49.
"Aufstehen, wir müssen zum Flughafen", wecke ich Maxim mit leiser Stimme und streichele ihm sanft über die Wange.
Ich konnte ihn davon überzeugen, sich nur eine Woche später ganze fünf Tage von seinen Verpflichtungen frei zu machen. Ich habe ihm gesagt, dass wir dringend verreisen müssen um etwas zu erledigen und dass wir fliegen, aber mehr weiß er noch nicht. Ich glaube zwar, dass er ahnt, dass ich ihn überraschen will, weil ich ihm nur kryptische Antworten und wenig Informationen gebe, doch was ich genau geplant habe und wo es hingeht, wird er nie erwarten.
In den letzten Tagen habe ich alles vorbereitet, Sachen besorgt und unsere Koffer gepackt.
Maxims blonder Wuschelkopf ist tief ins Kopfkissen vergraben und er stößt ein leises Grunzen aus. "Es ist viel zu früh", nuschelt er. "Es ist 5 Uhr, das ist gar nicht so wahnsinnig früh und außerdem bin ich bereits seit zwei Stunden wach", entgegne ich aufgedreht.
Nun schlägt Maxim doch gequält die Augen auf. "Seit zwei Stunden? Wieso? Bist du bekloppt?" "Ne, aufgeregt", erwidere ich mit heller Stimme und klatsche in die Hände. "Und jetzt steh auf, du Morgenmuffel, sonst verpassen wir noch unseren Flug", fordere ich ihn auf und stupse gegen seine Schulter.
Mein schlanker Körper steckt bereits in einem hellgrauen Jogginganzug und auch Maxim habe ich schon ein bequemes Reiseoutfit auf die Bettkante gelegt.
Doch der ist noch nicht bereit dazu, sich anzuziehen, und zieht mich stattdessen mit seinen warmen Händen näher an seinen nackten Körper. Eine seiner Hände gleitet unter meinen Hoodie und ein schelmisches Lachen schleicht sich auf sein müdes, noch immer vom Schlaf zerknittertes Gesicht.
"Haben wir noch ein bisschen Zeit?", fragt er frech und lässt seine Finger unter mein Bralette gleiten. Energisch ziehe ich seine Hand aus meinem Pulli und ermahne ihn: "Nein, du Lustmolch, und jetzt steh schon auf."
Dann entziehen ich mich ihm und lasse Maxim mit einem mürrischen Seufzen zurück. Als ich wenig später mit zwei dampfend heißen Kaffeetassen wieder aus der Küche nach oben komme, steht Max bereits unter der Dusche.
Ich lasse mich auf dem Wannenrand nieder und nehme einen Schluck des heißen, hellbraunen Getränks. Ich bin so gespannt darauf, was die nächsten Tage bringen werden und hoffe und bange, dass alles so klappt, wie ich es geplant habe.
Als er aus der Dusche kommt und mich neckend mit seinen nassen Haaren voll tropft, drücke ich ihm lachend seine Kaffeetasse in die Hand.
Eine gute Stunde später fahren wir mit meinem Porsche zum Stuttgarter Flughafen. Maxim hat die Koffer in den Kofferraum gepackt und sitzt nun auf dem Beifahrersitz und fummelt an meinem Radio herum.
"Sagst du mir jetzt, wohin es geht?", fragt er neugierig.
"Nö", entgegne ich einsilbig.
"Ich werde es ja spätestens am Gate eh lesen", antwortet er triumphierend.
"Vielleicht habe ich ja VIP-Service gebucht und wir werden direkt ins Flugzeug gebracht?", erwidere ich provokant. "Dann erfahre ich es im Flugzeug", kontert er Schulterzuckend.
Leise seufze ich. "Na gut, ich sage es dir", resigniere ich.
Auf Maxims Gesicht legt sich ein triumphierendes Lächeln.
"Wir fliegen nach Kabul."
Ich löse meine Augen von der Fahrbahn und riskiere einen Blick auf Maxim, der völlig verdutzt drein schaut und mich damit von Herzen zum Lachen bringt.
"Scherz", pruste ich und greife nach seiner Hand. Maxim atmet erleichtert aus. "Also sagst du es mir nicht?", schlussfolgert er beleidigt.
Ich fasse mir ein Herz. "Wir fliegen nach Beirut."
"Ehrlich?", fragt Max überrascht. Ich wusste doch, dass er damit nicht rechnet.
"Ja, ich muss da was klären und du meintest doch, dass du gerne mal sehen willst, wo meine Wurzeln liegen", lüge ich. Dass der Grund für unsere Reise eigentlich ein anderer ist, werde ich ihm jetzt noch nicht verraten.
