3.

Am frühen Abend komme ich wieder in München an. Ich hole mein Auto nach der langen Reise aus dem Parkhaus und fahre erschöpft nachhause. Zum Glück ist der Flughafen nicht so weit von unserem Haus entfernt, denn eine lange Autofahrt hätte ich heute vermutlich nicht mehr geschafft.

Erleichterung breitet sich in mir aus als ich die schwere Haustür aufschließe. Zuhause ist es immer noch am Schönsten, auch wenn es seltsam leer und ruhig hier ist ohne Abbas.

Eigentlich wäre heute der Tag gewesen, an dem wir von Beirut aus nach Istanbul weiter geflogen wären, doch dazu ist es zumindest für mich nicht mehr gekommen.

Ob die anderen noch weiter geflogen sind? Ich weiß es nicht. Ich habe von niemandem was gehört.

Ich entscheide mich dazu meinen Koffer heute nicht mehr auszupacken und lasse ihn einfach im Flur stehen. Mir bleibt in den nächsten Tagen genug Zeit dazu mich um die Wäsche zu kümmern. Heute will ich mich einfach nur noch ausruhen.

Ich lasse mir ein heißes Bad ein, kippe etwas Vanille-Badesalz in das dampfende Wasser und lasse wenig später meinen nackten Körper in die volle Wanne gleiten.

Mein Leben hat sich in den letzten zwei Tagen so überschlagen, dass ich mit meinen Gedanken und Gefühlen gar nicht mehr hinterher komme.

Erneut steigen mir Tränen in die Augen, doch diesmal blinzele ich sie nicht tapfer weg, sondern lasse sie einfach laufen.

Aus den im Badezimmer verbauten Lautsprechern dröhnt leise melancholische Lana del Rey Musik und ich schließe die Augen.

Ich liebe Walid, natürlich tue ich das, sonst hätte ich seinen Antrag nie angenommen, aber unmittelbar danach, durch diesen sinnlosen Streit, der sich so wahnsinnig hochgeschaukelt hat, hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich etwas verpassen könnte und dass das doch nicht das Leben sein könnte, das ich gerne führen würde.

Die Aussage, dass ich manchmal bereue, nicht bei Maxim in Stuttgart geblieben zu sein, ist nur aus Wut gefallen, doch je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr verstehe ich, was mich dazu getrieben hat.

Maxim ist locker, entspannt, kein Mann für großes Drama, wohingegen Abbas und zunehmend auch Walid dazu neigen aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen.

Ich frage mich immer mehr, ob es ein Fehler war, gleich den ersten Mann in meinem Leben für immer behalten zu wollen? Ich habe keine Erfahrung, weder emotional noch sexuell, habe noch nie mit einem anderen Mann eine Beziehung geführt geschweigedenn geschlafen, und auch wenn das natürlich kein Muss ist, weiß ich nicht, ob mir das für immer reicht.

Ich bin noch wahnsinnig jung und auch wenn ich mich nicht beschweren kann, keine Freiheit gehabt zu haben, so hat Abbas mich in Bezug auf Männer immer klein gehalten und all meine Entfaltung fand stets unter seinen schützenden Argusaugen statt.

Vermutlich ist mir das bisher immer nur entgangen, weil ich ihn so sehr liebe, dass ich nahezu alles was er getan hat billigend hingenommen oder sogar romantisiert habe.

Ob wir es in Zukunft schaffen werden, unser zerrüttetes Verhältnis zu kitten?

Auch wenn ich erstmal meine Ruhe will, so könnte ich vermutlich nicht damit leben, ein Leben lang ohne meinen großen Bruder sein zu müssen. Dafür ist unser Band eigentlich zu eng - zumindest hoffe ich das..

Nach dem entspannenden Vollbad ziehe ich mir einen Pyjama an und kuschele mich ins Bett. Es dauert noch lange, bis ich an diesem Abend einschlafen kann.

...

Die nächsten Tage verbringe ich ziemlich zurück gezogen daheim. Ich gehe maximal zum Sport oder notgedrungen einkaufen um nicht zu verhungern.

Dass Abbas wieder zuhause ist kündigt er mit lautem Türknallen an, aber sonst bleibt es ziemlich still. Er tut alles dafür mir nicht zu begegnen und wenn doch ignoriert er mich hartnäckig. Ich bin auf der einen Seite froh darüber, da ich zu einer erneuten Konfrontation noch nicht bereit bin, aber auf der anderen Seite verletzt es mich auch.

Es ist der nächste Montag, gut eine Woche nach meiner überstürzten Rückkehr nach München, als ich mich dazu entschließe, aus meinem Schneckenhaus zu kriechen und etwas zu unternehmen. Ich habe bei Instagram ein paar neue Nikes gesehen die mir ziemlich gut gefallen haben und will im Olympia-Einkaufszentrum mal schauen, ob ich sie bei Snipes oder Footlocker bekomme.

Bis heute habe ich weder mit Walid noch mit Abbas oder einem der anderen Jungs ein Wort gewechselt, lediglich Younes hatte mir einmal kurz geschrieben und gefragt, ob ich gut zuhause angekommen sei.

