KAPITEL 18
„Und wie ist es bei euch so gelaufen?", frage ich meine Freundin, als ich Harley verabschiedet habe und mich nun neben ihr auf den Boden vor der Couch sinken lasse. Sie sieht mich mürrisch an.
"Derek hat genervt, aber sonst ..." Ihre Augen funkeln. „... sind wir gut vorangekommen. Aber noch lange nicht fertig. Wir müssen nochmal um die Häuser ziehen aber ... ich bin guter Hoffnung. Wir schaffen das."
Ich stupse sie an und schiebe mir weiter Chips in den Mund. „Natürlich schafft ihr das." Dann mustere ich sie. „Läuft zwischen euch etwas?"
Mily stöhnt laut auf. „Nicht du auch noch! Derek ist ein Idiot!", erklärt sie etwas zu laut, als es eigentlich nötig wäre. „Sein blödes Grinsen kann er sich sonst wo hinstecken und außerdem ... hat er gesagt, dass er meine Mikey-Mouse-Outfits Scheiße findet. Wenn er das noch einmal sagt, dann Gnade ihn Gott!", schimpft sie. Ich hebe meine Hände.
„Ok, ok. Ich hab's verstanden." Dann schmunzle ich matt, stopfe mir noch weiter Chips in den Mund und stehe auf. "Ich muss noch Unikram erledigen. Sorry Mily, aber, wenn ich das jetzt nicht mache, dann nie." Damit verkrümle ich mich in mein Zimmer.
Zwei neue Anrufe von Marga und einer von Pegy. Ich rufe nicht zurück, sondern schalte laut Musik ein. Das bittere Gefühl, das mich befällt, schlucke ich hinunter. Ich habe viel zu tun. Uni, Blog, das ganze LEBEN. Und bei ersterem muss ich jetzt wohl oder übel wieder anfangen, alles aufzuarbeiten, sonst werde ich es nicht schaffen.
Ich binde mir einen Zopf und mache mich seufzend an die Arbeit. Drei Stunden später habe ich den Großteil geschafft und es braucht nur noch ein paar Kleinigkeiten, die ich schnell noch wann anders erledigen kann. Zufrieden lasse ich mich auf mein Bett sinken und schließe die Augen. Ein bisschen ausruhen hat noch nie geschadet.
*
Ich bin wohl eingeschlafen, wie ich feststelle, als ich auf die Uhr blicke. Es ist mitten in der Nacht. Doch so oft ich es auch versuche, nach rechts rolle, wieder zurück und nach links und das öfter als ich zählen kann, ich schlafe nicht mehr ein. Also stehe ich mit einem Seufzen auf und tappe in die Küche.
Was hilft, wenn man mitten in der Nacht nicht schlafen kann? Genau, Cookies backen. Aber nicht irgendein Rezept, das weltbeste von meiner Oma. So habe ich es schon immer gemacht.
Manche trinken eine heiße Milch mit Honig, andere betäuben sich mit dem Fernseher und ich fange an zu backen. Das hilft immer.
Gähnend mache ich mich daran, die Zutaten abzuwiegen. Ich traue mich nicht Musik anzustellen, weil Mily schläft, aber das hindert mich nicht daran, ein Lied vor mir hinzusummen. Fiere N Gold von Bea Miller. Sie ist einfach die beste Sängerin.
Als ich alles habe, mache ich weiter und versuche dabei alle Gedanken, die mich bedrücken, zu ignorieren. All die, die mich womöglich noch wachhalten. Ich summe immer weiter und verrichte die monotonen Aufgaben, die ich mittlerweile auswendig kann. Als ich fertig bin, wandern die Cookies in den Offen.
Ich schüttle meine Hände aus und lehne mich an die Theke. Es funktioniert doch jedes Mal. Ich spüre die Müdigkeit, die jetzt über mich kommt und sich wie eine warme Decke um mich legt.
