KAPITEL 7

Als das Auto hält, rühre ich mich nicht. Ich fühle mich so unendlich schwach. Kein Adrenalin ist mehr da, das verlangt, unbedingt wissen zu müssen, was Sache ist. In diesem Moment will ich einfach nur schlafen, alles vergessen, an einem anderen Tag aufwachen und weiterleben. Nur nicht heute.

Ich höre das Klicken der Autotür, die geöffnet wird, spüre eine Hand, die meine Schulter drückt, nehme einen Atem wahr, der meinen trifft. Ich öffne meine Augen.

„Devs?", flüsterte Harley und stupste mich an. „Wir sind da."

Ich nicke. "Ich- ich ... ich werde jetzt aufstehen." Das sage ich, das will ich tun. Harley zieht eine Augenbraue hoch.

„Ja, das tust du jetzt", erklärt er und hilft mir hoch, als meine Füße nicht das machen wollen, was ich ihnen befehle.

„Ok", hauche ich und sehe hoch zu meiner und Milys Wohnung. „Ok", wiederhole ich.

Dann gehe ich los, stolpere über meine Schuhe, fasse mich wieder und laufe dann schneller. Schneller ... ich kann mit der Ungewissheit keine Sekunde länger mehr umgehen. Ich muss es wissen. Jetzt!

Als ich die Treppen oben bin, krame ich zitternd nach meinem Schlüssel und drehe mich kurzerhand um. "Du bleibst draußen." Damit pfeffere ich die Tür hinter mir zu und lasse meine Tasche auf den Boden fallen. Meinen Schlüssel dazu. Mein Herz am besten auch noch, als ich hochblicke und in Milys Gesicht sehe.

Mein Herz auch ... ja, da hat es einen guten Platz. Dann tappe ich nach vorne, streife mir meine Schuhe ab, verliere meine Jacke, und purzle in Milys Arme, die sie mir weit aufhält.

„Hast du ihn gelesen?", murmle ich. Ich fühle ihr Nicken an meinem Kopf und atme durch. "Wo? Sie-Sie war nicht hier, oder?"

„Nein." Dann deutet sie in mein Zimmer. Ich finde ihn auf meinem Bett, auf das ich mich drauffallen lasse. Ich starre ihn an. Diesen Brief.

Es ist ihre Handschrift, es ist wirklich ihre Handschrift. Ihre ... Ein Schluchzen entflieht mir, als ich mich herumwälze, um an meinen Nachtisch zu gelangen, den ich öffne und mir einen kleinen Zettel angele.

Die gleiche! Ich habe ihn nie weggeschmissen, verloren, vergessen ... Das Letzte, was mir noch von ihr geblieben ist.

Träume sind wertvoll, meine Kleine. Ich werde mir meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen, auch wenn das heißt, dich verlassen zu müssen. Dir wird es gutgehen ohne mich. Wir wissen beide, ich war noch nie die beste Mutter. Und wir wissen beide, dein Dad war noch nie der beste Vater. Deswegen glaube ich ganz fest daran, dass du bei Milys Familie deinen Halt finden kannst, wie du es bis jetzt auch immer getan hast.

Wenn du jemanden findest, dessen Herzenstraum deinem gleicht, dann lass ihn nicht mehr los.

Ich werde dich immer lieben,

deine Mom!

Aus. Ich kenne diese Zeilen auswendig. Der letzte Zettel den mir meine Mom hinterlassen hat, als sie auf und davon ist. Auf und davon. Es sind 7 Jahre. 7 Jahre ...

Ich höre ein Klopfen. Mily erscheint im Türrahmen meines Zimmers und mustert mich. „Hast du ihn schon gelesen?"

Ich schüttle den Kopf und greife erneut nach ihm. "Bitte setzt dich, ich will, dass du dabei bist." Ich klopfe neben mich.

Liebevoll quetscht sie sich an mich und schlingt einen Arm um mich. Dann atme ich durch und öffnete den Brief.

Meine Finger zittern.

Liebe Tochter,

Es ist inzwischen Zeit, dass du diesen Brief von mir bekommst. Wieso, wie, und alles andere, ist jetzt erst mal nicht wichtig.

Du warst jung, genau genommen 12 als ich dich verlassen habe. Jung, sehr jung, das wusste ich, und trotzdem bin ich gegangen. Ich wusste bei Milys Familie wärst du gut aufgehoben, wenn dein Dad es mal wieder nicht schafft, sich um dich zu kümmern.

Es gab viele Gründe, warum ich ging. Unter anderem war dein Dad einer dieser Gründe. Es gibt Vieles, das du heute immer noch nicht weißt.

Doch das versuche ich nun zu ändern.

Der nächste Brief wird dich bald erreichen.

Ich weiß, du wirst ihn lesen.

- Deine Mom.

Ich lasse ihn sinken. Den Brief, die Hölle auf Erden. „Das wars?" Ich sehe auf die Rückseite, in den Umschlag. ENDE! „Will sie mich verarschen? Was soll das sein?"

