5.
Ich bin so durch den Wind, dass ich es nicht schaffe, nachhause zu fahren. Ich lenke meinen Wagen vom Hof und halte in einer ruhigen Nebenstraße auf dem Seitenstreifen.
Ich beginne hemmungslos zu weinen und schlage wütend mit meinen Händen auf das schwarze Lederlenkrad.
Ich beiße mir auf die Unterlippe, bis ein metallischer Geschmack meinen Mund erfüllt und lasse meinen Kopf kraftlos gegen die Kopfstütze des Fahrersitzes sinken.
Wie konnte mein Leben nur so aus der Bahn geraten?
Noch vor wenigen Monaten dachte ich, ich sei an der Spitze meines Lebens angelangt, bis plötzlich alles außer Kontrolle geriet - ab dem Tag, als Walid in mein Leben trat.
"Was soll ich nur tun?", schluchze ich lautstark.
Ich würde so gerne mit jemandem reden, doch ich weiß einfach nicht mit wem. Normalerweise wäre Abbas immer meine erste Wahl, aber der ist gerade kein Stück besser als Walid. Beide überhäufen mich mit Schuldzuweisungen, suchen in einer Tour nach meinen Fehlern und drücken ihren Unmut mir gegenüber neuerdings auch körperlich aus.
Maxim will ich nicht wieder als meinen Lückenfüller missbrauchen, auch wenn ich weiß, dass er derjenige wäre, der meine Laune auf jeden Fall in Sekundenschnelle heben würde.
Kitty und Leo, meine besten Freunde, sind so in ihrem eigenen Film, dass sie sich kaum noch bei mir melden und diese Gelegenheit wäre definitiv nicht die richtige für eine erneute Kontaktaufnahme.
Der letzte Vertraute, der mir noch in den Sinn kommt ist Younes, aber bei ihm ist die Gefahr zu groß, dass er aus Loyalität Abbas gegenüber nicht dicht halten kann und eine zweite Standpauke von ihm ist das letzte, was ich gerade brauche.
Es dauert eine gute halbe Stunde bis ich mich langsam beruhigt habe und die Heimfahrt antrete.
Ich hole mir aus der Küche eine Flasche Vodka und nehme sie mit auf mein Zimmer. Es ist hellichter Tag, aber alles was ich gerade will, ist meinen Kopf ausschalten und nicht mehr über das Geschehene nachdenken.
Ich lege mich ins Bett und nehme einen ersten großen Schluck des klaren Schnapses.
Er brennt erst im Mund, dann im Rachen und zuletzt in meinem Magen, aber die Wärme, die er hinterlässt, ist angenehm und scheint meine leere Hülle ein wenig zu füllen, sodass ich gleich noch einen Schluck trinke.
Als ich irgendwann die halbe Flasche des hochprozentigen Getränks in mich geschüttet habe, fühle ich mich nicht besser sondern eher noch schlechter.
Ich schaue auf mein Handy und sehe eine neue Nachricht von Walid und eine Antwort von Maxim.
"Alles okay. Wie geht's dir?", schreibt Maxim.
"Lilli, es tut mir wirklich leid. Lass uns bitte nochmal reden", kam von Walid.
Ich ignoriere Letzteren und antworte Max: "Scheiße, ich bin betrunken."
"Um diese Uhrzeit? Liegt es an deinem Gespräch mit Walid?"
"Ja, ist nicht so gut gelaufen", gebe ich zu.
"Was heißt das?", hakt er nach.
"Das erkläre ich dir, wenn ich wieder nüchtern bin", beschließe ich und sperre mein Display.
Ich laufe runter um mir eine Flasche Wasser zu holen und treffe in der Küche auf Abbas, der gerade die Tür reinkam.
Mein Herz rutscht mir in die Hose und ich bemühe mich, so normal wie möglich zu agieren, doch ich merke selbst, wie sehr ich schwanke. Eine halbe Flasche Vodka auf mein Fliegengewicht ist wirklich zu viel.
Abbas mustert mich irritiert. Ob meine Wange noch immer rot leuchtet?
Er kommt mir ein Stück näher, doch ich ignoriere ihn weiterhin.
"Bist du betrunken?", bricht er plötzlich sein Schweigen und schielt auf die große Wanduhr über der Arbeitsplatte.
"Und wenn schon", gebe ich patzig zurück und würdige ihn keines Blickes.
