II.

Mein Herz schlägt aufgeregt gegen meine Brust und mein Hals schnürt sich zu. Mir wird heiß und kalt zugleich und das Atmen fällt mir schwer.

Hektisch suche ich in den Menschenmassen nach Abbas und entdecke ihn an der Bar. Auch seine Augen suchen meine. Er hat ihn also auch entdeckt. Ich erkläre Walid nur schnell: "Ich komme sofort wieder", und laufe hektisch zu Abbas.

"Was soll das? Was macht er hier? Ich hab ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Was macht er hier, Abbas?", frage ich aufgebracht.

"Ich habe keine Ahnung, ehrlich. Dieser Bastard! Ich muss hier weg, bevor ich mich vergesse und diese Party hier gleich aufmische. Lass uns abhauen" knurrt Abbas. Sein markanter Kiefer ist angespannt und seine Hände zu Fäusten geballt.

"Sicher? Nicht, dass Walid sauer auf mich ist", frage ich unsicher. "Nein, keine Sorge. Ich regel das schon. Komm mit und lass mich reden", antwortet er und zieht mich am Arm zurück zu Walid.

"Bruder, ich danke dir für die Einladung, es war wirklich ein richtig schöner Abend. Leider geht's mir gerade nicht so gut, der Alkohol in Kombination mit meinem Restalkohol sind mir anscheinend nicht so gut bekommen. Es tut mir echt leid, aber Lilli und ich hauen jetzt ab. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend", sagt Abbas zu Walid und umarmt ihn brüderlich.

Walid erwidert freundlich: "Bruder, komm, ich fahr dich eben nachhause, dann kann Lilli noch bleiben."

"Wallah, das ist wirklich lieb gemeint, aber wer kümmert sich denn dann um mich?", fragt Abbas lachend. Mein großer Bruder - um keine Ausrede verlegen.

"Spaß. Aber Lilli ist eh müde und du hast auch schon getrunken", versucht Abbas sich rauszureden. Ich sage leise: "Tut mir leid, Schatz, aber ich bin wirklich sehr müde und hab auch morgen früh Training. Danke für den schönen Abend", und küsse ihn flüchtig auf die Wange. Ich will einfach nur noch weg.

Widerwillig lässt Walid sich damit abspeisen. Abbas und ich verabschieden uns schnell noch von den anderen Gästen. Abbas weicht dabei keinen Zentimeter von meiner Seite. Mit schnellen Schritten laufen wir zu meinem Auto und lassen uns in die grauen Ledersitze fallen.

Kaum dass ich die Autotür hinter mir geschlossen habe, kommen mir die Tränen. Lautlos laufen sie mir die Wangen runter, eine nach der anderen, immer mehr, bis mir schließlich Sturzbäche von Tränen über mein Gesicht laufen.

"Dieser Hurensohn. Dieser elende Bastard. Wären wir nicht bei Walid und Zeyd zuhause gewesen, hätte ich ihm sowas von die Fresse poliert. Es gibt keinen Menschen, den ich mehr hasse. Ich wusste zwar, dass Walid und Zeyd ihn kennen, aber nicht, dass sie mit ihm befreundet sind. Ich hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass dieser Hund hier heute auftaucht. Weiß Walid davon, was passiert ist?", fragt Abbas aufgebracht.

Immer noch weinend schüttel ich den Kopf.

"Du musst es ihm sagen, Lilli, bevor Tarik von euch erfährt und irgendeinen Scheiß erzählt. Der wird hundertprozentig die Geschichte verdrehen", legt Abbas mir vorsichtig nahe.

"Wie soll ich ihm das denn sagen? Wie erzählt man denn seinem Freund sowas?", frage ich verzweifelt.

"Keine Ahnung.. Aber die Wahrheit ist immer am Besten", sagt Abbas und streichelt beruhigend meinen Arm.

"Walid hat mich heute Mittag gefragt, ob ich noch Jungfrau bin. Da war ich ehrlich und habe gesagt, dass ich zumindest noch nie mit jemandem geschlafen habe. Da wäre wahrscheinlich der richtige Zeitpunkt gewesen, ihm alles zu erzählen, aber ich konnte nicht", erzählt ich meinem Bruder unter Tränen.

Ich kann das alles ja noch nicht mal vor Abbas aussprechen.

Mit 18 Jahren habe ich Tarik auf der Geburtstagsparty von Younes kennen gelernt. Tarik hat mich angesprochen und wir haben uns den ganzen Abend unterhalten. Wir haben uns wirklich gut verstanden und so am Ende auch Nummern ausgetauscht.

Abbas hat das damals gar nicht gefallen. Er konnte Tarik nicht leiden und hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl bei der Sache.

In den nächsten Tagen schrieb er mir oft, dann fingen wir an uns zu treffen, gingen was essen und ins Kino. Tarik war immer ziemlich aufdringlich. Er hat mich angefasst und versucht mich zu küssen.

Ich hab ihn jedes Mal abgewiesen, aber er hat es immer wieder versucht. Irgendwann wurde es mir zu viel und ich sagte ihm, dass ich mich nicht mehr mit ihm treffen wollte.

Tarik ließ aber nicht locker und bat mich um eine zweite Chance. Er bettelte mich regelrecht an und bequatschte mich, bis ich irgendwann nachgab. Er bat mich, bei ihm vorbeiä zu kommen, da er eine Überraschung für mich vorbereitet hatte.

Ich erzählte Abbas davon und er bestand darauf, mich hinzufahren und abzuholen, da er ihm absolut nicht traute. Gott sei Dank.

