Von Wildnis, Schwächen, Hippies und Denkerei
Ich melde mich zurück aus der Vergessenheit, weil ich letztens ein Erlebnis hatte, das ich mit euch teilen wollte. Ich hoffe, bei euch ist alles paletti und ihr kommt gut ins neue Jahr!
Die letzten vier Tage habe ich in einer kleinen Hütte mitten im Regenwald zwischen grün, grüner und den grünsten Büschen verbracht. Ohne Netz und Internet, Strom gab es nur von 18-22 Uhr und heißes Wasser nur sechs Minuten lang, da dieses von einem Holzofen erhitzt wird und es für das ganze Camp reichen muss. Eigentlich ist der Halt für nur eine Nacht vorgesehen, aber ich habe mir im Voraus vier gebucht, weil ich mir dachte: Cool, Wildnis, da kannst du mal richtig abschalten und ganz viel wandern.
Das mit dem Wandern hat sich allerdings als etwas schwierig erwiesen, da alle Wanderwege weiter entfernt waren und man dorthin mit einem Auto fahren muss. Sandra, die das Camp mit ihrem Mann führt, hat mir vorgeschlagen zu trampen, und ich wollte das auch echt versuchen, aber das ist nichts für mich. Ich tue mir schwer, wildfremde Menschen einfach so um irgendetwas zu bitten und auch das Stehen am Straßenrand ist mir schon ziemlich unangenehm. Darüber habe ich mich recht lange geärgert, also über mich selbst und mein Verhalten, aber irgendwann habe ich gesagt, dass es okay für mich ist. Ja, vielleicht bin ich ein kleiner Schisser, aber es ist eben nicht jeder für alles gemacht. Dafür bin ich aus einem 4000 Meter hohen Flugzeug gesprungen, das würde auch nicht jeder machen.
Für mich war diese Akzeptanz von mir selbst etwas ganz Neues. Dass ich selbst mir sage, dass es okay ist, dass ich so bin. Jeder von uns hat Stärken und Schwächen und ich glaube, mein persönliches Problem ist, dass ich als Kind zu oft getriezt wurde, Dinge zu tun, die ich gar nicht tun wollte. Aber mit Sticheleien und Beleidigungen fühlst du dich schließlich unter Druck gesetzt und machst es dann doch, auch wenn dir selbst dabei überhaupt nicht wohl ist. Diese Stimme von Sticheleien habe ich auch heute noch im Kopf, wenn ich etwas nicht machen will oder mich nicht traue. Aber wieso ist es so schlimm, bestimmte Dinge nicht machen zu wollen? Jeder ist anders gestrickt, jeder handelt anders, lebt anders. Jeder fühlt sich in unterschiedlichen Momenten unwohl und ich finde, wir sollten endlich anfangen, das zu akzeptieren. Wir sind nicht perfekt und wir können nicht alles. Außer wenn wir wirklich wollen. Wenn mein Wille größer gewesen wäre als mein Gefühl des Unwohlseins, hätte ich letzteres runtergeschluckt und die Sache durchgezogen. Es hängt eben ganz stark davon ab, wie sehr wir es wollen.
Eigentlich wollte ich mit euch aber über ein ganz anderes Thema reden. Am ersten Abend habe ich meine Hütte mit einem Hippie geteilt. Zumindest stelle ich mir das, was er verkörpert hat, unter einem Hippie vor. Wir können auch Freigeist sagen, wenn irgendwer sehr penibel mit der Bezeichnung von Hippies ist. Jedenfalls reist dieser Kerl seit 12 Jahren durch die Welt, bleibt immer mal irgendwo, arbeitet dort für 2-3 Jahre und reist dann weiter. Zu Hause war er seitdem nicht und er plant auch nicht, wo er als nächstes hingeht oder was er macht. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen, weil ich bereits jetzt nach zwei Monaten Reisen den Drang verspüre, wieder nach Hause zu kommen. An einem Fleck zu sein, einen festen Sitz zu haben. Das ständige Reisen wäre für mich nichts, vor allem auch, weil du mit doch sehr minimiertem Gepäck lebst. Auch der Typ hatte nicht mehr Gepäck als ich - und mit dem reist er seit zwölf Jahren. In Canada hat er ein Jahr lang nur in seinem Auto geschlafen. In seinem fucking Auto! Ein Jahr lang! Da wäre ich definitiv raus, aber er hat gesagt, er ist einfach der Typ dafür. Er braucht nicht mehr und das ist eben seine Art zu leben.
Als ich ihn gefragt habe, ob ihm keine Routine oder irgendetwas Festes in seinem Leben fehlt, hat er mir einen sehr langen Vortrag über nahezu alles gehalten. Das zusammenzufassen, wird etwas schwierig, aber ich versuche es. Für Sebastian ist das, was das Leben ausmacht, das Unplanbare. Und wir verlernen in der Schule immer mehr, so zu leben. Alles dreht sich um Pläne, Routine, Vorgaben und regeln. Hat er auch recht, ich für meinen Teil überprüfe immer alles zweimal, damit nichts schiefgeht. Dadurch würden wir verlernen, mit ungeplanten, schiefgehenden Ereignissen umzugehen, sagt Sebastian. Unser ständiges Denken und Analysieren hält uns davon ab, einfach mal zu machen. Und genau das bedeutet Leben für ihn. Einfach machen und offen sein für alles, denn nur so erlebt man am meisten. Hat er auch recht mit, meine besten Ausflüge und Aktionen in Neuseeland haben sich immer spontan ergeben und zwar dadurch, dass man offen gegenüber anderen war und nicht auf Teufel komm raus seine Pläne verfolgen wollte.