"Es ist Mittag", gibt er tadelnd zurück, doch ich zucke nur gleichgültig mit den Schultern.
"Lilli, was ist los mit dir?", fragt er und wirkt für einen Moment aufrichtig besorgt, aber nach allem was war, will ich einfach nicht mit ihm reden. Er hat mein Vertrauen zu ihm gebrochen.
Er wäre ja sowieso wieder auf Walids Seite und nicht auf meiner. Für die beiden bin immer ich die Schuldige. Die, die sich nicht benehmen kann und nicht erwachsen genug ist. Die, die alles kaputt macht.
"Nix, scheiß drauf", gebe ich ablehnend zurück und muss mich für einen Moment an der Arbeitsplatte abstützen, weil mir furchtbar schwindelig wird.
"Was wolltest du in der Küche?", fragt er und sein Blick wird weich.
"Wasser", antworte ich leise.
Abbas öffnet die Kühlschranktür und reicht mir eine Flasche Mineralwasser. "Komm, ich bringe dich hoch", schlägt er vor. Ich schüttele halbherzig den Kopf, doch er hebt mich mühelos auf seine Arme und trägt mich die schmale Wendeltreppe nach oben.
Er legt mich vorsichtig auf mein weiches Bett und schüttet mir Wasser in das Glas, welches auf meinem Nachttisch steht. "Es ist egal was zwischen uns war, aber du kannst immer mit mir reden, hörst du?"
Kraftlos lache ich auf. Mir ist so übel und ich fürchte, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Die Zimmerdecke verschwimmt vor meinen Augen und ich habe das Gefühl, das Bett würde schaukeln. Ich habe es eindeutig übertrieben mit dem Alkohol.
"Ich will nicht mit dir reden", nuschele ich.
Abbas rauft sich durch sein dichtes Haar und ich kann nicht einschätzen, ob er seinen Ausraster bereut oder ob er sich im Recht sieht, aber ich bin auch zu betrunken, um der Sache näher auf den Grund zu gehen.
"Schlaf deinen Rausch aus", seufzt er und verlässt ohne ein weiteres Wort mein Zimmer.
...
Am nächsten Morgen dröhnt mein Kopf und ich stöhne leidend auf als ich versuche meine Augen zu öffnen. Das gleißend helle Tageslicht blendet mich so sehr, dass meine Augen tränen.
Es dauert bis zum frühen Mittag, dass ich mich einigermaßen gefangen und eine Kopfschmerztablette mit einem halben Liter Wasser herunter gespült habe.
Je nüchterner ich werde und je klarer mein Kopf wird, desto mehr drängen sich wieder die Ereignisse des gestrigen Tages in mein Bewusstsein.
Maxims Worte lassen mir noch immer keine Ruhe. Ich muss einfach wissen, was dahinter steckt. Wenn schon Walid mir anscheinend nicht die Wahrheit sagt, dann muss ich Maxim dazu bringen mir endlich reinen Wein einzuschenken.
Er hat ihn gestern einen "verlogenen Kriminellen" genannt, und ich will wissen was hinter diesem Vorwurf steckt.
Damals dachte ich, dass Walid etwas gegen Maxim in der Hand haben muss, weil dieser wortlos abgezogen ist, doch gestern schien es so, als sei eher das Gegenteil der Fall.
Kurzentschlossen greife ich nach meinem Handy und schreibe Maxim: "Hey, hast du heute Zeit? Können wir uns sehen?"
Das schlechte Gewissen, dass ich noch gestern wegen des zufälligen Zusammentreffens mit Maxim hatte, ist heute wie weggeblasen. Nach Walids gestrigem Verhalten bin ich ihm nichts mehr schuldig. Ich kenne die Wahrheit und weiß, dass ich keine Schlampe bin. Meine einzige Absicht bei diesem Treffen ist die Wahrheit herauszufinden.
Dass mein eigener Verlobter und mein Bruder mich anscheinend nur belügen und bewusst von der Wahrheit fernhalten ist nicht meine Schuld.
Wobei es ja nicht sicher ist, dass auch Abbas die Wahrheit kennt.
Maxims Antwort lässt nicht lange auf sich warten. "Klar, magst du vorbei kommen?"
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Meine Lieben,
Denkt ihr, Lilli wird zu Maxim fahren?
Und wenn ja, was könnte die Wahrheit hinter dem alten Streit zwischen Walid und Maxim sein, die ja einst mal Freunde waren?
A.
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