Kapitel 14

-Gwen Williams-

Die erste Nacht im neuen Bett hatte ich wirr geträumt.Oft suchten mich schnappende Zähne in meinem Traum heim, aber ich fühlte michdennoch wesentlich besser im Vergleich zum Vortag. Ich hatte den Vormittag eine heiße Dusche genossen, gefrühstückt und war nun in meine Recherche vertieft. Ich hatte die Physiognomie der Werwölfe zwar noch gut im Kopf, aber es war nie verkehrt, sich im Vorfeld über die Rasse, die man demnächst behandeln sollte, umfassender zu informieren. Die Fenster waren offen und ich hörte vom Dorf das rege Treiben und das Rascheln der Bäume. Es war wesentlich entspannter als der Großstadtlärm, der mich selbst nachts heimgesucht hatte. Ob ich den demnächst vermissen würde?

Ich sah auf mein Handy und bemerkte, dass Sophia immer noch nicht meine Nachricht gelesen hatte. Wahrscheinlich ignorierte sie mich, weil sie noch sauer war, aber ich hoffte, sie würde sie dennoch bald lesen.

Seufzend trank ich meinen Tee leer, der gegen die meine Nackenschmerzen helfen sollte. Die Autofahrt hatte mich geschlaucht und ich hoffte, dass ich vor nächster Woche nicht nochmal mit dem Ding fahren musste.

Als es an der Haustür geklopft hatte, klappte ich den Laptop zu und zog mir meinen Mantel über. Helen stand freundlich lächelnd in bequemen Jeans und einem Shirt vor mir. Wahrscheinlich war ich die Einzige in diesem Dorf, die schon vor dem Winter langärmlige Klamotten trug, da die Wölfe selbst in menschlicher Gestalt mehr Kälte aushalten konnten.

"Morgen Williams. Bereit für eine kleine Tour?"

Ich musste lächeln und schloss die Tür hinter mir zu.

"Guten Morgen. Sie können mich gerne Gwen nennen. Von der Luna des Rudels mit Nachnamen angesprochen zu werden, fühlt sich nicht richtig an."

Helen musste lachen und winkte ab.

"Ach, ich gebe nicht so viel auf Titel und Rangordnung. Hauptsache, jeder fühlt sich wohl. Wollen wir dann?"

Ich nickte und folgte Helen. Wir liefen von meiner Hütte im Wald wieder näher zum Dorf und ich war froh, nicht mitten im Geschehen wohnen zu müssen, aber nicht zu weit weg, um wirklich viel laufen zu müssen.

Helen lächelte selig, als manche Wölfe den Kopf zu ihr drehten oder sie grüßten und auf jeden reagierte sie. Sie hatte bereits ein paar kleine Falten um die Augen und ich fragte mich, ob sie schon Kinder mit Alex hatte. Normalerweise waren da Werwölfe immer schnell mit dem Nachwuchs. Vor allem das Alpha Paar. Doch ich fragte nicht und hörte stattdessen Helen zu, die mir immer mal wieder erklärte, wo ich bestimmte Dinge auftreiben konnte oder welche Funktion ein besonderes Haus erfüllte.

Als sie mir den kleinen Lebensmittelladen zeigte, konnte ich meine Erleichterung nur schwer verbergen. Zum Glück musste ich nicht nochmal mit dem Auto fahren! Im Dorf war bereits viel los. Ich sah viele Werwölfe von A nach B laufen und einige von ihnen sogar in ihrer wölfischen Gestalt. Vor einer etwas größeren Hütte mit vielen kleinen Kindern sah ich Helen fragend an.

"Das ist für all unsere Eltern ein wahrer Segen. Ein Hort, an dem alle Kinder egal welchen Alters Beschäftigung finden. Mit Erziehern, die sich um sie kümmern. Einige unserer Wölfe wollen außerhalb des Rudels arbeiten und diejenigen geben ihre Kinder gerne über diesen Zeitraum hier ab. Aber auch Wölfe, die hier im Dorf oder im Wald arbeiten, nutzen gerne den Hort. Wir bauen etwas weiter viel selbst an und zur Ernte und Saatzeit benötigen wir dann viele Helfer. Nicht weit ist dann auch unsere kleine Schule. Wir unterrichten die Kinder lieber hier, so lange sie ihre Kräfte noch nicht vollständig unter Kontrolle haben. Unfälle unter Menschen braucht nun wirklich niemand."

Ich nickte bestätigend und prägte mir alles genau ein.

"Ab welchem Alter lasst ihr eure Jungen dann zu den Menschen?", fragte ich interessiert.