Ich war heute morgen duschen und lasse meine frisch gewaschenen blonden Haare glatt über den Schultern liegen. Ich schlüpfe in eine locker sitzende Highwaistjeans und kombiniere ein einfaches schwarzes Cropshirt und schwarze Stiefeletten dazu. Ich schminke mich nur leicht, schnappe einer meiner kleinen Markentaschen und mache mich mit meinem Porsche Panamera auf den Weg zum Einkaufszentrum.

Ich streife zunächst ziellos durch die Gänge und versuche mich zu orientieren. Eigentlich gehe ich lieber in die Innenstadt als ins OEZ und deshalb kenne ich mich hier nicht so gut aus. Ich beschließe erst zu Starbucks zu gehen und lasse mir von der freundlichen Barista den Weg zum nächsten Schuhgeschäft erklären.

Ihre Wegbeschreibung befolgend finde ich mich wenige Minuten später mit einem großen Kaffee in der Hand vor einem riesigen Regal voller Markensneakers wieder und schaue mich gelangweilt um.

"Nicht das Richtige für dich dabei?", ertönt eine tiefe Stimme neben mir gefolgt von einem kehligen Lachen. In der ersten Sekunde vermute ich noch einen Verkäufer, der mir seine Hilfe anbieten will, doch dann erkenne ich die Stimme.

Erschrocken und erfreut zugleich drehe ich mich um und sehe in Maxims strahlend blaue Augen, die mich belustigt angucken. Er zieht mich in eine kurze Umarmung, während der mir sein markantes Parfum in die Nase steigt.

"Was machst du denn hier?", frage ich überrascht. Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken daran mit ihm hier plaudernd zu stehen, was nur beweist wie tief Abbas' und Walids Misstrauen mein Verhalten schon beeinflussen.

"Ich habe gleich einen Termin in München. Ich bin allerdings ausnahmsweise mal gut durchgekommen und habe deshalb noch ein wenig Zeit totzuschlagen. Da dachte ich mir, ich mache mich mal auf die Suche nach dir, Prinzessin", feixt er.  Er ist einfach unverbesserlich. Nachdem er nach Walids Ansage bei unserem letzten Aufeinandertreffen wortlos abgehauen ist, hätte ich nicht mit einer derart offensiven Anmache von ihm gerechnet.

"Ist klar", erwidere ich lachend. "Nein, ich wollte mich ein bisschen umschauen und habe dich durchs Schaufenster entdeckt, da dachte ich, ich sage mal hallo", erklärt er beschwichtigend und grinst mich selbstsicher an. Er trägt sein blondes Haar ein wenig kürzer und wirkt noch breiter, außerdem meine ich, an seinem Hals ein neues kleines Tattoo auszumachen, doch ansonsten hat sich nichts verändert.

"Hallo", gebe ich grinsend zurück.

"Wie geht's dir, was gibt's neues?", fragt er interessiert.

Ich zögere einen Moment, unwissend  wie ich auf diese Frage antworten soll.

"Also geht's dir so, wie du aussiehst?"

"Scheiße?", entfährt es mir beleidigt.

"Fabelhaft meinte ich", entgegnet er und zwinkert mir zu, doch ich weiß, dass das eine Lüge ist.

"Ist gerade alles ziemlich schwierig", räume ich ein und senke traurig meinen Blick.

Maxim legt aufmunternd seine Hand auf meine Schulter und schenkt mir ein warmes Lächeln. "Das wird schon wieder."

Ich werde das Gefühl nicht los, dass dieses Gespräch ein Fehler ist, aber es fühlt sich so gut an, nach all den Tagen endlich mal eine unbeschwerte Unterhaltung zu führen mit jemandem, der mich nicht abgrundtief verachtet.

Bis ich meinen Blick schweifen lasse und in der Mitte des Einkaufszentrums zwischen den Geschäften jemanden erkenne, dessen Anblick schlagartig die Übelkeit in mir hochtreibt. Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen und meine Gedanken überschlagen sich.

Ich mache mich klein, versuche mich hinter Maxim zu verstecken, doch als ich einen weiteren vorsichtigen Blick durch das große gläserne Schaufenster werfe treffen meine braunen Augen auf die seinen.

Er verharrt in seiner Bewegung, starrt mich ungläubig an und erkennt dann die Person an meiner Seite.

Die Fassungslosigkeit in seinem Blick mischt sich mit Wut zu einem gefährlichen Cocktail, gefüttert mit einer Menge Adrenalin, die in ihm hochzukochen scheint.

"Ich muss weg", rufe ich Maxim kurz angebunden zu und lasse ihn verdattert stehen, um panisch aus dem Geschäft zu stürzen. Das schaffe ich nicht. Nicht jetzt.

Ich komme gut zweihundert Meter weit, bis er mich mühelos eingeholt hat und mich aufgebracht an meinem Arm herum reißt.

"Das ist nicht dein Ernst?", knurrt er bedrohlich und baut sich vor mir auf.

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Meine Lieben,

Was sagt ihr zu Maxims Auftritt?

Und wen hat Lilli durchs Schaufenster erkannt?

A.

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