KAPITEL 9
„Ahh, hätte ich gestern nur nicht so viel getrunken. Das ist eine Tortur!", klagt Mily und hält sich ihre Stirn, als wir am nächsten Morgen aus dem Auto steigen.
„Selbst schuld. Und jetzt komm." Ich drücke ihr einen Müllsack in die Hand. Zusammen schlendern wir zu der Stelle, wo gestern noch Party war. „Das kann lustig werde", gebe ich zu, als ich die Verwüstung sehe. „Bis jetzt waren nur vereinzelt ein paar Hände am Werk. „Dann lass uns mal anfangen."
Mily stöhnt. „Aber klar doch." Ich mache mich lachend an die Arbeit. Mit meiner Freundin, die die ganze Zeit komische Geräusche von sich gibt, werde ich schon durchkommen. Die Gefahr einzuschlafen, besteht schon mal nicht. Meinen Cappu habe ich auch schon zu mir genommen. Alles perfekt.
Ich mache mich an die Tische und sammle die benutzten Servietten, die Papp-Becher und anderes Zeug ein. Mily neben mir sammelt die Kerzen, die noch brauchbar sind, in einer Tasche und stellt sie zu den anderen noch verwendbaren Sachen an die Hausmauer. Als sie wiederkommt, zeigt sie auf etwas.
„Harley,", murrt sie und arbeitete weiter.
Er schlendert grinsend auf mich zu. „Morgen, kleine Biene."
„Biene?" Ich sehe ihn verwundert an.
„Devery heißt Biene", meint er. „Ich hab gegoogelt." Soll ich jetzt verstört sein?...
„Aha" Ich ziehe die Nase hoch. „Na gut. Machen wir weiter." Ich gebe ihm ebenfalls einen Müllsack. „Oh und auch guten Morgen."
Er schmunzelt und zwickt mich in die Seite. „Ich hab übrigens deinen Blog erkundet."
Ich schlucke und wende mich der Sauerei am nächsten Tisch zu. „Aha."
Er lacht als er mein Gesichtsausdruck sieht. „Und zufällig hab ich mir den Trailer angeschaut."
„Cool", murmle ich unsicher. Das Thema ist einfach eine heikle Sache bei mir. Der größte Punkt bei dem man mich angreifen kann. Dann drehe ich mich um. „Und?"
„Nun jaaaa ..." Er hebt eine verlorene Uhr auf. „Wohin?" Ich deute auf den Stapel neben den gebrauchten Sachen. „Komme gleich wieder."
Ich nicke und räume weiter auf. Mily macht mich auf sich aufmerksam und streckt das „RUF MICH AN" Zeichen hoch. Dabei deutet sie auf den Döner-bringenden-Typen. Ich rolle mit den Augen und strecke ihr die Zunge raus. Dann drehe ich mich um, als Harley wiederkommt.
„Wie kommst du nur auf so eine Idee?", erkundigt er sich erstaunt und ignoriert Mily.
„Ich - Das ist eine gute Frage ..." Ich mache weiter. „Ich denke ... ich habe eine blühende Fantasie."
Er grinst breit. „Du hast eine geniale Fantasie, Devs!" Er schmeißt ein einzelnes Stück Pizza weg. „Das hier ist genial!"
Ich blicke hoch, weil er so ehrlich klingt. „Das ...„
„Außer das Aufräumen", fährt er fort und kratzt einen Kaugummi vom Tisch. „Widerlich."
Ich kichere überrascht. „Das gehört dazu." Er knurrt leicht und wendet sich mir wieder zu.
„Aber jetzt mal im Ernst, das ist genial. Wann hast du mit all dem angefangen?" Er sieht ehrlich begeistert aus und ich schiele zu Mily, die mich bestärkt. Bei was auch immer. „Ignoriere Sie."
Wir lachen. „Nicht so leicht." Er dreht sich um und streckt ihr die Zunge raus. „An die Arbeit", blafft er sie an. Grummelnd verzieht sie sich. Aber das Grinsen bleibt.