Mily schüttelt den Kopf. „Ich-ich weiß nicht, was das sein soll", gibt sie zu.

„Sie spielt mit mir." Ich schmeiße ihren Zettel weit weg, „Sie-sie..." Meine Augen brennen und ich kneife sie zusammen. „Wieso macht sie sowas?"

Mily drückt mich fest an sich. „Das weiß nur sie", flüstert meine Freundin. Leise, leise ... ruhig, vorsichtig. Mehr würde ich nicht ertragen.

Der leichte Schimmer von Wut legt sich und ich sinke in mich zusammen. Mein Kopf rausche, als ich Mily umklammere und anfange zu beben.

Ich weiß nicht, was ich denken soll, was das hier alles sein soll, wie, wieso ... aber ich kann nicht mehr. Das wird mir klar, als meine Brust ein Druck befällt, der sich nicht mehr verflüchtigen will.

Ich sinke nach hinten ins Bett und Mily deckt mich zu. Der Tränenfluss ist eröffnet.

*

„Schick ihn bitte weg", flüstere ich und greife nach Milys Hand. „Er soll nicht noch länger warten."

„Wer?" Sie blickt mich überrascht an.

„Harley. Er steht vor der Tür", erkläre ich und sacke wieder in mich zusammen. Meine Freundin steht auf und geht zur Tür. Ich höre Stimmen, die Tür, wie sie wieder zugleitet, ein Schlüssel der sie zusperrt und Schritte, die wieder zu mir tappen.

„Danke", raune ich. Meine Augen sind immer noch zu. Mily hat den Brief ganz weit wegbefördert, worüber ich froh bin, als ich meine Augen öffne, als sie sich neben mir niederlässt.

„Es, es ist wie eine Wucht, wie ein Anschlag der jetzt verübt wurde, es es ist komisch ... ich bin verwirrt, möchte am liebsten wieder heulen und gleichzeitig etwas in der Luft zerfetzen." Ich schlucke und mache die Augen wieder zu, als ich Milys Augen auf mir nicht länger ertragen kann. „Ich versteh sie nicht. Jetzt, nach so langer Zeit. Warum?"

Mily kuschelt sich wieder an mich. „Das werden wir bald erfahren. Sie sagte, es würde noch einen Brief geben ...", versucht sie mich aufzuheitern.

„Warum?" Ich sehe sie wieder an. „Sie hätte alles jetzt schon schicken können. Mir jetzt schon alles sagen, so wie ich es verdient habe, nach so langer Zeit." Eine Träne findet ihr Ziel an meinem Kinn, kullert auf meine Brust und durchnässt mein Oberteil. "Sie ... Mily, meine Mom ist ein Monster." Ich verkralle mich in ihre Hand.

„Hey!" Sie hebt mein Kinn hoch. "Das stimmt nicht. Sie ... sie wird ihre Gründe haben", flüstert sie hoffend.

Ich starre an die Decke. „Und wenn nicht? Wenn sie einfach ... ihr Kind verlassen hatte und jetzt alles noch schlimmer machen will. Mein-Mein Herz macht das nicht mehr mit."

Mily brennen die Augen, genauso wie mir, als sie mich an sich drückt und erst wieder nach Minuten loslässt. Sie breitet die Decke besser über mir aus und ich ziehe sie bis ganz hoch, über meine Nase.

„Mily, ich ... ich trauere schon mein ganzes Leben, ein und derselben Person hinterher. Dabei ist sie noch nicht mal tot ..." Meine Stimme ist heißer. „Das, das ist ..." Ich balle meine Hände zu Fäusten und schließe wieder die Augen. „Es bringt nichts."

Leer. Meine Brust fühlt sich leer an.

Mily steht auf und kommt wenig später mit einem Pulli wieder. Es ist einer ihrer Micky-Mouse-Pullis, den sie mir hinhält. Als ich mich nicht rühre, streift sie ihn mir zielsicher über, ohne ein einziges Wort zu sagen.

Fertig eingepackt drückt sie sich wieder an mich und umarmt mich. „Nicht, dass du frierst", erklärt sie brummend und schließt, wie ich, die Augen.

*

„Die Frage ist doch ... ob mein Dad Bescheid weiß. Soweit ich weiß, hat er genauso lange keinen Kontakt mehr zu ihr wie ich", erkläre ich etwas später, als ich mich wieder besser fühle.

Doch Mily schlägt alle Versuche, dieses Thema heute nochmal aufzugreifen, nieder. "Und es ist keine Frage, ob du morgen mit zu Ester und ihrem Sohn kommst."

Ich richte mich auf. "Was? Wieso?"

„Du wirst morgen sicherlich nicht mitkommen, in diesem Zustand. Ich schaff das auch alleine." Sie reicht mir einen Tee, den ich dankend annehme.

„Ich gehe. Das ist mein Blog. Ich bin immer dabei. Es ... ich kann nicht nicht kommen." Ich starre sie ernst an. „Ich. Komme!"

