Kapitel 1
-Gwen Williams-
Ich saß in einem Café nahe der Innenstadt und genoss die frische Luft. Meine Chefin Svetlana hatte mich heute all meine Nerven gekostet und nachdem ich die Praxis verlassen hatte, schrieb ich sofort meine Freundin Sophia an, dass sie sich mit mir treffen musste. Meine Entscheidung stand nämlich endlich fest!
Ich rührte den Milchkaffee um und sah aus dem Augenwinkel wie ein junger Mann immer wieder zu mir herüberblickte. Lächelnd sah ich zu ihm. Er war definitiv ein Mensch. Und wahrscheinlich etwas zu jung für mich. Dreiundzwanzig vielleicht? Er hätte zwar bestimmt nichts gegen eine Neunundzwanzigjährige einzuwenden, wenn es bei einer Nacht bliebe, aber ich hatte das Gefühl, dass er eher ein Mann war, der nach einem Date statt nach einer kurzen Nacht fragen würde. Wenn er erfahren würde, dass mein Aussehen nicht unbedingt mein Alter widerspiegelte, würde er bestimmt Reiß aus nehmen. Deswegen wand ich mich wieder ab und blickte auf mein Handy.
Sophia hatte geschrieben, dass sie in einer Viertelstunde da wäre, und das war nun zwanzig Minuten her. Seufzend packte ich mein Handy zurück in die Tasche. Ich war von Natur aus ein sehr pünktlicher Mensch und hasste es, wenn Patienten oder Freunde, mit denen man sich verabredete, zu spät kamen. Doch ich versuchte darüber hinwegzusehen. Immerhin hatte ich sie ja spontan darum gebeten, sich mit mir zu treffen.
Als ich Sophias blonden Haarschopf erblickte, stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen. Sophia war wahrscheinlich für Menschen der Inbegriff von Schönheit. Die junge Fee sah mich freudestrahlend an und lief mit ausgebreiteten Armen direkt auf mich zu.
"Sorry, dass ich dich hab warten lassen Gwen. In der Innenstadt war die Hölle los."
Ich umarmte meine Freundin zur Begrüßung und atmete ihren Duft nach Yasmin ein. Ihr Parfüm das sie nach eigener Aussage schon seit fünf Jahren täglich nutzte.
"Kein Ding. Immerhin habe ich dich hierher bestellt."
Nachdem sich Sophia gegenüber von mir fallen ließ, blickten mich ihre eisblauen Augen neugierig an. Heute war ein sehr warmer Tag und wir hatten Glück, im Herbst nochmal, Temperaturen über zwanzig Grad zu haben. Dementsprechend waren Sophias kurze Klamotten und ihr luftiger Cardigan keine Überraschung.
Ich stattdessen saß mit meinem Rollkragenpullover und einer engen Jeans hier, da ich direkt von der Arbeit hierher geflüchtet bin.
"So dann erzähl mal was es so Dringendes zu besprechen gibt", forderte sie mich auf und ich konnte mein Grinsen nur schwer verbergen. Ein wenig wollte ich sie ja noch zappeln lassen.
"Ach erzähl mir lieber wie die Uni heute war. Du hattest doch diesen blöden Kurs heute oder irre ich mich da?"
Sophia sah mich verwirrt an.
"Was interessiert dich die Uni? Erzähl mir, warum ich einen Sprint zur Bahn loslegen musste, um mir deine dringenden Neuigkeiten anzuhören!"
Verschwörerisch lehnte ich mich nach vorne. Sophia tat es mir nach und wartete gespannt auf meine Neuigkeit.
"Ich habe gekündigt", flüsterte ich. Sophias Augen wurden groß.
"Fuck, das hast du nicht getan!", sagte sie lauter als gewollt und ein älteres Paar das in unserer Nähe saß bedachte uns mit bösen Blicken. Doch wir ignorierten es und ich nickte grinsend.
"Doch hab ich", sagte ich siegessicher und Sophia ließ sich erstaunt in den Stuhl fallen.
"Wow, also das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Was ist denn passiert?"
"Was soll denn groß passiert sein?", fragte ich unschuldig und Sophia hob ihre blonde Augenbraue.
"Du willst mir doch nicht erzählen, dass du einfach so gekündigt hast? Svetlana hat dich zwei Jahre lang konsequent runtergeputzt und vor Patienten schlecht geredet. Und jedes Mal hast du ihr das durchgehen lassen, weil du Angst um deinen Arbeitsplatz hattest. Gwen, du bist die einzige Person, die ich kenne, die bei solchen Aktionen nicht ausrastet und die Ruhe selbst bleibt. Irgendwas muss passiert sein. Ich kenne dich. Sonst hättest du nie gekündigt."
Nachdem sie meine ehemalige Chefin Svetlana angesprochen hatte, sank meine Laune fast wieder gegen den null Punkt. Hassen war ein zu kleines Wort, um meine Gefühle gegenüber dieser Frau widerzuspiegeln. Und das beruhte trotz meiner Professionalität auf Gegenseitigkeit.