"Aber brauchen wir für Libanon kein Visum?", erkundigt er sich erschrocken.
"Ich sowieso nicht, ich habe einen libanesischen Pass und du kannst ganz easy bei der Einreise ein on-Arrival Visum bekommen. Ich habe mich extra vorab informiert. Wäre ja auch dumm, wenn wir da stehen und du nicht einreisen kannst", lache ich.
"Mega cool. Da freue ich mich wirklich drüber. Ich hatte damals irgendwie das Gefühl, dass du das nicht willst, deshalb freue ich mich umso mehr", erklärt er so strahlend, dass mir das Herz aufgeht. Das Ziel unserer Reise war also schon mal eine gute Idee.
Außerdem wird mir wieder einmal bewusst, wie gut Maxim mich kennt, denn er hat Recht. Als wir am Anfang mal darüber gesprochen haben, konnte ich mir nicht vorstellen, so schnell wieder in den Libanon zurück zu kehren. Zu frisch waren der Schmerz und die Erinnerungen an das Drama mit Walid. Unwiderruflich habe ich mein Herkunftsland mit der geplatzten Verlobung und der unmittelbar darauffolgenden Eskalation im Hotel verbunden.
Doch jetzt, einige Monate später, ist das anders und der Anlass, mich zu Maxim zu bekennen und ein neues Kapitel meines Lebens mit ihm zu beginnen, scheint mir als angemessen, um mich mit Beirut zu versöhnen und mit neuen schönen Erinnerungen die alten schlechten zu überschreiben.
Ich parke meinen Wagen im Parkhaus und folge Maxim zum Check in. Es ist mein erstes Mal an diesem Flughafen und auch, wenn ich mich in München blind zurecht finde würde, bin ich hier völlig orientierungslos und nicht zuletzt wegen der frühen Uhrzeit und dem damit verbundenen fehlenden Schlaf froh, Maxim einfach vertrauensvoll hinterher laufen zu können.
Wir checken ein, geben unsere Koffer auf und bringen die Sicherheitskontrolle hinter uns. Dann setzen wir uns gemütlich in ein kleines und gnadenlos überteuertes Flughafencafé um was zu frühstücken.
Wir müssen über Frankfurt fliegen und dann mit Middle East Airlines ungefähr vier Stunden bis nach Beirut, weshalb ich extra einen frühen Flug ausgesucht habe, damit wir noch was von dem Tag haben.
Als wir in Beirut am Flughafen ankommen, spürt man direkt beim Öffnen der Flugzeugtüren, dass es im Libanon deutlich wärmer ist als in Deutschland. Wir holen unsere Koffer ab und treffen am Ausgang auf ein mir sehr gut bekanntes Gesicht, welches für Maxim schon die zweite Überraschung an diesem Tag ist.
Mein ältester Bruder empfängt mich mit einem warmen Lachen, schließt mich in eine herzliche Umarmung und küsst meine Stirn. "Wie geht's euch? Wie war euer Flug?", fragt er an uns beide gerichtet, während er Maxim höflich die Hand reicht und ich nun Medina umarme.
"Danke, der Flug war ruhig", antwortet Maxim unbeholfen und wirft mir einen unsicheren Seitenblick zu. Es tut mir ein bisschen leid, ihn so ins kalte Wasser zu schmeißen, aber ich hatte Angst, er würde sonst hinter meine Pläne kommen.
Ich habe meinen Bruder vor einigen Tagen angerufen und ihm in einem langen, ausführlichen Gespräch von Maxim und den Ereignissen der letzten Monate berichtet. Es war eine Überwindung für mich, aber wichtig, um für mich selbst den nächsten Schritt gehen zu können - außerdem brauche ich für meine Pläne seine Hilfe.
Momo war zuerst wenig begeistert, da er ja schon immer ein Gegner von Abbas' und meiner westlichen Lebensweise war und darüber hinaus über Maxim nicht gerade die besten Sachen gehört hat, doch ich habe es auch mit Abbas' Hilfe geschafft, mit all den Geschichten aufzuräumen und ihm die Wahrheit zu verklickern, sodass er sich schlussendlich bereit erklärt hat, mir zu helfen und mir ein Auto zum Flughafen zu bringen.
"Welches Hotel hast du gebucht?", fragt Medina mich nach unserer Begrüßung. Dass mein Bruder sie geheiratet hat, ist für uns alle ein großer Zugewinn. Sie ist eine der gutherzigsten, loyalsten und liebsten Frauen, die ich je kennen gelernt habe und passt mit ihrer ruhigen Art einfach perfekt zu meinem Bruder.
