Von Zeichen, Lebensabschnitten und dem Nichtstun

Ich glaube nicht an Schicksal, aber manchmal messe ich Zeichen eine größere Bedeutung zu, als sie vermutlich haben. Manche Zufälle sind einfach so surreal, dass ich gerne dem Gedanken nachhänge, dass alles auf der Welt in irgendeiner Art und Weise verknüpft ist. Gestern beispielsweise haben wir meine zukünftige Wohnung ausgeräumt und bei einem Blick aufs Handy habe ich dank der coolen Erinnerungsfunktion bei Snapchat, die einem Fotos anzeigt, die man vor ein, zwei, x Jahren am gleichen Tag gemacht hat, festgestellt, dass ich exakt am selben Tag letztes Jahr mein Zimmer ausgeräumt habe, bevor es nach Neuseeland ging. Fand ich total cool, dass ich mir zur Vorbereitung des Einzugs unbewusst den gleichen Tag ausgesucht habe wie den, an dem ich mich letztes Jahr von einem Haufen Sachen versuchte zu trennen.

Dass das jetzt ein Zeichen war, dass meine Studienzeit so gut wie meine Reise wird, glaube ich nicht, denn das wäre ein sehr unrealistischer Gedanke. Aber es hat mich daran erinnert, wo ich vor einem Jahr stand, welcher Ungewissheit ich ins Gesicht blickte und wie ich kurz danach die beste Zeit überhaupt erlebt habe. Ich kann überhaupt nicht glauben, dass ich vor fast einem Jahr gestartet bin; manchmal kommt es mir wie gestern vor. Und jetzt, heute, ein Jahr später, habe ich zumindest einen vorläufigen Plan. Fange an zu studieren, ziehe aus, baue mir einen neuen Lebensabschnitt. Gleichzeitig gibt es so viel zu organisieren und neu anzulegen, ich fühle mich schon beinahe alt und erwachsen, bäh.

In manchen Momenten fühle ich mich einfach nur überfordert und hasse es, nicht einfach in den Tag leben zu können mit dem Vertrauen, dass alles schon irgendwie wird, wie es werden soll. Durch meine Reise bin ich viel gelassener geworden und wollte das zu Hause auch umsetzen, aber oft habe ich das Gefühl, dass das in unserem Land überhaupt nicht möglich ist. Vielleicht in keinem, wo das System allein auf Leistung ausgelegt ist. Im Alltag fühle ich mich oft klein gemacht und nicht groß, wie ich es unterwegs war. Wie man wohl kaum merkt, fehlt mir das Reisen sehr.

Was müsste sich wohl ändern, damit wir uns nicht ständig unter Druck fühlen? Nicht den Drang haben, ständig etwas erreichen zu müssen? Zu tun haben zu müssen? Um einfach einen Augenblick innezuhalten und zu sein? Denn eigentlich bin ich ganz gerne.

Bücher lesen zum Beispiel ist etwas, das heute gar nicht mehr viel gemacht wird, weil die Leute sich die Zeit nicht mehr nehmen wollen. Da sitzt man ja nur rum und liest, währenddessen könnte ich auch fünf Filme auf Netflix sehen, höre ich oft von Freunden. Und natürlich könnten sie das, aber dabei werden sie keine Ruhe finden. Sie werden immer mal wieder parallel auf ihr Handy schauen, sich vielleicht noch was zu essen holen, reden, kurz gesagt: Sie werden sich nicht nur auf eine Sache konzentrieren, wie man das beim Lesen tut. Oder beim Yoga. Beim Spazieren gehen. Beim Musik hören, während man einfach nur im Bett liegt und den Klängen lauscht.

Ich persönlich denke, uns fehlt diese Ruhe. Die Konzentration auf einzig und allein eine Sache, wie das Atmen zum Beispiel. Wann habt ihr das letzte Mal da gesessen, die Augen geschlossen und zehn Minuten lang nur euch selbst beim Atmen zugehört? Mir würden direkt mindestens fünf Leute aus meinem Freundeskreis einfallen, die das nicht könnten. Still sitzen und nichts tun. Und das finde ich schade, denn es zeigt, was wir in der Schule alles nicht lernen. Wie wir gut mit uns selbst umgehen zum Beispiel. Wie wir uns dem Leistungsdruck entziehen, der uns oft schon von unseren eigenen Eltern gemacht wird.

Was ist schlimm daran, einfach mal nichts zu tun? Als kleines Kind saß ich manchmal stundenlang da und hing den Gedanken in meinem Kopf nach, habe mir die seltsamsten Geschichten ausgedacht und hätte das den ganzen Tag tun können. Heute ist da eine Unruhe in mir, noch dieses und jenes erledigen zu müssen, und dann muss auch noch dort angerufen und derjenige besucht werden und zack, ist der Tag vorbei und ich hatte keine ruhige Minute zum Nichtstun.

Vielleicht wird es besser, wenn ich ausgezogen bin. Endlich mein eigenes Reich habe, nicht ständig zwischen den Stühlen leben muss. Also wenn ihr nie wieder etwas von mir hört, könnt ihr davon ausgehen, dass ich meine Tage erfolgreich mit Nichtstun verbringe. Für diesen Fall bedanke ich mich schon mal herzlich bei euch für eure Beständigkeit und den tollen Austausch, der das Beste an diesem Werk ist, aber macht euch nicht gleich in die Hose. Ich werde ohnehin nicht zum Nichtstun kommen.

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