2 - Chris
Aus dem Augenwinkel erblickte ich Bewegungen um mich herum. Ich war nicht der einzige, der aus dem Flugzeug geschleudert worden war. Mechanisch drehte ich mich und erblickte zu meinem Entsetzen viele Körper. Davon regte sich der größte Teil gar nicht mehr. Nur wenige versuchten sich zu erheben. Ein Mann, fast direkt neben mir, kämpfte sich auf die Beine, doch er verlor so viel Blut aus der Platzwunde an seinem Kopf, dass jeder Versuch scheiterte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und erst da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jonas und Emilia! Ich sprang auf, worauf ein schriller Schrei aus meiner Kehle kam. Der Schmerz aus meinem Bein zog sich nun über meinen ganzen Körper. Er war so stark, dass ich fast wieder auf dem Boden wäre. Doch ich biss die Zähne zusammen und kämpfte mich Schritt für Schritt voran. Der Regen hatte mich bereits bis auf die Haut durchnässt, die letzte verbliebene Wärme wurde mir entzogen. Die Flammen, die außerhalb des Flugzeugs brannten, waren schon fast erloschen. Doch immer Inneren erkannte ich die heiße Röte an den Sitzen lecken. Die Angst um meinen Bruder und seine Freundin ließ mich weitergehen. Weiter zu auf die Gefahr. Im rechtzeitigen Moment wurde ich von Hinten am Arm gepackt und unsanft zurück gezogen, bevor das ganze Flugzeug explodierte. Hart landete ich auf der nassen Erde, über mir spürte ich einen schützenden Körper. Und alles bebbte. Ich hielt mir die Ohren zu, mein Herz raste und ich konnte nur daran denken, dass meine Familie gerade in mehrere Stücke zerteilt wurde. Eine gefühlte Ewigkeit später, bestimmt waren es in Wahrheit nur wenige Minuten, war es still und dass Beben hörte auf. Der Körper über mir verschwand, doch ich blieb stumm auf der Erde mit geschlossenen Augen liegen. Eine warme Hand wurde auf meinen Rücken gelegt und eine warme Männerstimme sprach: „Es ist gut, du kannst aufstehen." Doch ich wollte nicht. Ich wollte liegen bleiben und am besten komplett im Erdboden verschwinden. Mein Herz war in viele Einzelteile zerbrochen, eine tiefe Leere umgab mich. Wie hätte das passieren können? „Geht's dir gut?", fragte die Stimme besorgt. Nein, mir ging's gar nicht gut. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals als ich meine Augen öffnete und die Trümmer vor mir liegen sah. Auch sah ich ein paar schlammverdreckter Schuhe vor mir. Ich hob meinen Kopf. Ein älterer Mann mit graumelliertem Haar und besorgten grauen Augen blickte mich an. Blut lief an seiner Wange hinab, wo ich einen tiefen Kratzer vermutete. Seine Kleidung, bestehend aus einem grün-grauen Karohemd, einer dunklen Weste und einer schwarzen Jeans, war voller Schmutz und an seiner Schulter klaffte ein Loch, durch das frisches Blut floss. Tiefe Furchen zogen sich über sein kräftiges Gesicht. Er sah so mitgenommen aus, wie ich mich fühlte. Wortlos reichte er mir eine Hand. Ich entzog meine eigenen von meinen Ohren und griff nach der großen Hand des fremden Mannes. Sie war rau, aber kräftig als er mich auf die Beine zog. Sofort schoss ein stechender Schmerz durch mein Bein, der mir die Farbe aus dem Gesicht schickte und mich fast wieder auf die Knie zwang. Doch der Mann griff rechtzeitig unter meine Achsel und hielt mich fest. „Langsam", murmelte er sanft. Wie eine Schnecke stand ich auf und verlagerte mein Gewicht auf das unverletzte Bein. „Komm, wir gehen bisschen weg. Da können wir uns deine Wunden ansehen." Mein Kopf war zu vernebelt um das „Wir" zu verstehen. Widerstandslos ließ ich mich von dem Fremden führen. Dabei ließ ich den Kopf hängen und sah stattdessen auf den Boden. Ab und zu erschien eine Hand oder ein Fuß in meinem Blickfeld. Schon bald sah ich grünes Gras unter meinem Füßen und hörte Stimmen. Müde hob ich meinen Kopf. Ich sah eine blonde Frau, die über einer zusammengekauerten Person saß und etwas auf ihr Bein drückte. Eine dunkelhaarige Asiatin stand neben ihr und schrie der Blonden etwas zu. Was geschah da? Als der Fremde das sah beschleunigte er seine Schritte, was dazu führte, dass ich fast stolperte. „Bitte tu doch was!", schrie die Asiatin, die Tränen flossen wie ein Fluss über ihr Gesicht. Der Mann ließ mich auf den Boden gleiten und eilte zu der Blonden. Erst da sah ich, wie sie ein Tuch gegen die Wunde an dem Bein der auf den Boden liegenden Frau drückte. Ihr dunkles Gesicht war bereits total blass, die Augen waren geschlossen. Das Blut tränkte das Tuch bereits rot, was darauf schließen ließ, dass sie nicht mehr lange machen würde.
