Kapitel 18
May 15, 2010
Kates Wohnung
Sacramento, CA
Während das Team seit zwei Wochen an dem Red-John-Fall und an eigenen Fällen arbeitete, stand ich unter Schutzgewahrsam. Ich durfte nicht alleine meine Wohnung verlassen, nicht alleine einkaufen oder spazieren gehen und auch nicht alleine zum CBI gehen. Die zwei Agents, die sich um meine Sicherheit kümmerten, hielten Abstand zu mir, doch waren sie stets da.
Madeleine Hightower hatte mir zunächst den Druck mit dem Vertrag abgenommen. »Wir kümmern uns erst einmal um Ihre Sicherheit, und dann sehen wir weiter«, hatte sie gesagt und aufmunternd gelächelt; auch wenn es nur ein leichtes, eher formelles Lächeln gewesen war.
Lisbon hatte mich immer wieder nach Hause geschickt, als ich im Büro erschienen war, um ihr meine Hilfe anzubieten. Doch ich konnte nicht einfach in meiner Wohnung bleiben und abwarten, bis irgendetwas geschehen würde. Um ehrlich zu sein, jagte mir der Gedanke, dass Red John direkt neben mir gestanden hatte und mir kein Haar gekrümmt hatte, Angst ein, denn Jane hatte recht – er wartete nur auf den richtigen Moment, um mir etwas antun zu können.
Als ich vor einigen Tagen wieder im Büro auftauchte, traf ich auf Kristina Frye, ein angebliches Medium, welches Kontakt zu Toten aufnehmen konnte. Sie und das Team hatten bereits an einem Fall zusammengearbeitet und ich merkte, dass Jane sich etwas anders in ihrem Umfeld verhielt. Natürlich stichelte er die Frau, da er Hellseherei für totalen Unfug hielt, doch gleichzeitig bemerkte ich, dass es nur seine Maskerade vor, um seine wirklichen Gefühle ihr gegenüber zu verstecken. Ich wusste nicht, ob er sie einfach nur nett fand oder vielleicht sogar etwas in sie verliebt war, doch was es auch war, ich konnte die Frau nicht sonderlich leiden.
»Sie müssen Kaitlyn Moore sein«, hatte sie mich auf dem Flur angesprochen, als ich gerade auf dem Weg zum Fahrstuhl war.
Verwundert hatte ich mich umgedreht und die Frau mit den rot-blonden, lockigen Haaren gemustert. »Und Sie sind?«
»Kristina Frye«, sie reichte mir die Hand und ich schüttelte sie, »ich helfe Patrick und dem Team bei einem Fall.«
»Patrick?« Fragend hob ich meine Augenbraue.
»Ja. Er hat mir einiges über Sie erzählt.«
»Und das wäre?« Meine Haltung hatte sich augenblicklich angespannt und, ohne dass es mir bewusst war, hob ich mein Kinn.
»Sie sind eine Profilerin, kommen aus Washington …«
»Ja, das ist richtig«, gab ich kühl zurück. Ich wusste nicht, was es an ihr war, was mich störte, doch hatte sie so eine gewisse Ausstrahlung, die bei mir keine Sympathie hervorrief.
»Sie haben jemanden verloren«, sagte sie auf einmal. Sie schwieg einen Moment, als musste sie überlegen. Ihre Augen waren mit einem stechenden Blick auf mich gerichtet. »Ihre Eltern. Sie haben Ihre Eltern vor einigen Jahren verloren. Genau genommen waren es Ihre Adoptiveltern.«
»Jane hatte kein Recht, Ihnen das zu erzählen«, erwiderte ich mit finsterer Miene.
