24.

Am späten Vormittag parkt Maxim seinen weißen BMW i8 vor dem Polizeipräsidium in der Stuttgarter Innenstadt.

"Ich bin aufgeregt", flüstere ich leise und wickele mir die weiße Strickjacke etwas enger um den Bauch. Amy hat wirklich ganze Arbeit geleistet und könnte mit ihrem guten Geschmack ruhig öfter meine Einkäufe erledigen. Ob sie etwas in diese Richtung beruflich macht? Ich muss sie mal fragen.

"Kann ich verstehen", antwortet Maxim und schnallt sich ab. "Aber du brauchst wirklich keine Angst haben. Ich bin ja auch bei dir."

Gemeinsam steigen wir aus dem Wagen, laufen ein paar Meter und treten dann durch die schwere Eingangstüren. Am Empfang sitzt eine Frau mittleren Alters in einer dunkelblauen Polizeiuniform und begrüßt uns freundlich: "Guten Tag, was kann ich für Sie tun?"

Ich räuspere mich aufgeregt und weiche ihrem Blick aus. "Guten Tag, ich würde gerne Anzeige erstatten."

"Okay, da sind sie hier erstmal richtig. Worum geht es denn?", hakt sie nach, streicht eine ihrer blonden Haarsträhnen hinter's Ohr und schenkt mir ein sympathisches Lächeln.

"Mein Ex-Freund hat mich verprügelt", kommt es nach einem kurzen Zögern schwer über meine Lippen. Die Spuren in meinem Gesicht lassen sich mittlerweile einigermaßen gut mit Makeup überdecken, sodass mir die Geschehnisse der letzten Woche zumindest nicht mehr im wahrsten Sinne des Wortes ins Gesicht geschrieben stehen.

"Okay, das ist eine gute Entscheidung. Haben sie einen Ausweis für mich?", antwortet sie und schenkt mir einen mitleidigen Blick.

Ich hole meinen Personalausweis aus der Tasche und reiche ihn der Polizeibeamtin. "Danke. Dann setzen Sie sich bitte noch einen Moment ins Wartezimmer. Ein Kollege oder eine Kollegin wird Sie gleich dort abholen."

Maxim läuft vor in das Wartezimmer am Ende des Ganges. In dem kleinen, in die Jahre gekommenen Raum sitzt bereits eine ältere Dame und ein paar Stühle weiter ein junger Mann in unserem Alter, der sich ein zerknüddeltes Taschentuch an die blutende Nase drückt.

"Wartest du gleich hier oder kommst du mit?", frage ich Maxim nervös.

Meine Stimme erweckt das Interesse des jungen Mannes mit der blutenden Nase. Seinem Aussehen nach zu urteilen hat er genau wie ich arabische Wurzeln. Er hebt seinen Kopf und mustert Maxim und mich kurz skeptisch.

Ich bin mir sicher, dass er mir ansieht, dass ich keine Deutsche bin. Trotz meiner blonden Haare verraten mich die nahezu schwarzen Augen immer schnell.

Maxim hingegen sieht aus wie ein Quotendeutscher mit seinem blonden Haar und den hellblauen Augen und diese Kombination aus ihm und mir scheint das Aufsehen des fremden Mannes zu erregen.

Mittlerweile heiraten immer mehr arabische Männer deutsche Frauen, aber andersherum ist es in unserer oft altbackenen Kultur noch immer nicht besonders angesehen.

Für mich war immer klar, dass ich mal einen arabischen Mann heiraten werde, bestenfalls einen Libanesen, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, weiß ich nichtmal wieso ich mir da so sicher war.

Ich finde es schön, wenn man mit seinem Partner dieselbe Kultur und Muttersprache teilt, die gleichen Feiertage, Lieblingsgerichte und Kinderlieder kennt, aber eigentlich ist es doch egal, woher ein Mensch kommt. Ich will selbst nicht für meine Herkunft vorverurteilt oder in eine Schublade gepackt werden.

Wichtig ist, dass der Mann mich gut behandelt, ehrlich und loyal zu mir steht und mich liebt. Die Herkunft bringt am Ende auch nichts, wenn der ganze Rest nicht stimmt.

