Kapitel 26
-Gwen Williams-
Ich hatte überlegt, am Freitag "die Praxis", wie ich den Untersuchungsraum nun liebevoll nannte, früher zu verlassen. Alle Kisten waren längst ausgepackt und im Vorratsraum verstaut und ich informierte mich in einem Ärzteforum, welches sich hauptsächlich um Gestaltwandler kümmerte. Es konnte ja nicht schaden, bei ähnlichen Wesen nach Immunschwächen zu suchen. Doch wie zu erwarten, gab es wenige. Spektakuläre Brüche, die innerhalb von Minuten falsch verheilten, gab es aber wie Sand am Meer. Etwas, was ich mir wohl näher ansehen musste.
Die Themen rund um Wachstum und Pubertät hatte ich mir zuvor die Tage näher angesehen. Vieles war reine Wiederholung vom Studium, aber ich wollte nicht unwissentlich etwas Falsches verordnen nur weil ich dachte, ich wüsste es besser. Vor allem bei so einem Patienten wie Finn. Außerdem war ich froh zu hören das nächste Woche das kleine Laber ankommen würde und ich damit endlich imstande war Blutuntersuchungen selbstständig durchzuführen. Einige Blutproben konnte ich zum Glück auch weiterleiten, aber wie immer mit solchen externen Abkommen konnte es lange dauern, bis man die Auswertungen bekam.
Ich war gerade dabei zu überlegen, ob ich mir einen Kaffee holen sollte oder lieber bis heute Nachmittag warten sollte, als mein Handy brummte. Eine unbekannte Nummer. Bisher hatte ich sie nur vier Personen zukommen lassen. Helen, Alex, Susanne und Alena, die meine Nummer aber getrost weggeschmissen hatte. Und Katharina, wie mir eben noch einfiel. Ich hatte bisher immer nur Helen Bescheid gegeben, wenn ich weg war. Und das kam bisher nur einmal vor.
Ich nahm den Anruf an.
"Gwen Williams. Wie kann ich helfen?"
Ich hörte es im Hintergrund rascheln, bis ich die helle Stimme von Katharina hörte.
"Katharina Naumann hier. Schön das ich Sie erreichen konnte. Ich brauche ihre Hilfe", sagte sie. Ich hörte das Klingeln von der Ladentür im Hintergrund und wie sie den Kunden darum, bat kurz zu warten.
"Was ist denn los?", fragte ich. Sie hörte sich gestresst an.
"Ich hab eben einen Anruf vom Hort erhalten. Finn geht es anscheinend nicht gut. Könntest du eventuell nach ihm sehen? Meine Schwester und mein Schwager arbeiten gerade beide und ich will sie damit nicht belasten. Dachte, du könntest schnell einen Blick auf ihn werfen..."
Ich hörte wie sich langsam in Rage redetet und unterbrach sie. Das sie mich dutze machte mir nichts aus.
"Ich mach mich sofort auf den Weg. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde Sie anrufen, wenn sich was Neues ergibt", redete ich beruhigend auf sie ein, während ich meinen Laptop schloss.
Sie bedankte sich überschwänglich, bis sie wegen des Kunden auflegen musste. Ich schnappte mir meine Tasche und stopfte schnell alles rein, was ich auf den ersten Blick gebrauchen konnte.
Danach schloss ich die Tür zur Praxis ab und beeilte mich damit das Rudelhaus zu verlassen. Zum Glück war ich bereits letzte Woche beim Hort und fand mich dementsprechend ohne Probleme zurecht. Ein wenig gekränkt war ich aber trotzdem. Alena wusste das ich nun hier arbeitete und hatte zunächst Katharina während ihrer Arbeit gestört. Vielleicht war es da ganz gut das ich selbst einen Blick in den Hort warf und an meine Präsenz erinnerte.
Vor dem Haus angekommen, strich mir nochmal schnell die wirren Haare zurück und betrat daraufhin selbstbewusst das Gebäude. Das war nun mein erster Einsatz. Ich durfte es nicht vermasseln!
Suchend sah ich mich nach Finn um. Doch einige Erzieherinnen erkannten mich und sprachen mich an.