"Das kann sehr unterschiedlich sein. Wir machen öfters mit den Kindern Ausflüge, damit sie lernen, sich außerhalb des Rudels angemessen zu verhalten, aber auch erst, wenn sie zehn sind und ihre Kräfte beherrschen können. Wenn sie siebzehn sind, sind sie meistens schon alleine oder in Gruppen unterwegs und müssen Bescheid geben, wenn sie das Gelände verlassen wollen. Für manche von den Teenagern ist das natürlich schwierig, ständig nur denselben Wald zu sehen, aber da versuchen wir sie ab und an in die magischen Viertel zu lassen. Wenn es da zu irgendwelchen Konflikten kommt, können sie wenigstens damit umgehen. Ansonsten liegt es in der Entscheidungsgewalt der Eltern, inwieweit sie ihre Kinder vor dem achtzehnten Geburtstag in die Menschenwelt lassen."

"Ich dachte, ihr würdet sie früher rauslassen", gestand ich und Helen zog die Brauen hoch.

„Sie meinen wegen des Reifeprozesses oder? Wir bieten zwar unseren Jüngeren früh an, sich selbstständig zu machen und in Wohngemeinschaften oder selbst eine kleine Hütte zu beziehen, falls es bei den Eltern zu viel wird, aber das machen wir auch nur, weil sie die Gemeinschaft auffängt. Wir dachten, dass es ratsamer wäre, trotzdem die Altersbeschränkungen bis achtzehn aufrechtzuerhalten. Wenn sie wollen, können sie ab da ihren Führerschein oder beim Ministerium nach einem geeigneten Schulabschluss fragen, damit sie außerhalb des Rudels arbeiten können."

Ich sah von Helen wieder zu den Wölfen um uns herum. Werwölfe wurden allgemein schneller erwachsen. Die Pubertät nannte sich bei den Werwölfen Reifeprozess. Sie wurden schneller groß, entwickelten ihre vollständige Dominanz und brauchten mehr Training und Auslauf, um den Körper zu verausgaben. Außerdem waren sie nach diesem Prozess endlich in der Lage, ihren Gefährten finden zu können und waren damit auch "offiziell" in der Lage, Nachwuchs zu zeugen. Bei Werwölfen veränderte sich dann schlagartig der Geruch, der sie als erwachsen kennzeichnete. Es wurde immer groß gefeiert und oftmals waren diese Werwölfe dann gerade mal sechzehn. Nach diesem Reifeprozess wurden sie auch allgemein mehr in die Arbeiten des Rudels integriert oder wurden selbstständig und zogen aus dem elterlichen Heim aus. Deswegen wunderte es mich auch nicht, viele jünger aussehende Wölfe bei schweren Arbeiten helfen zu sehen. Sie waren in ihren Augen einfach schon erwachsen.

Wir schlenderten weiter vorbei an dem großen Rudelhaus von gestern, in dem wohl regelmäßig sich das Rudel für große Besprechungen oder für Feste einfand. Es diente einigen Wölfen als Arbeitsplatz und Helen erklärte das bei den Unfällen, die bisher medizinische Versorgung gebraucht hatten, dort ein kleiner Versorgungsraum bisher als Behandlungszimmer diente.

Wären es keine Werwölfe, würde ich mir um die mangelnde Vorsorge wirklich Sorgen machen. Aber in ihrer Kultur war es normal, Narben von vergänglichen Kämpfen zu tragen und sie lernten früh zu kämpfen und Schmerzen auszuhalten. In der Vergangenheit gab es immer wieder große Rudelkriege unter den Werwölfen, die sich auch oft auf andere Rassen ausgebreitet hatten. Doch die meisten großen Konflikte verwandelten sich seit Jahrhunderten zu einer gewissen Abneigung gegenüber anderen Rudeln. Man musste nicht sofort Angst haben, in einen großen Konflikt zu geraten, aber es gab wie auch sonst überall immer mal wieder Reibungen und Raufereien. Ich schätzte mal hier im Dorf im Herzen des Rudels sollte es für alle am sichersten sein.

Helen führte mich an der Schule vorbei und zeigte mir den Trainingsplatz nicht weit entfernt. Dort wurden schon die Jugendlichen trainiert. Es gab einen großen Platz, der mit Sand aufgefüllt wurde. Ein paar Jugendliche und Heranwachsende wurden von älteren Werwölfen in ihrer menschlichen Gestalt trainiert. Sie rangelten und warfen sich auf den sandigen Boden. Ich musste lächeln, als ich auch unter ihnen viele Mädchen sah. Das Geschlechterverhältnis war ausgeglichen und mich freute das ungemein. In vielen Rudeln oder Kommunen gab es einen Überschuss an Männern oder Frauen, da manche Rassen für ein bestimmtes Geschlecht empfänglicher waren. So was konnte sehr schnell ungesunde Verhaltensweisen hervorrufen. Doch alles, was ich bisher sah, war sehr positiv.

