KAPITEL 16
Als meine Füße den Boden berühren und ich aus dem Auto steige, würde ich am liebsten sofort wieder umkehren, irgendwohin gehen, bloß nicht nach vorne. Nur nicht zu dem Laden, zu dem Ort, den meine Mom mir angegeben hat.
Mein Kopf schwenkt zu Harley, der die Bäckerei vor mir mustert und schließlich zerknirscht zu mir schaut.
„Wo soll denn hier ein Brief sein?", fragt er verwirrt, geht aber voran und in den Laden hinein. Ich folge ihm unsicher und schaue mich um.
Eine Bäckerei mit einem kleinen Café. Wir setzen uns. „Ich glaub, mir wird schlecht", murmle ich und fasse mir an die Brust.
„Warum? Alles gut?" Harley starrt mich an.
„Ich hab nur gerade ..."Ich deute auf die Karte. "Den Kuchen mit Marzipan, Apfel und Streusel entdeckt. Der sieht zum Anbeißen lecker aus", seufze ich grinsend.
„Hast du mich gerade verarscht?" Er muss sich ein Schmunzeln verkneifen, als ich kichere.
„Erwischt!" Dann lasse ich meinen Blick umherschweifen. Alles sieht normal aus. Wie in jedem anderen Café. „Bestell du schon mal, ich geh aufs Klo und schaue, ob da mehr zu finden ist." Ich stehe auf, lehne mich aber noch kurz zu Harley hinunter. „Du weißt ja, welchen Kuchen ich jetzt will." Kichernd gehe ich ins Klo und sehe mich um.
„Puhhh ..." Zuerst sehe ich alle Kabinen durch. Nichts. Dann betrachte ich die Waschbecken genauer. Nichts. Der Boden. Nichts. Die Lampen. Nichts. Eine Frau kommt aus der letzten Kabine und ich stürze zu ihr, um ebenfalls nachzusehen. Dabei versuche ich, dem komischen Blick der Frau auszuweichen und beiße mir auf die Lippe.
Als sie die Toilette verlassen hat, muss ich ein Lachen unterdrücken und sehe mich weiter um. Auch nichts. „Mhhhh ... überlegen, Dev. überlegen!"
Doch je mehr ich überlege, desto weniger Optionen habe ich am Schluss, denen ich noch nicht nachgegangen bin. Am Ende bleibt keine mehr übrig und ich sehe ein, dass das Klo wohl keinen Brief für mich bereithalten wird. Enttäuscht, aber gleichzeitig auch irgendwie erleichtert, schleiche ich zurück zu Harley, der mir breit grinsend meinen Kuchen und einen Cappuccino rüberschiebt.
„Perfekt. Danke." Ich fange sofort an, zu essen.
„Und, hast du was gefunden?" Er schlürft von seinem Kaffee.
„Nop." Ich seufze. „Das Klo ist es nicht. Aber ich weiß auch sonst nicht, wo der Brief sein könnte." Unruhig wippe ich mit meinen Füßen unterm Tisch.
Harley mustert mich. „Deine Mom hat hier gearbeitet beziehungsweise ihre Ausbildung gemacht. Vielleicht müssen wir hinter die Theke oder in den Laden", überlegt er.
„Ja, aber wie sollen wir da hin? Und außerdem hat sie doch bestimmt mitgedacht. Sie will ja, dass ich die Briefe finde ..." Ich esse weiter.
„Ja schon ... aber das heißt nicht, dass sie den Brief auf dem Klo verstecken muss." Ich sehe ihn böse an.
„Aber es hätte sein können", entgegne ich.
„Ja, hätte es", stimmt er mir zu. „Hat sie von irgendwelchen Kolleginnen erzählt? Ich kann mich nicht daran erinnern, aber vielleicht weißt du ja mehr", schmunzelt er.
„Nop. Keine Kolleginnen. Aber der Kuchen ist echt gut", lache ich.
„Na wenigstens etwas", seufzt er. "Wir schauen gleich nochmal."
Ich nicke stumm. Würde uns ja nichts anderes übrig bleiben.
*
Wir finden nichts. Absolut nichts. Harley sieht ins Männerklo und ich sogar nochmal in das, für die Frauen. Wir mustern die Theke und jeden Gast. Wir betrachten die Tische, bis uns alle Gäste schon komisch ansehen. Dann ist für uns die Zeit gekommen, zu gehen.
Jetzt sitze ich im Auto neben Harley und habe das blöde Gefühl, ohne den Brief, wieder fahren zu müssen. „Das gibts doch nicht", rufe ich verärgert und balle meine Hände. „Dieser verdammte Brief muss doch irgendwo sein."
