33.
"Hey Prinzessin", dringt Maxims tiefe Stimme aus den Boxen meines weißen Porsche Panamera und sofort breitet sich wieder dieses wohlig warme Gefühl in mir aus.
"Hey", erwidere ich lächelnd und beschleunige meine sportliche Limousine auf 190 km/h.
Der Abschied von Abbas war überraschend herzlich, so herzlich wie schon lange nicht mehr. Er hat mir das Versprechen abgenommen, mich sofort bei ihm zu melden wenn ich im Stuttgart angekommen bin und den Kontakt zwischen uns nicht nochmal abreißen zu lassen.
"Bist du endlich wieder auf dem Rückweg?", fragt Maxim.
"Endlich", wiederhole ich lachend. "Ich war nicht mal zwei Stunden zuhause."
"Aber mit den drei Stunden Hinfahrt und den drei Stunden Rückfahrt war das quasi eine Ewigkeit, die ich auf dich gewartet habe", stöhnt er leidvoll.
"Ja klar. Du warst wahrscheinlich froh mal deine Ruhe zu haben", necke ich ihn schmunzelnd und werfe dann einen genervten Blick auf die Fahrbahn. Vor mir auf der linken Spur fährt ein dunkelblauer BMW mit schätzungsweise 150 km/h. Ich komme ihm immer näher, da ich deutlich mehr Geschwindigkeit drauf habe als er, doch anstatt einfach vorausschauend die Spur zu wechseln, blockiert dieser Idiot den ganzen Verkehr.
Mittlerweile habe ich den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand schon deutlich unterboten, doch obwohl ich so dicht auffahre scheint der Fahrer vor mir einen Spurwechsel noch immer nicht als nötig zu betrachten. Um der dunklen Limousine nicht gleich in den Kofferraum zu fahren muss ich jetzt sogar abbremsen.
"Meine Fresse", fluche ich und gebe ihm ein Signal mit der Lichthupe.
"Was ist los?", erkundigt sich Maxim.
"Hier schleicht einer vor mir rum", knurre ich ungezügelt. "Das Rechtsfahrgebot ist offensichtlich noch immer nicht allen Verkehrsteilnehmer bekannt."
"Reg dich nicht auf", probiert Maxim mich zu beschwichtigen, doch es gelingt ihm nicht. Auch wenn ich normalerweise schwer aus der Ruhe zu bringen bin, gilt das nicht beim Auto fahren. Unüberlegte, riskante Fahrmanöver oder die Fahrbahn behindernde Sonntagsfahrer treiben mich regelmäßig zur Weißglut.
Erneut betätige ich mehrmals kurz hintereinander den schwarzen Hebel, der das Fernlicht anschaltet, doch noch immer will der andere Fahrer mich offensichtlich nicht bemerken.
"So ein Ignorant. Jetzt reicht es mir", schimpfe ich, werfe einen kurzen Blick in den Seitenspiegel und ziehe dann auf die mittlere Spur um den blauen BMW unerlaubterweise rechts zu überholen.
Die 630 PS lassen meinen Wagen schnell wieder beschleunigen und so ziehe ich in Sekunden an ihm vorbei, nicht ohne einen bösen Blick in den Wagen zu lenken.
Am Steuer sitzt ein junger Typ, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich, der sich ganz offensichtlich keiner Schuld bewusst ist.
"Der Wagen hat 210 PS, da geht noch ein bisschen was, hat dein Papi dir das nicht gesagt, bevor er dir seinen Schlüssel gegeben hat?", schimpfe ich weiter und schere kurz vor ihm wieder auf der linken Spur ein, nur um ihn in wenigen Sekunden so weit hinter mir zu lassen, dass ich ihn nur noch als kleinen blauen Fleck in meinem Rückspiegel wahrnehme.
"Mein Gott", knurre ich und entspanne mich wieder merklich, je weiter der Idiot hinter mir zurückbleibt.
"Situation gerettet?", erkundigt sich Maxim und ich höre, dass er grinst.
"Ja, sorry, aber sowas macht mich wahnsinnig", entschuldige ich mich stöhnend.
"Schon okay, lass uns einfach über was anderes reden", schlägt Maxim vor. "Wie lief es denn mit deinem Bruder? Du hast mir ja geschrieben, dass ihr die ganze Zeit wegen mir diskutiert habt. Ich hoffe, er hat dir keinen Stress gemacht weil du hier warst oder wieder zurück kommen willst."
