29.
"Wo ist sie?", knurrt eine mir bekannte Stimme und ich könnte schwören, dass mein Herz in diesem Moment stehen bleibt.
Scheiße.
Das kann nicht wahr sein.
Auch Maxim ist auf einmal deutlich angespannt, sein ganzer Körper versteift sich.
"Guten Morgen", antwortet Maxim düster.
Sein Gegenüber schnaubt verächtlich auf und will sich einfach an ihm vorbei ins Innere des Hauses drängen, da schubst Maxim ihn energisch zurück.
"Das hier ist mein Haus. Also wenn du rein willst, dann nur, wenn ich dich lasse und wenn du zu ihr willst, dann nur, wenn sie damit einverstanden ist", macht er ihm eine klare Ansage.
Einen kurzen Moment herrscht Stille.
"Also ist sie bei dir?"
"Ja, ist sie", bestätigt Maxim knapp.
"Lässt du mich bitte zu ihr?" Er klingt nun deutlich ruhiger und dass er tatsächlich das Wort bitte über die Lippen bringt beeindruckt mich ein wenig. Es gefällt mir, dass Maxim ihn deutlich in seine Schranken gewiesen hat um mich in Schutz zu nehmen.
Maxim dreht sich herum und wirft mir durch den Flur hinweg einen fragenden Blick.
Ich sitze noch immer wie versteinert am Esstisch, mein Marmeladenbrötchen in der Hand als wäre ich eingefroren. Der Appetit ist mir gründlich vergangen. Langsam lege ich das angebissene Brötchen auf den Teller und stehe von dem dunklen Ledersessel auf.
Ohne die Entscheidung lange zu überdenken nicke ich Maxim zu.
"Komm rein", fordert er ihn auf. "Aber nur um das klarzustellen: mein Haus, meine Regeln. Hier wird nicht geschrien, gedroht oder beleidigt und schon gar nicht die Hand erhoben, sonst schmeiße ich dich wieder raus."
Maxim kommt mir entgegen und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich habe Angst ihn wiederzusehen und noch immer fühlt es sich ihm gegenüber wie ein Fehler an hier zu sein.
Erst als Maxim fast wieder im offenen Essbereich angelangt ist, kann ich einen ersten Blick auf ihn erhaschen.
Es ist das erste Mal seit nun fast schon zwei Wochen, dass ich ihn sehe.
Er sieht gut aus in seinem dunklen Strickpullover und der Jeans, aber ein wenig übermüdet.
Er wirkt mindestens genau so angespannt wie ich und mustert mich aufmerksam. Auch wenn ich die Wut in seinen schwarzen Augen erkenne wirkt er verhältnismäßig ruhig.
Maxim legt mir eine Hand auf den Rücken und schiebt mich sanft Richtung Couch. "Setzt euch ins Wohnzimmer, ich räume mal den Tisch ab."
Wie in Zeitlupe laufe ich zu dem großen grauen Sofa und nehme an der kurzen Seite Platz. Er bleibt kurz vor mir stehen und mustert mich eindringlich, setzt sich dann jedoch gegenüber von mir hin.
"Was zur Hölle machst du hier, Lilli? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wie kannst du hier sitzen und fröhlich mit ihm frühstücken, wenn du mit Walid verlobt bist? Und wieso zur Hölle meldest du dich tage- oder wochenlang nicht bei uns? Sogar Papa macht sich schon Sorgen um dich", ergreift Abbas aufgebracht das Wort.
Mir klappt die Kinnlade runter. "Mit Walid verlobt? Hast du denn nicht mitbekommen, was passiert ist?", frage ich fassungslos und merke wie mir Tränen in die Augen steigen. Tapfer blinzele ich sie weg. Ich will jetzt keine Schwäche zeigen.
Abbas schüttelt entschieden den Kopf.
"Ich habe die Verlobung gelöst", erkläre ich mit einem aufgeregten Zittern in der Stimme. Es kann doch wohl unmöglich sein, dass Walid ihm das nicht erzählt hat.
"Bitte was? Wieso das denn? Sag jetzt nicht wegen dem", knurrt Abbas und wirft Maxim einen vernichtenden Blick zu.
Heiser lache ich auf. "Weißt du wirklich von gar nichts?"
"Nein man, was ist denn los? Kannst du jetzt mal mit der Sprache rausrücken?", fragt er angespannt und fummelt ungeduldig an seiner Armbanduhr herum.
"Walid hat mich zusammengeschlagen, Abbas. Keine Ohrfeige oder so. Er hat mich richtig zusammengeschlagen. Von Gehirnerschütterung über zugeschwollenes Auge bis hin zu Rippenprellungen hatte ich alles", erzähle ich mit belegter Stimme.
Abbas Augen weiten sich. "Dein Ernst?", presst er erschrocken durch zusammengebissene Zähne hervor. Seine Reaktion beweist, dass er das wirklich nicht wusste.
Ich nehme von dem flachen Wohnzimmertisch Maxims Tablet und logge mich in meinen Email Account ein. Das Krankenhaus hat mich in CC gesetzt, als sie die Fotos an die Polizei gesendet haben. Bisher habe ich sie mir nicht angeschaut, doch jetzt öffne ich sie zum ersten Mal.
Da Foto zeigt ein junges Mädchen, das so übel zugerichtet ist, dass ich nicht glauben kann, dass ich das sein soll. Ein Auge ist zugeschwollen und lila verfärbt. Die Lippen sind dick und blutig. Über mein ganzes Gesicht ziehen sich Blutspuren aus der Wunde die über meiner Augenbraue klafft. Auch den Hals kann man anteilig auf dem Foto sehen und der ist übersät mit Würgemalen.
Zögerlich stehe ich von der Couch auf und reiche Abbas das Tablet.