„Ja, das muss er. Lass uns wann anders nochmal herfahren", versucht er mich milde zu stimmen. „Nächstes Mal haben wir mehr Glück."
„Und, wenn nicht?", frage ich, ziehe das Handy aus meiner Tasche und öffne den Blog.
Er sieht mich schief von der Seite an. „Dann hast du ein Problem weniger, und die Briefe vom Leib." Er seufzt. „Erfährst aber auch nicht die Wahrheit."
„Eben!" Ich fahre mir durch die Haare und schalte Musik am Radio ein, dann scrolle ich durch meinen Blog. Es werden immer mehr. Ich habe Mily und Harley schon offiziell als meine Assistenten angegeben und sie helfen mir sämtliche Kommentare zu bearbeiten. Wir spielen uns langsam echt gut ein. Ich überlege sogar, Derek noch weiter mit ins Boot zu nehmen. Nicht nur bei diesem einen Auftrag, um meiner Freundin unter die Arme zu greifen, sondern weil wir einfach zu wenig Zeit haben. Mal schauen was Mily nach ihrem Auftrag dazu sagen wird. Ich muss grinsen.
„Was ist so witzig?" erkundigt sich der Döner-Typ und stupst mich leicht an der Seite an.
„Ach weist du ...?" Ich zucke zusammen, als mein Handy anfängt zu bimmeln.
Like that, is pushing me harder...is pushing me harder ... Ich gehe ran. „Hallo?"
„Devy. Schön, dass ich dich erreiche. Du, sag mal, hat Mily ihr Handy verloren, oder warum geht sie schon wieder nicht ans Telefon?", erkundigt sich Marga am Telefon und ich erinnere mich an unseren letzten Besuch, der schon wieder etwas her ist.
„Ich hab keine Ahnung, aber, wenn ich wieder zuhause bin, ermahne ich sie." Ich blicke aus dem Fenster. „Und wie geht es euch so?"
„Ach es geht. Bert ist oft zu Besuch, und Pegy beschwert sich, dass sie so viel Wäsche waschen muss für ihre Enkel, weil deren Waschmaschine kaputt ist. Da helfe ich ihr jetzt dabei, deswegen ist sie heute auch da. Ich hab das Gefühl, die beiden wollen bei mir einziehen", lacht sie.
„Das ist schön und ja das könnte gut sein", kichere ich. „Du, ich komme jetzt eh bald wieder. Ich hab ..." Ich halte inne und atme durch. „... interessante Neuigkeiten."
Stille. Es knistert in der Leitung. „Ach wirklich? Muss ich mir jetzt Sorgen machen?" Ich überlege, aber Harley ist schneller und beugt sich zum Handy rüber.
„Ja, das müssen sie, Miss", antwortet er für mich. „Das nimmt Devs alles ganz schön mit."
Ich reiße das Handy weg und schiele ihn böse an. „Ach er übertreibt. Macht euch einfach bereit. Vielleicht komme ich sogar noch heute."
„Ok. Schätzchen. Vielleicht will Mily ja auch mitkommen", stichelt sie, dann wird sie leiser. „Hat sie jemanden am Haken und ich weiß nichts davon?"
Ich beiße mir auf die Lippe. "Vielleicht. Das kann gut sein." Ich denke an Derek und wie die beiden auf unserer Couch geschlafen haben.
„Oh, oh. Bitte schlepp sie mit, ich muss sie aushorchen." Jetzt lachen wir alle.
„Mach ich. Harley kommt auch mit", erkläre ich.
„Wer ist Harely?" Sie horcht auf.
„Der Typ, der vorher etwas ins Telefon gebrüllt hat", kichere ich. "Du wirst ihn mögen." Dann lege ich auf und drehe die Musik wieder etwas lauter.
„Ach ja? Ich komme mit? Wer sagt das denn?" Er zieht eine Augenbraue hoch, sein Mundwinkel, der aber leicht nach oben zuckt, verrät ihn.
„Ich sage das. Gibt es einen Grund, warum du nicht mitkommen solltest?", frage ich.
„Nein. Aber gibt es einen dafür, dass ich mitkommen sollte?", fragt er zurück.
Ich schüttle den Kopf und grinse. „Nein. Aber ich hätte dich gerne dabei. Reicht das?"
Er mustert mich. „Ich denke schon." Dann schweift sein Blick mit einem funkeln in den Augen zurück auf die Straße.
Ich denke auch. Holy shit!
*
Zuhause kümmere ich mich um Pearl und hole Mily, die murrend mitkommt. Wir bringen sie schnell auf den neuesten Stand mit der Brief-Geschichte und dem Telefonat, so dass wir wenig später zusammen ins Auto steigen.
