23.

Die nächsten zwei Tage verbringen Maxim und ich nur bei ihm zuhause. An einem Nachmittag geht er Lebensmittel einkaufen, hat aber zum Glück Verständnis dafür, dass ich ihn nicht begleiten will. Die blauen Flecken an meinem Oberkörper und Gesicht haben mittlerweile diverse Blau- und Lilatöne angenommen, doch zum Glück sind wenigstens die Schwellungen an meinem Auge und meiner Lippe abgeklungen.

Was nicht so schnell verheilt sind die Narben an meiner Seele. Es tut mir gut, dass ich mein Handy ausgeschaltet und somit komplett den Kontakt zu Walid, Abbas und unseren Freunden gekappt habe, trotzdem habe ich ziemlich mit den Folgen all der Lügen und des brutalen Übergriffs zu Kämpfen.

Ich finde abends kaum in den Schlaf, habe Alpträume und wache immer wieder nachts panisch und schweißgebadet auf. Ich bin froh, dass Maxim bei mir ist, dass er mich betüddelt und ablenkt. Er lässt mich sein wie ich bin, gibt mir Raum in meinem Tempo zu erzählen, was ich erzählen will und zu schweigen wenn ich schweigen will.

Am Wochenende delegiert er seine Arbeit, sodass er komplett für mich da sein kann und selbst nicht in seinen Clubs erscheinen muss. Was Walid immer schwer gefallen ist, macht Maxim ohne mit der Wimper zu zucken, deshalb bedeutet es mir umso mehr. Für Walid war es unvorstellbar die Arbeit mal mehr als ein paar Stunden ruhen zu lassen.

Es ist Sonntagabend, ungefähr drei Tage nach der verhängnisvollen Nacht, als Maxim mir plötzlich ziemlich ernst eröffnet: "Ich muss mal mit dir reden."

Ich richte mich auf der Couch auf und schaue ihn beunruhigt an. "Ich muss mit dir reden" bedeutet selten was gutes. "Ja?", frage ich nervös und beiße mir auf die Unterlippe.

"Hör zu, Lilli. Ich wollte das die letzten Tage nicht ansprechen, aber jetzt, wo du ein bisschen runtergekommen bist, habe ich mich entschlossen, doch mit dir zu sprechen", beginnt er kryptisch.

"Worum geht's denn?", frage ich und spüre mein Herz aufgeregt gegen meine Brust klopfen.

"Ich finde, dass du Walid wegen schwerer Körperverletzung anzeigen solltest."

Ich muss schlucken. Damit habe ich nicht gerechnet.

"Ich weiß nicht, Maxim. Ich will nicht, dass ihm das Gleiche passiert wie Shayan, weißt du? Wenn ich Walid mit meiner Anzeige in den Knast bringen würde, könnte ich mir das nie verzeihen", erwidere ich nachdenklich.

"Wenn Walid nicht dasselbe Schicksal wie Shayan will, dann sollte er nicht die selben Fehler machen", stellt Maxim klar.

"Du hast ihn ja damals auch nicht wegen den Drogen angezeigt. Du hast selbst gesagt, dass man niemanden verrät", setze ich dem entgegen.

"Das kannst du doch gar nicht vergleichen!", gibt Maxim entschieden zurück. "Walid hat mir damit nicht persönlich geschadet, dir schon. Er hat dich aufs Übelste zusammengeschlagen, das hat nichts mit Verrat zu tun, wenn du ihn anzeigst."

"Ich weiß nicht. Ich denke, dass ich weg bin und er mich nicht erreichen kann, ist genug Strafe für ihn."

"Das sehe ich anders. Wieso nimmst du ihn immer noch in Schutz? Wieso machst du dir so viele Gedanken um ihn? Er hat sich auch keine Gedanken darüber gemacht, was er dir angetan hat. Denkst du ich sehe nicht wie fertig dich das macht? Wie oft du Angst hast? Dass du nicht mehr ruhig schlafen kannst, ständig Alpträume hast? Denkst du etwas, Walid hat sich darüber Gedanken gemacht?", knurrt Maxim. Er ist wütend, das sehe ich ihm an und er hat Recht mit dem was er sagt.

Ertappt senke ich meinen Blick.

"Es ist deine Entscheidung, Lilli. Ich will nur nicht, dass du dich aus falscher Verbundenheit ihm gegenüber falsch entscheidest."

Ich atme tief durch. "Du hast Recht, aber das ist wirklich ein schwerer Schritt."

"Klar, aber ich denke, dass es ein notwendiger Schritt ist. Denk einfach mal darüber nach, okay? Du musst dich ja nicht sofort entscheiden."

Zögernd nicke ich. Maxim greift nach meiner Hand. "Wie immer du dich entscheidest - du bist damit nicht alleine."