Er starrt fassungslos auf das Foto und schweigt quälend lang. Als er dann irgendwann aufsieht, sind seine Augen mit Tränen gefüllt. "Wie ist das passiert?", fragt er leise und ich merke, dass er sich zu sehr schämt, um mir in die Augen zu sehen.
"Ich habe herausgefunden, dass ihr mit Drogen dealt und dass er mich über die ganze Beziehung hinweg betrogen hat. Er hat die ganze Zeit andere Weiber gebumst, mit ihnen Nacktbilder hin und her geschickt und sowas. Als ich ihn damit konfrontiert habe, ist er ausgerastet und die Situation ist eskaliert."
Abbas schüttelt den Kopf und lacht verächtlich auf. "Dafür wird er büßen."
"Wird er auch. Ich habe ihn angezeigt", gebe ich zu und schaue Abbas erwartungsvoll an. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er darauf reagiert.
"Richtig so. Gut gemacht", lobt mein Bruder mich. "Wieso hast du mir das nicht erzählt?"
"Weil du mich genau so belogen hast, Abbas. Du hängst da auch mit drin, ich habe es schwarz auf weiß gelesen. Wusstest du auch, dass er mich betrügt?"
"Nein man, spinnst du? Wallah, ich wusste das nicht. Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich ihn niemals beim fremdgehen decken würde. Er ist mein Freund oder er war mein Freund, aber du bist meine Schwester. Blut ist dicker als Wasser und niemand hat das Recht dich schlecht zu behandeln."
"Außer du", rutscht es mir raus und ich sehe ihn kalt an.
"Ich auch nicht", erwidert er betreten.
"Wieso hast du zugelassen, dass ich mich mit einem Drogendealer verlobe? Und wieso zur Hölle steckst du da selbst mit drin? Willst du etwa, dass mein Leben daraus besteht, mitten in der Nacht vom SEK aus dem Bett gerissen zu werden bis irgendwann der Mann den ich liebe von irgendeinem durchgedrehten albanischen Mafiosi erschossen wird oder was?"
Abbas schluckt hart. "So weit habe ich nicht gedacht", gibt er zu. "Du hast ihn geliebt und er war gut zu dir. Ich dachte dann ist es zweitrangig, wie er sein Geld verdient. Mir war wichtig, dass du abgesichert bist, und das wärst du gewesen. Ich wusste doch nicht, dass er dich betrügen und schlagen würde, sonst hätte ich euch niemals meinen Segen gegeben. Ich wollte immer nur das Beste für dich, das musst du mir glauben."
Nun läuft ihm eine einzelne Träne über die Wange und er tut mir verdammt leid. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen, aber ich tue es nicht. Ich habe ihm immer viel zu leicht verziehen, auch dafür, dass er mich geschlagen hat, aber mittlerweile sitzt die Enttäuschung einfach zu tief.
"Wie bist du da überhaupt reingeraten, Abbas? Du hattest doch nie was mit Drogen zu tun, außer vielleicht mal kiffen, aber kiffen und kiloweise Kokain lagern sind definitiv zwei verschiedene Paar Schuhe."
"Im Mandalay gab es einen Wasserrohrbruch vor einigen Monaten, vielleicht erinnerst du dich daran. Walid konnte deshalb seine Ware nicht da im Keller lagern und hat mich gefragt, ob er sie stattdessen für ein paar Tage bei mir im Lager bunkern kann. Es sollte eine einmalige Sache sein, aber er hat mich dann mit 10% daran beteiligt und das war eine Menge Geld."
Ich lache heiser auf. "Stimmt Abbas, an Geld mangelt es uns ja am meisten."
"Man du verstehst das nicht. Das ist schnelles, leicht verdientes Geld und das macht süchtig. Man strebt immer nach mehr. Ich will irgendwann ein eigenes Haus bauen, eine Familie gründen, für sie sorgen können. Meinen Kindern soll es an nichts fehlen so wie uns damals", erklärt er aufgebracht.
"Abbas, uns hat es vielleicht nicht an materiellem gefehlt, aber Mama war tot und Papa war nie da. Es hat uns an sehr viel gefehlt. Ist es das, was du für deine Kinder willst? Ein Papa der im Knast sitzt oder der in irgendeinem Drogenkrieg erschossen wurde? Du kannst doch diese Risiken nicht einfach ausblenden", fahre ich ihn an.
Betreten schweigt Abbas und senkt seinen Blick. Er weiß, dass ich recht habe.
"Du hast mein Vertrauen so hart zerstört", werfe ich ihm vor. "Ich habe niemandem so sehr vertraut wie dir und ausgerechnet über dich finde ich heraus, dass du mich die ganze Zeit angelogen hast. Du hast mein Herz gebrochen man, mehr als Walid es jemals könnte." Nun rollt auch mir eine Träne über die Wange.
"Es tut mir leid, Lilli. Bitte verzeih' mir."
"Ich glaube dir, dass es dir leid tut, aber ich kann das im Moment noch nicht Abbas."
Maxim tritt neben mich und reicht mir meinen Kaffee, bevor er vor Abbas ebenfalls eine Tasse Kaffee auf den Tisch stellt.
Ich finde es bewundernswert, wie höflich er noch zu ihm ist, nachdem Abbas sich immer so scheiße ihm gegenüber benommen hat.
Abbas sieht auf, nickt Maxim zum Dank kurz zu. Dann sieht er plötzlich zu mir, als hätte er gerade einen Geistesblitz gehabt. "Was machst du eigentlich hier?"
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Meine Lieben,
Wie findet ihr es, dass Maxim Abbas in seine Schranken weist?
Und wie findet ihr Abbas' Erklärungen? Glaubt ihr ihm?
A.
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