"Zuerst haben wir uns schon ein wenig gestritten, aber wenigstens haben wir uns mal richtig ausgesprochen. Abbas hat mich ausgefragt, was das zwischen uns ist, ob wir zusammen sind oder nicht. Er hat anfangs darauf bestanden, dass ich zuhause bleibe, aber ich habe meinen Willen durchgesetzt - vermutlich zum ersten Mal. Ich habe mich nicht wieder von ihm unterbuttern lassen und ich glaube, dass das dringend mal nötig war. Im letzten Jahr ist seine brüderliche Fürsorge so entgleist, dass ich nur noch darunter gelitten habe. Wir haben uns ständig gestritten, ich hatte irgendwann Angst mit ihm zu reden und das Gefühl, er würde im Zweifelsfall sowieso eher zu Walid halten als zu mir.
Abbas hat mir erklärt, dass er mich nur beschützen will und sich ein gutes Leben für mich wünscht. Ich habe ihm versucht klar zu machen, dass ich nicht die selben traditionellen Werte wie er vertrete und mir etwas anderes für mein Leben wünsche. Vielleicht ist es nicht das richtige für mich, meinen ersten Freund direkt zu heiraten, vielleicht war die Verlobung zu überstürzt. Vielleicht muss ich erstmal erwachsen werden, mich selbst verwirklichen und mich ausleben, Erfahrungen sammeln, ganz für mich allein, um dann irgendwann so einen Schritt wie heiraten und Kinder kriegen zu gehen. Ich kann ihn ja verstehen, er ist nun mal mit diesem traditionellen Bild aufgewachsen, aber er kann mich nicht unter dem Deckmantel von Tradition und Werten in unserer Kultur oder Religion bevormunden und andererseits ist er tätowiert, raucht, trinkt, kifft und trifft selbst ständig andere Mädchen.
Ich will nicht rumhuren, ich will keine Schlampe werden, ich will einfach nur mal frei sein und mich entfalten können, ohne dass mein Bruder jeden meiner Schritte mit Argusaugen überwacht. Ich hab mich zuletzt gefühlt wie ein Vogel in einem goldenen Käfig."
"Das klingt wirklich gut, Lilli", antwortet Maxim beeindruckt auf meinen Monolog. "Es freut mich für dich, dass ihr das klären konntet. Ich hoffe eure Beziehung bessert sich jetzt wieder. Weißt du, ein bisschen kann ich ihn auch verstehen. Er will einfach nur dass es dir gut geht. Gib ihm ein bisschen Zeit sich an die neue Situation zu gewöhnen."
"Ja, du hast Recht", antworte ich lächelnd und lenke den Wagen auf die mittlere Spur. Die Autobahn ist ziemlich leer, daher gibt es keinen Grund für mich noch weiter auf der Überholspur zu fahren.
"Aber Apropos Beziehung", wirft Maxim ein. "Wie hast du ihm unsere Beziehung denn erklärt?"
Ich höre, dass er bei dieser Frage grinst und spüre förmlich, wie er gespannt auf meine Antwort wartet.
Obwohl ich mich letztens in der Stadt noch bemüht habe klar zu stellen, dass wir in keiner Beziehung sind, muss ich mir immer mehr eingestehen, dass wir eben auch nicht nicht in einer Beziehung sind.
"Ich habe ihm gesagt, dass wir noch nicht definiert haben, an welchem Punkt dieser Reise wir gerade sind", wiederhole ich grinsend seine Worte.
"Max, kommst du runter? Der Elektriker ist da", erklingt eine hohe Frauenstimme durch meine Lautsprecher.
Max? Allein, dass diese Frau ihn so nennt macht mich stutzig. Wer ist sie? Wenn sie einfach nur irgendeine Mitarbeiterin wäre, würde sie ihren Chef schließlich nicht Max nennen, oder? Er hat mir selbst bei unserer ersten Begegnung gesagt, dass ihn nur Freunde so nennen.
Stehen die beiden sich etwa näher? Ist sie eine Freundin von ihm oder im schlimmsten Fall sogar mehr?
Ich beiße frustriert auf meine Unterlippe.
