4 - Chris
Die Schwärze lag so friedlich auf mir, dass ich sie am liebsten packen und nie mehr los lassen wollte. Ging es Jonas und Emilia jetzt so? War die Welt jetzt so friedlich und entspannt?
Doch nach und nach entglitt mir die wohltuende Dunkelheit zwischen den Fingern und die Realität traf mich langsam aber mit voller Wucht. Mein Kopf pochte, als würde ein Männchen gegen meine Hirnwand schlagen und mein Bein tat auch höllisch weh. Mühselig erhob ich mich und stellte fest, dass meine Hände sich nicht mehr in kalte Erde sondern in ein weiches Handtuch bohrten. Verwirrt öffnete ich meine Augen und kniff sie aufgrund des hellen Lichts wieder zusammen. Doch ja, es war ein Handtuch unter mir. Wer hatte es dahin getan? Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Kalter Wind fuhr mir durch die Haare und zerzauste damit mein wahrscheinlich eh schon total zotteliges Haar noch mehr. Waren die anderen noch da? Ratlos blickte ich mich und erblickte die schmale Statur von Claire, die am anderen Ende von der Plane lag. Sie lag mit dem Rücken zu mir, wodurch ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Aber ich hatte bildlich vor mir. Sie war eine echt hübsche Person und wirkte auch Interessant auf mich. Wer war das? Etwas weiter weg von ihr lag ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Er hatte schwarze Haare und war etwa genauso groß wie ich. Auch seine Statur war meiner nicht unähnlich. Wo kam er her? „Das ist Alex." Ich schreckte auf als die Stimme direkt hinter mir erklang. Matt grinste mich an, wodurch ein Grübchen an seiner Wange erstand und die Falten sein Gesicht sympathischer wirken ließen. Sein graumelliertes Haar sah ordentlicher aus als gestern und er schien hier in der Wildnis aufzublühen. In seinen Händen hielt er neues Holz, welches er auf die erloschene Feuerstelle legte. „Claire hat ihn gestern noch gefunden, als du geschlafen hast", erklärte Matt und nun sah auch er traurig aus. „Meine Güte, dass wir das überlebt haben grenzt schon an ein Wunder." Ja, es war ein Wunder. Aber dieses Wunder hatte mir meine Familie genommen. Die Trauer legte sich wieder schwer auf meine Brust und nahm mir den Atem. Am liebsten würde ich wieder losweinen und alles um mich herum vergessen. „Du darfst dich von der Trauer nicht unterdrücken lassen", mutlos blickte ich Matt an, nicht wissend, was ich dazu sagen sollte. Doch das verlangte er auch gar nicht. „Du musst jetzt stark sein, für sie. Damit du ihre Geschichte später weiter erzählen kannst." Welche Geschichte denn? Dass sie durch einen Flugzeugabsturz gestorben sind? Dass klingt nicht sehr erzählwürdig, doch da ich wusste, das Matt mir helfen wollte, nickte ich nur. „Wir sollten die anderen wecken. Es gibt noch viel zu tun." Erneut ohne eine Antwort abzuwarten, rutschte er zu Claire und rüttelte sie sanft an der Schulter. Als sie den Kopf hob und ihren Vater verschlafen ansah, zwang ich mich ebenfalls rüber zurutschen und Marie, die sich zu einer Kugel zusammen gerollt hatte, zu wecken. Es brauchte einige Anläufe ehe Marie ihre Augen öffnete und sich aufsetzte. Verschlafen blinzelte sie und fuhr sich durch das kurze, schwarze Haare. Dann starrte sie plötzlich. Was war jetzt los? Verwirrt sah ich sie an und erkannte die Wut und Empörung, die in ihr Gesicht trat.
