3l.

Wenig später befinde ich mich schon mit Abbas in seinem Wagen auf dem Weg zurück nach München.

Ich habe es mir nicht nehmen lassen, Maxim zum Abschied zumindest zu umarmen, auch wenn Abbas das noch reichlich kritisch beäugt hat.

"Bist du in ihn verliebt?", fragt er mich irgendwann.

Nervös reibe ich meine Finger aneinander. So genau habe ich mir darüber ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht und vor Abbas ist mir diese Frage auch reichlich unangenehm.

"Ich weiß nicht. Ich fühle mich wirklich wohl bei ihm, ich bin gerne mit ihm zusammen, er tut mir gut", erkläre ich und merke selbst, dass ich lächeln muss, wenn ich an ihn und unsere gemeinsame Zeit denke.

"Klingt wie ein verhaltenes ja", fasst Abbas meine Worte pragmatisch zusammen. "Er ist jedenfalls in dich verliebt."

"Wie kommst du darauf?", frage ich überrascht.

"Ich sehe die Blicke, mit denen er dich ansieht. Und er hat einen ganz ausgeprägten Beschützer-Instinkt was dich angeht, das kommt nicht von ungefähr", sagt er mit konzentriertem Blick auf die nasse Fahrbahn.

Ich weiß, dass Abbas darauf anspielt, wie zerrissen Maxim bei dem Gedanken war, mich alleine mit Abbas heim fahren zu lassen. Neben der Tatsache, dass er es nicht mag, wenn ich die lange Strecke später wieder alleine zurückfahre, da er wegen der Arbeit heute keine Zeit hat, mich zu begleiten, hat ihn vermutlich auch die Ungewissheit gequält, Abbas' Frieden könnte vorgetäuscht sein und zuhause würde mich ein großes Donnerwetter erwarten.

Doch ich kenne meinen Bruder eigentlich ziemlich gut. Er ist kein guter Schauspieler, nie gewesen, deshalb hat es mich auch so überrascht, dass er die Drogen-Geschichte so gut vor mir geheim halten konnte. Es gefällt ihm noch immer nicht, dass Maxim und ich jetzt diese vertraute, undefinierte Beziehung zueinander haben, doch immerhin ist es auch kein Weltuntergang mehr für ihn. Es schien fast ein wenig so, als hätten die beiden sich miteinander ausgesöhnt.

"Aber du sagtest ja ihr seid nicht zuammen", wiederholt Abbas spöttisch meine Worte, die er offensichtlich anzweifelt.

"Sind wir auch nicht, aber es ist schon mehr als Freundschaft", gebe ich zögernd zu.

"Freundschaft plus?", fragt Abbas provokant und wirft mir von der Seite einen düsteren Blick zu.

"Nein, das auch nicht", weise ich seinen Vorwurf entschieden zurück. "Wir verstehen uns wirklich gut, wir sind total auf einer Wellenlänge und ich vertraue ihm. Ich bin gerne in seiner Nähe." Auch körperlich, füge ich in Gedanken hinzu.

"Habt ihr miteinander geschlafen?"

"Nein man. Wieso fragst du das ständig? Hältst du so wenig von mir?", frage ich enttäuscht.

"Nicht von dir, nein." "Aber von ihm?" "Ich bin selbst ein Mann und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du tagelang bei ihm bist, er dich bei sich wohnen lässt, sich um dich kümmert und da nichts zwischen euch läuft."

"Wir haben auf jeden Fall nicht miteinander geschlafen", antworte ich ehrlich.

"Aber rumgemacht?"

Die Frage zieht mir innerhalb weniger Sekunden den Boden unter den Füßen weg. Soll ich ihn jetzt anlügen? Eigentlich ist das nicht meine Art. Mit der Wahrheit fährt man immer besser, davon bin ich überzeugt. Irgendwann kommen eh alle Lügen ans Tageslicht. Aber ich habe auch Angst davor, wie Abbas darauf reagiert, wenn ich zugebe, dass Maxim und ich diesen intimen Schritt bereits gegangen sind.

"Brauchst nicht antworten. Dein Zögern hat dich schon verraten", stellt Abbas kalt fest.

"Was soll ich sagen, Abbas", stöhne ich leise.

"Die Wahrheit."

"Ja, wir haben uns schon geküsst. Ist aber nicht so, als ob wir nonstop am rumturteln wären. Ich bin selbst noch nicht bereit dazu. Das mit Walid ist alles noch zu frisch als dass ich mich direkt in die nächste Beziehung stürzen will."

"Hast du doch schon längst. Ob ihr das Kind beim Namen nennt oder nicht - ihr habt längst eine Beziehung."

"So ein Quatsch", protestiere ich lautstark.

"Lilli, bitte", spuckt er mir verächtlich entgegen. "Willst du mich jetzt für dumm verkaufen oder kannst du dir das einfach selber noch nicht eingestehen?"

"Zu einer Beziehung gehört viel mehr als sich mal zu küssen-" "- und beieinander zu wohnen, füreinander da zu sein, in einem Bett zu schlafen", fällt Abbas mir ins Wort. "Oder schläfst du im Gästezimmer?", fragt er provokant.

Ich schließe die Augen und ziehe resigniert mein Zopfgummi aus den Haaren.

"Hm?", hakt er nach.

"Nein", antworte ich kleinlaut.

"Ich will, dass du zuhause bleibst. Triff dich mit ihm, wenn du unbedingt willst, aber das geht mir da gerade alles zu schnell", stellt er klar.

"Ich will nicht zuhause bleiben, Abbas. Wieso verstehst du das denn nicht? Es fühlt sich nicht mehr an wie ein Zuhause nach allem was passiert ist. Wir haben uns total zerstritten-" "Wir vertragen uns doch gerade wieder", unterbricht er mich erneut.