"Wie kann ich ihnen helfen?", fragte eine Erzieherin, bevor ich weiter in den großen Aufenthaltsraum treten konnte. Ich hob mein Kinn an, nutze den Fakt das ich größer war als die Wölfin und sah mich betont langsam im Raum um.
"Ich bin Dr. Williams und auf der Suche nach Finn Naumann. Können sie mir sagen wo er sich gerade befindet?"
Die kleine Wölfin hob die Augenbraue und blickte mich prüfend an. Sie vertraute mir nicht wirklich. Aber das verübelte ich ihr. Weibliche Wölfe waren bekannt für ihren Beschützerinstinkt gegenüber dem Jungrudel. Und es war das erste Mal, dass ich mich ohne Helen oder Alex in Rudelangelegenheiten mischte.
"Sie müssen sich vorher einen Besucherausweis bei Alena besorgen", sagte die Wölfin herausfordernd, während sie die Arme verschränkte. Ich schnaubte amüsiert und ahmte ihre Haltung nach.
"Alena weiß von meiner Anwesenheit. Die Mutter hat mich darum gebeten, nach ihrem Kind zu sehen. Also lassen Sie mich nun meine Arbeit erledigen?"
Zum Glück fiel sie auf meine Lüge herein und machte mir widerwillig Platz. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Alena von ihren Mitarbeitern verlangt hatte, mich bei einem möglichen Besuch sofort zu ihr zu schicken. Doch ich hatte nicht vor, mich ihren Regeln zu unterstellen. Wenn sie gegen mich ankämpfen wollte, sollte sie das ruhig tun. Ich würde mich schon noch beweisen.
Die Wölfin erklärte mir, dass Finn sich in den Ruheraum zurückgezogen hatte und deutete in die Richtung. Ich nickte bloß und lief in die besagte Richtung. Einige Kinder sahen mir neugierig nach, doch ich lächelte sie nur beruhigend an und klopfte an die Tür mit der Aufschrift Ruheraum.
"Finn? Bist du drin?", fragte ich als ich leise die Tür öffnete. Es waren nur zwei weitere Kinder im Raum die auf die Couch deuteten, wo ein zusammengekauerter Finn saß. Er saß vornübergebeugt und hielt sich den Bauch.
Besorgt lief ich auf ihn zu und berührte ihn sanft an der Schulter. Etwas erschrocken sah er zu mir auf.
"Dr. Williams?", sagte er fragend und ich lächelte ihm beruhigend zu.
"Hey Finn. Deine Mum hat mir eben Bescheid gegeben, dass er dir nicht gut geht. Was fehlt dir denn?", fragte ich leise, während ich mich vor die Couch hockte, so dass ich mit ihm auf Augenhöhe war. Die anderen zwei Kinder sahen neugierig zu uns rüber und als ich Finns Blick bemerkte, fragte ich diese, ob sie uns kurz alleine lassen könnten. Ohne zu widersprechen, verließen sie zum Glück den Raum.
"Mir tut der Bauch weh. Und mir ist schlecht", sagte er daraufhin leise. Ich nickte. Das sah man ihm auch an.
"Wann haben denn die Schmerzen angefangen?"
"Gerade eben", sagte er und ich setzte mich neben ihm.
"Musstest du dich übergeben?"
Er schüttelte den Kopf.
"Bisher noch nicht."
Ich horchte auf.
"Hattest du das etwa schon öfter?", fragte ich und es schien ihn erst unangenehm, dann nickte er jedoch.
"Das kommt manchmal vor. Vorhin noch habe ich ganze normal mit den anderen gespielt bevor die Schmerzen angefangen haben", erklärte er kurz angebunden. Er war ziemlich blass um die Nase und ein Griff um das Handgelenk bestätigte meine Annahme das sein Puls auch dementsprechend hoch war. Kurz tastete ich nach seiner Stirn, aber sie war nicht ungewöhnlich erhitzt. Er schwitze nur stärker.
Als er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Bauch hielt, suchte ich nach einem Eimer. Doch hier im Zimmer war keiner.
"Musst du gleich erbrechen?", fragte ich und er nickte. Schnell half ich ihm auf und zog ihn mit mir zum Bad gegenüber. Zum Glück hatte ich es zuvor noch bemerkt.
