Kapitel 29
-Gwen Williams-
Die weiße Kleidung klebte immer noch nass an meiner Haut, als ich meinen Blick über die Schulter zum Wald wendete. Es war ruhig. Keine Schreie, keine durchdringenden Worte, die sich zuvor noch in meinen Kopf gekämpft hatten. Sogar der dunkle See lag still da, als hätte er nicht zuvor versucht mich in seinen Abgrund hinabzuzerren. Als hätte er nicht den Werwolf neben mir dazu gezwungen, seine Gestalt zu ändern und mir ins kühle Nass zu folgen.
Meine Augen huschten kurz zu ihm hinüber. Er hatte nicht verneint, als ich ihn fragte, ob er der Wolf gewesen war. Aber auch ohne seine Zustimmung spiegelten die dunklen Haare und die blauen Augen den riesigen Wolf wider. Auch in seiner menschlichen Gestalt war er riesig. Muskelbepackt von Kopf bis Fuß. Als würde sein Körper jegliche weiche Stelle mit reiner Muskelkraft ersetzen wollen.
Ein wenig besorgt war ich ja schon. Ich fror langsam in den nassen Sachen, während er dort seelenruhig saß und seinen Blick über die Landschaft gleiten ließ. Er hatte eine gerade Nase und hohe Wangenknochen. Doch die dunklen Brauen waren angespannt verzogen, als würde der Kerl sich nicht einmal entspannen können. Würde er seine Gesichtszüge lockern, könnte er wohl jede Frau um den Finger wickeln.
Peinlich berührt von meinen Gedanken, wandte ich den Blick ab. Ja, er sah gut aus, das war aber noch kein Grund zu spannen!
Ein Blick zu mir hinab zeigte mir, dass die nasse Kleidung auch nur noch wenig von mir verbarg. Der weiße Stoff war nun durchsichtig und nur meine sitzende Haltung war es verdanken, dass er nicht zuvor schon mehr sehen konnte. Götter war mir das peinlich!
Mit erhitzten Wangen entschied ich mich, die nassen Sachen loszuwerden. Auch wenn mir das alles total unangenehm war, so sorgten sie doch bloß dafür, dass ich zunehmend fror.
Also drehte ich mich um und wandte dem Mann meinen Rücken zu. Ich öffnete mit zittrigen Händen das weiße Hemd und zog es dann aus. Legte es ausgebreitet aufs Gras. Zum Glück trug ich ein Unterhemd darunter, welches ich erstmal anbehalten würde. Als ich aufstand, um auch die Hose ins Gras zu legen, hörte ich den Mann das erste Mal seit langem wieder etwas sagen.
"Was soll das werden?"
Ich seufzte.
"Ich versuche nicht zu erfrieren!", sagte ich etwas genervt.
"Wie wäre es, wenn du damit anfangen würdest nicht einfach in den See zu tauchen, dann wäre das alles nicht nötig", sagte er herausfordernd und nun drehte ich mich doch, um in sein grinsendes Gesicht zu sehen. Was ein Idiot!
"Das war nicht meine Absicht gewesen!"
"Was? In den See zu gehen oder fast draufzugehen?"
Ich schnaubte und zog mir mit fahrigen Händen die Hose aus.
"Das zweite", brummte ich nur. Er nickte immer noch grinsend und wandte den Blick ab, als ich mich wieder neben ihn auf den Boden gleiten ließ. Doch noch immer war mir kalt.
"Und was machen wir jetzt?", fragte ich. Er hob die Augenbraue und sah aus dem Augenwinkel zu mir.
"Wir?", hakte er nach und ich nickte mit dem Blick auf den See.
"Ja, wir. Ich schätze mal, du bist hier genauso wenig freiwillig wie ich", sagte ich frei heraus und ich hörte ihn zustimmend brummen.
"Und was schlägst du vor? Ich habe persönlich wenig Interesse in den Wald zurückzugehen", sagte er aufrichtig und ich zog meine Beine an.