"-und ich habe Angst vor Walid", führe ich meinen Satz unbeirrt fort.

"Wirklich? Oder ist das nur ein Vorwand, damit ich dich wieder zu ihm zurück lasse?"

Heiser lache ich auf. "Dass du mich damit verhöhnst weißt du aber schon, oder? Soll ich dir die Bilder nochmal zeigen? Soll ich dir nochmal lebhaft im Detail schildern, was er mir angetan hat? Und bei allem Respekt Abbas, ich weiß dass du mein großer Bruder bist und dass du mich vor allem schlechten beschützen willst, aber das ist beim letzten Mal überhaupt nicht gut gegangen. Vielleicht ist es jetzt einfach an der Zeit meine eigenen Entscheidungen zu treffen, ich bin schließlich eine erwachsene Frau, auch wenn du das nicht wahr haben willst."

"Du wirst für mich nie eine erwachsene Frau sein, sondern immer meine kleine Schwester, unser kleines Mädchen, unsere Prinzessin."

"Bleibe ich aber auch, wenn ich meinen eigenen Weg gehe. Du hast mir in den letzten Monaten echt die Luft zum Atmen genommen, Abbas. Ich muss jetzt erstmal zur Ruhe kommen, mich sortieren und meinen eigenen Weg finden."

"Denkst du, den findest du, wenn du dich von ihm abhängig machst?"

"Womit mache ich mich denn von ihm abhängig?", frage ich genervt.

"Indem du bei ihm einziehst, Lilli", schimpft er aufgebracht.

"Ich ziehe doch gar nicht bei ihm ein. Ich will mir was eigenes suchen."

Abbas rauft sich durch die Haare und haut dann wütend mit der Hand vor das Lenkrad. "Du bist unglaublich. Du diskutierst und diskutierst und verstehst einfach nicht, worum es mir geht."

"Dann erkläre es mir", schreie ich zurück. Auch ich bin langsam mit meiner Geduld am Ende.

Abbas reißt das Lenkrad herum und nimmt auf den letzten Metern die Ausfahrt zu einer Autobahnraststätte.

"Was machst du?", frage ich erschrocken über sein riskantes Fahrmanöver.

"Ich muss eine rauchen", knurrt er wütend.

Er parkt seinen chromblauen BMW mit quietschenden Reifen auf dem Parkplatz und steigt hektisch aus dem Auto.

Ich atme tief durch, versuche mich kurz zu sammeln und steige dann ebenfalls aus. Mit meinem Portemonnaie in der Hand laufe ich in die Tankstelle und hole für Abbas und mich Cola. Während ich an der Kasse anstehe, werfe ich einen Blick auf mein Handy.

Ich habe es auf der Rückfahrt wieder angemacht, die verpassten Anrufe und Nachrichten jedoch allesamt ungesehen gelöscht.

"Ich muss die ganze Zeit an dich denken", blinkt auf meinem Display auf. Ich klicke auf WhatsApp und antworte Maxim: "Ich auch an dich ♡ Diskutiere die ganze Zeit mit Abbas 🙄"

Maxim kommt sofort online. "Worüber? Ist er sauer?"

"Über dich. Erkläre ich dir später."

"Okay Prinzessin 👸🏼"

Ich stecke mein Handy wieder in die Hosentasche meiner engen dunkelblauen Jeans und bezahle die zwei Colaflaschen mit ein wenig Kleingeld, bevor ich zurück ins Freie trete und auf Abbas zu steuere.

Schweigend reiche ich meinem Bruder die Flasche. "Danke", nuschelt er und zieht erneut an seiner Zigarette. Ich nehme aus der Tasche meiner schwarzen Winterjacke meine Zigarettenschachtel und stecke mir ebenfalls eine Zigarette zwischen die Lippen.

Bevor ich nach meinem Feuerzeug greifen kann, hält Abbas mir die Flamme seines Zippos vor die Nase. Ich entzünde meine Zigarette daran und inhaliere den blauen Qualm tief in meine Lunge.

Schweigend starren wir beide in die Ferne. Autos rasen auf der annahenden Autobahn vorbei, so schnell, dass sie aussehen wie kleine Matchboxautos. Zwischendurch sieht man auch mal vereinzelt einen LKW oder ein Motorrad.

"Ich will mich nicht mit dir streiten", durchbricht Abbas irgendwann reumütig die Stille.

"Dann lass es doch einfach", erwidere ich und bemerke selbst, dass das patziger klingt, als von mir beabsichtigt. "Ich will das nämlich auch mich mehr", schiebe ich deshalb schnell hinterher.

All diese Streitigkeiten saugen die Energie geradezu aus mir heraus. Lange ertrage ich all diese Last auf meinen zwei schmalen Schultern nicht mehr, das weiß ich nur zu gut.

"Ich kann den Gedanken einfach nicht ertragen, dass du bei ihm bist. Was, wenn er nach Tarik und Walid der nächste ist, der dir weh tut?"

Seine Gesicht wird plötzlich ganz weich und seine Stimme leise.

"Und was, wenn er der eine ist, der nicht so ist? Was, wenn er der Mann ist, der mich glücklich macht wie kein anderer? Willst du mir diese Chance verbauen?"

"Denkst du, dass er das ist?"

"Ich weiß es nicht, aber ich würde es gerne herausfinden."

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Meine Lieben,

Was sagt ihr zu dem Gespräch zwischen Abbas und Lilli?

Könnt ihr Abbas' Bedenken verstehen?

Und wie wird die Beziehung von Lilli und Maxim wohl weitergehen?

A.

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