34.

Zwei Stunden später komme ich an dem kleinen Club an, über dessen Tür in großen goldenen Lettern 92 steht.

Kurz vor Stuttgart stand ich im Stau und eine schnelle Toilettenpause musste ich auch einlegen, sodass sich die Fahrt um eine halbe Stunde verlängert hat.

Ich parke meinen Wagen direkt vor dem Club in einem Zug neben Maxims feuerrotem Ferrari Spider.

Bevor ich den Club betrete, rauche ich erstmal eine Zigarette und betrachte mich kritisch in den dunkel abgetönten Schaufenstern des Ladens. Ich habe mich zuhause extra umgezogen und mich ein bisschen zurecht gemacht bevor ich los gefahren bin, trotzdem sehe ich nach der langen Autofahrt ziemlich mitgenommen aus.

Ich trage eine schwarze Leggings, ein weißes Cropshirt und eine altrosane Strickjacke, dazu bunte Nikes. Meine langen blonden Haare habe ich zu einem Pferdeschwanz gebunden, der leicht gewellt über meiner Schulter liegt. Ich bin nicht wirklich geschminkt, habe nur ein wenig Lipgloss aufgetragen und die Wimpern, die meine dunklen Augen umrahmen, stark getuscht.

Es ist mittlerweile ziemlich kalt in Süddeutschland, der Winter steht vor der Tür und mit meinem kurzen Shirt friere ich, weshalb ich die Zigarette nach wenigen Zügen bibbernd in dem silbernen Standaschenbecher ausdrücke und die Eingangstür schwungvoll aufziehe.

Im Inneren des 92 herrscht reges Treiben. Morgen steht eine besondere Veranstaltung an, weshalb sich das Team in der heißen Phase der Vorbereitung befindet. Die dunklen Echtholztische und die großen Wandspiegel werden von eifrigen Reinigungskräften geputzt, hinter der Bar polieren einige Barkeeper die vielen Kristallgläser oder füllen die Spirituosen auf.

Das 92 ist ein kleiner, exklusiver Club mit edlem Interieur: dunkles Mahagoniholz, Wildledersofas, indirekte Beleuchtung. Und so präzise ausgewählt und geschmackvoll wie die Inneneinrichtung sind laut Maxims Worten auch die Gäste. Hier kommt nur rein, wer Rang und Namen und einen entsprechenden Kontostand hat.

"Hi, kann ich dir helfen?", ertönt eine freundliche Männerstimme direkt neben mir und lässt mich kurz zusammenzucken. Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich gar nicht mitbekommen habe, dass jemand auf mich zugekommen ist.

Vor mir steht ein junger Mann, vermutlich kaum älter als ich und grinst mich schief an. "Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken."

Er hat braunes wuscheliges Haar, ein richtiges Babyface und ein so niedliches Grinsen, dass er mühelos jeden anderen Sunnyboy in den Schatten stellen würde. Er sieht nicht nur aus wie ein Katalogmodel, er hat auch so perfekte weiße Zähne wie aus einer Zahnpastawerbung. Er ist relativ groß und hat eine sportliche Figur, die in einem schlichten schwarzen Sweater und einer dunklen Jeans steckt. Das einzig auffällige an seinem minimalistischen Outfit sind seine quietschbunten Balenciaga-Sneakers.

"Alles gut", beschwichtige ich ihn lächelnd. "Ich bin auf der Suche nach Maxim."

Der junge Mann schmeißt sich lässig ein dunkles Geschirrtuch über seine Schulter und grinst mich wissend an. "Lilli?", fragt er.

Überrascht sehe ich ihn an. "Ja genau", antworte ich verhalten. Woher kennt er meinen Namen?

"Cool. Ich bin Luca", informiert er mich und hält mir höflich die Hand hin. "Hi Luca", antworte ich und schüttele seine Hand kurz.

"Maxim hat mir Bescheid gesagt, dass du kommst. Er ist noch oben im Gespräch mit einem Elektriker und Tamara, das dürfte aber nicht mehr lange dauern. Setz dich am besten irgendwo hin, heute ist freie Platzwahl", erklärt er grinsend und verweist mit einer ausladenden Geste auf all die leeren Tische im Club.

Tamara? Ob das die Frau vom Telefon ist?

"Okay, danke", erwidere ich und ringe mir aus Höflichkeit ein Lächeln ab, obwohl mir überhaupt nicht danach ist.