Ich lehnte mich an einen Baum, der Regen prasselte nach wie vor auf uns herab. Kraftlos schloss ich meine Augen. Ich versuchte alles um mich herum auszublenden, doch die Kälte war zu intensiv und die verzweifelten Rufe der Asiatin zu laut. Ich biss mir auf die Lippe, doch das half mir leider nicht aus diesem Albtraum aufzuwachen. „NEIN!" Ich riss meine Augen auf. Die blonde Frau, die kaum älter als ich sein konnte, strich sich mit den blutigen Händen eine Strähne aus dem Gesicht, ihre wunderschönen himmelblauen Augen waren getrübt vor Trauer. Der Mann legte ihr eine Hand auf die Schulter, wie er es bei mir gemacht hatte. Auch er sah traurig aus. Die Asiatin hatte sich in die leblosen Arme der auf dem Boden liegenden Person geworfen und weinte fürchterlich. Ich fühlte mit ihr. Jonas und Emilia waren ebenfalls tot. Mit Mühe konnte ich die Tränen zurückhalten, die aus meinen Augen treten wollten. Vor diesen fremden Menschen wollte ich wirklich nicht weinen. „Es tut mir so leid", flüsterte die Blonde. Ihre Stimme klang gebrochen. „Du hast getan, was du konntest", versuchte der Mann sie zu trösten. In diesem Moment sprang die Asiatin auf und fauchte: „Sie ist tot und das ist alles deine Schuld!" Mit offenem Mund sah die Blonde sie an, unfähig etwas darauf zu erwidern. „Sie hat versucht zu helfen!", verteidigte der Mann sie und funkelte die Frau böse an. „Claire kann auch nichts dafür, dass wir abgestürzt sind und ohne medizinische Hilfe zurecht kommen müssen!" Claire hieß sie also. Ich wusste nicht warum, aber das war die einzige Information, die gerade bei mir durchsickerte. Claire. Ein schöner Name. „Du hast sie sterben lassen!", fuhr die Asiatin fort und diesmal raffte sich Claire zusammen. Ihr blauen Augen funkelten und ihre schmalen Lippen waren vor Trauer und Wut zusammengepresst. „Ach schön, dann hätte ich die ganzen Reanimationversuche gleich lassen können! Ich bin auch nur ein Mensch, Marie, und kein allmächtiger, der alles kann!" Mit diesen Worten stand sie auf und trat zu mir. Von nahem konnte ich ihr Gesicht besser sehen. Sie hatte ein schmales Gesicht, mit einer kleinen Nase und runden Augen. Ihre Augenbrauen waren ordentlich gezupft und die blonden Haare waren zu einem unordentlich Dutt zusammen gebunden. Auch an ihr waren die Spuren des Unglücks zusehen. Ihre Hände waren blutig, ein blauer Fleck zierte ihre Nase und ihre Kleider, eine Jogginghose und ein grauer Hoodie, waren ebenfalls verdreckt und blutig. Aber sie schien keine ernsthaften Verletzungen zu haben. Sie hockte sich neben mich und griff nach meiner Hand. Reglos sah ich zu, wie sie geschickt mit zwei Fingern nach meinem Puls suchte und mir dabei in die Augen sah. „Hallo du. Ich bin Claire und wie heißt du?", fragte sie mit ruhiger Stimme. „Chris", brachte ich mit kratziger Stimme hervor und selbst dieses eine Wort zerrte sehr an meinen Kräften. „Gut, Chris. Ich bin Krankenschwester und würde mir gerne deine Wunden ansehen. Zumindest würde ich versuchen sie so gut wie möglich ohne jegliche Ausrüstung zu versorgen." In diesem Moment aktivierte sich in meinem Kopf ein Schalter um. Jetzt erst fing ich an zu realisieren, was passiert wir. Oh mein Gott.
Wir waren abgestürzt. Ich wurde aus dem Flugzeug geschleudert. Mein Bein tat weh. Neben mir heulte ein fremdes Mädchen um ihre tote Freundin. Die Krankenschwester Claire wollte meine Wunden versorgen. Und am schlimmsten. Jonas und Emilia sind tot. Diesmal konnte ich meine Gefühle nicht zurückhalten. Ich schlug meine Hände vor dem Kopf zusammen und ließ den Tränen freien lauf.
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