„Du meine Güte, so kann ich doch niemals unter Menschen treten!", schrie sie plötzlich, sprang auf und fuhr sich energisch durch ihr Haar. Entsetzt sah ich sie an. „Was war jetzt los?", fragte auch Claire und Alex, der langsam erwachte, schaute sie verärgert an. „Meine Haare! Meine Kleider! Meine Nägel! Alles ist dreckig und ich stinke bestimmt furchtbar!", kreischte Marie und hüpfte auf und ab. „Ist das dein einziges Problem?", fragte ich leicht verwundert. "Ja, ist es!" "Meine Güte, was ist mit der bitte falsch?", stöhnte Alex genervt und erhob sich. Marie fuhr herum und blitzte Alex böse an. Ihre schmalen Augen waren zusammen gekniffen. "Was hast du jetzt für ein Problem?", fragte sie. "Du und dein Gezicke ist mein Problem", warf Alex ein. Claires Gesicht nahm eine leichte rote Farbe an und Matt verschränkte die Arme vor der Brust, sein Blick war nicht deutbar. Ich selber wusste nicht ganz, wie ich auf die Situation reagieren sollte. War ihr einziges Problem wirklich ihr Aussehen?
Maries Kopf wurde knallrot und sie kniff ihre schmalen Augen zusammen. "Du brauchst mich auch gar nicht so anzugucken, davor hätte nicht mal eine Maus Angst", knurrte Alex wütend. Ein Seufzer von Matt unterbrach die wahrscheinlich sehr schlagfertige Antwort von Marie. "Beruhigt euch, wir haben genug andere Probleme, die wir lösen mussen", sagte er mit ruhiger Stimme. "Zuerst kümmert sich Claire um eure Wunden.." jetzt drehte sich Alex zu ihm und funkelte den älteren Mann wütend an. "Was gibt dir eigentlich das Recht, sich hier als Boss abzustempeln?", brüllte er. Nun war auch ich etwas säuerlich, doch bevor ich meinen Senf dazu abgeben konnte, war Claire aufgesprungen.
Sie legte ihre Hand bestimmt auf Alex' Schulter. "Hör mal zu, mein Guter", ihre Stimme war streng und ihre Augen blitzten. "Wir sind alle gestresst und haben keine Lust auf das ganze. Aber das bringt uns nicht weiter, wenn wir wegen Kleinigkeiten streiten. Matt kennt sich am besten in der Wildnis aus, das hab ich dir ja schon gesagt. Deswegen wäre es am besten, wenn wir auf ihn hören. Natürlich sprechen wir auch alles ab, aber jetzt sollten wir auf ihn hören." Alex blickte Claire wütend an, doch sie sah genauso böse zurück. Die Luft schien zu knistern. Doch plötzlich erlosch die Wut aus Alex Gesicht und stattdessen nahm Entschlossenheit seinen Platz sein. Ein Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. Diese bewegten sich, doch die Worte, die er aussprach, waren für meine Ohren nicht mehr zu hören. Doch auch Claire fing das Lächeln an. "Gut", ihre Hand rutschte von Alex Schulter und sie wandte sich an uns.
"Was hat er dir gesagt?", rutschte mir die Frage aus, bevor ich sie zurück halten konnte. Diesmal lagen beide Augenpaare auf mir, halb belustigt, halb verärgert. Eine Antwort blieb mir erspart.
Einige Zeit später waren alle Wunden versorgt, die zum Glück aber nicht groß waren. Mein Bein war geprellt und die Kopfschmerzen waren inzwischen etwas geringer geworden. Matt, Alex und ich waren gerade dabei, die Toten aufzusammeln und sie in den Graben zu legen, die das Flugzeug hinter lassen hatte. Später wollten wir sie begraben und Erde über sie kippen. Marie und Claire waren unterwegs um einen Unterschlupf für uns zu finden. "Das ist das schlimmste, was ich bisher gesehen habe", unterbrach Matt meine Gedanken. Zustimmend nickte ich. "Es ist echt schlimm", meine Stimme brach als ich ein kleines Mädchen den kleinen Abhang runter gleiten ließ. "Du hast auch jemanden verloren, oder?" Nun traten mir die Tränen in die Augen und der Druck in meinem Hals wurde schlimmer. Somit brachte ich nur ein Nicken zustande, während sich meine Finger in die Erde grubben. Eine große Hand legte sich auf meine Schulter und drückte sie sanft. Ich sah auf und blickte ihn die grauen Augen. In diesem Blick lag alles, was wir nicht in Worte fassen konnten. Und das gab mir Mut. Doch aus dem Augenwinkel fiel mir etwas auf.
Ich kniff die Augen zusammen und sah an Matt vorbei. Da im Wald. Da war etwas. Ein Schatten? Von einem Menschen? Doch als ich blinzelte, war die Gestalt weg. War es eine Einbildung gewesen?
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