"Da will ich auch nicht hin. Aber es muss doch einen Weg rausgeben oder?", fragte ich zaghaft. Der Mann zuckte mit den Schultern.
"Wir können einen Weg raussuchen. Aber ich habe irgendwie wenig Hoffnung", schlug er vor. Ich nickte und zwang meine müden Beine, sich aufzurichten.
"Uns scheint ja nichts anderes übrigzubleiben."
...
Als ich morgens mit einem Kaffee aus der Tankstelle bewaffnet zurück in den Wald fuhr, waren meine Nerven zum Glück wieder etwas entspannter. Auch wenn sich das bald wieder ändern würde.
Ich hatte Katharinas Nummer zum Glück gespeichert und heute früh nach Finns Zustand gefragt. Sie hatte kurz zuvor zurückgeschrieben und gemeint, es würde ihn wieder besser gehen. Umso überraschter war ich, als ich wenige Minuten später erneut eine Nachricht von ihr erhielt, in der sich mich einlud zu ihr nach Hause zu kommen. Sollte ich ablehnen? Ich wusste nicht, inwieweit ich mich in ihr Leben eindrängen wollte, da ich eh bald wieder verschwinden würde. Aber ich hätte wenigstens die Chance, mich selbst über Finns Zustand zu erkundigen und Katharina über meinen Verdacht zu informieren.
Also bejahte ich ihre Anfrage und schrieb ihr, wann ich ungefähr bei ihr wäre. Sie schrieb mir zum Glück eine Beschreibung zu ihrer Hütte, sodass ich im Dorf nicht nachfragen musste.
Ich parkte mit dem Auto in der Nähe der Hütte, damit ich nicht nochmal laufen musste und ließ meine Tasche und den leeren Kaffeebecher zurück im Auto. Die Hütte war von außen mit hellem Holz verkleidet und einige Blumentöpfe standen auf der Terrasse, die alles wohnlicher erscheinen ließ.
Ich betrat die Terrasse und klopfte. Es dauerte nur kurz, ehe Finn die Tür öffnete. Mit einem Lächeln begrüßte ich ihn und folgte ihn in den hellen Flur.
"Meine Mama ist in der Küche. Sie macht gerade noch die letzten Pfannkuchen fertig", sagte er und führte mich in die geräumige Küche, in der Katharina stand. Sie lächelte mir über die Schulter zu und erlaubte Finn nochmal ins Wohnzimmer zu gehen, bevor das Essen fertig war. Schnell huschte er weiter, während ich meinen Mantel auszog und über eine der Barhocker legte, die an der großen Kücheninsel standen.
"Schön das Sie Zeit hatten. Ich wusste nicht, ob sie schon gefrühstückt hatten. Helen erzählte mir, dass Sie auswärts unterwegs waren."
So konnte man das natürlich auch nennen. Aber ich verneinte nicht und lächelte stattdessen milde zurück.
"Ja, das stimmt. Aber nur kein Zwang, Sie müssen nicht extra meinetwegen mehr machen. Ich habe in meiner Hütte mehr als genug Essen", versuchte ich sie von ihren Frühstücksplänen abzubringen, doch sie wedelte mit der Hand.
"Ach Quatsch! Je mehr desto besser. Außerdem mache ich das doch gern", sagte sie beschwichtigend. Sie fragte, ob ich was trinken wollte und ich nahm ihr Angebot an und holte mir ein Glas aus dem Küchenschrank, auf den sie deutete. Eine Flasche Orangensaft stand auf der Kücheninsel und ich bediente mich.
"Es trifft sich eigentlich ganz gut, dass Sie mich angeschrieben haben, denn es gibt noch etwas, über das ich Sie informieren wollte", fing ich an, doch Katharina sah mich wissend an und unterbrach mich mit einer Handbewegung.
"Ich weiß, was Sie sagen wollen. Und ich habe Sie hergebeten, um mich seiner statt zu entschuldigen! Das, was er gestern abgezogen hat, war zu viel des Guten und ich verspreche ihnen, dass wenn sich Elias noch einmal so daneben verhält, Sie sich immer an mich wenden können. Ich habe schon gestern ein klärendes Gespräch mit ihm geführt und hoffe, er hat seine Lektion endlich gelernt."