»Oh, nein. Er hat es mir nicht erzählt. Ich bin ein Medium. Ich nehme Kontakt zu den Toten auf und Ihre Eltern wollen, dass ich Ihnen sage, dass Sie unfassbar stolz auf Sie sind.«
Mein Herz verkrampfte sich, doch war es nicht, weil mich ihre Worte rührten. Mich verletzte der Gedanke an meine Eltern, doch war in diesem Moment meine Wut größer. »Nichts für ungut, Miss Frye, aber ich halte rein gar nichts von diesem Hellseher-Mist. Wie Sie richtig gesagt haben, bin ich Profilerin. Ich befasse mich mit Fakten und Tatsachen. Mit der Wissenschaft und der Psyche. All das, was Sie vertreten, fällt unter Betrug und Schwindel. Einen schönen Tag noch.«
Und dann hatte ich sie im Flur stehen gelassen und war mit dem Fahrstuhl nach unten gefahren. Das sollte das erste und das letzte Mal gewesen sein, dass ich sie persönlich traf. Das einzige, was ich von ihr noch sah, war eine Nachrichtenshow. Eigentlich war es nur Zufall gewesen, dass ich den Fernseher angeschaltet hatte. Mir war langweilig, ich hatte nichts Besseres zu tun.
»Wir reden heute mit dem bekannten Medium Kristina Frye. Sie ist auf der Jagd nach der Bestie, die wir unter dem Namen 'Red John' kennen«, sprach die Moderatorin.
»Er ist keine Bestie, Jackie. Er ist ein Mensch«, erwiderte Kristina ruhig. »Und auch wenn er furchtbare Taten begangen hat, ist Rettung immer noch möglich für ihn wie für uns alle.« Da beugte sie sich nach vorne und sah direkt in die Kamera. »Red John, falls Sie uns jetzt zusehen sollten, kann ich Sie nur inständig bitten – suchen Sie sich Hilfe! Sie können sich ändern.«
Sofort sprang ich auf und rannte zur Wohnungstür, vor der die zwei Agents standen, die mich beschützen sollten.
»Ich muss sofort ins Büro und mit Lisbon sprechen«, sagte ich.
»Tut mir leid, Agent Moore, doch das ist nicht möglich«, meinte einer der beiden. »Sie dürfen Ihre Wohnung nicht verlassen.«
»Seit wann?«
»Seitdem es neue Hinweise darauf gibt, dass Red John wieder mordet. Gestern Nacht wurde eine Leiche gefunden. Bis nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um einen Nachahmer handelt, müssen Sie in Ihrer Wohnung bleiben.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, scheuchte er mich zurück in meine Wohnung und schloss die Tür.
Sofort ergriff ich mein Handy und rief bei Lisbon im Büro an.
»Lisbon«, erklang die ernste Stimme der Frau, kaum hatte sie abgenommen.
»Lisbon, hier ist Kate.«
»Moore, was kann ich für Sie tun?«
»Ich hab das gerade mit Kristina Frye gesehen. Wir beide wissen, dass Sie nun zum Ziel für Red John wird. Eine der Agents von meiner Tür sagte mir, dass es einen weiteren Mord gab, der höchstwahrscheinlich ebenfalls auf Red John deutet.«
»Jane meint, es wäre nur ein Nachahmer«, erwiderte Lisbon, »und wegen der Sache mit Kristina Frye – darum kümmert sich Hightower. Laut Jane verzichtet Frye allerdings auf Schutzgewahrsam.«
»Und das lassen Sie so durchgehen?«, gab ich spitzer zurück, als beabsichtigt.
»Wie gesagt, Hightower kümmert sich darum. Und außerdem – sollte sich der Betroffene gegen polizeilichen Schutz weigern, können wir nichts dagegen tun. Wir sind nicht verpflichtet, Einheiten zur Verfügung zu stellen, vor allem nicht, wenn nicht zu hundert Prozent klar ist, dass sich die Person in Gefahr befindet.«
»Dann würde ich auch bitte darauf verzichten«, meinte ich.
»Bei Ihnen ist es etwas anderes – Sie sind offensichtlich von Red John ins Visier genommen worden.«
»Red John hat bisher keine Anstalten gemacht, mich ernsthaft verletzen zu wollen. Hätte er es gewollt, hätte er es bereits getan. Ich denke nicht, dass ich auf seiner Abschussliste stehe – Kristina Frye jetzt schon. Ich kann nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen und abwarten, bis irgendetwas geschieht.«
»Da haben Sie recht Moore, denn Sie werden und müssen zu Hause sitzen und abwarten, und das solange, bis wir wissen, ob sie in Gefahr sind oder nicht. Darüber werde ich nicht mit Ihnen diskutieren. Und denken Sie nicht einmal daran, etwas Dummes anzustellen!«
Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte Lisbon bereits aufgelegt. Mit einem frustrierten und genervten Seufzen schmiss ich mein Handy auf die Couch und fuhr mir durch die Haare. Ich könnte versuchen, hier herauszukommen, doch würde es mir nichts bringen. Wenn Jane sagte, dass es sich um einen Nachahmer handelte, dann war es auch so. Ich brauchte keinen Fake-Red-John zu verfolgen, allerdings wusste ich, dass der echte bald auftauchen würde. Er würde es nicht auf sich beruhen lassen, dass Kristina Frye ihn öffentlich so bloßgestellt hatte.