"Phoenicia InterContinental Hotel", antworte ich lächelnd. "Ah, das ist in Fakhreddine, richtig? Da direkt an der Marina." "Ja genau, es sah echt schön aus auf den Bildern." "Es ist in echt sogar noch schöner", verspricht sie mir.
Ich strecke mich ein wenig und sehe dann Momo auffordernd an. Er reicht mir einen Autoschlüssel und schenkt mir einen mahnenden Blick. "Fahr bloß vorsichtig, das ist mein Wagen", verkündet er ernst. Ich rolle mit den Augen. "Hört das denn nie auf? Ich habe noch nie..", beginne ich, doch Maxim fällt mir ins Wort: "Sprich das bloß nicht aus!"
Erschrocken sehe ich ihn an. "Sowas darf man nicht sagen, das ist eine selbst erfüllende Prophezeiung", erklärt er und kneift mir liebevoll in die Wange.
Wir halten noch ein wenig Smalltalk mit meinem Bruder und seiner Frau, die uns zu Momos dunkler Mercedes Limousine begleiten und verabschieden uns dann von ihnen. Momo reicht mir meinen Koffer, den er für mich getragen hat und sieht mir tief in die Augen. "Hza tayibana wafaqak allah, Habibte", verabschiedet er sich von mir und wünscht mir damit viel Glück. Dann küsst er mich auf die Wange, bevor Maxim und ich uns ins Auto setzen.
"Hast du deinem älteren Bruder etwa von mir erzählt?", platzt es fassungslos aus ihm heraus, als ich den Motor anlasse. "Ja", erwidere ich schulterzuckend, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.
"Wieso das?", fragt er überrascht, aber mindestens genau so erfreut.
"Warte bitte kurz", antworte ich abwesend und versuche das Navigationssystem einzustellen. Natürlich nutzt Momo es in Arabischer Sprache und die Schriftzeichen sind für mich immer wieder schwer zu entschlüsseln. Ich muss mich richtig anstrengen, um heraus zu finden, wo ich drauf drücken und was ich eingeben muss.
Als das Navigationssystem auf Arabisch verkündet, dass die Route berechnet wird, wende ich mich wieder Maxim zu. "Sorry, aber ich bin echt nicht so sicher im Arabischen, auch wenn das ziemlich traurig ist", grinse ich entschuldigend. "Mal schauen ob wir da hin kommen, wo wir hin wollen, sonst nutzen wir ab sofort nur noch mein iPhone und Google Maps."
Es ist das erste Mal, dass ich in Libanon selbst mit dem Auto fahre, aber meine Jungfernfahrt dauert zum Glück nur gute fünf Minuten, denn das Hotel liegt direkt an Zaituna Bay und damit nicht weit entfernt vom Flughafen.
Maxim spricht während der Fahrt gar nicht mit mir, da ich mich wirklich ziemlich konzentrieren muss, denn die Kombination aus fremdem Verkehr, Arabischem Navi und fremdem Auto ist anstrengend. Vielleicht ist er aber auch zu beschäftigt damit, die schöne fremde Stadt durch die Autoscheiben zu bestaunen.
Als ich den Wagen vor dem Hotel abstelle, entlädt Maxim unsere Koffer und ich übergebe den Autoschlüssel an den jungen Herrn vom Parkservice.
"Irgendwie voll komisch, dich Arabisch reden zu hören", sagt Maxim grinsend, als wir nach dem Check in im Hotel mit dem Aufzug zu unserer Suite fahren. "Glaub mir, für mich auch. Sei froh, dass du nicht hörst, wie viele Fehler ich mache. Momo würde schon wieder mit mir schimpfen."
"Apropos Momo. Wieso hast du ihm denn jetzt von mir erzählt? Und vor allem was hast du ihm erzählt?", fragt er erneut. Das Thema scheint ihm keine Ruhe zu lassen.
"Ich habe ihm erzählt, dass wir zusammen hierhin fliegen und du mich begleitest, weil Abbas keine Zeit hat", lüge ich, wohlwissend, dass das wahrscheinlich ein erneuter Dämpfer für ihn ist, doch alles andere würde meine gesamten Pläne ruinieren.
Ich öffne die Zimmertür mit der Schlüsselkarte und grinse ihn an. "Schau dich um. Ich habe keine Kosten und Mühen gescheut", verkünde ich.
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Meine Lieben,
Ist es nicht süß, wie Maxim sich freut, dass es für die beiden nach Beirut geht?
Irgendwie ist es doch auch total schön, was Lilli das bedeutet, oder nicht?
Und wie findet ihr es, dass sie Momo eingeweiht hat?
A.
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