Kapitel 12

-Elias Naumann-

Ich hätte wissen müssen, dass etwas nicht stimmte. Und ich hätte Katharina zur Rede stellen sollen, als sie mir heute Morgen so ausweichend antwortete und erklärte, ich müsse Finn heute Abend abholen und zu Lena bringen.

Irgendwas Gewaltiges war im Busch und als ich abends Finn zu seiner Tante brachte, die mit ihren Avancen nicht hinter dem Haus halten konnte, kam Cedrik, einer meiner Wächter vorbei, um mich über ein fremdes Auto im Territorium zu unterrichten.

An sich nichts Beunruhigendes, da Menschen des Öfteren gerne ohne Genehmigung im Wald campen wollten und wir sie immer auf dem Schirm hatten. Aber dieser Mensch war geradezu zielstrebig auf das Dorf zu gefahren, und als ich mich schon mit einigen Wächtern auf den Weg machen wollte, hielt mich mein Alpha und Cousin Alex auf.

"Lass die Jungs hier und das Auto weiterfahren. Komm mit, ich und Helen müssen dir was erzählen."

Trotz meiner Fragen und meines verwirrten Blickes antwortete er nicht und führte mich ins Rudelhaus. In einem unserer Besprechungsräume saß Helen und lächelte mir aufmunternd zu, als ich hinter mir die Tür schloss. Was war denn hier los?

"So raus mit der Sprache. Warum unterbindest du meine Arbeit?"

Wäre ich nicht sein Beta und der zweitstärkste Wolf im Rudel, dürfte ich mir solch einen Ton niemals gegenüber meinem Alpha leisten, aber Alex schätzte meine offene Art sehr und kümmerte sich nicht darum, was andere dachten, wenn sie uns sahen. Er war für mich wie ein Bruder. Zwar ein grobschlächtiger und oft brummiger, der seiner Gefährtin keinen Gefallen abschlagen konnte, aber immer noch mein Bruder. Auch wenn nur unsere Mütter Schwestern waren, so wuchsen wir doch wie welche auf.

Helen sah von mir zu ihren Gefährten. Sie verheimlichten etwas und normalerweise bedeutete das nichts Gutes. Es kam selten vor, dass die beiden etwas hinter meinen Rücken beschlossen, da ich oft ein Teil des Entscheidungsprozesses war.

Mein Blick huschte von einem zum anderen und beide schienen irgendwie verhalten und wussten nicht, wie sie beginnen sollten.

"Du sollst wissen, dass wir vor über einem Jahr ein Stellenangebot öffentlich gemacht haben", sagte Helen und ich sah sie nachdenklich an.

"Für welche Stelle denn? Wollt ihr die Schilde etwa regelmäßiger überschreiben?", fragte ich, denn mir fiel nichts anderes ein, was wir nicht auch ohne Magie regeln konnten.

"Nein, darum geht es nicht Elias", sagte Alex und ich betrachtete sein ernstes Gesicht.

"Wofür denn dann?"

Helen seufzte.

"Elias. Katharina kam mit einer Bitte zu uns. Wir wussten, dass es dir nicht gefallen würde und das du ein Mitspracherecht gefordert hättest, aber Katharina bat uns im Vertrauen darum", erklärte Helen und ich festigte meinen Stand. Katharina war meine Schwägerin und die Mutter meines Neffen.

"Was willst du damit andeuten?", fragte ich mit warnendem Unterton und Alex, der nun hinter seiner Frau stand und die Hände auf ihre Stuhllehne platzierte, sah mich an.

"Es ging um Finn. Sie macht sich um seinen Zustand Sorgen."

"Er ist ein Kind. Und sie seine Mutter. Natürlich macht sie sich Sorgen", sagte ich und Alex seufzte, als ich ihm widersprach.

"Du kennst Finn besser als wir alle und weißt, wie ernst es letztes Jahr um ihn stand. Katharina hatte uns erklärt, dass sie die Situation, so wie sie jetzt ist, nicht mehr gutheißen kann", erklärte Helen.