Ich wartete einige Zeit ab, unsicher, was ich nun genau tun sollte. Letztendlich entschied ich mich, Cho anzurufen.
»Kimball Cho«, erklang kurz darauf die monotone Stimme des Agents.
»Cho, hier ist Kate. Ich brauche unbedingt einige Informationen zum Fall.«
»Warum?«
»Weil ich sonst wahnsinnig werde.«
»Ich denke, dass sind Sie schon, also kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.«
Es klang fast so, als würde er in der nächsten Sekunde auflegen, weswegen ich ein lautes »Hey, warten Sie!« in den Hörer brüllte. »Ich weiß, dass ein Nachahmer Ihre Morde ausführt, aber ich denke, dass der echte Red John ebenfalls bald auftauchen wird.«
»Das ist er bereits«, meinte Cho zu meiner Überraschung.
»Wie -«, setzte ich perplex an, doch wurde ich da bereits unterbrochen.
»Wir haben die Leiche der Frau gefunden, die Kristina Frye interviewt hat. Es war eindeutig Red John.«
Ich schwieg kurz. Meine Gedanken überschlugen sich. Es war bereits zu spät. Red John war wieder im Spiel.
»Und was nun?«, fragte ich.
»Wir haben Kristina Fryes Haus mit Cops umstellt, Van Pelt ist bei ihr. Wir arbeiten momentan an zwei Fällen. Kristina Frye ist nicht meine Zuständigkeit.«
»Könnten Sie mir die Akte und die Hinweise zusenden?«
»Wovon?«
»Von beiden Fällen. Ich habe eine leise Vorahnung.«
»Was für 'ne Vorahnung?«, verlangte Cho sofort zu wissen.
»Glauben Sie, Red John wird es gefallen, dass irgendjemand seine Arbeit kopiert? Red John ist ein Meister seines Werkes. Er hat nicht einmal Schüler, wie andere Serienkiller seiner Art, denen er seine Technik beibringt. Dass jemand so billig seinen Vorgang und seine Morde kopiert, wird ihm also keineswegs gefallen.«
»Sie glauben, er wird sich an dem Nachahmer rächen«, stellte Cho fest.
»Ich glaube, er wird versuchen, ihn auszuschalten, ja. Red John ist offensichtlich wieder da. Er wird nicht nur versuchen, Kristina Frye von ihrem hohen Ross zu holen, sondern auch noch denjenigen bestrafen, der sich als ihn ausgibt.«
Es folgte Stille. Ich wusste, dass Cho nachdachte und wahrscheinlich sogar einsah, dass ich recht hatte.
»Ich werde Ihnen die Akten schicken und Lisbon von Ihrer Theorie erzählen.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nur eine Theorie ist, Cho«, erwiderte ich. »Ihr solltet etwas unternehmen, bevor es zu spät ist.«
Auch wenn er nichts sagte und im nächsten Moment sogar auflegte, wusste ich, dass er mir zustimmte. Ich holte meinen Laptop und wartete darauf, bis Cho mir die Beweise und Akten zuschickte. Kaum waren sie angekommen, sah ich mir die Tatortfotos an. Ich verglich die beiden von der Moderatorin und von der Studentin, die Marley Sparrow hieß.
Wenn man genauer hinsah, konnte man tatsächlich erkennen, dass sie sich unterschieden. Es fehlten zum Beispiel die mit Blut bestrichenen Fingernägel, ein Detail, welches nicht der Presse bekannt gewesen war und so auch bei der Nachahmungstat fehlten. Dennoch halfen mir die Bilder nicht unbedingt, um Red Johns nächsten Schritt herauszufinden, weswegen ich frustriert meinen Laptop schloss.