"Ja klar, danke dir, ich komme sofort", antwortet Maxim der Unbekannten ebenso locker. Es klingt, als hätten sie ein gutes, harmonisches Verhältnis zueinander. Ich sehe vor meinem inneren Auge, wie er ihr sein einnehmendes Lächeln schenkt.
Es ist albern, aber ich will nicht, dass er sie so anlächelt.
"Du Lilli, ich muss Schluss machen. Ich habe heute einen Elektriker im 92. Ich will in den Decken komplett neue Lichttechnik installieren lassen, habe ich dir ja erzählt und da ist jetzt ein Elektromeister da um mir sein Konzept vorzustellen. Wie lange brauchst du denn noch?"
Ich werfe einen schnellen Blick auf das Navi. "Anderthalb Stunden", antworte ich kurz angebunden. Anderthalb Stunden, in denen ich jetzt noch ausgiebig darüber fantasieren kann, wer die junge Frau mit der nervtötend hellen Stimme ist.
"Okay. Ich weiß nicht, ob ich bis dahin schon fertig bin. Kommst du direkt zum Club? Dann können wir zusammen nachhause fahren wenn ich durch bin, ja?", schlägt Maxim unbeirrt vor.
Für einen kurzen Moment zögere ich und frage mich, ob es eine gute Idee zum Club zu fahren, wenn ich dort auf sie treffen könnte. Andernfalls würde Maxim das doch nicht vorschlagen, wenn mehr zwischen ihm und dieser Frau wäre, oder?
"Klar, schick mir nur nochmal deinen Standort, antworte ich kurzentschlossen, wenn auch mit leichten Bauchschmerzen.
"Okay Prinzessin. Ich freue mich auf dich. Fahr vorsichtig. Bis gleich", beendet er das Telefonat liebevoll.
"Oh man", stöhne ich leise, als Maxim aufgelegt hat und ärgere mich über mich selbst. Ist das etwa Eifersucht, die die unbekannte Frau da gerade in mir ausgelöst hat?
Woher kommt das plötzlich?
Ich war schließlich die ganze Zeit diejenige, die versucht hat sich zu distanzieren und unsere undefinierte "Beziehung" möglichst unverbindlich zu halten.
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen in Anbetracht der Tatsache, dass wir nicht mal offiziell zusammen sind, weshalb Maxim jedes Recht hätte auch andere Frauen zu treffen.
So fern liegt der Gedanken nichtmal, schließlich ist außer den paar Küssen zwischen uns noch nichts gelaufen. Ich muss wieder an die Worte meines Bruders denken: "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du tagelang bei ihm bist, er dich bei sich wohnen lässt, sich um dich kümmert und da nichts zwischen euch läuft."
Ob er sich bei irgendeiner anderen holt, was er von mir nicht bekommt?
Ich hole tief Luft und versuche mich nicht zu sehr in meine Gedanken reinzusteigern. Das Gespräch zwischen den beiden ging nur wenige Sekunden und war eigentlich unspektakulär, wieso drehe ich jetzt so durch?
Vielleicht bedeutet Maxim mir doch noch mehr als ich mir bisher eingestanden habe. Vielleicht habe ich mich entgegen all meiner guten, konservativen Vorsätze bereits in ihn verliebt und die aufkommende Eifersucht ist einfach nur die Angst ihn verlieren zu können. Nach allem was in den letzten Wochen passiert ist würde mir das wohl den Rest geben.
Ich kann mir gerade einfach nicht vorstellen ohne ihn zu sein.
Ich drehe die Musik in meinem Wagen ein wenig lauter in der Hoffnung, der mittelmäßige Pop-Song im Radio könnte meine Gedanken übertönen.
Je mehr Zeit vergeht, desto mehr manifestiert sich jedoch ein Gedanke in meinem Kopf: ich muss das Gespräch mit Maxim suchen und klarstellen, dass ich nicht damit einverstanden bin, wenn er neben mir andere Frauen trifft, egal wie wir das zwischen uns auch definieren.
______________________________
Meine Lieben,
Kennt ihr solche Situationen wie Lilli sie auf der Autobahn erlebt?
Und was sagt ihr zu der Eifersucht, die die unbekannte Frau in Lilli auslöst? Könnt ihr das nachvollziehen oder seid ihr keine eifersüchtigen Menschen?
A.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top