Meine Nerven waren zum Zerreißen angespannt, als ich das Alpha Paar betrachtete. Mein Neffe hatte eine sehr seltene und gefährliche Immunschwäche, die bei Werwölfen mit einem Todesurteil gleichkam. Er besaß weder die Heilungskräfte, die einen Werwolf erst von einem richtigen Wolf unterschied, noch hatte er viel Kraft und erkrankte oft aufgrund von Entzündungen. Er war wie alle Kinder oft in seiner Wolfsform unterwegs und wollte sich nicht durch seine Erkrankung anders als die anderen fühlen. Und ich würde den Teufel tun, um ihn je das Gefühl zu geben, weniger wert als die anderen zu sein.

"Was wollte sie? Ihr wollt sie doch nicht alleine in die Stadt gehen lassen? Das werde ich nicht zulassen!", sagte ich streng, als mir bewusst wurde, dass Katharina sie darum gebeten haben könnte, doch zu meiner Erleichterung schüttelten beide den Kopf.

"Das kam für uns nicht infrage. Niemand sollte wegen solcher Umstände gezwungen sein, das Rudel zu verlassen. Es kam uns nicht in den Sinn, sie aus dem Rudel zu verbannen. Aber wir brauchten eine Lösung."

"Und die wäre?", hakte ich sofort nach.

"Elias. Wir mussten was tun. Dein Neffe lag beinah im Sterben, als der Heiler drei Tage zu spät kam", erklärte Alex und ich knurrte, als er mich an diese schlimme Woche erinnerte. Letztes Jahr standen Katharina und ich kurz davor, Finn zu verlieren und es war die schlimmste und wahr gewordene Hölle, die uns heimsuchte. Wir beide fühlten uns zu dem Moment zurückversetzt, an dem wir bereits einmal tatenlos dabei zusehen mussten wie ein Familienmitglied starb.

"Ich weiß was passiert ist und ich habe dafür gesorgt, dass dem Heiler so ein Fehler nie wieder passieren wird!", sagte ich ernst und Helen sah mich bedauernd an.

"Das können wir nicht beeinflussen und das weißt du. Wir haben uns nach langen Diskussionen dazu entschieden, selbst einen Heiler im Dorf haben zu wollen. Aber einen ausgebildeten mit Abschluss! Keine der Nymphen oder Hexen, die nur provisorisch helfen können. Wir haben eine Anzeige aufgegeben, in der Hoffnung, dass jemand Ausgebildetes mit Fachkenntnissen Finn betreuen und unterstützen kann", erklärte sie und ich fühlte mich, als sie hätten sie mich geohrfeigt.

"Ihr wollt also jemand Fremdes in unser Land holen?", fragte ich verstört und Helen schüttelte schnell den Kopf.

"Jemand der helfen kann, Elias", sagte Alex und ich sah mit wütendem Blick zu Helen.

"Und du hast ihm das erlaubt? Hast du vergessen, was geschah, als wir das letzte Mal die Schilde für alle offenließen?", fragte ich sie. Sie sah mich mit Schmerz in den Augen an und seufzte.

"Ich habe es nie vergessen! Aber wir können nicht jedem, der außerhalb unseres Waldes lebt, meiden und verteufeln! Wir haben letzte Woche eine Antwort auf unser Stellenangebot bekommen. Und wir haben die Ärztin eingestellt", sagte sie.

Es rauschte in meinem Kopf und alles in mir wurde von ohrenbetäubender Stille geflutet.

"Nein", war das Einzige, was ich sagte und Helen blinzelte.

"Nein?"

"Ich will keine fremde Ärztin hier haben!", sagte ich mit Nachdruck, aber das schien die beiden nicht zu interessieren.

"Du hast da leider kein Mitspracherecht, Elias", sagte Alex streng und ich sah ihn wütend an.

"Und wieso nicht? Meine Einwände sind berechtigt!"