Am Abend schläft Maxim schon deutlich vor mir ein, denn ich liege noch lange wach. Ich lasse mir seine Worte wieder und wieder durch den Kopf gehen. Sollte ich Walid wirklich anzeigen? Was habe ich davon? Es wird sowieso nichts mehr, wie es war. Er hat so viel in mir kaputt gemacht und ich glaube nicht, dass eine Anzeige was daran ändern wird..

...

Als ich am nächsten Tag wach werde, ist es, als hätte das metaphorische "eine Nacht drüber schlafen" mir wirklich Klarheit gebracht.

Maxim liegt noch neben mir, ist aber schon wach. "Guten Morgen", murmele ich verschlafen und drehe mich zu ihm. Max legt seine Arme um meine Taille und zieht mich sanft an sich. Er drückt mich an seinen warmen Körper und platziert einen liebevollen Kuss auf meiner Schläfe. Ich schließe die Augen und atme seinen süßen Duft ein. 

Diese liebevollen Gesten wie Küsse auf meine Wangen, Scheitel oder Stirn macht er oft, doch wirkliche Küsse zwischen uns sind noch immer eine Seltenheit und ich finde das gut so. Es macht die Situation zwischen uns unverfänglicher und weniger eindeutig, auch wenn das vielleicht nur eine Illusion ist, aber es hilft mir, den Gedanken zu pflegen, dass ich mich nicht direkt von einer Beziehung in die nächste stürze. Das mit Walid war zu ernst und zu schmerzhaft, um es nach wenigen Tagen einfach hinter mir zu lassen und wieder zur Tagesordnung überzugehen, auch wenn ich weiß, dass es kein zurück mehr gibt.

"Hast du gut geschlafen?", fragt er. "Mh, geht", nuschele ich an seine Brust. "Ich werde es tun", schiebe ich kurz darauf hinterher.

"Was wirst du tun?", fragt er irritiert. Er kann meinen Gedankensprüngen offensichtlich nicht ganz folgen.

"Ich werde Walid anzeigen", erkläre ich.

"Echt? Finde ich gut", gibt Maxim überrascht zurück und streicht durch meine langen blonden Haare. "Willst du das heute machen?"

"Ja, ich will es einfach nur hinter mich bringen", antworte ich schweren Herzens. "Aber ich habe keine Ahnung, wie man sowas macht. Ich hatte noch nie was mit der Polizei zu tun."

"Wir müssen zu einer Polizeidienststelle fahren um Anzeige zu erstatten. Du musst dich ausweisen und denen erzählen, was passiert ist, wer das war, wann, wie, wo, wieso weshalb warum", erklärt Maxim geduldig und muss über seine letzten Worte trotz des ernsten Themas selbst schmunzeln.

"Muss ich dafür jetzt extra wieder nach München fahren?", hake ich nach. Ich habe wirklich keine Lust diese lange Strecke schon wieder zu fahren.

"Nein, das kannst du überall machen. Das Gute ist, dass die im Krankenhaus deine Verletzungen fotografiert und dokumentiert haben. Das musst du der Polizei auf jeden Fall sagen, die fordern die Bilder dann nämlich als Beweismittel an."

"Okay. Begleitest du mich?", frage ich hoffnungsvoll.

"Klar, wenn du das möchtest." Maxim schenkt mir ein warmes Lächeln und drückt kurz aufmunternd meine Hand.

"Ja, ich bitte dich sogar darum. Ich war noch nie bei der Polizei und habe auch irgendwie Angst davor. Außerdem ist es mir unangenehm über meine Beziehung, den Streit und das alles mit Fremden zu reden."

"Du brauchst keine Angst zu haben, du hast ja nichts verbrochen. Du bist kein Täter, sondern ein Opfer. Die Vernehmung wird wahrscheinlich auch eine Frau machen, dann ist es vielleicht ein bisschen leichter für dich. Walid ist derjenige, dem das alles unangenehm sein sollte und nicht du."

Ich lehne meinen Kopf wieder an seine Schulter und lasse mir von ihm den Rücken streicheln.

"Sollen wir nicht einfach den ganzen Tag im Bett bleiben?", schlage ich müde vor.

"Klingt verlockend, Prinzessin, aber ich fürchte das wird nur ein Traum bleiben."

"Na gut", stöhne ich leidend und löse mich widerwillig aus seinem Griff. "Dann machen wir uns mal fertig und fahren zur Polizei."

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Meine Lieben,

Wie findet ihr es, dass Lilli Walid jetzt anzeigt?

Denkt ihr, das wird noch Konsequenzen mit sich ziehen?

Und wie findet ihr es, dass sie sagt, sie will sich nicht direkt in die nächste Beziehung stürzen? Denkt ihr, sie macht sich damit nur was vor oder findet ihr das ganze mit Maxim bis jetzt noch total unverfänglich?

A.

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