38.

Selbst nach einigen Minuten haben sich weder mein Herzschlag noch meine Atmung normalisiert und auch Maxim geht es nicht besser. Sein Kopf liegt auf meinem flachen Bauch, während er schwer atmet und ich immer wieder gedankenverloren durch sein blondes Haar streiche.

"Das war so gut", sagt er irgendwann heiser ohne mich dabei anzusehen. "Ich dachte ich wüsste was guter Sex ist, aber es scheint sich zu lohnen, darauf zu warten. Wenn man nicht gleich bekommt, was man will, ist es irgendwie mehr wert", philosophiert er mit geschlossenen Augen vor sich hin.

Es klingt kryptisch, aber ich weiß genau was er meint. Niemals hätte ich gedacht, dass ich so viel Sehnsucht und Lust verspüren könnte.

Und doch kann ich mich nicht dagegen wehren, dass mich bereits wenige Stunden später eine Welle von schlechtem Gewissen überrollt. Maxim und ich waren zusammen duschen, haben uns in kuschelige Bademäntel gehüllt und uns ins Bett gelegt. Wieder hatte ich das Bedürfnis ihm so nah wie nur irgendwie möglich zu sein und er ließ es geschehen. Als mir dann irgendwann sein gleichmäßiger Atem verriet, dass er eingeschlafen ist, brachen jedoch eben jene negative Gedanken wieder über mich herein.

Habe ich zu schnell mit ihm geschlafen? Widerspricht das nicht all meinen Prinzipien? Zwar habe ich mich schon immer davon frei gesprochen, erst nach der Hochzeit mit einem Mann zu schlafen, aber ich wollte mir schon sicher sein, dass der Mann mit dem ich es tue einer ist, mit dem ich eine Zukunft habe.

Ist das bei Maxim der Fall? Kann ich mir vorstellen, mein Leben mit ihm zu verbringen? Und kann er sich überhaupt vorstellen, das auch mit mir zu tun?

Bei Walid bin ich mit diesem Vorhaben schon auf die Nase gefallen. Was, wenn ich mich auch in Maxim täusche?

Mein Blick fällt auf den großen muskulösen Mann, dessen Gesichtszüge im Schlaf nicht mehr hart und kantig wirken, sondern ganz friedlich. Sein Arm ist um meinen Bauch geschlungen, sein Körper in einen weichen schwarzen Bademantel gehüllt, der seinem durchtrainierten und tätowierten Körper die Härte nimmt. Und auch dass er mir vorhin auf der Couch seine Gefühle offenbart hat, sich emotional schon vor mir nackig gemacht hat, bevor er es physisch tat, lässt mich ihn nochmal in einem ganz anderen Licht sehen.

Dass ich vielleicht die einzige bin, die ihn so sieht und der er sich so verletzlich zeigt, berührt mich.

Ich würde mir wünschen, dass es für immer so bleibt: dass wir uns vertrauen, ehrlich zueinander sind und loyal zueinander stehen, egal was und wer dagegen steht.

Ich habe gedacht, diesen einen besonderen Menschen in Walid gefunden zu haben und ich wurde so sehr enttäuscht wie nie zuvor.

Lasse ich die Gefühle Maxim gegenüber nur nicht zu, weil ich Angst habe, wieder verletzt zu werden? Oder liegt es wohlmöglich sogar an dem Widerspruch dieser Gefühle zu allem, was mir immer beigebracht wurde? Dass ich bestenfalls einen Libanesen heiraten soll, der der erste und letzte Mann für mich ist.

Ich habe immer versucht, diesen Ansprüchen meiner Familie gerecht zu werden und ich dachte auch selbst, dass dies der richtige Weg sei und doch bin ich gescheitert.

Ist es also falsch, jetzt einfach mal was anderes auszuprobieren?

Kann etwas, dass sich so gut anfühlt überhaupt falsch sein?

..

Als ich am nächsten Tag aufwache, fühle ich mich ziemlich gerädert. Das Bett neben mir ist leer, was nicht verwunderlich ist, da Maxim schon weit vor mir eingeschlafen ist.

Ich höre ihn aus dem benachbarten Büro reden, vermutlich telefoniert er. Langsam stehe ich aus dem Bett auf, hole mir aus meinem Koffer, den ich gestern gar nicht mehr ausgepackt habe, Klamotten für heute und meinen Kulturbeutel und gehe ins Bad. Ich wasche mich, schlüpfe in eine Highwaistjeans und einen bauchfreien Hoodie und schminke mich ein wenig. Meine blonden Haare binde ich einfach zu einem Pferdeschwanz.

Ein Blick durch die Tür des Büros verrät mir, dass Maxim in ein Arbeitsgespräch vertieft ist und das so konzentriert, dass er mich nicht mal bemerkt. Ich entscheide mich dazu runter zu gehen und uns beiden Kaffee zu machen. Ich vermute, dass Maxim bereits gefrühstückt hat und die Spuren in der Küche bestätigen mich in dieser Annahme.

Ich nehme mir Haferflocken, Joghurt und Banane und matsche alles in einer Müslischüssel zusammen, während Maxims Kaffeevollautomat erst eine und dann die zweite Tasse Kaffee brüht.