"Du hast bei allem ein Problem, was du nicht kontrollieren kannst. Und du denkst, wenn sich Katharina sich uns im Vertrauen annähert, dass wir dich einfach gegen ihren Wunsch dazu holen und du alles bestimmen kannst? Es geht um ihren Sohn! Sie hat sich mit uns die Bewerbung angesehen und war von ihr überzeugt", erklärte Alex und nun verstand ich Katharinas Verhalten. Sie hat die Abendschicht extra genommen, um nicht bei diesem Gespräch dabei sein zu müssen!

"Sie hat das abgesegnet?", fragte ich entrüstet.

"Ja, und du kannst es nicht mehr aufhalten oder sie umstimmen. Wir wollten es dir hier in Ruhe erzählen, damit du dich beruhigen kannst, bevor sie kommt", sagte Helen im ruhigen Ton und all meine Nackenhaar richteten sich auf.

"Bevor wer kommt?"

"Dr. Williams ist auf dem Weg hierher. Sie sollte bald eintreffen", sagte Alex mit einer Endgültigkeit, die mich rot sehen ließ.

"Du Bastard, sagts mir das erst jetzt, kurz bevor sie hier ist?", schrie ich ihn sauer an. Was hatten sie denn bitte erwartet? Das sie mir ein Ultimatum vor die Nase setzten und dachten, ich würde das widerstandslos annehmen.

"Sie ist eine ausgezeichnete Hexe und ist die Beste ihres Jahrgangs. Sie hatte ein Empfehlungsschreiben von einer bekannten Professorin und Berufserfahrung", versuchte Helen mich zu beruhigen, doch ich spuckte auf diese Aussage!

"Mir ist es scheißegal, wer sie ist oder welche Qualifikationen sie mitbringt! Wenn es keiner aus unserem Rudel ist oder aus dem unterstellten Rudeln, will ich sie nicht hier haben!", fuhr ich beide an.

Alex wollte wütend zurückschießen, aber es klopfte an der Tür. Ich trat wütend einen Schritt beiseite und ein junger Botenjunge sah entschuldigend von mir zum Alpha.

"Ähm, die Frau, die wir durchlassen sollten, ist da. Sie wartet hier...", sagte er, und bevor er weitersprechen konnte, lief ich an ihm vorbei.

"Elias warte!", rief Helen mir hinterher.

"Bleib stehen verdammt!", sagte Alex strenger. Doch gerade war es mir egal, was mein Alpha von mir verlangte.

Ich öffnete die Tür nach draußen und drehte mich zu Alex um, als er versuchte nach meinem Arm zu greifen.

"Du bist bescheuert, wenn du denkst, ich mache da mit!", sagte ich sauer. Ich würde, wenn nötig diese blöde Ärztin selbstständig vor die Tür setzen, wenn sie es nicht taten.

"Elias, hör auf damit! Es ist beschlossene Sache und damit wars das!"

"Wage es nicht über meinen Kopf hinweg zu entscheiden! Ich will das die Hexe verschwindet und die Finger von meinem Neffen lässt!", forderte ich. Beide sahen mich wütend an und Helen wollte wieder auf mich zu, um mich zu beruhigen, aber als Alex' Blick über meine Schulter huschte, folgte ich seinem Blick.

Verdammte scheiße!

Eine Frau im braunen Mantel lehnte an einen alten Golf und betrachtete uns aus kühlen Augen. Sie hatte ihre hellbraunen Haare nach oben gebunden und die Beine überkreuzt. Die Hände in ihrer Manteltasche vergaben, wirkte sie sehr distanziert und als ihre grünen Augen meinen begegneten, überlief mich ein Schaudern. Sie hob herausfordernd das Kinn und ich knurrte, während ich mich zu Alex umdrehte.

"Wenn du sie nicht wegschickst, mach ich das!", fauchte ich ihn an. Er sah mich erschrocken an, als ich trotz seiner Proteste auf die Ärztin zumarschierte, die meinem Neffen mit Medikamenten vollpumpen wollte!