'Abwarten und Tee trinken' wäre ein Slogan, der zu Jane passen würde. Mir allerdings brachte die ewige Ungewissheit nur Unruhe und Ungeduld.
May 16, 2010
Kates Wohnung
Sacramento, CA
Als Cho mich am nächsten Tag anrief und mir mitteilte, dass Kristina Frye verschwunden war, wusste ich, dass es bereits zu spät war. Red John hatte sie, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie tot war, war äußerst hoch. Er sagte mir auch, dass er mit Lisbon gesprochen hatte, diese jedoch zurzeit keine Gemeinsamkeiten zwischen Kristina Frye und ihrem aktuellen Fall sah. Solange es keine Beweise oder Hinweise gab, war es reine Spekulation.
Während vor meiner Haustür nach wie vor zwei Männer des CBI standen, blieb ich in meiner Wohnung und wartete auf die nächsten Informationen. Hightower hatte den Fall mit Kristina an die Einheit für Vermisstenfälle weitergegeben und Lisbon und ihr Team hatten einen Verdächtigen im 'Marley Sparrow'-Fall – Wesley Blankfein, auch Grady Shipp genannt. Dieser war jedoch verschwunden. In seiner Wohnung hatte man eine Art Schrein gefunden mit Bildern von Marley, in denen er sich reingeklebt hatte, so dass es aussah, als wäre er überall mit Marley unterwegs gewesen. Ein klarer Hinweis für Obsession und Stalking.
Cho hatte mir noch Bilder von einem Objektivdeckel geschickt, der vor einer Lagerhalle gefunden wurde, in welcher an den Wänden rote Smileys mit Schweineblut gezeichnet worden waren. Ein bisher unbekannter Täter hat vom Dach aus versucht, Rigsby und Cho zu erschießen – und das klang eindeutig nicht nach Red John.
Wer auch immer der Nachahmer war, der Objektivdeckel hatte etwas damit zu tun und auch der theatralisch angefertigte Schrein, auf dessen Spiegel ebenfalls ein Smiley gezeichnet worden war. Ich konnte keine Obsession in Hinsicht auf Red John ausmachen – dieser Mörder hatte seinen Tathergang nicht aus Respekt und Hochachtung kopiert. Dafür fehlten die wichtigen Details, die man als Nachahmer hätte wissen müssen. Auch dass in der Lagerhalle Schweineblut verwendet worden war und dazu noch in übertriebener Anzahl die roten Gesichter an die Wände gezeichnet worden waren, deutete definitiv nicht auf einen Bewunderer hin. Im schlimmsten Fall war alles nur gestellte Szenerie mit, unglücklicherweise, echten Opfern, die dazu diente, um unser Team zu ködern.
Cho hatte mir erzählt, dass die Mutter des verdächtigen Wesley Blankfeins verschwunden war, jedoch hatten sie keine Leiche ausfindig machen können. Wenn sie also tot war und Wesley ihr Mörder gewesen wäre, dann hätte man ihren leblosen Körper irgendwo finden müssen; immerhin gab Blankfein sich ja als Red John aus, weswegen es nicht ins Schema passen würde, sollte nur Marley getötet worden, aber seine Mutter von ihm entführt worden sein.
Was auch immer hier vor sich ging, ich konnte keine Verbindungen und Schlüsse ziehen. Dabei war ich mir doch so sicher, dass Red John, der echte Red John irgendetwas hiermit zu tun hatte.
Ich ging noch einmal all die Hinweise durch, als auf einmal mein Postfach klingelte. Ich hatte eine neue Nachricht erhalten, die allerdings keinen Absender anzeigte. Auch im Betreff stand nur »Für Kaitlyn«.