Vor der Toilette kniete er sich dann hin und ehe ich mich versah, kam es hoch. Beruhigend strich ich ihm über den Rücken, während der Kleine sich übergeben musste.
"Danach wirds besser", sagte ich aufmunternd.
Er musste oft würgen und erst als nur noch Magensäure den Weg nach oben fand, hörte er auf. Erschöpft setzte er sich auf die kalten Fliesen, während ich ihm etwas Toilettenpapier reichte. Er nahm es an und wischte sich damit über den Mund.
Seine dunklen Strähnen klebten fahrig an seiner Stirn, aber er sah mich nicht mehr so schmerzverzerrt aus. Ich erhob mich aus der Hocke und wollte gerade das Erbrochene die Toilette runterspülen, als mir der Inhalt auffiel. Verwirrt spülte ich es runter und half danach Finn wieder auf die Beine zu kommen.
"Gehts wieder?"
Er nickte etwas angeschlagen und spülte sich einmal an der Spüle dann Mund aus.
"Was hast du heute gegessen?", fragte ich, als er sich das Gesicht abtrocknete. Er schien kurz zu überlegen und sagte daraufhin: "In der Schule habe ich Brot mit Wurst und Apfelschnitzen gegessen. Wieso fragen sie?"
Ich lächelte ihn an.
"Weil es sein kann, dass du Bauchschmerzen bekommen hast wegen etwas, was du gegessen hast. Bist du dir denn sicher das du danach nicht noch was anderes gegessen hast?", fragte ich freundlich. Er wich meinem Blick aus. Ich würde ihn nicht weiter drängen, wenn er nicht wollte.
"Sind die Bauchschmerzen denn immer noch da?", fragte ich stattdessen.
"Nicht mehr so stark. Aber normalerweise hört das nach ein paar Stunden wieder auf", erklärte er und ich nickte verstehend.
"Hättest du was dagegen mich zum Untersuchungsraum zu begleiten? Du könntest dich dort so lange ausruhen bis deine Mum dich abholen kommt. Das wäre doch sicherlich angenehmer als hier zu bleiben oder?"
Er schien zu überlegen, doch er nickte und wir verließen daraufhin das Badezimmer.
"Schaffst du es deine Sachen schnell zu holen? Ich gebe den Erziehern Bescheid, damit sie sich keine Sorgen machen müssen."
Er bejahte und holte seine Sachen aus einem anderen Raum, während ich mich auf die Suche nach einem Erwachsenen machte. Im großen Aufenthaltsraum war niemand und ich hatte wenig Lust in Alenas Büro zu gehen. Also ging ich auf die anschließende Terrasse. Draußen schien die Sonne und hier saßen zwei Erzieher die sich lachend unterhielten, während die Kinder draußen spielten. Viele waren in ihrer wölfischen Form unterwegs.
Doch als mein Blick bei einer Gruppe Wölfe hängen blieb die sich wohl um etwas stritten konnte ich meinen Blick nicht wegnehmen. Große und rohe Stücke Fleisch waren zwischen den scharfen Zähnen der Wölfe, während sie immer wieder daran zogen und versuchten das Stück Fleisch für sich zu beanspruchen. War das ihre Definition von spielen?
Ich räusperte mich laut, als eine Erzieherin mit einem weiteren Stück Fleisch an mir vorbeilaufen wollte. Rohes helles Geflügelfleisch war in ihrer Hand und sie sah mich verwirrt an.
"Gebt ihr all den Kindern rohes Fleisch?", fragte ich und die Frau verdrehte die Augen, als wäre ich dumm.
"Ja. Wir wollen sie damit langsam ans Jagen gewöhnen. Sie machen das spielerisch unter sich aus", sagte sie und wollte schon weiterlaufen, doch ich hielt sie am Handgelenk fest.
"Wer hat das angeordnet?"
Die Frau sah mich genervt an und entzog mir ihren Arm mühelos.
"Das machen wir schon immer so. Wir haben das auch schon als Kinder gemacht. Also was ist dein Problem?", fragte sie schnippisch und ich verengte die Augen zu Schlitzen.