Seufzend ließ ich meinen Kopf in den Nacken fallen.
"Ach keine Ahnung. Mir war einfach alles zu viel."
Sophia nahm tröstend meine Hand in ihre. Ein Kellner lief auf uns zu und Sophia bestellte sich einen Schwarztee.
Nachdem der Kellner gegangen war, wandte sie sich wieder mir zu.
"Na komm, erzähl mir was dich zu deiner Entscheidung gedrängt hat."
Ich blickte sie wieder an und versuchte mir meine Enttäuschung und meinen verletzten Stolz nicht zu sehr anmerken zu lassen.
"Ich habe heute Morgen gesehen, wie sie meinen Urlaubsantrag, den ich zum dritten Mal vorgelegt hatte, in den Müll geworfen hat. Die beiden Male zuvor hatte sie behauptet, die wären nie bei ihr angekommen, deswegen bin ich heute früher zur Arbeit und habe es direkt auf ihren Schreibtisch abgelegt. Ein paar Stunden später hab ich in unserem Schichtportal gesehen, wie sie mich über alle kommenden Feiertage in den Bereitschaftsdienst eingeschrieben hat. Ohne mich zu fragen oder es mit mir abzuklären! Später hab ich Kollegen darüber sprechen hören, wie sie alle über Weihnachten einen Betriebsausflug machen wollen. Und rate mal, wer nicht eingeladen wurde und dementsprechend die ganze Zeit auf Abruf sein sollte?"
Sophia sah mich mitfühlend an. Jedes Jahr veranstaltete Svetlana eine Betriebsreise mit all meinen Kollegen. Doch diese rassistischen Weiber und die gekränkten Männer wollten mich nie dabei haben. Die letzten Jahre wurde ich nie eingeladen und als ich letztes Jahr fragte, ob ich einfach keine Mail erhalten hatte, war Svetlanas Antwort nur das alles richtig sei. Danach hatte ich es aufgegeben, mir noch Mühe bei meinen Kollegen zu geben.
"Das darf sie doch nach deinem Arbeitsvertrag gar nicht machen. Hast du sie wenigstens darauf angesprochen?"
Sophia studierte Jura in Bezug auf magisch angelegte Verträge. Sie hatte drei Semester nach mir angefangen zu studieren und würde bald mit ihrer Masterarbeit anfangen. Von ihr hatte ich damals meinen Arbeitsvertrag gegenlesen lassen. Dementsprechend kannte sie sich etwas besser mit den Vertragsklauseln aus als ich. Meine Chefin konnte mich nur unter ganz bestimmten Bedingungen kündigen. Und da ich den Vertrag nie verletzt hatte, hatte sie bisher nie die Chance gehabt, mich zu kündigen, ohne mir einen ordentlichen Batzen an Geld für Vertragsschaden zu überlassen. Im Gegenzug durfte ich nicht ohne ordentliche Begründung kündigen. Und da es ein magischer Vertrag war, der dafür sorgte der Betrug so gut wie unmöglich war, hatte Svetlana nicht versucht, nach meiner Anstellung mir irgendwas unterzuschieben. Dafür hatte sie aber alle anderen Freiheiten des Vertrages und ihre Stellung als Chefin mehr als ausgenutzt.
"Das wollte ich heute Abend nach meiner Schicht machen, damit sie nicht mit allen Kollegen lästern kann."
Sophias Schwarztee wurde ihr gebracht. Sie bedankte sich und wandte sich wieder mir zu.
"Aber dazu ist es nicht gekommen, richtig?"
Ich nickte.
"Während einer Behandlung kam Nena rein, beschwerte sich das ich zu inkompetent sei, die Manschetten in den falschen Schrank gelegt hätte und sie wieder ordentlich sortieren soll."
Sophia schüttelte nur schnaubend den Kopf. Nena war die Tochter von Svetlana und befand sich noch im Anfang des Medizinstudiums und nutzte die Chance, Erfahrungen an Patienten in der Praxis ihrer Mutter zu sammeln. Oft sagte sie den Patienten, dass sie kurz vor dem Doktor stehen würde und dementsprechend schon behandeln dürfte, obwohl ihr die Erlaubnis, Patienten zu behandeln fehlte. Ihre Mutter übersah das gekonnt und nicht selten kam es vor, dass Patienten, die von Nena behandelt wurden, wieder zu mir kamen um, sich über die Behandlung zu beschweren.
"Wollte sie wieder einen Patienten abgreifen?"
Ich nickte seufzend.
"Ja. Nachdem ich ihr sagte, dass ich in einer Behandlung sitze und nicht verantwortlich bin die Materialien einzuräumen, sondern die Schwestern und sie, ist sie ziemlich eklig geworden."
"Was hat sie denn gemacht?"
Ich schnaubte verächtlich und sah auf die vorbeifahrenden Autos.