In manchen Momenten während meines Gespräch mit Sebastian habe ich mich ganz ehrlich gefragt, ob der Kerl real oder irgendeine Erscheinung ist. Mit seinen langen Haaren sah er ein bisschen aus wie Jesus und bei diesem Gedanken musste selbst ich lachen. Trotzdem hat irgendwie alles gepasst, wie man sich so einen Typen aus der Vorsehung eben vorstellt. Ein bisschen durchgeknallt, befremdlich, aber seine Worte treffen dich trotzdem. Total schräg und ihr denkt jetzt vermutlich alle, ich hätte sie nicht mehr alle. Aber ihr hättet den mal erleben sollen!
Für mich wichig war der Aspekt, den er bezüglich des Denkens geäußert hat. Dass wir Menschen zu viel denken und die Dinge nicht einfach annehmen, das Beste aus ihnen machen und schauen, wie sie sich entwickeln. Das alles wusste ich zwar auch schon davor, aber wenn es ein fremder Mensch zu dir sagt und deine eigenen Gedanken laut ausspricht, bekommen sie viel mehr Gewicht. Diesen Ansatz möchte ich jetzt auch wieder mehr verfolgen, da mir das besonders in meiner Beziehung nicht so gut gelungen ist, seit ich in Neuseeland bin. Zu Hause habe ich das mit der Zeit gut umsetzen können; einfach glücklich sein und nicht alles zerdenken. Jetzt bin ich aber am anderen Ende der Welt, über 18.000 km Luftlinie von meinem Freund entfernt, und das erschwert so einiges. Ich sehe hier so viele Pärchen, die ihr Leben gänzlich anders leben, die gänzlich anders sind als wir, und das lässt immer wieder Zweifel aufkommen. Zweifel, die nur entstehen, weil ich mich mit anderen vergleiche, und: mir zu viele Gedanken mache. Denn wieso sollte man sich etwas kaputt denken, das in Wahrheit gut funktioniert und einen glücklich macht? Das wäre ja wohl ziemlich dumm und das bin ich natürlich nicht, also werde ich mich wohl mehr bemühen müssen, meine Gedanken in Schach zu halten. Wenn ich meinen Schatz dann nämlich wiedersehe, werden all die Zweifel wie weggeblasen sein. Einfach weil der Mann mich so unfassbar glücklich macht. Allerdings ist es eben auch eine ziemliche Härteprüfung, sich drei Monate lang nicht zu sehen.
Noch etwas, das ich gelernt habe, seit ich hier bin. Es gibt Beziehungen, die verkraften ein ganzes Jahr Fernbeziehung. Es gibt Beziehungen, die beendet werden, bevor es überhaupt zur Abwesenheit des anderen kommt, weil man das nicht durchstehen möchte. Es gitb Beziehungen, die schaffen drei Monate, aber ein Jahr wäre zu viel. Und das ist alles okay. Jeder hat seine eigene Art, seine Beziehung zu führen, und bei manchen funktioniert es und bei anderen nicht. Da hilft es mir kein bisschen, wenn die Leute sagen, drei Monate sind nicht lang. Für mich und meinen Freund ist es lang, weil wir die Nähe des anderen gewöhnt sind und diese Nähe brauchen. Wenn ich jetzt aber nicht da bin, fehlt diese Nähe. Ich drücke mich gerne so aus, als dass unsere Beziehung momentan auf 50% läuft. Kommunikation, Telefonate, Videos, Fotos. Aber ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass wir das nicht ein Jahr lang durchstehen würden. Ein Jahr lang 50% ist doch recht wenig für eine Beziehung und würde sowohl mir als auch meinem Freund nicht reichen. Für ihn ist die Nähe noch wichtiger als für mich und ich weiß, wie sehr es ihm fehlt, dass ich nicht abends zum Einschlafen da bin. Wir nicht Händchen haltend durch die Stadt schlendern oder einfach nur im Bett liegen und kuscheln. Das ist diese Nähe, von der ich die ganze Zeit rede, und die jetzt eben nicht mehr da ist. Was wir natürlich auch aneinander spüren. Man fühlt sich dem anderen nicht so verbunden, wenn man ihn nicht wirklich vor sich hat und anfassen kann. Es ist nicht der fehlende Sex, der uns zu schaffen macht, sondern die fehlende Nähe. Natürlich erzeugt Sex auch Nähe, aber ihr wisst schon, was ich meine.
Insofern ist es schon gut, dass ich nicht länger als drei Monate weg bin. Die Reise war schon so geplant, bevor ich meinen Freund kennengelernt habe, also war das nicht abgestimmt. Passt aber im Endeffekt ganz gut, weil ich mich mittlerweile echt auf mein Zuhause freue. Mein eigenes Bett, ein Zimmer nur für mich alleine (!), ein sauberes Badezimmer, wo man auch einfach mal zehn Minuten auf dem Klo hocken kann, ohne dass ständig jemand klopft, eine saubere Küche, in der nicht alles klebt und schimmelt. Es sind die kleinen Dinge, die das Leben schön machen.
Keine Ahnung, ob ihr aus diesem Wirrwarr überhaupt etwas mitnehmen konntet, aber ich wollte diese Gedanken irgendwo festhalten. Wir vergessen doch recht schnell, was ziemlich beängstigend ist, daher ist Wattpad wohl ein ganz guter Ort dafür, um sich an Vergessenes zu erinnern.
Jetzt schauen wir aber mal nach vorne: heute Abend ist Silvester! 2020! Als Kind konnte ich mir diese Jahreszahl nie vorstellen, und jetzt ist es bald so weit. Habt ihr Wünsche, Träume, Hoffnungen für das neue Jahr? Und was sagt ihr über das Jahr 2019? Habt ihr viel erlebt, erreicht, was ihr wolltet, euch selbst verwirklicht? Ich bin gespannt auf eure Antworten 😊
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