"Mein Problem ist das ihr wissentlich Kinder einer möglichen Magen-Darm Infektion aussetzt und es nicht mal merkt. Werwölfe sollten erst nach dem sie den Reifeprozess abgeschlossen haben auf die Jagd gehen und rohes Fleisch verzehren, weil die Kinder sich nicht gut genug gegen die Bakterien wehren können! Vor allem die geschwächten Kinder werden einem Risiko ausgesetzt", erklärte ich, doch sie stemmte ihre Hände in die Hüfte und zuckte mit den Schultern.
"Mir hat es noch nie geschadet. Alena hat das schon gemacht, als ich klein war", sagte sie als würde das alles klären. Aus dem Augenwinkel sah ich wie eines der Kinder die eben noch um das Stück Fleisch gekämpft hatte sich zurück in einen Menschen verwandelte und zu einem der Kleiderhaufen lief die ringsherum lagen.
"Gibt es denn keine Regel das die Kinder mit dem Wandeln warten sollen?"
Verwirrt sah mich die Frau an.
"Was? Wieso sollte es?"
Ich seufzte. Musste ich ihr alles erklären?
"Wenn mich nicht alles täuscht essen diese Kinder alle das rohe Fleisch. Und was passiert, wenn sie sich zurück verwandeln? Der Magendarmtrakt ändert sich. Aber nicht das Essen darin. Was denkst du passiert, wenn ein Kind plötzlich unverdautes rohes Fleisch im Magen hat?"
Ein wenig bröckelte die Fassade der jungen Frau, als sie zu den Kindern sah.
"Bisher hatte keines Probleme gehabt", sagte sie, doch ich schnaubte verächtlich.
"Das bilden Sie sich hoffentlich bloß ein. Ich wette, wenn Sie den Kindern weiterhin rohes Fleisch zum Spielen geben wird Finn nächste Woche wieder über der Kloschüssel hängen", sagte ich herausfordernd und endlich hatte ich das Gefühl etwas wie Verständnis auf ihrem Gesicht zu sehen.
"Was? Es geht ihm wieder nicht gut?"
"Ja und ich hoffe ehrlich für sie, dass Sie und ihre Kollegen nicht dafür die ganze Zeit verantwortlich waren!", sagte ich mit Nachdruck.
Ich wollte mich schon abwenden, doch diese Frau hatte das Fleisch immer noch in der Hand.
"Ich werde Finn jetzt mitnehmen und näher untersuchen. Und geben Sie mir das Fleisch, bevor sich ein weiteres Kind übergibt", forderte ich und sie schien wohl so überfordert von meiner Forderung das sie mir das Geflügel einfach überließ.
Danach lief ich vorbei an dem großen Aufenthaltsraum und ging zum Eingang, wo Finn sich gerade die Schuhe anzog.
"Ich brauche noch zwei Minuten. Danach bin ich bei dir", sagte ich in seine Richtung. Er sah mich mit großen Augen an und nickte, während ich in den Gang daneben einbog und laut an Alenas Tür klopfte.
Sie unterhielt sich wohl gerade mit jemanden am Telefon, aber als sie mich erkannte verdrehte sie demonstrativ die Augen. Diese verdammte Frau! Ich klopfte erneut. Doch sie sah genervt durch das Glas zu mir herüber.
Ich öffnete ungeachtet ihres Telefonats die Tür. Sie knallte an die Wand dahinter und der wütende Blick von Alena streifte mich. Sie beendete ihren Anruf mit einem Tippen auf ihr Handy und wollte sich gerade hinstellen und mit ihrer Strafpredigt beginnen, als ich ihr das rohe Fleisch auf den Tisch donnerte.
"Ich will das sie das ganze rohe Fleisch aus diesem Hort entsorgen! Und zwar bis morgen! Sonst werde ich das Alphapaar davon unterrichten das ihre Hortleiterin die ganze Zeit die Kinder vergiftet hat!"
...
Oh ich freu mich so auf die kommenden Kapitel...
Ich werde wahrscheinlich nächste Woche ankündigen wann die Lesenacht stattfinden wird. Habt ihr irgendwelche Präferenzen bezüglich des Wochentages? Ich will natürlich das an einem Abend machen, wo so viele wie möglich mitmachen können :)
PS: Gerne Stern das lassen ;)
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