Mit der Schüssel und den beiden Tassen bewaffnet laufe ich wieder nach oben, wo es mittlerweile still ist. Vorsichtig luge ich noch einmal durch die Bürotür, doch Maxim scheint mittlerweile tatsächlich mit dem Telefonat fertig zu sein.

Als er mich bemerkt, fährt er zu mir herum und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. "Guten Morgen, Prinzessin. Gut geschlafen?", fragt er und legt seinen Kugelschreiber auf den dunklen Schreibtisch.

"Mh ja", nuschele ich und laufe auf ihn zu. "Ich habe dir einen Kaffee gemacht", erkläre ich und reiche ihm die weiße Keramiktasse.

"Danke dir, den kann ich gut gebrauchen", seufzt er und stellt die Tasse neben sein Notebook. "Stress?" hake ich nach.

Maxim nimmt mir auch meine Tasse und die Müslischüssel wortlos aus der Hand und stellt beides hinter sich auf den Schreibtisch, um mich dann bestimmt auf seinen Schoß zu ziehen. Er legt schützend seine Arme um mich und drückt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er seinen Kopf an meine Halsgrube lehnt.

"Ja. Heute ist ja die Veranstaltung im 92, so ein Abend mit Whiskey-Tasting und Livemusik und wie immer läuft nicht alles rund. Ich muss den Leuten hinterher telefonieren, eine von den Bands war noch nicht beim Soundcheck, ein Kellner hat sich krank gemeldet, den anderen habe ich nicht erreicht, jetzt muss Luca einspringen..", erzählt er genervt.

"Dem macht das doch bestimmt nichts aus oder?" "Nein, aber mir. Das ist nicht seine Aufgabe und eigentlich hat er mich um ein freies Wochenende gebeten, weil er Montag eine wichtige Klausur schreibt. Ich hätte ihn echt nicht darum gebeten, wenn ich auf die Schnelle eine andere Lösung parat hätte und sollte ich noch jemand anders erreichen, bestelle ich ihn auch wieder ab. Vielleicht schiebe ich auch jemand anderen aus dem Vanity rüber, aber die kennen wiederum die Abläufe im 92 nicht und der Abend ist zu wichtig, als dass ich da heute Abend um 20 Uhr noch schnell jemanden anlerne. Ich will damit bei unseren Kunden einen Fuß in die Tür bekommen. Wenn der Abend gut läuft, will ich solche Events öfter veranstalten."

"Echt lieb von Luca, dass er trotzdem einspringt. Ich hoffe, der Abend wird so, wie du ihn dir erhofft hast", erkläre ich und streichele ihm liebevoll über die Wange. "Sieh es mal so: wenn die Generalprobe scheiße ist, wird die Premiere meistens gut."

"Ja Luca ist echt loyal, auf ihn kann ich mich blind verlassen. Wenn er sein Studium abgeschlossen hat, will ich ihm die Teamleitung fürs 92 überlassen. Er weiß das aber noch nicht, also verrate mich nicht", erklärt er grinsend. "Der soll sich erstmal noch in sein Studium reinhängen und das bestmöglich abschließen."

"Finde ich cool von dir", gebe ich zu.

"Er hat sich das verdient. Wenn die Leute einen guten Job machen sollen sie auch belohnt werden."

Ich nicke verständnisvoll. "Ich lasse dich jetzt gleich mal in Ruhe arbeiten und werde in die Stadt fahren. Ich will mich an der Uni beraten lassen und mir eine Eishalle ansehen. Wenn die vernünftig sind und alles passt will ich da ein bisschen trainieren. Mir fehlt das Eislaufen echt", gebe ich zu.

"Okay. Und was willst du an der Uni?", fragt Maxim irritiert.

"Ich wollte ja eigentlich in ein paar Wochen mein Jurastudium in München beginnen, aber ich bin mir sowohl bei München als auch bei Jura nicht mehr so sicher", gebe ich zu.

"Also willst du in Stuttgart bleiben?", schlussfolgert Maxim treffsicher und grinst mich überlegen an.

"Mal sehen. Ich lasse mich erstmal beraten", antworte ich.

"Okay, dann mach das. Kann ja nicht schaden. Es ist wichtig für dich, dass du was in der Hand hast."

"Ja, ich weiß. Deshalb nehme ich das heute mal in Angriff."

"Aber heute Abend kommst du mit in den Club, oder?", fragt Maxim hoffnungsvoll und es schmeichelt mir, dass er mich dabei haben will. All die schlechten Gefühle und Gedanken von gestern Nacht sind wie weggeblasen während ich mich in seinen hellblauen Augen verliere.

"Klar, wenn du das möchtest", erkläre ich und lächele ihm zu.

Maxim drückt mir einen zärtlichen Kuss auf meine Lippen und streicht liebevoll über meinen Rücken. "Freut mich. Wenn du Hilfe brauchst oder dich nicht zurecht findest, rufst du mich aber an, ja?"

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Meine Lieben,

Könnt ihr Lillis Gedankenchaos nachvollziehen?

Denkt ihr, es war ein Fehler, dass sie mit Maxim geschlafen hat?

Und glaubt ihr, dass sie in Stuttgart bleibt?

A.

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