Verwundert zog ich die Stirn in Falten und öffnete die E-Mail. Mein Laptop alarmierte mich nicht, dass es sich eventuell um eine bedrohliche Nachricht handeln würde, weswegen ich zunächst nicht beunruhigt war. Doch kaum öffnete sich die E-Mail, las ich in großen Buchstaben die Überschrift:
DIE WAHRHEIT
Darunter war ein Ordner angehängt worden, den ich zögerlich herunterlud. Dann öffnete er sich automatisch auf meinem Bildschirm und zum Vorschein kamen verschiedene Audiodateien und Dokumente mit entsprechenden Datierungen. Ich klickte das erste Dokument an und sofort setzte mein Herz aus, als ich realisierte, worum es sich handelte. Es war eine Kopie eines Chatverlaufes zwischen Teresa Lisbon und Aaron Hotchner.
Meine Augen erfassten jede einzelne Zeile und mit jedem Wort verkrampfte sich mein Herz umso mehr.
26. März 2009, 12:27 Uhr
Abs. Aaron Hotchner, BAU Unit Chief
Sehr geehrte Teresa Lisbon,
mein Name ist Aaron Hotchner. Ich bin Unit Chief der Behavioral Analysis Unit in Quantico. Wir haben bisher noch nicht miteinander zu tun gehabt, allerdings habe ich bereits einiges von Ihnen und vor allem von Ihrem Berater gehört.
Ich weiß nicht, wie ich am besten die folgenden Zeilen formulieren soll, deswegen versuche ich es einfach:
Ein Mitglied aus meiner Einheit ist zurzeit ich psychischer Betreuung. Genauer gesagt befindet sie sich seit knapp einem Jahr aufgrund einiger Vorfälle in einer psychiatrischen Klinik. Alle Versuche, ihr bei ihrem Traumata zu helfen, schlagen fehl. Sie lässt sich nicht auf die Psychologen ein und weigert sich, psychologische Hilfe anzunehmen.
Ihr Name ist Kaitlyn Moore. Sie ist eine ausgezeichnete Agentin, die zunächst beim FBI und nun bei der BAU gearbeitet hat.
Sie fragen sich sicherlich, warum ich das gerade Ihnen schreibe. Nun ja, wie gesagt habe ich von Ihrem Berater gehört, der ein paar fragwürdige, aber vielleicht auch hilfreiche Anwendungstricks hat. Ich glaube und hoffe, dass er meiner Agentin helfen könnte.
Ich warte auf Ihre Antwort!
Hochachtungsvoll,
Supervisory Special Agent Aaron Hotchner
Allein diese Nachricht ließ meinen kompletten Körper verkrampfen und all meine Gedanken kreisen. Hotch hatte diese E-Mail einige Wochen vor meiner Entlassung aus der Klinik geschrieben.
Lisbons Antwort war nicht besonders interessant, auch der folgende Austausch nicht, weswegen ich mit zitternden Händen die Audiodatei anklickte. Es war ein Telefonat zwischen Lisbon und Hotch vom 31. März 2009.
»Aaron Hotchner, wie kann ich Ihnen helfen?«, erklang die Stimme meines einstiges Bosses, die ich bereits seit einigen Monaten nicht mehr vernommen hatte.
»Agent Hotchner, hier ist Teresa Lisbon vom CBI. Wir hatten miteinander geschrieben.«
»Agent Lisbon, Schön, dass Sie anrufen. Das vereinfacht die Dinge etwas.«
»Ich habe Sie auf laut geschaltet. Mein Kollege wollte persönlich mit Ihnen reden, um Ihnen einige Fragen zu stellen. Ich bin nur hier um zuzuhören und alles zu überwachen. Sie müssen sich eingestehen, dass Ihre Anfrage höchst ungewöhnlich ist.«
»Wir haben's hier auch nicht mit einem gewöhnlichen Fall zu tun, Agent Lisbon«, gab Hotch zurück. Seine Stimme war nicht kühl, jedoch auch nicht erfreut. Er wirkte sogar etwas verzweifelt und unruhig.
Stille folgte, dann raschelte es, und im nächsten Moment erklang eine Stimme, die alles in mir versteinern ließ.
»Agent Hotchner, mein Name ist Patrick Jane. Sie haben mich um meine Hilfe gebeten.«
»So ist es, Mr. Jane. Ich hörte von Ihren … Fähigkeiten, wenn man es so ausdrücken darf.«
»Sollten Sie etwas von dem Hellseher-Schwachsinn gehört haben, muss ich Sie leider enttäuschen. Das war nur Show gewesen«, erwiderte Jane.