Als die Cookies fertig sind, schleiche ich zurück ins Bett. Und ich hätte schwören können, dass ich in dem Moment eingeschlafen bin, als mein Kopf das Kissen berührt.
*
Als ich das nächste Mal aufwache, ist es Morgen und ich hätte fast verschlafen. Mittlerweile bin ich schon in der Uni und schlendere zur Cafeteria, weil es geläutet hat. Mily winkt mir bereits von einem der Tische aus zu und ich setze mich zu ihr.
„Na, konntest du heute wen mit deinem Outfit bezirzen?", frage ich schmunzelnd und sehe wieder ihre obligatorische Micky Mouse.
„Nop. Außer du meinst den Mülleimer", kichert sie.
„Oh bitte nicht, den hatten wir schon einmal.", grummle ich und packe mein Essen aus. Ich esse gemütlich und ignoriere Mily, die neben mir lacht. Sie muss den Mülleimer lieben. Mein Blick dagegen schweift zu dem Teil am Ende der Cafeteria. Ich hasse ihn, so randvoll, müffelnd und voller ekligem Essen. Ich ziehe meine Nase hoch und esse weiter.
„Na ihr zwei." Harley kommt zu uns und stellt sein Tablett ab.
„Willst du das wirklich essen?", frage ich verwirrt, weil so gut wie niemand einen zweiten Bissen gewagt hat.
„Das ist nicht das Essen von der Cafeteria, ich benutzt nur das Tablett. Keine Sorge", lacht er. „Möchtest du etwas davon haben?" Ich stibitze mir dankend eine Pommes und esse weiter.
„Lecker!" Harley stibitzt mir ebenfalls einen von meinen Cookies, die ich heute mitgenommen habe. Dann schweift mein Blick wieder ab. Es ist viel los, auch wenn alle einen großen Bogen um die Essenstheke machen. Es ist laut und es riecht nach Harleys Essen, der sich einen Burger mitgebracht hat. Ich klaue ihm nochmal eine Pommes.
„Wow, sind die gut", kaut Harley weiter. „Ist das das Rezept deiner Oma?"
„Jap", murmele ich amüsiert. „Ich hab's dir ja gesagt."
Gerade als Derek an unseren Tisch kommt und Mily meckern will, sehe ich etwas. Meine Augen fixieren es. Mein Kopf scheint plötzlich, wie leergefegt zu sein. An einem der runden Tische, sitzt ein Mädchen mit einem Lolli in der Hand. Lolli ... ich kneife meine Augen zusammen. Was erinnerte mich an Lollis?
Es liegt wie ein Nebel über meinen Erinnerungen, aber als ich weitergrübele und dabei mein Gesicht komisch verziehe, macht es klick. Ein Lichtstrahl dringt durch den Nebel. Er verflüchtigt sich. Ich sehe es.
"Ich hab's!", schreie ich, als es mir klar wird. „Ich hab's!", juble ich und lasse mich schnell wieder auf den Stuhl sinken, als mich alle verwirrt ansahen.
„Was hast du?", will Derek wissen, der sich gegenüber von Mily niederlässt.
„Ich-der Lolli." Ich fahre mir durch die Haare. „Meine Mom hat die immer geliebt und sie mir, als ich klein war, immer haufenweise in den Mund gesteckt. Ich war machtlos." Ein Schmunzeln entschlüpft mir.
„Und was soll das jetzt bedeuten?", quetscht er mich weiter aus. Harely richtet sich auf.
„Oh Gott! Die Frau im Café hatte eine LolliHaarspange im Haar. Sie-das war eine Haarklammer oder so ..." Ich nicke und reiße meine Augen auf.
„Jap, ich glaub wir haben eine Spur", grinse ich ihn an und wäre am liebsten zusammengesackt, weil die Anspannung, von der ich gar nicht wusste, dass sie da war, von meinen Schultern sackt.
„Endlich!" Mily drückt meine Hand „Auf was wartet ihr? Los!", kreischt sie.
„Aber wir haben gleich wieder Unterricht ...", wiegle ich ab, aber Harley zieht mich einfach hoch.