„Als ..." Ich antworte auf seine Frage. „Angefangen habe ich mit 18, also vor einem Jahr."
„Wie bist du nur draufgekommen?" Er ignoriert Mily die nahe an uns vorbeigeht und wieder das Zeichen von vorhin macht. Ich schüttle den Kopf.
„Sie ist verrückt. Nicht ich", gebe ich müde zu. „Aber zu deiner Frage ... Die Idee war immer schon da."
„Wie?"
„Nun ja. Seit ich klein war. Um ganz genau zu sein, seit meine Mom weg ist." Ich stocke und wende den Blick ab. "Seit damals ... wollte ich so etwas schon immer ins Leben rufen. So etwas Großartiges. Und ... mit 18 hatte ich etwas Geld gespart, um mithelfen zu können und ... es hat sich gut angefühlt."
Harely nickt. „So eine wie dich gibts nur ein mal."
Ich halte inne. „Vielleicht", überlege ich, spitzbübisch. „Aber das ist doch bei jedem so." Ich piekse ihm in seine Muskeln. "Deine Muskeln gib es auch nur einmal." Ich lache.
„Aha, also siehst du sie doch." Er fährt hoch.
„Ich hab nie etwas dagegen gesagt", lüge ich.
„Oh doch ..." Er will auf mich losgehen. „Das hast du, kleine Biene. " Ich laufe lachend weg und verstecke mich hinter Mily.
Die lacht nur. „Harley komm später wieder. Nach dem Aufräumen, dann kannst du auch gleich deine Nummer mitbringen."
„Ähm, die hab ich schon", beichte ich.
Sie fährt herum zu mir. „WAS?"
Harley und ich lachen und machen uns wieder an die Arbeit.
Mily muss erst wieder ihren Mund zubringen. „OH."
Ich schüttelt den Kopf. „Komm schon, Nervensäge."
*
Als er sich von hinten anschleicht, zucke ich zusammen, schmunzle dann aber. „Was ist?"
Harley sieht mich ernst an. "Du hast vorhin gesagt, dass deine Mutter weg ist. Was ist mit ihr?" Ich sehe die Frage ganz deutlich: ist sie tot?
„Nein. Sie, sie hat mich mit 12 verlassen. Den Grund kenne ich bis heute nicht." Ich denke an den Brief zurück und schlucke. „Sie ist nicht mehr meine Mom."
Seine Augen blitzen traurig. „Und dein Vater?"
„Ist nicht mehr mein Vater. Ich warte noch darauf, dass er endlich das Verhältnis zu mir kündigt. Wir haben uns schon drei Jahre nicht mehr gesehen. Immer, wenn ich anrufe, wimmelt er mich ab. Mittlerweile weiß ich gar nicht mehr, ob seine Nummer noch stimmt", brumme ich leise.
„Willkommen im Club." Harley drückt meine Schulter.
„In welchem Club?" Ich ziehe eine Augenbraue hoch.
„Im Club für die, die keine richtige Familie haben", sagt er nüchtern und räumt weiter auf.
„Aber Milys Familie ist wie meine zweite geworden ..."
„Trotzdem. Deine leiblichen Eltern scheren sich einen Dreck um dich", maulte er verärgert, nicht wegen mir, sondern unseren Eltern.
„Du hast deine nie kennen gelernt, oder? Du bist schon, seit du ein Baby warst, ein Weise?"
Er grummelt. „Keine Spur von ihnen."
Ich schließe die Augen und atme durch. „Immer, wenn ich bei dir bin, sprechen wir über so ernste Themen. Lass uns das heute mal vergessen", murmle ich müde.
Harley mustert mich und nimmt mich an der Seite in den Arm. „Klar, kleine Biene." Damit machen wir uns weiter an die Arbeit. „Für heute schon. Aber für immer kann man solchen Themen nicht aus dem Weg gehen."