„Zweifelst du daran, ob wir es auch ohne dich schaffen würden?" Sie schmunzelt leicht.

„Nein, Mily. Aber ich komme. Basta, aus, da gibt es gar nichts zu bereden." Ich schlürfe Tee.

„Sie werden es alle verstehen, wenn du einmal nicht dabei bist. Außerdem hat es bis jetzt jemals so ausgesehen, als wären all die Leute, nicht imstande, es auch alleine zu schaffen?" Sie zieht eine Augenbraue hoch.

„Nein, natürlich schaffen sie es. Wir schaffen es immer, aber ...„ Ich sehe sie böse an. „Ich will helfen."

„Und du kannst einmal auch nicht helfen. Immerhin hab ich den Kuchen organisiert und die anderen bringen alles anderen mit ..." Sie mustert mich. „Ich erzähl dir auch nachher, wie es war."

Ich springe auf, halte ein Kissen in meiner Hand. "Mily! Hüte deine Zunge. Ich komme mit."

Sie grinst. "Na aufgeheitert?"

Ich schmolle. „Ja, aber nur, wenn ich dir das Kissen ins Gesicht schmeißen darf." Ich grinse blöd.

„Und wer würde dir die Zustimmung dazu geben? Ich sicherlich nicht!" Sie streckt mir die Zunge heraus. "Leg dich wieder hin ..."

Mit einem Wums landet das Kissen in ihrem Gesicht. Verblüfft schaut sie mir mit zusammen gekniffenen Augen entgegen.

„Dev!" Sie springt auf und kommt mir gefährlich näher.

„Was denn? Wenn du denken kannst, ich werde da morgen nicht hingeben, kennst du mich nicht." Ich verschränke meine Arme.

Meine Freundin schnauft. „Wie lange kennen wir uns jetzt schon? Seit der Kindheit? Ich denke ich weiß, zu was du fähig bist, und zu was nicht." Sie kommt näher. „Und ja ich weiß, du wirst morgen dorthin gehen. Trotzdem ..." Sie nimmt meine Hand in ihre. „Trotzdem appelliere ich an dich, das nicht zu tun."

Ich starre sie an. "Du kennst die Antwort."

Wir sehen uns an. Angesicht zu Angesicht. Dann schnauft sie und drückt mich an sich. Damit ist alles gesagt.

„Gut. Morgen kann es losgehen", flüstert sie in meine Haare.

„Morgen kann es so was von losgehen." Ich grinse. "Du wirst schon sehen, wie wir es immer machen. Das wird eine Explosion", erzähle ich begeistert.

Mily drückt mich von sich weg, damit sie mir ins Gesicht sehen kann. „Versprich ja nicht zu viel."

„Du kannst dir ja morgen selbst ein Bild davon machen." Ich grinse.

„Abgemacht!" Wir schlagen ein.

„Gut. Dann kann ich dir ja jetzt auch noch ein Geheimnis verraten." Ich ziehe sie zurück ins Bett.

Sie spitzt ihre Ohren. „Was denn?"

Ich schmunzle sie an. "Mhhhh, was könnte es wohl sein? Ich glaube es ist ... Mhh ..." Sie schenkt mir ihre Killerblicke, die noch nie an meine herangereicht haben, jetzt aber gute Chancen haben. "Derek ist Single."

Mily blinzelt. Ihre Gesichtszüge entgleiten ihr. „Toll für diesen Idioten" schnauft sie.

Ich stupse sie an. "Ich weiß genau, was du über ihn denkst." Ein Lachen kann ich mir nicht verkneifen.

„Ach ja? Und ich weiß genau was du über Harley denkst!"

„Ja?" Ich verschränke meine Arme. „Was denn?"

Sie zwickt mich in die Seite und kreische auf. „Du findest ihn heiß"

Ich brumme. „Und du findest Derek heiß"

„Heiß ist etwas übertreiben, für diesen Idioten."

Ich lache. „Das werden wir schon noch sehen." Dann lasse ich mich nach hinten sinken und decke uns wieder zu. „Er ist besser, wie dieser Austausch-Schüler. Ein echter Mann", grinse ich.

„Ich sollte mir Sorgen über dich machen, wenn du so über einen Mann redest. Am Ende hat es dich noch erwischt, nicht mich", erklärt sie beunruhigt.

Ich zwicke sie. „Mily!"

„Was denn?" Sie lacht.

„Ich will ihn dir nur schönreden."

Sie tut angeekelt. „Das solltest du lieber lassen."

Ich boxe sie leicht und kichere. „Gut, dann lass uns schlafen."

Sie drückt mich an sich. „Bis morgen, Dev."

„Bis, morgen Mily."

Dann lassen wir uns wieder los und schließen die Augen.

Morgen. Wenn ich daran denke, spüre ich jetzt schon die freudige Erwartung in meinen Venen pulsieren.

Dann bin ich eingeschlafen.

Mit dem schönsten Gefühl, das es in meiner Welt gab.

Liebe.

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