»Ich rede von Ihren Hypnose-Fähigkeiten, Mr. Jane, und Ihrem Spürsinn, herauszufinden, was die Leute quält und was Ihre tiefsten Geheimnisse sind. Das war doch keine Show, oder?«
»Nein, das war keine Show. Doch wüsste ich nicht, wie Ihnen das helfen könnte.«
Ich hörte Hotch tief durchatmen, ehe er zu sprechen begann: »Kaitlyns Ärzte meinten, dass etwas aus ihrer Vergangenheit sie belastet, woran sie sich jedoch nicht mehr erinnern kann. Das und die Fälle, die wir vor einem Jahr bearbeitet haben, haben das Traumata hervorgerufen. Wir alle tragen unsere Narben und unsere Lasten, doch was Kate in den letzten Jahren ertragen musste, wiegt schwerer als viele andere Dinge. Ich hatte gehofft, dass Sie herausfinden können, was sie belastet. Erst dann können wir das Problem angehen. Sie ist eine ausgebildete und ausgezeichnete Agentin. Die Ärzte werden Ihnen ihre Diensttauglichkeit bestätigen. Allerdings gibt es bestimmte Fälle, die dieses Trauma erneut hervorrufen können, weswegen sie mit äußerster Vorsicht behandelt werden muss. Sie sind kein Psychologe, Mr. Jane. Was auch immer Sie anstellen, um die Wahrheit aus Leuten herauszubekommen – genau das ist das, was Kate braucht. Ich werde ein Empfehlungsschreiben verfassen und es Ihnen zukommen lassen, Agent Lisbon. Ich verspreche Ihnen, dass Sie es nicht bereuen werden. Allerdings muss ich Sie um Ihre Diskretion bitten. Niemand darf herausfinden, was Kates wahrer Grund für Ihren Aufenthalt in Sacramento ist. Nach außen hin wollen wir die Beziehung zwischen dem CBI und der BAU stärken, doch in Wahrheit will ich, dass Ihr geholfen wird.«
»Sie wollen also, dass ich eine instabile Agentin in meinem Team aufnehme?«, fragte Lisbon fassungslos.
»Sie müssen sie nicht in Außeneinsätze mitnehmen. Sie kann auch nur eine beratene Funktion übernehmen. Doch ich verspreche Ihnen, dass Kate nicht das Leben anderer Leute gefährdet, sondern im schlimmsten Notfall nur ihr eigenes. Selbst die Ärzte meinten, dass sie trotz ihrer psychischen Belastung nur sich selbst eine Gefahr darstellt. Sie können immer noch ablehnen, doch wäre ich Ihnen äußerst verbunden und unendlich dankbar, wenn Sie Ihre Hilfe anbieten würden.«
Es folgte kurze Stille, ehe es erneut raschelte und Janes Stimme lauter erklang, als hätte er den Hörer direkt an sein Ohr gehalten: »Wir werden Ihnen unsere Hilfe zukommen lassen, Agent Hotchner. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«
Und dann hatte er aufgelegt.
Ich schnappte nach Luft. Hotch hatte mir ins Gesicht gesehen und mir gesagt, ich wurde vom CBI angefragt worden sein, um das Band zwischen BAU und CBI zu verstärken, und nun entpuppte sich all dies als ein Schwindel. Es war nur eine Masche gewesen, um mich zu resozialisieren, um meine 'Probleme' zu ergründen und sie zu beseitigen. Und Jane sollte dabei derjenige sein, der genau dies tun sollte.
Da fiel es mir wie ein Schatten von den Augen – er hatte es mit jedem Atemzug, den wir allein gewesen waren, versucht. Er hatte mich nach meiner Familie gefragt, mich gefragt, was auf mir lastete. Er hatte versucht, mich zu hypnotisieren, mir eine neue Wohnung besorgt, um mich wieder ins gesellschaftliche Leben zu bringen.
Er hatte es versucht, und auch wenn er gescheitert war, so war allein dies ein schmerzhafter Verrat an mich und mein Vertrauen.
Er hatte sich mir nur angenähert, um Hotchs Anweisung nachzugehen.