Es wunderte mich daher, dass sie eine Ärztin haben wollten. Sie hatten mir zwar von einem kranken Kind mit Immunschwäche berichtet, aber mit der richtigen Behandlung sollte es nicht schwierig werden, ohne Arzt auszukommen.

Ich ließ meinen Blick über den Platz schweifen und hörte Helen zu, die mir erklärte, welche Gebäude oder Plätze noch im Wald verteilt waren. Auf einer Lichtung wurden oft große Lagerfeuer zu Ehren Lunas abgehalten, an denen sie tanzten, feierten und tranken. Sie erzählte mir strahlend von ihrer Kultur und ihren Nachwuchs. Sie war eine stolze Luna durch und durch.

Als wir weiter gehen wollten, sah ich jemanden aus dem Wald treten. Ich blieb nochmal kurz stehen und sah wie Elias mit einer Gruppe junger Männer und Frauen sprach.

"Ach, das habe ich vergessen zu erwähnen. Etwas weiter im Wald befindet sich die Zentrale für unsere Grenzwächter. Wir haben mehrere solcher Stützpunkte im Schwarzwald verteilt, da es manche Paare tiefer in den Wald verschlägt und wir die Sicherheit für jeden gewährleisten wollen. In der Zentrale werden dann die ganzen Schichten aufgeteilt und es gibt Übernachtungsmöglichkeiten für diejenigen, die viele Schichten haben."

Helen musste meinen Blick gesehen haben.

"Als Beta trainiert Elias das Jungrudel oder?", hakte ich nach und Helen nickte begeistert.

"Genau! Er ist der Hauptverantwortliche, was die Kampfausbildung angeht und trainiert auch die Wächter. Er selbst übernimmt auch viele der Schichten und hilft darüber hinaus auch viel bei der Organisation im Rudel."

Wir beobachteten, wie Elias den Werwölfen Anweisungen gab. Sie hörten ihm alle gebannt zu und ich beobachtete ihn genauer. Er trug eine graue Jogginghose und ein enganliegendes Shirt mit V- Ausschnitt. Er war genauso breit und durchtrainiert wie Alex und konnte es größenmäßig mit dem Alpha sicher aufnehmen. Werwölfe waren zwar sehr loyal, aber hatte er je darüber nachgedacht, das Rudel zu übernehmen und Alex herauszufordern?

Er verzog seine dunklen Brauen nachdenklich, als ihn jemand etwas fragte und seine haarten Züge wurden weicher, als er ihnen lächelnd antwortete. Anscheinend konnte der grimmige Typ der mich gestern noch rausschmeißen wollte, auch anders.

Die Wölfe verstreuten sich und fingen an, um den Platz zu laufen. Elias beobachtete sie mit Argusaugen und sorgte mit gezielten Ansprachen dafür, dass sie sich schneller bewegten.

Als seine Augen jedoch mich und Helen streiften, wurde seine Miene finster. Es war beinah, als hätte sich ein Schalter in ihm ungelegt und er nickte Helen nur knapp zu, ehe er mich mit kaltem Blick bedachte. Ich hob einen Mundwinkel und grüßte ihn. Ich hatte nicht gedacht, dass es möglich war, aber seine blauen Augen verdunkelten sich weiter und ich sah wie sein Brustkorb sich gefährlich hob, als müsse er sich kontrollieren.

"Ich glaub wir wollten weiter", sagte ich bloß zu Helen, die Elias unzufrieden betrachtete.

"Ja, das sollten wir."

Wir verließen den Trainingsplatz und ließen den vor sich hinbrütenden Beta zurück. Helen führte mich zu einer Hütte im Dorf mit mehreren Tischen und Stühlen vorm Eingang. Nach näherer Betrachtung merkte ich, dass es anscheinend ein kleines Restaurant war. Helen bat mich, sich auf einen Stuhl zu setzen. Sie setzte sich mir gegenüber und eine ältere Dame mit Schürze kam lächelnd aus der Hütte getreten.

"Helen, schön dich zu sehen. Wen hast du mir denn heute mitgebracht?", fragte die dunkelhaarige Frau ihre Luna. Helen lächelte und deutete auf mich.

"Mathilda, das hier ist Gwen Williams. Sie wird hier eine Weile bleiben und uns aushelfen. Sie ist Ärztin aus der Großstadt und bringt viel Expertise mit", stellte mich Helen vor ich lächelte der fülligen Frau zu. Sie sah mich erst aus hochgezogener Augenbraue an.

"Soso, eine Ärztin. Wusste nicht, dass wir eine nötig haben, aber schön Sie hier willkommen zu heißen. Wenn Sie mal was Gutes zu essen wollen, scheuen Sie sich nicht, bei mir vorbei zu kommen. Ich bin die beste Köchin des Rudels", sagte Mathilda stolz. Ich sah von ihr zu Helen und lächelte.