"Ich bringe dir in der Zwischenzeit was zu trinken. Hast du irgendwelche Wünsche oder soll ich dir einfach auf gut Glück einen Drink mixen? Man sagt mir nach am Cocktailshaker magische Kräfte zu haben", erklärt er großspurig.

Luca hat ein so einnehmendes, charmantes Wesen, dass ihm die Frauen sicher reihenweise verfallen. Mich jedenfalls bringt er mit seiner goldigen Art nun doch zum Schmunzeln.

"Kein Alkohol und keine Sahne, ansonsten vertraue ich auf deine Fähigkeiten", antworte ich grinsend.

"Kriege ich hin", erwidert Luca selbstsicher und verschwindet in Richtung Bar.

Ich nehme zielstrebig an einem der Tische im hinteren Teil des Clubs Platz, da ich dort weniger das Gefühl habe, im Weg zu sein.

Wieder schweifen meine Gedanken zu Lucas Worten ab und ich spüre neben der Eifersucht vor allem Unsicherheit in mir aufsteigen. Wer ist diese Tamara und wieso wohnt sie einer Besprechung zwischen Maxim, dem Chef des Ladens und dem Elektriker über das neue Lichtkonzept bei? Was für eine Funktion hat sie hier?

Ich stöhne lautlos auf und drehe frustriert eine meiner blonden Haarsträhnen um meinen Zeigefinger.

Um mich abzulenken ziehe ich mein iPhone aus meiner kleinen weißen Gucci Tasche und öffne den WhatsApp Chat mit Abbas.

"Hey du ♡ Bin gut in Stuttgart angekommen. Gab ein bisschen Stau und ein paar nervige Autofahrer, aber ansonsten hat alles gut geklappt. Bin jetzt bei Maxim im Laden, er hat noch ein Meeting und ich warte auf ihn. Was machst du so?", schreibe ich ihm.

Er ist sowieso online und binnen Sekunden ändert sich sein Status in "schreibt.."

"Hey 🖤 Elhamdulillah. Dachte schon, du hast mich vergessen 😒 Bin zuhause mit Younes, rauchen Pfeife."

"Tahiati alhara. Ich habe ihn voll vermisst 😪", antworte ich. Younes hat mir genau so gefehlt wie Abbas. Wir haben eine enge, familiäre Bindung zueinander und zuletzt war er der einzige, der noch zu mir gehalten hat und sich auf dem Hotelflur vor mich gestellt hat um mich vor Abbas und Walid zu schützen.

"Schöne Grüße zurück. Er hat mich schon dafür verflucht, dass ich dich habe gehen lassen 🙄😒"

"Limada?"

"Weil wir da kein Auge auf dich haben können 🧿"

"Bin schon groß und kann auf mich selbst aufpassen 🤫"

"Habe ich gesehen.."

"Hast du ihm davon erzählt?"

"Ja. Schlimm?"

"Quatsch. Was hat er gesagt?"

"Dass Walid ein Hurensohn ist und noch sehen wird. Younes war richtig geschockt, wallah. Der hatte Tränen in den Augen als ich ihm das erzählt habe."

"Habibi Younes", tippe ich in mein Handy, als ich Luca entdecke, der wieder breit grinsend vor mir steht. In seiner Hand hält er ein bauchiges Cocktailglas in dem sich eine rosarote Flüssigkeit mit cremiger, Sorbet-ähnlicher Konsistenz befindet.

Zufrieden stellt er das Glas vor mich auf den Tisch. "Sieht gut aus", kommentiere ich lobend. "Schmeckt auch gut", antwortet er überzeugt.

"Was ist da drin?", hake ich nach. "Probier doch einfach. Mal schauen, ob du es rausschmeckst."

Der große Mann mit den weichen Gesichtszügen lässt sich mir gegenüber auf einem der dunkelbraunen Wildledersofas nieder und beobachtet mich gespannt.

Ich ziehe das Glas etwas näher an mich heran und nehme einen Schluck des kalten Drinks durch den gläsernen Strohhalm. Er schmeckt fruchtig, nicht zu süß und vor allem irgendwie exotisch.

"Chapeau, der ist wirklich lecker", gebe ich zu. "Das klingt so überrascht, hast du etwa nicht an mich geglaubt?", fragt er mich und bringt mich mit seinem entrüsteten Gesichtsausdruck erneut zum Lachen.