Während mein Schädel brummte und meine Gedanken sich drehten und überschlugen, verschwand auf einmal der Ordner, der mir gesendet worden war. Ich hatte nicht einmal reagieren können, um dies aufzuhalten. Doch im nächsten Moment öffnete sich wie von selbst ein Fenster auf meinem Bildschirm und dann startete ein Video. Es war eine Aufzeichnung aus einem dunklen Raum, der wie ein verlassenes Restaurant oder Hotel aussah. Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Gestalt erkannte, die mit Klarsichtfolie gefesselt auf einem Stuhl saß – es war Patrick Jane.
Da erschien eine maskierte, schwarze Gestalt neben ihm, die ich kaum erkannte, weil sie mit Dunkelheit verschmolz. Sie beugte sich hinunter zu Jane und sagte etwas mit einer seltsamen Stimme, was klar und deutlich verstand:
»Tiger, Tiger, Flammenpracht,
in der Wälder dunkler Nacht:
Welcher Schöpfer, welcher Gott
schuf dich, der Angst gebiert und Tod?«
Diese Worte jagten mir einen Schauer den Rücken hinunter, doch noch viel eher war es die Tatsache, dass ich wusste, wer dort stand – Red John.
Kaum hatte er dieses Gedicht aufgesagt, verschwand er im Dunkeln, und ich hörte Jane laut aufatmen. Doch nur kurz konnte er sich beruhigen, denn dann berührte ihn auf einmal eine behandschuhte Hand von der anderen Seite.
»Ich könnte dich jetzt töten, Patrick. Hier und jetzt könntest du dein Ende finden«, sagte Red John. »Was sagst du dazu, Kaitlyn?«
Ich brauchte einige Lidschläge, um zu realisieren, dass Red John mich in diesem Moment ansprach. Es war eine Live-Aufzeichnung. Das alles geschah in genau diesem Augenblick. Der Mann hatte den Kopf gehoben und blickte mit seiner verzerrten Maske direkt zu mir in die Kamera.
»Willst du, dass ich ihn töte, für das, was er dir angetan hat? Er hat dich hintergangen, Kaitlyn. Er hat dich ausgenutzt. Er hat es nicht getan, um dir zu helfen, sondern um sein Ego zu fördern. Das wissen wir beide.«
Ich bemerkte, wie Tränen in meine Augen stiegen. Ich wusste nicht, ob er mich sehen konnte, dennoch schüttelte ich den Kopf.
»Nein«, sagte ich erst leiser und dann lauter, »nein! Töte ihn nicht! Ich will nicht, dass du ihn tötest.«
Red John antwortete nicht. Ich befürchtete schon, dass er mich nicht hören konnte. Doch dann richtete er sich auf.
»Sie haben Glück gehabt, Patrick. Heute wird nicht der Tag sein, an dem Sie sterben.« Er strich mit seiner Hand über Janes Brust und entfernte sich langsam. »Ich soll Ihnen liebe Grüße von Kristina ausrichten. Sie hat Sie sehr lieb gewonnen, obwohl Sie doch so unterschiedlich sind. Rollt, Ihr Fluten …« Noch einmal klopfte er ihm auf die Schulter, dann verschwand Red John in der Dunkelheit.
Sofort sprang ich auf und holte mein Telefon, um Lisbon davon zu berichten. Kaum hatte ich den Hörer ans Ohr gelegt, verschwand auch schon die Videoaufzeichnung. Und während ich Lisbon und das Team informierte, kreisten meine Gedanken dauerhaft zu Red John.
Er hatte Jane am Leben gelassen, weil ich ihn darum gebeten hatte.
Er hatte auf mich gehört.
Red John hatte auf mich gehört.
3765 Wörter
Omg, wie lange habe ich darauf gewartet, endlich dieses Kapitel schreiben und schließlich mit euch teilen zu können? AND HERE IT IS! FINALLY!
Alles, was Kate über ihren Aufenthalt beim CBI gedacht hatte, war reiner Schwindel gewesen - und RJ hat ihn für sie aufgedeckt. Hättet ihr damit gerechnet?
Was, glaubt ihr, wird Kate nun tun?
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