3 - Claire
Machtlos sah ich zu, wie der junge Mann seine Hände vor dem Gesicht zusammenschlug und das Weinen anfing. Ich fühlte mit ihm. Am liebsten hätte ich mich auch irgendwo zusammengerollt und einfach geweint. Aber das ging nicht. Diese Menschen brauchten meine Hilfe. Die ich ihnen nicht geben konnte. Total am Ende sah ich zu Matt. Normalerweise wusste ich immer, was ich zu tun hatte. Ich war Stress durch die Arbeit und das Studium gewöhnt. Doch das war gerade wirklich zu viel. Wir hatten einen verdammten Flugzeugabsturz überlebt! Dabei wollten wir doch nur meine Mutter besuchen, die uns zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Sie machte sich bestimmt jetzt total die Schuldgefühle, weil sie die Verantwortung an unserem Schicksal auf sich nahm. Wenigstens war das besagte Schicksal gnädig gewesen und ich durfte meinen Vater behalten. Dieser sah mich und meinte: „Ich werde mich um ihn kümmern. Geh du und schau, ob noch jemand überlebt hat." Nichts mehr als alles andere wollte ich mich durch den Berg toter Menschen wühlen um eventuelle Lebende zu finden. Aber gleichzeitig wollte ich Abstand zu Marie nehmen, die ihrer verstorbenen Freundin nachtrauerte. Ich hatte sie verloren. Wenn ich nur mehr gemacht hätte, wäre sie bestimmt noch am Leben. Meine Augen fühlte sich mit Tränen. Sie war nicht die erste Person, die ich verloren hatte, aber es war immer so schlimm, wie beim ersten Mal. Stumm nickte ich und erhob mich auf meine wackeligen Beine. Total mutlos lief ich an meinem Vater und Chris vorbei auf das Schlachtfeld, wie ich den Ort des Aufpralls nannte. Es sah nämlich genau wie eins. Flammen erhoben sich nach wie vorn beim Flughafen, auch wenn der Regen sie langsam löschte. Menschen lagen verteilt auf dem Boden. Bäume waren zerstört. Ich schluckte und trat hinaus. Es wurden nicht viele Menschen aus dem Flugzeug geworfen, aber alle waren tot. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und sammelte zwei Handtaschen und einen kleineren Koffer auf. Mit leeren Händen wollte ich nicht zurückkehren und wir konnten alles gebrauchen, was wir finden konnten.
Plötzlich hörte ich ein Stöhnen. Ich blieb stehen und drehte meinen Kopf in die Richtung aus der es kam. Da sah ich eine Gestalt, die versuchte ein großes Stück vom Flugzeug - sah aus wie ein Flügel - von seinen Beinen zu schieben. Es war ein Mann, mit verwuschelten schwarzen Haaren und einer Lederjacke. Mehr konnte ich aus der Entfernung nicht erkennen. Ich ließ die Taschen fallen und rannte auf ihn zu. "Halte durch, ich helfe dir", brummte ich, hockte mich neben ihn nieder und griff unter das harte Blech. Mit alter Kraft versuchte ich den Flügel hoch zu heben. Dafür musste ich meine ganzen Kräfte zusammen nehmen, meine Arme kribbelten bereits. Der Mann versuchte ebenfalls das Blech von sich zu drücken. Mit Mühe schafften wir wenige Millimeter, die er sofort nutzte und seins Beine herauszog. Gerade rechtzeitig, den meine Kräften verließen mich und die Platte krachte auf den Boden. Sofort kniete ich mich neben den Mann und konnte zum ersten Mal sein Gesicht sehen. Und es war ein hübsches Gesicht. Markante Gesichtszüge, hochsitzende Wangenknochen, schmale Lippen. Seine Augen strahlten in einem hellem Grün, was ich bisher so noch nie gesehen hatte. Tatsächlich verlor ich mich in diesen Augen, doch ich schaffte es mich loszureißen, ehe er es merken konnte. „Alles gut? Tut dir was weh?" Der Mann sah mich so wütend an, dass es mir kalt den Rücken herunter lief. „Alles gut? Das fragst du nach all dem?", fuhr er mich an und deutete auf das kaputte Flugzeug. So so, so einer ist das also. Ich hoffte tief Luft ehe ich zurückzickte: „Ja, ich frage genau deswegen! Du hast eine Kiloschwere Platte auf deinen Beinen UND hast den verdammten Absturz überlebt! Wenn du mich fragst, ist das eine sehr berechtigte Frage." Er schnaubte. „Hör mal.." „Claire." „Hör mal, Claire. Ich kenne dich nicht und wüsste nicht, wie du mir helfen kannst", finster blickte er mich. Normalerweise war ich kein Mensch, der schnell gereizt wurde, aber diese Arroganz brachte bei mir das Fass nun zum Überlaufen. „Achso, weil du mich nicht kennst, muss ich dich jetzt alleine hier liegen lassen oder was? Darf ich dir was verraten? Ich bin Krankenschwester und studiere im zweiten Semester Medizin. Mein Vater ist Biologe und hat wahrscheinlich mehr Tage draußen in der Natur verbracht, als wir alle zusammen. Ich kenne die beiden anderen nicht, aber sie haben bestimmt auch Fähigkeiten, die uns in dieser Wildnis nützlich sein könnten. Was schlussfolgern wir daraus? Es ist besser, wenn wir uns allen gegenseitig helfen statt das jeder auf sich alleine gestellt ist!"