Etwas vor den Kopf gestoßen sah ich Katharina verblüfft an, die sich wieder zu mir umwandte und meine überraschte Miene sah.
"Sie machen sich deswegen extra die Mühe und laden mich zum Frühstück ein, um sich für ihn zu entschuldigen?", hakte ich schmunzelnd nach. Katharina zuckte entschuldigend mit den Schultern und legte den frischen Pfannkuchen aus der Pfanne auf den Teller daneben.
"Meine beste Art der Entschuldigung besteht aus Essen. Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht dadurch bedrängt", sagte sie und ich musste nur schmunzelnd den Kopf schütteln. Die Frau machte sich zu viele Gedanken.
"Sie müssen sich für gar nichts entschuldigen. Sie tragen nicht die Verantwortung für Elias. Ich habe mich auf eigene Faust mit ihm angelegt."
Katharina schaltete den Herd aus und drehte sich seufzend zu mir um.
"Und dennoch tut es mir leid. Nur durch meine Entscheidungen verhält er sich so unzivilisiert. Ich hätte nicht gedacht, dass er ihnen so offen drohen würde und Finn einfach mitnimmt", sagte sie bedrückt und ich lächelte ihr aufmunternd zu.
"Ich hatte kein Problem damit, dass er ihn mitgenommen hat. Er sorgt sich um den Jungen und das sieht man ihn an. Aber Sie haben recht. Er ist ein Idiot, wenn er glaubt ihm, mit dem Verhalten helfen zu können", sagte ich seufzend und ein Schmunzeln schlich sich auf Katharinas Gesicht.
"Er ist ein riesiger Idiot. Das müssen Sie nicht beschönigen", sagte sie und ich musste das erste Mal seit langem wieder aus ganzem Herzen lachen.
"Da widerspreche ich nicht", sagte ich lachend und auch Katharinas Gesicht strahlte nun wieder.
Sie gab mir drei Teller und Besteck, welches ich auf den dunkeln Holztisch verteilte. In der Zwischenzeit rief Katharina nach Finn und zusammen aßen wir Pfannkuchen. Nutella, Konfitüren und Obst standen zur Auswahl und ich biss in mein Nutella Pfannkuchen, während ich Finn beim Essen beobachtete. Er aß ohne Probleme und wirkte nicht mehr so blass wie gestern. Ich hatte ihn nochmals kurz gefragt, wie häufig er solche Bauchschmerzen hatte und sie schon mal länger als einen Tag anhielt. Er beantwortete all meine Fragen ohne zu zögern und erzählte später auch über die Schule. Schien sich wohl nicht durch mich irgendwie gestört oder unwohl zu fühlen.
"Wann muss ich eigentlich zur Blutentnahme kommen, Gwen?", fragte er irgendwann sogar frei heraus. Und ich lächelte. Es war ein gutes Zeichen, dass er sich traute mich zu duzen.
"Ich glaube das können wir bestimmt nächste Woche machen. Die Sachen, die ich brauche, werden voraussichtlich am Dienstag kommen. Bis ich alles eingerichtet habe, dauert das noch einen Tag. Aber dann können wir es jederzeit machen, wenn du dich bereit fühlst."
„Also kann ich aussuchen am welchen Tag ich das machen möchte?", fragte er und ich nickte
"Super! Dann kann ich ja Onkel Elias fragen, wann es ihm passt, damit er mitkommen kann! Er hat ja versprochen beim nächsten Termin mit dabei zu sein", sagte Finn freudig und ich musste schlucken, als ich Katharinas Miene entgleisen sah. Sie war wohl genauso wenig überzeugt von dieser Idee wie ich. Doch ich würde mich nicht da einmischen.
"Finn, dein Onkel ist sehr beschäftigt. Wir gucken einfach wann es passt", versuchte Katharina Finns Hoffnung ein wenig zu schmählern, doch er sah sofort wieder zu mir auf.