„Scheint mir heute als würden wir eine Welt-Tournee starten", gibt Harley von sich. "Ist Derek gut nachhause gekommen?", fragt er dann und grinst verschwörerisch. Habe ich etwas nicht mitbekommen? Sag bloß Harley ist jetzt auch für die beiden ...
„Oh ja. Nachdem ich ihm einen Kinnhaken verpasst habe, wollte er schleunigst gehen", lacht sie, worauf ich eine Grimasse schneide.
„Echt jetzt, Mily?"
„War doch nur Spaß. Aber nächstes Mal könnte das wirklich passieren." Sie tippt etwas in ihr Handy.
„Okeeey." Ziehe ich lang. „Das würde ich gerne miterleben", kichere ich.
„Das lässt sich einrichten", blafft sie.
Etwas betrübt wende ich mich zu Harley. „Lass uns den Besuch einfach hinter uns bringen." Dann lasse ich mich in den Sitz sinken.
„Ach, ist das kein erfreulicher Besuch?"
„Nein, das wird es nicht", schlucke ich. „Nicht, wenn ich ihnen sage, was mich die letzten Tage beschäftigt hat und von dem sie noch gar nichts wissen."
„Ich bin gespannt."
Ich schiele ihn böse an. „Das kannst du auch gerne sein, wenn du meinst. Aber es wird unangenehm. Und wehe du deckst mir nicht den Rücken!"
„Bin ich dazu etwa verpflichtet?" Schmunzelnd zieht er wieder eine seiner Augenbrauen hoch. Die Linke, wie immer.
„Wenn du mitkommst, bist du das", erkläre ich süffisant.
„Oh, oh, worauf hab ich mich da nur eingelassen."
Mily stöhnt von hinten mit. „Ja, Devy. Ich liebe meine Eltern, aber ein Verhör? Neee, danke."
„Reißt euch zusammen. Es sind nur ein paar Stunden." Dann drehe ich Musik auf und überhöre alle anderen Worte, die die beiden eventuell ausspucken könnten.
*
Als wir aussteigen weht mir ein kühler Wind entgegen und ich ziehe meinen karierten Schal enger um den Hals und über meine Nase, die bereits rot wird.
„Das ist es?", will Harley wissen, als er neben mich tritt.
„Jap, so wahr, wie es nur sein kann", stichelt Mily. „Oder hattest du es dir anders vorgestellt?"
Der Döner-Typ antwortet nicht, sondern greift nach meiner Hand. „Ich stärke dir den Rücken."
„Zu freundlich", grinse ich. Dann sperrt Mily auf und wir begrüßen alle. Nachdem alle damit fertig sind, Harley zu verhören, auszuquetschen und kennenzulernen, wenden sie sich Mily zu. Ich nehme einen Schluck von meinem Wasser, wünsche es wäre Alkohol, wobei mir meine letzten Erinnerungen an Samstag wieder hochkommen. Deshalb verziehe ich das Gesicht und stelle das Glas schnell wieder zurück auf den Esstisch.
„Hast du einen Typen am Haken?", grinst ausnahmsweise mal Pegy und nicht Marga, die sich bestimmt zurückhalten muss.
Mily stöhnt auf. „Nein hab ich nicht. Und ich weiß auch echt nicht, wie ihr darauf kommt."
„Wirklich nicht?" Harley mustert sie frech. „Mein Freund würde ihr schon gut gefallen", erklärt er in die Runde.
„Mily, wehe du stellst etwas an, ich kenne dich", meldet sich Bert, der auch da ist, zu Wort. „Wehe du brichst dem armen Kerl das Herz."
„Wow meine Familie hält ja viel von mir." Sie steht auf. „Ich verzieh mich. Ihr kommt selbst klar?" Ich nicke ihr grinsend zu. Als sie weg ist, fallen alle Blicke auf mich. Ich seufze und reibe mir den Arm. Harley versteift sich neben mir und ich versuche, ihn anzulächeln.
„Also. Es geht um ... nun ja, fangen wir mal etwas sachte an." Ich schmunzle. "Ich habe Zuwachs bekommen."
„Das nennst du sachte? Sag bloß du bekommst ein ...?" Marga starrt mich an. Ihre Augen sind groß geworden. Sie scheint die Luft anzuhalten.
„Nein, damit meint sie eher, tierischen Zuwachs", erklärt Harley für mich.
„Genau, nicht was ihr schon wieder denkt." Ich zwinkere Bert zu, der nur amüsiert den Kopf schüttelt. „Ich hab eine Katze aufgenommen."
Ich zeige ihnen Bilder, erkläre ihnen wie es dazu gekommen ist, dann stocke ich und führe dann das große Thema aus. „So, zum eigentlichen Grund, warum ich gekommen bin." Ich seufze. Als Harley einen Arm um meine Schulter legt, atme ich durch und sehe ihn dankbar an. Seine Augen scheinen zu sprechen: Rückendeckung, worauf ich grinse und meinen Mund öffne. „Meine Mom hat sich gemeldet."