Nach wie vor war der Blick des nach wie vor namenlosen Mannes dunkel. Doch ein leichtes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Jedoch war es kein freundliches Lächeln, sondern ließ ihn noch verbitterter aussehen. „Ich verstehe. Wir sollten uns mit fremden Menschen zusammen tun und uns hier ein nettes Leben aufbauen. Klingt prickelnd. Nur leider bevorzuge ich ein gemütliches Bett in einem Haus, wo ich nicht von kaputten Flugzeugteilen zerquetscht werde!" „Ich hab es mir nicht ausgesucht, dass wir hier mitten im Nirgendwo landen!" Wir lieferten uns ein Blickduell, den ich aufgrund der Härte in seinen Augen nicht gewinnen konnte. Aber meine Wut ebbte langsam ab und ich sah auf seine Beine. „Lass mich wenigstens deine Beine ansehen", forderte ich ruhiger. Doch er presste die Lippen aufeinander und funkelte mich an. „Nicht nötig", zischte er und erhob sich schwerfällig auf die Beine. Angespannt hielt ich die Luft an, als er noch wackelnd zum stehen kam und atmete aus, als er sich auf seinen Beinen stand. Ich wagte es nicht, ihn nochmal darum zu bitten. Wenn er mit einer Verletzung laufen wollte, sollte er es tun. „Kommst du zu uns?", fragte ich. Er zuckte mit den Achseln. „Mir bleibt ja wohl keine andere Wahl." Zu erleichtert, dass er doch zustimmte, ging ich nicht auf den gehässigen Kommentar ein, erhob mich und lief zu den Taschen, die ich vorhin hingeworfen hatte. Dabei ließ ich ihn nicht aus dem Augen, als er mir folgte und stellte erleichtert fest, dass sein Gang fest und sicher war. Ein Schutzengel hat auf ihn aufgepasst, so viel Glück hat man selten. Jedoch sagte ich nichts dazu, da ich sein Ego nicht weiter hochpushen wollte. „Nimmst du die Taschen anderer auf?", fragte er misstrauisch. „Ihre Besitzer werden sie nicht mehr benötigen", zischte ich und drückte ihm eine der Handtaschen in die Hand um eine weitere aufzuheben. „Wie heißt du überhaupt?", fragte ich anschließend. Mit zusammengekniffen Augen sah er mich an. „Alex." „Elex? Kommst du aus den Staaten?", fragte ich neugierig und schlug den Weg zurück zum Lager an. „Meine Mutter ist Britin", erwiderte er nur knapp und damit war das Gespräch beendet. Meine Güte, mit dem werden wir noch Spaß haben. Aus der Ferne sah ich schon unser provisorisches Lager. Mein Vater hatte eine Plane irgendwo gefunden und spannte sie nun zwischen zwei Bäumen, damit wir vom Regen geschützt waren. Der Mann, der den Zusammenbruch gehabt hatte, schlief nun. Er lag zusammen gekauert auf dem Boden, die Hände schützend über den Kopf gelegt. Marie saß mit zusammengezogenen Knien vor ihrer toten Freundin und sah mit leerem Blick zu ihr. Es brach mir das Herz, sie so zu sehen. Ich wandte mich ab und legte die Koffer ab. Mein Vater erblickte mich, ließ die Plane los und sah kritisch auf die Stelle, wo er sie zusammengebunden hatte. Die Grashalme hielten und er kam zu mir. „Du hast ja noch jemanden gefunden", stellte er fest und sah Alex neugierig an. Dieser erwiderte den Blick kalt. Ich seufzte. „Ja, das ist Alex. Und ich hab einige Taschen mitgebracht. Vielleicht ist da was brauchbares drin." Mein Vater nickte. „Für den Anfang wird es reichen müssen. Wir schauen sie durch und legen uns dann alle hin. Morgen sehen wir weiter." Zustimmend nickte ich, doch natürlich hatte Herr Brite da ein Problem damit. „Sehr schön, also sollen wir alle auf dem kalten und nassen Waldboden schlafen?", fragte er wütend. Mein Vater blitzte ihn. „Für eine Nacht wirst du das schon aushalten", brummte er und machte sich daran den Koffer zu öffnen. Erleichtert, dass Alex seinen Mund hielt, beugte ich mich zu ihm und gemeinsam sahen wir in den Koffer. Wie erwartet waren dort hauptsächlich saubere Kleidung, die wohl zu einem Pärchen gehört hatten. Es waren sowohl Kleider für Männer, als auch für Frauen dabei. Ich zog einen großen schwarzen Pullover heraus, den ich an Alex weiter reichte. „Hier, den kannst du drunter legen. Es wir nicht viel helfen, aber etwas." Meine Stimme klang plötzlich müde und Alex sah aus, als würde er wieder widersprechen wollte. Doch zum Glück aller griff er nach dem Pulli, legte ihn unter die Plane und ließ ich mit finsterem Gesicht nieder. Mein Vater hatte sich währenddessen eine Jacke geschnappt und redete sanft auf Marie ein. Die Worte hörte ich nicht, doch Marie griff mechanisch nach der Jacke und ließ zu, dass mein Vater sie unter ihren Körper drückte, während sie sich zusammenrollte. Ich schnappte mir ein Handtuch, welches ganz unten versteckt war und legte es behutsam auf die Schultern des schlafenden Mannes. Wecken wollte ich nicht und hoffte, die Nässe würde ihm nicht allzu sehr ausmachen.
Nun kam auch die Erschöpfung über mich. Meine Augen wurden schwer, mein Kopf pochte schmerzlich und mir fehlte die Kraft mich weiter aufzuraffen. Eine Hand legte sich auf meine Schulter und ich blickte auf. Sanft sah mich mein Vater an und reichte mir eine weitere Jacke. „Ruh dich aus, Kleines. Morgen sehen wir weiter." Stumm nickte ich und griff nach dem Kleidungsstück. Mit dem Fuß schob ich Äste und Steine beiseite, ehe ich die Jacke unter mich legte und mich wie Marie zusammenkauerte. Was ein schrecklicher Tag.
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