„Es gibt Dinge im Leben, die einfach wichtiger sind, Bienchen!" Dann stürmen wir los.
*
Gerade als ich ins Harleys Auto einsteigen will, sehe ich es. Einen bekannten Haarschopf. Und ich weiß, ich kann nicht einfach einsteigen und so tun als wäre nichts. Dieses Mal nicht. Ich muss ein für alle Mal etwas klarstellen.
„Ich komm gleich wieder", murmle ich zu Harley, der bereits im Auto sitzt und mache mich auf zum Ende des Parkplatzes. Janick sieht mich bereits, wendet sich aber nicht ab. Sein Cape sitzt schief, seine Lippen sind gekräuselt. Ich bleib vor ihm stehen.
„Was auch immer du hier suchst. Warum du auch immer hierhergekommen bist." Ich starre ihn an. "Ich will, dass du eins weißt." Er zieht belustigt eine Augenbraue hoch.
„Dachte nicht, dich hier zu sehen, Devy", murmelt er. „Aber wollen wir mal nicht so sein. Schieß los!"
„Du bekommst keine Probleme mit mir, wir lassen das hinter uns, es ist Vergangenheit. Aber: Halt. Dich. Von. Ihr. Fern!"
„Von wem?", fragt er unschuldig und ich bohre ihm meinen Finger in die Brust.
„Das weißt du ganz genau!" Dann drehe ich mich um und laufe zurück zum Auto. „Das ist meine einzige Warnung. Wenn du sie auch nur falsch ansiehst." Ich drehe mich wieder um. „Dann kommst du nicht mehr so einfach davon, wie damals." Als ich wieder am Auto bin und einsteige, starrt mich Harley komisch an. Janick hat dazu nichts mehr gesagt und ich weiß nicht, ob ich darüber erleichtert sein soll. Ich kenne ihn nicht mehr. Habe ihn noch nie wirklich gekannt.
„Er schon wieder?", grummelt mein Sitznachbar. "Willst du mir jetzt endlich mal sagen was das zwischen euch ist?"
„Er ist ein alter Freund. Das war er zumindest." Ich fahre mir durch meine Haare und sehe aus dem Fenster. Er ist nicht mehr da. „Die Geschichte muss dir Mily erzählen. Es ist ihre", murmle ich dann, weil ich es ihm nicht sagen kann.
Er seufzt." „Ok, irgendwann werde ich es schon herausfinden, aber sag mir, wenn ich ihm eine reinhauen muss, ja?" Ich blinzle, weil Harley sich so leicht geschlagen gibt. Wir haben wohl alle keine Lust mehr auf Aufregung und Drama. Es reicht irgendwann. Also schmunzle ich.
„Keine Sorge, das bekommst du mit. Wenn es so weit ist, wird ihm die Hölle heißt gemacht." „Ich vertrau darauf, Dev!", mahnt er.
„Drauf kannst du wetten. Aber dann ist Mily am Zug und nicht wir."
Er nickte, schiebt sich seine Sonnenbrille zurecht und startet den Wagen. „Noch besser."
*
„Hallo, arbeitet die Verkäuferin mit der Lolli-Haarspange heute?", frage ich bemüht höflich, auch wenn die Frage etwas komisch klingen mag. Ich meine, wer merkt sich, welche Kollegin einen Lolli in den Haaren hat.
Die Schwarzhaarige, etwas ältere Frau mustert mich und nickt dann. „Sie meinen Clara?"
„Ähm ... ich denken schon", antworte ich, da ich nicht weiß, wie sie heißt.
„Sie ist gerade hinten, ich hol sie schnell." Damit ist sie weg und ich beeile mich, ihr noch ein schnelles Danke hinterherzurufen. Ich trete nervös von einem Bein auf das andere und Harley schlingt eine Hand um mich.
„Beruhige dich, das wird." Ich sehe zu ihm auf.
„Meinst du wirklich? Was, wenn nicht?"