Sie kam mir einen Schritt entgegen und lehnte sich nicht mehr an ihren Wagen. Wütend lief ich auf sie zu, doch sie setzte bloß ein professionelles Lächeln auf, welches ihre weißen Zähne präsentierte. Es war ihr scheißegal, dass ich fast schon rennend auf sie zu lief.

Bei ihr angekommen sagte sie: "Guten Tag mein Name ist..."

Bevor sie weiterredete, sagte ich: „Interessiert mich einen Scheißdreck! Sie können wieder zurück aus dem Loch, aus dem sie gekrochen sind!" und schnappte mir ihren Oberarm.

Ich zog sie die Schritte zum Auto mit und versuchte die Fahrertür zu öffnen. Doch sie war geschlossen! Ich rüttelte daran und sah sie daraufhin wütend an.

"Mach das verdammte Auto auf!"

"Sehe ich etwa so aus, als würde ich das machen wollen?", fragte sie mit hochgezogener Augenbraue.

"Ich sagte, Sie sollen das Auto aufmachen!"

Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Alex nach meiner Hand greifen wollte, die den Oberarm der Ärztin umklammerte, doch sie hob abwehrend die Hand und lächelte Alex charmant zu.

"Herr Kronemann. Schön Sie endlich persönlich treffen zu können. Ist das hier neben mir etwa eines ihrer Familienmitglieder?", fragte sie und ich knurrte frustriert. Sie sollte mich verdammt nochmal nicht ignorieren! Ich festigte den Griff um ihren Oberarm, aber außer einem kurzen Seitenblick schenkte sie mir keine Aufmerksamkeit.

"Ich muss mich wirklich für ihn entschuldigen. Das ist mein Cousin und Beta Elias Naumann. Er hat eben erst von ihrer Ankunft erfahren", erklärte Alex, der immer noch angespannt neben mir stand. Sie nickte verstehend.

"Ah, ich sehe schon. Ein großer Fan moderner Medizin. Aber ich würde vorschlagen, dass sie ihre Familienangelegenheiten intern klären sollten, bevor sie jemanden einstellen."

"Ich werde das nächste Mal dran denken", sagte Alex mit erhobenen Armen.

"Es wird kein nächstes Mal geben! Und Sie werden auch verschwinden!", fauchte ich und kaltgrüne Augen sahen giftig zu mir hinauf.

"Von einem Vertreter des Rudels hätte ich ein wenig mehr Gastfreundschaft erwartet! Wären Sie nun so freundlich, meinen Oberarm loszulassen, bevor ich ihn noch selbst amputieren muss", sagte sie ernst und fordernd. Ihre Überheblichkeit reizte mich so sehr das ich bloß: "Wir brauchen sie hier nicht!", erwidern konnte.

"Soweit ich es verstanden habe, sind sie der Beta und haben das nicht zu bestimmen. Oder habe ich etwa unrecht?", fragte sie mit einem Blick, der zu Alex schweifte. Ich wollte sie am liebsten gegen das Auto schmeißen, um ihr zu zeigen wie viel Mitspracherecht ich hatte, doch Alex zog mich auf einmal von ihr weg und legte seine Arme so fest um meinen Oberkörper das mir die Luft wegblieb.

Ich versuchte ihm mit meinem Ellenbogen in den Magen zu hauen, doch er hatte mich fest im Griff und sagte mit seiner ganzen Dominanz: "Hör auf dich zu wehren und warte im Rudelhaus! Mit dir rede ich später mein Freundchen!", wütend schubste er mich Richtung Rudelhaus. Hustend stolperte ich einige Schritte, doch ich konnte ein Zähnefletschen nicht unterdrücken.

"Das ist hier nicht vorbei!", sagte ich drohend, doch Helen nahm mich schon an die Hand und zog mich zurück ins Rudelhaus.

"Schwierige Verwandtschaft, wie ich sehe.", sagte die Ärztin, während sie sich über den Oberarm strich.

"Sie haben ja keine Ahnung", hörte ich noch Alex seufzend sagen, bevor Helen hinter mir die Tür zum Rudelhaus schloss.

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