"Sie ist wirklich die Beste", sagte Helen augenzwinkernd.

"Freut mich, Sie kennenzulernen Mathilda. Ich lasse mich gern von ihren Kochkünsten überzeugen."

Mathilda lächelte siegessicher.

"Na, dann bring ich euch zwei Hübschen mal was Leckeres. Dauert auch nicht lange", sagte sie, bevor wir auch nur irgendwas erwidern konnten. Grinsend sah ich der Frau nach, die sich sofort in ihre Küche begab.

"Eine sehr stolze Frau, wie mir scheint", sagte ich daher an Helen gewandt, die nickte.

"Ja, das ist sie. Aber sie hat das Herz am rechten Fleck."

Wir waren gerade die Einzigen, die vor Mathildas Restaurant saßen und beobachteten schweigend das Treiben im Dorf.

"Ich weiß, dass Sie mir die Frage schon mal beantwortet hatten, aber wie kommt es dazu, dass Sie mich unbedingt einstellen wollen, wenn ihr Rudel zuvor gut ohne Arzt auskam?"

Helen sah mich aus ihren grauen Augen an und seufzte.

"Nun ja, wie kann ich das beantworten? Ja, wir kommen grundsätzlich gut klar und es gibt selten Vorfälle, in denen unsere Körper zusätzliche Hilfe benötigen. Aber ich habe ihnen ja von dem Kind mit der Immunschwäche erzählt. Letztes Jahr kam es dazu, dass genau dieses Kind erkrankte und wir aufgrund unserer Lage nicht fähig dazu waren, ihn aus dem Wald zu transportieren. Wir mussten mehrere Tage auf einen Heiler warten. Die Mutter hatte sich nie wieder wirklich von dem Vorfall erholt. Seitdem steht die Stellenanzeige draußen. Wir wollen einfach für den Fall der Fälle keine drei Tage auf Hilfe warten müssen."

"Sie meinen wohl den Neffen von ihrem Beta oder?", fragte ich nach und Helen nickte.

"Ja. Sie müssen ihm sein Verhalten nachsehen. Er kann manchmal etwas... schwierig werden, wenn es um die Sicherheit seines Neffen geht."

"Sie müssen es mir nicht näher erläutern. Solange es dem Kind gut geht, ist alles in Ordnung. Ich hoffe ihn bald kennenlernen zu können", sagte ich.

"Seine Mutter und er werden im Laufe der nächsten Woche sich bei ihnen vorstellen. Dann können Sie den beiden alle Fragen, stellen die Sie wollen."

Ich nickte und bevor ich etwas erwidern konnte, brachte uns Mathilda köstlich duftendes Essen. Sie hatte uns eine Lauchsuppe gebracht und ich bedankte mich höflich bei ihr.

Wir aßen schweigend die Suppe auf und ich musste gestehen, dass sie genauso gut schmeckte wie sie duftete. Als Mathilda kam, um die leeren Schüsseln mitzunehmen, lobte ich ihre Kochkünste, was ihre Brust anschwellen ließ. Glücklich lief sie zurück in ihre Hütte.

Nachdem Helen sich erhob, sah ich sie verwirrt an.

"Müssen wir nicht erst zahlen?", fragte ich, doch Helen lächelte schüttelnd den Kopf.

"Hier im Rudel müssen Sie für Essen nichts zahlen. Auch in den Lebensmittelgeschäften nicht. Wir sind eine Gemeinschaft, in der sich jeder aus unseren Ressourcen bedienen kann. Wenn Sie aber extravagante Wünsche haben, können Sie natürlich auch in den Läden etwas vorbestellen. Das müssen Sie aber zahlen, da die Beschaffung und der Transport aufwendig sind. Sie können aber genauso gut außerhalb bei den Menschen einkaufen, wenn Ihnen das mehr zusagt."

Überrascht hob ich die Brauen und folgte Helen.

"Oh, ich werde sicherlich mit dem, was hier ist, klarkommen."

Helen sah mich zufrieden an und lief langsam wieder mit mir zurück zu meiner Hütte.

"Scheuen Sie sich nicht nach mir zu fragen, falls Sie nochmal Fragen haben oder die etwas entfernten Hütten sehen wollen."

Ich bedankte mich fürs Angebot und ihre Führung und wollte schon wieder zurück in die Hütte, als sie mich aufhielt.

"Wir feiern morgen Abend das Ende des Sommers mit einem großen Lagerfeuer. Es wäre schön, Sie vor ihrem ersten Arbeitstag dort begrüßen zu dürfen. Die anderen Rudelmitglieder wären sicher auch froh, Sie kennenzulernen."

Da war ich mir bei Elias Reaktion von gestern zwar nicht so sicher, aber ich wollte Helen nicht absagen.

"Ich überlege es mir."

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