Stille. Pegy und Bert reißen ihre Augen auf. Als ich jedoch zu Marga blicke, sehe ich nichts außer Trauer. Keine Überraschung. Ich sehe genauer hin. Mich überkommt es eiskalt. "Marga?", flüstere ich aus einem Instinkt heraus.
Stille. Ich spannte mich an, als sie nichts sagt. Dann räuspere ich mich. „Ich sollte dir Bescheid geben, wenn mein Dad anruft. Jetzt ist es zwar nicht mein Dad aber ..."
„Deine Mom", vollendet sie und nickt. „Ich weiß."
„Ja und deswegen ..." Ich stocke. „Warte mal. Du weißt etwas?"
„Dass sie sich gemeldet hat", erklärt sie. Ich hebe eine Augenbraue, like Harley-style, was mich aber gerade auch nicht aufmuntern kann. Ich bin geschockt, verstehe gar nichts mehr. In meinem Inneren brodelte es und ich weiß nicht, wann der Moment gekommen ist, bis ich platze. Bis das Fass überläuft und ich etwas tue, das ich bereuen würde.
„Was? Das geht gar nicht." Ich fühle mich unwohl und knete meine Hände. Harleys Hand spannt sich an und fängt an sanft über meine Schulter zu streicheln, Ich nehme es nur wie durch einen Schleier wahr.
„Sie-Ich, Devy sei mir ja nicht böse." Sie sieht mich flehend an. „Ich hab Kontakt zu ihr gehalten. Und ... sie hat mich nach deiner Adresse gefragt. Und ..."
„Warte was?" Ich stehe auf. „Marga? Was zum ...!" Ich fahre mir durch die Haare. „Du hast Kontakt zu ihr?" Meine Lippe fängt an zu zittern. Ich fühle mich verarscht, einfach nur verarscht. All die Jahre ...
„Nein ich hatte", korrigiert sie, was es nicht besser macht. "Sie meldet sich nicht mehr."
„Und du hast mir nichts davon gesagt?" Ich hab sie vermisst, stundenlang an sie gedacht, war an dieser Bank ... Meine Hände ballen sich zu Fäusten.
„Sie wollte nicht, dass ich was sage. Sie-ich hab ihr nur immer weitergegeben, wie es dir geht und so ... nichts Schlimmes."
„Nichts Schlimmes!?", platzt es aus mir heraus. Meine Sicht verschleiert sich und ich beiße mir auf die Lippe, um nicht irgendetwas zu sagen, das ich später bereue. Meine Augen werden nass und ich blinzle mehrmals. Atmen! ... Dann sehe ich auf, als mir etwas klar wird. "Du hast ihr meine Adresse gegeben, damit sie mir die Briefe schicken kann?"
Sie sieht aus, als hätte man sie geschlagen. Dann nickt sie stur. „Ich-ich habe versucht, sie zu überreden es nicht so zu tun aber ... es war zu spät."
„Wie es war zu spät?" Ich stehe auf, fange an im Raum herumzulaufen. Alle anderen sind wie vergessen. Es gibt nur noch mich und Milys Mutter.
„Das, Schätzchen, das ..." Sie bekommt nasse Augen.
„Sag es mir!", schreie ich. Ich balle meine Hände. Ich spüre nur schemenhaft wie Harley aufsteht und nach meiner Hand greift.
"Beruhig dich", flüstert er mir ins Ohr.
Ich schüttle den Kopf, bin voll in Rage. "Ich kann nicht", knurre ich schon fast. Mein Blick fällt auf Marga.
„Sie hat sich nicht mehr gemeldet. Hat den Kontakt abgebrochen", fährt sie fort, fängt dann aber an zu weinen und springt auf mich zu. „Devy, bitte ich wollte doch nur ..."
„Nicht!", schreie ich und weiche aus. Dann fällt mein Blick auf Harley. „Hol Mily, wir fahren!"
Seine Augen blitzen traurig, er setzt sich aber in Bewegung. Ich stehe wie versteinert da. Mustere alle. Dann tragen mich meine Füße zur Garderobe. Ich ziehe mich an und stürze hinaus zum Auto.
Milys Mutter will mir nach und auch Pegy sieht so aus als würde sie aus ihrer Starre erwachen. Ich höre ihr aber nicht zu. Mily kommt verwirrt mit Harley nach draußen und steigt ins Auto.
„Dev was ist los?", will sie wissen. Ich antworte aber nicht. Harely drückt die letzte Tür des Wagens zu und fährt los. Das ist die beste Entscheidung die er seit langem getroffen hat.
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