten, wandte ich mich von ihnen ab und steuerte direkt auf die Garderobe zu.
Viele unbekannte Gesichter blickten mir nach, nachdem Christinas Schimpftirade kein Ende nahm und der Begriff "Mischblut" mehrfach fiel. Ich atmete tief durch und forderte an der Garderobe meinen Mantel. Als ich den weichen Stoff meines Mantels in den Händen hielt, verschwand ich so schnell ich konnte nach draußen an die frische Luft.
Ich zog mir meinen Mantel über und wich den hereinströmenden Gästen aus. Ich war sauer und enttäuscht. Dieser Abend war natürlich der reinste Reinfall und meine Selbstbeherrschung hatte sich seit meiner Kündigung in Luft aufgelöst. Was hatte ich denn erwartet? Das mir jemand zuhören würde? Oder das sie sich nicht mit mir streiten würden? Ich war zu naiv zu glauben, ich könnte mich je mit Sophias Freunden verstehen.
Als ich eine Hand an meinem Handgelenk spürte, hoffte ich kurz, es wäre Sophia, aber nach dem ich mich umdrehte, blickten tiefschwarze Augen in meine.
"Sophia sagte, das würde dir gehören", sagte Michelle, während sie mir meinen Schlüssel entgegenhielt. Bei meiner Flucht aus dem Club musste ich ihn wohl vergessen haben.
Ich seufzte und nahm den Schlüssel entgegen.
"Danke dir. Ohne den hätte ich wohl draußen schlafen müssen."
Michelle nickte knapp und betrachtete mich mit nachdenklichem Ausdruck.
"Ist noch was?", fragte ich nach.
Sie schüttelte den Kopf und sagte seufzend.
"Ich hätte dich bloß für klüger gehalten. Nur weil man recht hat, heißt das nicht auch das die Anderen das anerkennen, Gwen. Ich dachte das wüsstest du."
Ich schnaubte verächtlich. Ist sie mir jetzt nur hinterher, um mich zu beleidigen? Ich verschränkte die Arme und sah sie herausfordernd an.
"Hätte ich sie das Zeug etwa trinken lassen sollen oder was?"
Michelle zuckte kalt mit den Schultern.
"Vielleicht. Wie du gesagt hast, manchmal muss man auf die Fresse fliegen, bevor man draus lernt. Und ihr wäre nichts passiert mit uns in der Nähe."
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Sie sagte es so eiskalt, als würde es nicht gerade um ihre Freundin gehen.
"Es liegt in meiner Verantwortung als Ärztin so was nicht zuzulassen!", versuchte ich es anders, doch Michelles Mundwinkel zuckten bloß, als würde sie meine Antwort amüsieren.
"Du solltest lernen, dass manche deine Hilfe nicht wollen."
Das tat weh. Und wahrscheinlich mehr als sie ahnte.
"Aber wie könnt ihr seelenruhig daneben sitzen und das zulassen?", fragte ich nach und sie betrachtete mich mit hochgezogener Augenbraue.
"Wir sind nicht das Problem, sondern du. Nicht jeder steht drauf, eines Besseren belehrt zu werden. Du solltest wissen, wann man den Kopf einziehen und sich raushalten sollte. Doch wenn du das nicht einsiehst, dann ist dir wirklich nicht mehr zu helfen."
Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Doch ich musste nichts sagen, denn Michelle drehte sich um und lief wieder zum Club. Verlassen und allein gelassen blieb ich noch einige Minuten in der Nähe des Clubs. Doch auch meine Hoffnung, dass Sophia zu mir kommen würde und sich für das Fehlverhalten ihrer Freunde entschuldigte, löste sich irgendwann auf. Hatte ich wirklich den Fehler begangen?
Gekränkt und mit dem Vorsatz, meine angebrochene Weinflasche zu leeren, lief ich nach Hause.
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