"Natürlich habe ich das. Du hast meine Erwartungen eben noch übertroffen", beschwichtige ich ihn und zwinkere ihm zu.

"Ja ja", entgegnet er und verdreht die Augen. "Also, was ist drin?"

Ich nehme noch einen Schluck und versuche angestrengt die einzelnen Zutaten zu erschmecken. "Erdbeeren, Eis, vielleicht Kokosmilch?", tippe ich.

Luca nickt anerkennend und seine braunen Augen funkeln amüsiert. "Weiter", fordert er mich auf. Unser kleines Spiel macht ihm Spaß - und mir auch.

"Schwierig. Vanille?"

"Tonkabohne", korrigiert er mich.

"Angeber", kontere ich und verdrehe gespielt die Augen.

Er ignoriert meine flapsige Aussage gekonnt und erklärt stattdessen: "Zwei Zutaten fehlen noch."

"Zitrone? Irgendwas frisches", murmele ich nachdenklich, doch Luca schüttelt den Kopf.

"Na los, klär mich auf", fordere ich ihn resigniert auf.

"Orangensaft und ein Schuss Grenadine", verrät er mir und lehnt sich nun entspannt zurück in die weiche Rückenlehne.

"Schmeckt echt gut", wiederhole ich noch einmal. "Ich glaube, ich habe noch nie so einen Cocktail getrunken. Hat ein bisschen was von einem Strawberry Daiquiri, aber die Kokosmilch macht es besonders."

"Ja oder? Der kommt hier im Club auch echt gut an. Wir nennen ihn Frosé, wegen "frozen" und der Rosé-Farbe."

"Deine Kreation?", frage ich schmunzelnd.

Stolz nickt er. "Ich sagte ja, ich kann gute Cocktails zaubern."

"Kann ich nur bestätigen. Wie lange machst du das schon?", frage ich ehrlich interessiert und lasse mich ebenfalls etwas tiefer in die weichen Polster sinken.

"Seit vier Jahren. Ich habe damals neben dem Abi im Vanity angefangen als Barkeeper zu jobben und bin dann hier rüber gewechselt, als Maxim den Laden eröffnet hat. Eigentlich wollte ich Sportlehrer werden, aber der Job und das ganze drumherum haben mir so gut gefallen, dass ich mittlerweile Eventmanagement studiere. War Maxims Idee, er hat ja selbst was in die Richtung gelernt", erzählt Luca bereitwillig.

"Wie alt bist du denn?"

"Zweiundzwanzig und du?"

"Zwanzig", antworte ich knapp.

"Studierest du auch?", fragt Luca und ruft damit unbeabsichtigt ein schlechtes Gefühl in mir hervor. Das Thema "Zukunft" ist für mich noch immer schwere Kost.

"Ich mache seit meiner Kindheit Leistungssport und habe das die letzten zwei Jahre nach dem Abitur hauptberuflich gemacht, aber ich wollte dieses Jahr ein Jurastudium anfangen", erzähle ich zähneknirschend.

"Echt? Das hätte ich jetzt nicht von dir erwartet. Weder den Leistungssport noch das Jurastudium", erklärt Luca überrascht und mustert mich kurz. "Was machst du denn?"

"Eiskunstlauf", antworte ich und will mich gerade erkundigen, wieso ihn das so überrascht, als mehrere Personen die dunkle Wendeltreppe, die zu den Büroräumen führt, herunter kommen und meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Ich erkenne Maxim, der laut lachend vor läuft, gefolgt von einem Mann mittleren Alters in Hemd und Jeans. Er ist von kräftiger Statur und trägt eine runde Brille auf der Nase.

Je weiter die beiden Männer die
Stufen herunter kommen, desto mehr geben sie den Blick auf eine junge Frau frei, die ihnen folgt und mir die Sprache so sehr verschlägt, dass sich bei ihrem Anblick mein Magen schmerzhaft zusammenzieht.

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Meine Lieben,

Was sagt ihr zu Luca? Ist der nicht niedlich?

Und was für eine Frau folgt Maxim wohl die Treppe runter?

Ob das die bereits erwähnte Tamara ist? Und wer ist sie?

Muss Lilli sich etwa ernsthafte Sorgen machen?

A.

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