Er seufzt. „Dann soll es wohl nicht sein."
Heute ist es voller als letztes Mal und ich lasse mir nochmal alles durch den Kopf gehen. Ob ich irgendetwas vergessen habe? Ich meine ... kann es wirklich etwas mit dieser Lolli-Geschichte auf sich haben, oder ist das eher ... naiv?
Ich mustere die Kollegin der Frau, die uns bedient hat und atme durch. "Hallo Clara. Wissen sie eventuell etwas um eine Sache, die hier abgegeben wurde. Ich meine einen Brief vielleicht?"
Die Frau mustert mich ebenfalls, macht dann große Augen und hält ihre Hand an die Brust. „Du bist es!" Das ist keine Frage. „Du bist, deiner Mom wie aus dem Gesicht geschnitten", raunt sie kaum hörbar, aber laut genug. Ich sehe sie verblüfft an.
"Also kannten Sie sie, und sie hat ... hat sie einen Brief bei ihnen hinterlassen?" Die Frau nickt.
„Sie war meine Kollegin. Wir waren zwar nicht allzu eng, aber von allen anderen verstanden wir uns noch am besten, sie ..." Die Frau greift nach ihrer Haarklammer. "Deine Mutter hat mir die Haarklammer geschenkt, als sie aufgehört hat, hier zu arbeiten." Ich runzle die Stirn und sie schüttelt die Hände, als wollte sie mich beruhigen.
„Du erfährst alles, wenn du ihn liest", schiebt sie hinterher und macht weiter. "Ihre Bitte war, dass ich die Spange immer bei der Arbeit trage. Verrückt was?" Sie grinst mich freundlich an.
„Haben sie noch Kontakt zu ihr und-und haben sie ihn?", flüstere ich heißer.
„Kontakt nein. Aber deiner Mom geht es bestimmt gut. Sie war schon immer ein zäher Braten." Ich gehe nicht auf ihren komischen Vergleich ein, ignoriere mein Gefühl der Enttäuschung, sondern wiederhole mich.
„Und der Brief?"
"Ach so ja," Sie wedelt mit der Hand. "Entschuldige Schätzchen, ich hol ihn sofort." Damit weht sie wieder nach hinten in den Laden und die Verkäuferin, die uns zu ihr geführt hat, zieht eine Augenbraue hoch. Als niemand etwas erklärt, kommt sie näher und deutet auf die Kuchenauswahl.
„Wollt ihr etwas? Wir müssen immerhin Geschäft machen", erklärt sie. Clara kommt und streckt mir den Brief hin, den ich federleicht in meine Hände nehme. Dann wende ich mich der anderen Frau zu.
„Nein danke. Wir haben alles was wir brauchen." Ich nehme Harleys Hand, als wir uns verabschieden und uns vom Acker machen. „Genug für heute. Einfach genug", seufze ich als wir draußen sind und spüre, wie mich ein Sog zu Boden ziehen will. Ehe ich mich versehe, hat Harley mich hochgenommen und trägt mich in Richtung Auto. Ich kralle mich fluchend an ihm fest.
„Was soll das denn?"
„Du hast gesagt es ist genug für heute und da kann ich dir nur Recht geben. Also wollen wir dich schonen", grinst er fies vor sich hin.
„Ich bin doch keine zerbrechliche Prinzessin", murre ich, schmiege mich aber an ihn.
„Ich weiß. Aber Kämpferinnen dürfen sich auch mal eine Pause genehmigen." Damit habe ich nichts mehr zu sagen. Ich kralle meine Finger um den Brief und versuche ihn nicht anzustarren. Die Handschrift, in der mein Name draufgeschrieben ist, ist mir nach all den Jahren immer noch vertraut. Das muss wohl Schicksal sein ... aber man ist ihm nicht schutzlos ausgeliefert. Trotzdem weiß ich nicht, was ich nur machen soll. Dann schließe ich meine Augen.
Genug. Genug für heute.
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