Ich brumme und mache weiter. Für immer ist gar nichts ...
*
Als wir nachhause fahren, übernimmt Mily das Lenkrad und ich widme mich meinem Handy. Ich nutze endlich die Gelegenheit, einen neuen Post hochzuladen. Ich benutze die Bilder von gestern. Als ich die schönsten durchsuche, entdeckte ich die von mir und Harley, die er mir auch geschickt hat. Ich lache.
„Was ist so witzig?" Mily schmunzelt.
„Harley." Gebe ich preis.
„Harley? Hätte ich es mir doch denken können." Sie kichert. „Da hast du einen ganz schönen Brummer."
Ich sehe sie böse an „Er hat Muskeln, aber keine im Übermaß. Dezent. Schöne. Und warum geht es hier eigentlich um seinen Körper? Ja, er ist ein Riese, ja er hat lange Haare, schulterlange und immer einen Zopf, da ist das nicht so schlimm, und ja er hat große Hände und Füße und nein, er hat keine überdurchschnittlichen Muskeln. Er hat ... Baby-Muskeln." ich puste meine Haare aus dem Gesicht. Dann schnaufe ich durch.
„Mach mal halblang Dev, ich hab's kapiert." Sie kichert.
Ich kichere zurück „Baby-Muskeln?" Ich schüttle den Kopf. „Normale halt ... Oh Mann!", meckere ich und schreibe weiter am Post herum.
Hashtag, Geburtstagsparty geglückt.
Ich bedankte mich, ich spreche ihnen Mut zu, ich lache, ich kichere, ich schicke ihn los. In die Welt. Dann lege ich mein Handy weg.
„Wir haben einen neuen Follower."
„WER?" Sie reißt ihre Augen auf.
„Harley." Ich halte mir die Hand vor den Mund.
Mily rollte mit den Augen. „Das hätte ich mir gleich denken können."
Dann pruste ich los.
*
Ich sperre die Haustür auf. „Übrigens, hab ich dich jetzt überzeugen können?" Ich drehe mich zu Mily um.
„Bei was?"
„Bei dem gestern. Die Party."
„Öhm, nee."
„Was?"
Sie lacht. „Natürlich konntest du das."
„Haha das war seeehr witzig."
Wir gehen in die Wohnung. Abrupt bleibe ich stehen. Am Boden liegt etwas. Ein Brief. „Ist das ...?"
„Jap." Mily hebt ihn auf. „Ich wollte dir heute in der Früh nicht die Stimmung versauen." Sie klatscht ihn auf den Tresen in der Küche. „Ein neuer Brief. Jiiiipyyyy.", seufzte sie.
Ich ziehe mich langsam aus und gehe zu ihr rüber. Dann atme ich durch, als mich die Realität wieder einholen will, in ihre Fänge ziehen. Meine Hand will gerade nach dem Brief greifen, da fahre ich zusammen. Mein Handy bimmelt. Schnell gehe ich ran.
„Halooo?" Rufe ich.
„Ich bin dabei." Harley ist dran.
„Bei was?" Ich kaue auf meiner Lippe und schiele zum Brief.
„Ich bin dein Assistent Nummer 2." Mily horcht auf und meckert lautstark. „Sag ihr, sie soll still sein." Sie verschränkte ihre Arme und meckerte weiter.
Ich atme durch. „Willkommen im Club." Dann lege ich auf.
Ich sacke auf dem Stuhl zusammen. Zu viel.
„Auf was hab ich mich da nur alles eingelassen?" Ich sehe zu Mily hoch.
„Auf alles", gibt sie nüchtern zu.
Ich schnaufe und greife nach dem Brief.
Das war das Leben. In vollen Zügen.
Ich war nicht erpicht drauf, zu wissen, was es noch alles für mich bereithält. Und doch wusste ich, dass sich jetzt einiges ändern würde.
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