"Wie du möchtest. Ich kann dich auch begleiten."

Ich schenke Maxim ein kurzes Lächeln.

Wieder bemerke ich, dass der junge Mann uns kritisch beäugt. Ich erwidere seinen Blick kurz ausdruckslos, drehe mich dann zu Maxim und drücke ihm provokant einen Kuss auf den Mund.

Soll der Wixxer doch denken, was er will.

Als ich mich wieder von Maxim löse, der von meinem überraschenden Kuss ein wenig überfordert ist, sehe ich, dass der Mann mich immer noch anstarrt und ganz leicht den Kopf schüttelt.

Ich will ihn gerade ansprechen, als jemand ruft: "Frau El-Habib?"

Ich zucke kurz zusammen und schaue dann in das freundliche Gesicht einer jungen dunkelhaarigen Polizeibeamtin.

"Kommen Sie bitte mit?"

Ich erhebe mich von dem unbequemen hellen Holzstuhl und folge ihr über den kargen Flur ins Treppenhaus, hoch in die erste Etage und in ihr Büro. Maxim begleitet mich, bleibt jedoch vor der Tür unschlüssig stehen.

"Ist es okay, wenn er mitkommt?", frage ich die junge schlanke Frau, die in der dunkelblauen Polizeiuniform unumstritten eine gewisse Autorität ausstrahlt.

"Klar, wenn Sie sich damit besser fühlen", sagt sie und schenkt mir ein kurzes Lächeln.

Sie setzt sich an den weißen Schreibtisch und Maxim und ich nehmen an den zwei Stühlen ihr gegenüber Platz.

"Frau El-Habib, Sie wollen also Anzeige erstatten?", fragt sie und sieht mir tief in die Augen.

"Ja genau", antworte ich nervös und spiele mit dem schmalen goldenen Ring an meinem linken Ringfinger.

"Was ist denn passiert?", fragt sie in einer so ruhigen Tonlage, dass ich mich bei ihr sofort gut aufgehoben fühle.

"Ich war bei meinem Exfreund um mich mit ihm auszusprechen. Als er geschlafen hat, habe ich sein Handy durchsucht. Er hat mich erwischt und ist ausgeflippt. Er hat mir ins Gesicht geschlagen und mich gewürgt. Als er mich wieder losgelassen hat, habe ich ihm vor die Füße gespuckt. Daraufhin ist er völlig ausgerastet, hat mich mit seinen Fäusten geschlagen, ins Gesicht und in den Bauch und mich vor die Wand geschleudert. Er hat nicht von mir abgelassen bis sein Bruder dazu kam. Als er abgelenkt war, habe ich meine Tasche genommen und bin davon gerannt", fasse ich den Abend in wenigen Sätzen wahrheitsgemäß zusammen.

Die junge Frau schüttelt empört den Kopf. Dann sagt sie: "Es ist gut, dass Sie gekommen sind und Ihren Exfreund anzeigen. Wir schreiben jetzt zusammen die Anzeige, dann lese ich Ihnen alles nochmal vor, und wenn Sie damit einverstanden sind, müssen Sie die Anzeige unterschreiben, okay?"

"Okay. Und wie geht es dann weiter?"

"Wir werden dann wegen Körperverletzung gegen Ihren Exfreund ermitteln. Er wird vorgeladen, sein Bruder, von dem Sie gerade sprachen, wird von uns auch als Zeuge geladen. Wir werden die Aussagen der beiden Herren aufnehmen, es werden eventuelle Beweise gesichtet und dann legen wir die Ergebnisse unserer Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vor. Die Staatsanwaltschaft entscheidet dann, ob sie Anklage erhebt und falls ja, wovon ich ausgehe, geht die Sache vor Gericht."

Gedankenverloren nicke ich.

"Zuerst machen wir den Datenabgleich." Die junge Polizistin schreibt meinen Namen, mein Geburtsdatum und meine Adresse auf. Dann gebe ich ihr auch Walids Daten.

"Sie kommen ja aus München, wieso sind Sie dann in Stuttgart auf der Wache?", fragt sie und sieht an ihrem Bildschirm vorbei.

