1. Der Anfang vom Ende

„Bist du bereit für das letzte Schuljahr?", wollte meine beste Freundin Amy von mir wissen, während wir aus dem Schulbus stiegen und langsam auf das große Gebäude am Ende des Parkplatzes zusteuerten. Ihre grauen Augen musterten mich aufgeregt aber ich konnte ihre Begeisterung nicht teilen. Irgendwie hatte ich es nie geschafft, meinen Platz an der Richmond High zu finden. Wirklich schlimm fand ich das allerdings auch nicht, denn ich hatte nie den Wunsch verspürt, mich in das typische Leben an der High School einzufügen.

„Habe ich denn eine Wahl?", erwiderte ich sarkastisch und war bereits auf eine entsprechende Antwort eingestellt, als Amy ergeben ihre Hände hob. Wir hatten diese Unterhaltung schon etliche Male geführt aber unsere Ansichten waren in dieser Hinsicht einfach total unterschiedlich. Sie war der Meinung, das letzte Jahr an der High School sei etwas Besonderes, wohingegen ich einfach nur froh war, endlich diesem Wahnsinn entkommen zu können.

Wir legten ein Stück des Weges schweigend zurück und ich nutzte die Zeit dafür, mir über die Worte meiner Mutter am Vorabend Gedanken zu machen. Während des Abendessens hatte sie mir mitgeteilt, dass eine Überraschung für den heutigen Nachmittag geplant war. Details wollte sie mir zwar nicht nennen, aber ich konnte mir bereits denken, dass sie mir ihren Freund vorstellen würde. Die Trennung meiner Eltern lag schon einige Jahre zurück und ich hatte mich, so gut wie es eben ging, mit der Situation arrangiert. Ich wusste, dass meine Mutter seit einiger Zeit einen Mann traf und es ihr ziemlich ernst war. Bisher hatte ich ihn noch nicht kennengelernt aber anscheinend würde sich das heute ändern.

„Erde an Sophia Turner", riss mich Amy aus meinen Gedanken. „Hast du mir überhaupt zugehört?"

„Sorry, ich war gerade gedanklich woanders", entschuldigte ich mich und rang mir ein Lächeln ab. Ich wollte meine Freundin schließlich nicht direkt an unserem ersten Tag nach den Ferien verärgern.

„Also ...", begann sie erneut und atmete tief ein, bevor sie fortfuhr, „ich habe mir überlegt, dass wir in unserem letzten Schuljahr mal etwas Neues ausprobieren sollten. Ich weiß, die Literatur-AG liegt dir am Herzen, aber vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, um ..."

„Moment mal! Versuchst du mir gerade zu sagen, dass du unseren Literatur-Club verlassen wirst?" Ich blieb wie angewurzelt auf der Stelle stehen und starrte fassungslos in das schuldbewusste Gesicht meiner Freundin. Wir hatten den Literatur-Club vor zwei Jahren wieder ins Leben gerufen, er war unser Baby. Wir verbrachten mindestens zwei Nachmittage in der Woche dort, gemeinsam mit unseren Freunden Lauren und Jackson. Einige unserer Texte hatten es sogar in die örtliche Zeitung geschafft und nun wollte sie alles einfach hinschmeißen?

„Kurz gesagt: Ja! Ich möchte gerne zu den Schwimmern wechseln und neben den Trainingszeiten wird mir einfach die Zeit für unseren Club fehlen. Es tut mir leid."

Bevor ich etwas erwidern konnte, wurde ich jedoch plötzlich von Amy am Arm gepackt und nach hinten gerissen. Durch die unerwartete Bewegung verlor ich das Gleichgewicht und landete unsanft auf meinem Hintern. Erst da bemerkte ich den schwarzen SUV, welcher ganz knapp an mir vorbeigefahren war und in der nächsten Parklücke zum Stehen kam.

„Oh mein Gott, Sophia! Bist du okay?" Amy war neben mir in die Hocke gegangen und musterte mich besorgt.

„Ich denke schon", erwiderte ich kleinlaut und rappelte mich so schnell wie möglich wieder auf. Notdürftig klopfte ich mir den Schmutz von der Hose und wäre am liebsten im Erdboden versunken.

„Hey ihr! Wie wäre es, wenn ihr das nächste Mal nicht mitten auf dem Parkplatz stehen bleibt?" Der Fahrer des SUV schlug die Autotür hinter sich zu, schob die Sonnenbrille in seine braunen Haare und blickte herausfordernd in unsere Richtung. Als wäre die Tatsache, fast überfahren worden zu sein, nicht schon schlimm genug. Nein, zu allem Überfluss musste das Auto natürlich dem Star unserer Schule gehören. Gabriel Wright. Hohn und Spott war mir also sicher.

„Hör zu, Arschloch! Mach gefälligst die Augen auf oder hast du deinen Führerschein beim Dosenwerfen gewonnen?" Amy hatte sich neben mir aufgebaut und brüllte die Worte wutentbrannt über den Parkplatz. Völlig entsetzt zerrte ich an dem Ärmel ihrer Jacke, um sie irgendwie zum Schweigen zu bringen, aber da hatte ich die Rechnung ohne meine beste Freundin gemacht. Nun hatte es natürlich auch der letzte Schüler mitbekommen. Die Gespräche um uns herum wurden eingestellt und wir standen im Fokus der Aufmerksamkeit. Na vielen Dank auch!

Gabriel antwortete ihr nicht, sondern schüttelte nur belustigt den Kopf und wandte sich wieder seinen Beifahrern zu. Seine beiden Kumpels waren inzwischen aus dem Auto gestiegen und ihnen war unsere kleine Showeinlage ebenfalls nicht verborgen geblieben. Sie schmissen sich die Rucksäcke über ihre sportlichen Schultern und schlenderten lachend an uns vorbei, während ich immer noch das Loch im Boden suchte.

„Sag mal, musste das sein?", zischte ich Amy entgegen, als ich meine Fassung einigermaßen wiedererlangt hatte. Verstohlen blickte ich mich um, stellte aber zu meiner Erleichterung fest, dass sich die meisten unserer Mitschüler bereits wieder von uns abgewandt hatten.

„Der Schnösel hätte dich beinahe platt gefahren und du machst mich dafür dumm an?", entgegnete sie völlig außer sich, während sie ihre Aussage mit einer entsprechenden Handbewegung untermauerte.

Wahrscheinlich wäre es sinnvoller gewesen, einfach den Mund zu halten, aber ich entschied mich trotzdem dagegen. „Du hättest es einfach gut sein lassen sollen. Wegen deiner impulsiven Reaktion werden wir noch zum Gespött der Schule", versuchte ich ihr, in einem ruhigen Ton klarzumachen. Wir hatten unseren Weg mittlerweile fortgesetzt und fast den Eingang zum Schulgebäude erreicht.

„Egal wie sehr du es dir auch wünschst, du bist nicht unsichtbar, und es ist unmöglich, ein Leben lang jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen!" Amy warf mir noch einen beleidigten Blick zu, bevor sie sich von mir abwandte und schließlich in der Masse von Schülern verschwand.

Dass sie mit ihrer Aussage unwissentlich vollkommen ins Schwarze getroffen hatte, würde ich bereits sehr bald herausfinden.

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