"Na was wohl. Sie hat dem Patienten direkt angesprochen und gemeint, dass ich ein Mischblut sei und das sie ihn auch behandeln könnte. Der Patient hat dann natürlich eingewilligt."
Ich erinnerte gut an das unverschämte Grinsen von Nena, als sie an mir vorbei auf den Patienten zu stolziert war. Sie hatte sich dann mit spitzbübischem Grinsen vor den Patienten gesetzt, der eine Entzündung an seinen Hufen hatte.
"Svetlana hat mich dann im Vorratsraum gesehen, wie ich die Unordnung ihrer Tochter wieder richtete und hat mich beschimpft, warum ich mich um keinen Patienten kümmern würde. In dem Moment war ich einfach so wütend auf sie. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich bin also auf sie zu, hab sie zum Behandlungsraum geschleift und gemeint, dass ihre Tochter mir meine Patienten abgreift."
Sophia hob ihre Augenbraue.
"Wie hat sie drauf reagiert?"
"Sie hatte die Achseln gezuckt und vor allen Patienten im Wartezimmer gesagt, das sie nichts dafür könne, das ihre Tochter jetzt schon eine bessere Ärztin sei als ich und sie die Patienten verstehen kann, die nicht von einer schlechten Mischblut Ärztin behandelt werden wollen. Und das es in meiner Verantwortung liegt besser zu werden."
"Das hat sie nicht gesagt!", sagte Sophia erschrocken. Ich zuckte die Achseln.
"Doch, das hat sie. Und da ist mir einfach der Kragen geplatzt. Ich habe ihr gesagt, was ich von ihr und ihrer Praxis halte und habe gekündigt. Danach habe ich mir meine Sachen geschnappt und nun ja. Jetzt sitze ich hier."
"Ich wusste ja das die Frau eine Schlampe ist, aber so wenig Professionalität auf einem Haufen ist mir noch nie untergekommen."
"Das kannst du laut sagen", erwiderte ich und nippte an meinem Milchkaffee.
„Kannst du mir vielleicht helfen meine Kündigung vor dem Vertrag zu rechtfertigen? Ich will keine Schulden bei der Frau haben.", sagte ich. Sophia nickte sofort.
„Natürlich! Ich werde schon was finden was eine Vertragsverletzung rechtfertigt. Willst du einen Anwalt hinzuziehen?"
„Nein erstmal nicht. Ich werde ihr meine Kündigung und die Vertragsverletzungs-Begründung vorlegen und hoffen, dass sie es darauf beruhen lässt. Immerhin könnte ich Schadensersatz fordern, aber das ist es mir nicht wert. Ich will nur noch weg aus diesem Drecksladen und nie wieder dran denken müssen."
„Das kann ich verstehen", sagte Sophia nickend, ehe sie an ihren Tee nippte.
„Und was willst du nun machen? Also nachdem du das alles geklärt hast."
„Du meinst was meine berufliche Karriere angeht?", fragte ich und sie nickte.
Seufzend strich ich mir einige lose Strähnen aus dem Gesicht.
„Ich muss noch meine Schulden abbezahlen. Ich kann vielleicht meine alte Professorin anschreiben, die mir auch den Job bei Svetlana besorgt hat. Vielleicht hat ein anderer Oberarzt noch etwas gut bei ihr."
"Gwen, du kannst doch nicht einfach hoffen, dass deine Dozentin Mitleid mit dir hat wie letztes Mal. Dein Studium ist nun mehr als zwei Jahre her. Du solltest lieber schon mal anfangen, nach Stellen zu suchen."
Auch wenn ich wusste, dass ihre Worte nicht böse gemeint waren, sie stießen mir dennoch ziemlich auf. Mir war bewusst, dass meine Aktion dumm und voreilig war. Wären die Kollegen professionell in der Praxis geblieben, hätte ich ja noch mit den Vorurteilen der Patienten leben können, aber dieses ständige Mobbing und das schlecht reden meiner Fähigkeiten hatte einfach ein zu großes Ausmaß angenommen. Der Job war sicher gewesen und das Einkommen reichte, um mich über Wasser zu halten und meine Studienschulden abzubezahlen. Doch nun?
Ich seufzte und strich mir übers Gesicht.
"Ich werde mir schon was einfallen lassen. Mein Erspartes wird für zwei oder drei Monate, ohne zusätzliches Einkommen, ausreichen. Irgendjemand wird bestimmt schon Verwendung für eine Ärztin haben."
Sophia sah noch etwas kritisch aus, aber sie ließ das Thema zum Glück auf sich beruhen.
"Na gut wie du meinst. Wie wäre es, wenn du mich am Freitag mit ein paar Freunden begleiten würdest? Wir wollen etwas feiern und um die Häuser ziehen. Dann kommst du auf andere Gedanken und wir können drauf anstoßen, dass du Svetlana losgeworden bist.", bot mir Sophia an und weil ich nicht sofort absagen wollte, sagte ich stattdessen:" Vielleicht hab' ich ja Zeit."
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