"Ich habe es zuhause nicht mehr ausgehalten. Ich habe auch Angst vor ihm, muss ich sagen", antworte ich kleinlaut.

"Das kann ich verstehen. Ich hoffe, Sie fühlen sich etwas besser, wenn Sie Anzeige erstattet haben. Das nimmt den Betroffenen oft ein Stück ihrer Hilflosigkeit und gibt ihnen einen Teil der verlorenen Kontrolle zurück", erklärt sie geduldig.

Ich schildere ihr noch einmal im Detail den Verlauf des Abends und sie tippt alles auf dem Computer mit.

Es fällt mir schwer mich so intensiv mit den Ergebnissen zu beschäftigen, die ich konsequent zu verdrängen versuche, doch die Polizistin macht ihre Sache wirklich gut und gibt mir ein gutes Gefühl und auch Maxims bloße Anwesenheit gibt mir Kraft.

"Welche Verletzungen haben Sie davon getragen? Waren Sie danach bei einem Arzt?", fragt sie nun.

"Eine Platzwunde über der Augenbraue, mehrere geprellte Rippen, eine Gehirnerschütterung, zahlreiche Hämatome", zähle ich auf, was mir auf Anhieb einfällt. "Ich war noch an dem Abend im Krankenhaus. Ich wurde untersucht und alle Verletzungen wurden fotografiert und dokumentiert."

"Das ist super", lobt sie mich. "Das ist immer das Beste, was man machen kann. Das sind Beweise, die sich kaum widerlegen lassen."

Ich werfe Maxim einen schnellen, dankbaren Blick zu, schließlich war er es, der sowohl die Untersuchung im Krankenhaus als auch die Dokumentation meiner Verletzungen angeleiert hat.

Die Polizeikomissarin liest langsam alles vor was sie aufgeschrieben hat, druckt dann die Anzeige aus und legt sie mir vor.

Meine Augen fliegen über das Papier und ich spüre wie Tränen in mir aufsteigen aufgrund der klaren Worte, die diese grausame Tat beschreiben.

Unfassbar, dass es so weit kommen musste.

Niemals hätte ich gedacht, dass es nötig wäre, unsere Probleme über Polizei und Gericht zu klären.

Ganz langsam, fast in Zeitlupe, greife ich nach dem Kugelschreiber und setze meine Unterschrift auf die dafür vorgesehene Linie.

Maxim gibt im Anschluss auch direkt seine Aussage zu Protokoll. Zwar hat er von der eigentlichen Tat nichts mitbekommen, aber er hat mich unmittelbar danach gesehen und kann durch unseren Verlauf auch nachweisen, dass er mich in der Nähe von Walids Haus aufgelesen hat.

"Frau El-Habib, Herr von Maylan, das wäre es dann von meiner Seite. Sobald es etwas neues gibt, bekommen sie Post von uns. Und sollte Herr Adel Sie nochmal kontaktieren oder gar bedrohen oder angreifen, scheuen Sie sich bitte nicht wieder zu kommen. Es gibt auch noch die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung, wenn dazu Bedarf besteht", klärt die junge Frau uns abschließend auf und schüttelt uns nacheinander die Hand. "Ich wünsche Ihnen alles Gute."

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Meine Lieben,

Vorab: Eine Anzeige ist in so einem Fall das einzig richtige, was man tun kann. Niemand hat das Recht euch psychische oder gar physische Schäden zuzufügen. Wenn euch jemand Gewalt antut, holt euch Hilfe und erstattet Anzeige. Ihr habt keine Schuld daran, egal was passiert ist! Die Konsequenzen für sein Handeln muss jeder allein tragen!

Ich bin wahnsinnig stolz auf Lilli, dass sie Walid angezeigt hat. Es ist, wie Lilli und Maxim bereits festgestellt haben, kein leichter Schritt, aber ein wichtiger.

Wie denkt ihr, wird Walid darauf reagieren, wenn er erfährt, dass Lilli ihn angezeigt hat und in diesem Zusammenhang wahrscheinlich auch erfährt, dass Maxim ebenfalls eine Aussage dazu abgegeben hat?

A.

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