"Du sagtest doch ich kann mir aussuchen wann wir das machen. Dann passt es doch auch bestimmt abends, nachdem mein Onkel fertig mit der Arbeit ist oder?"
Finns große blaue Augen versetzen mir einen Stich. Ich konnte den armen Jungen doch jetzt nicht anlügen? Ich seufzte.
"Wir können einen Termin suchen der uns allen passt. Vorausgesetzt dein Onkel möchte überhaupt", sagte ich ergebend. Finn strahlte übers ganze Gesicht und kündigte an Elias zu fragen. Katharina sah mich etwas gequält und aufmunternd zugleich an. Doch wir wollten nicht mit Finn diskutieren. Er war derjenige der sich wohl fühlen musste um keine Angst davor zu haben zu mir zu kommen, wenn es ihm nicht gut ging.
Als wir fertig mit Essen waren, half Finn beim Abräumen und fragte ob er nach draußen durfte um sich mit seinen Freunden zu treffen. Ich sah wie Katharina kurz zögerte, sagte aber daraufhin das er in zwei Stunden zurück sein sollte, damit sie noch Zeit zusammen verbringen konnten. Er lächelte breit ehe er sich seine Schuhe für draußen schnell überzog, sich von uns beiden verabschiedete und aus der Hütte hechtete. Katharina seufzte etwas bekümmert.
"Ach er ist immer so viel unterwegs. Manchmal wünschte ich mir er würde nach so einem Tag wie gestern es etwas langsamer angehen lassen", sagte sie, während sie uns beiden einen Tee machte. Ich lehnte an der Kücheninsel und hatte durchs Fenster Finn beobachtet, der nun zwischen den Bäumen Richtung Dorf verschwand.
"Es ist gut, dass er sich viel bewegen möchte. Das liegt in seiner Natur. Auch wenn es für euch alle anders wirkt, erholt er sich doch schneller als ihr glaubt. Sein Körper hält mehr aus als wir ihn glauben lassen", sagte ich und Katharina sah überrascht zu mir auf.
"Meinen Sie? Ich hatte bisher nie das Gefühl", sagte sie ehrlich und ich lächelte.
"Für Werwölfe ist es eine neue Erfahrung sich mit solchen Dingen auseinandersetzen zu müssen. Natürlich wirkt dann beim eigenen Kind alles was es tut erstmal gefährlich auf einen. Vor allem bei dem Hintergrund. Aber er schlägt sich sehr tapfer."
Katharina wirkte etwas beruhigter und reichte mir meinen Pfefferminztee, als sie mich Richtung Wohnzimmer geleitete.
"Ich hoffe ich bin ihnen nicht zu Nahe getreten mit der Einladung. Ich schätze mal Sie sind sowas aus der Stadt nicht gewohnt", sagte sie als sie sich auf die Couch setzte, während ich den Sessel daneben ansteuerte.
"Nein, sind Sie nicht. Ich muss mich wohl etwas dran gewöhnen das die Dinge hier anders laufen, aber ich denke das es Finn auch zugutekommt, wenn er mich nicht nur als Ärztin erlebt", sagte ich und sie nickte erleichtert.
"Schön das Sie das auch so sehen. Er war wirklich aufgeregt, als ich ihm von ihnen erzählt habe."
Ich stellte die heiße Tasse auf den Couchtisch. Ich musste ihr immer noch von meinem Verdacht und dem eigentlichen Grund meines Besuches erzählen.
"Ich kam vorhin nicht dazu Sie deswegen anzusprechen, doch jetzt wo Finn gerade nicht in der Nähe ist es ein guter Zeitpunkt mit ihnen darüber zu sprechen", fing ich an und Katharina sah überrascht auf. Und stellte auch ihre Tasse ab.
"Worüber denn?"
"Es geht um Finns Magenbeschwerden. Ich glaube die Ursache zu kennen."
...
Und was denkt ihr passiert jetzt? Wie Katharina wohl reagieren wird? Seid gespannt es wird wirklich interessant ^^
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