Er fuhr mich hin und ich verabredete mit ihm, dass er mich in zwei Stunden wieder abholte. Ich ging in Tariks Appartement, in dem er alleine lebte und der Abend fing wirklich schön an.

Er hatte gekocht, es gab Spaghetti mit Meeresfrüchten und dazu Champagner. Ich hatte gerade mal zwei Gläser getrunken, doch mir wurde plötzlich total schwindelig. Das kannte ich überhaupt nicht von mir.

Ich sagte Tarik, dass ich Abbas anrufen will, damit er mich abholt. Ich drückte auf wählen, es klingelte einmal, dann nahm Tarik mir das Handy aus der Hand und legte auf.

Er nahm mich auf den Arm und trug mich ins Schlafzimmer. Ich erinnere mich noch, dass ich das nicht wollte, aber ich schaffte es nicht, mich zu wehren. Mein ganzer Körper war schwer wie Blei und mein Kopf fühlte sich an, als sei er voller Watte. Ich hörte weit entfernt, wie mein Handy immer und immer wieder klingelte.

Was dann folgte, weiß ich nur durch die Aussagen von Abbas und Tarik vor Gericht. Ich kann mich an nichts von all dem mehr erinnern. In meinem Kopf ist von dem Abend nur noch ein schwarzes Loch übrig geblieben. Vielleicht zum Glück.

Ich habe hinterher erfahren, dass die eine Sekunde Anruf auf Abbas' Handy durchkam. Er rief mich sofort zurück, aber ich ging nicht dran. Er rief wieder und wieder an und plötzlich war mein Handy aus.

Dadurch alamiert raste Abbas sofort zu Tariks Wohnung, welcher mich währenddessen komplett nackt ausgezogen hatte.

Die Polizei stellte hinterher fest, dass er mir KO-Tropfen verabreicht hatte. Als ich nackt und wehrlos auf seinem Bett lag, fasste er mich überall an, fingerte mich und steckte seinen Penis in meinen Mund. Zur Krönung hat er all das auch noch fotografiert und gefilmt.

Als er gerade anfangen wollte, sich an mir zu vergehen, gab es einen lauten Knall. Abbas hatte mehrmals geklopft und gerufen. Da niemand reagierte, hatte er kurzerhand die Tür eingetreten. Er rannte nach oben und sah mich nackt und bewusstlos auf dem Bett liegen und Tarik mit herunter gelassener Hose vor mir.

Er schmiss Tarik brutal vom Bett und schlug und trat auf ihn ein. Dann zog er sich sein Shirt aus und zog es mir über. Er schnappte sich meine restlichen Sachen und trug mich zu seinem Auto, mit welchem er mich sofort ins nächste Krankenhaus fuhr.

Ich hatte an diesem Abend Glück im Unglück. Die Polizei fuhr sofort zu ihm, nahm ihn fest und stellte auch sein Handy sicher, so dass er die Bilder und Videos Gott sei Dank nicht kopieren oder gar verbreiten konnte. Ich hatte Glück, dass Abbas rechtzeitig kam und Tarik mich nicht "richtig" vergewaltigte.

Trotzdem ging es mir furchtbar schlecht und ich musste einige Tage im Krankenhaus bleiben. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus wies ich mich selbst - auch auf Anraten der Ärzte hin - in eine psychiatrische Klinik ein. Dort machte ich drei Monate lang eine stationäre Therapie um das Trauma, das ich ohne Frage hatte, zu therapieren.

Natürlich standen meine Freunde, zumindest die wenigen, die es wussten, allen voran Leo, Kitty und meine Brüder, in dieser Zeit hinter mir und stärkten mich, aber die professionelle Hilfe, die ich in der Klinik von den Ärzten und Therapeuten bekam, hätten sie mir nicht geben können.

Ich wurde damals noch im Krankenhaus von der Polizei vernommen und zwei Monate später musste ich meine Aussage im Gerichtsverfahren noch mal wiederholen.

Tarik sagte vor Gericht aus, dass er verletzt und in seinem Stolz gekränkt war, da ich ihn immer abgewiesen hatte. An diesem Abend wollte er sich dann holen, was ihm laut seiner Auffassung zustand.

Er wurde schuldig gesprochen, bekam aber nur eine Bewährungsstrafe, da er alles zugab und es bereute, was ich ihm bis heute nicht glaube.

Das war noch mal ein harter Schlag für mich. Trotzdem konnte ich danach mit der ganzen Sache abschließen. Ich hab ihn Gott sei Dank auch bis heute nicht mehr gesehen.

Abbas konnte diesen Vorfall auch nur schwer verarbeiten. Er machte sich große Vorwürfe, dass er mir trotz seines schlechten Bauchgefühls den Kontakt mit Tarik nicht verboten hatte und mich sogar noch zu ihm gefahren hatte.

Mit der Zeit haben wir die Sache aber gut verdrängt. Wir haben gehört, dass er danach aus München weggezogen sei. Als er dann auf einmal heute in Walids Garten spazierte, war das ein riesiger Schock für mich und all die Geschehnisse kamen wieder hoch.

Wir stehen immer noch bei Walid in der Auffahrt. Langsam beruhige ich mich endlich wieder, so dass Abbas zu mir sagt: "Komm, lass uns abhauen."

Zuhause angekommen hole ich uns beiden ein Glas Wasser und wir setzen uns auf die Couch.

"Lilli, ich hab noch mal darüber nachgedacht. Walid muss es auf jeden Fall erfahren und zwar am besten von dir, bevor es ihm jemand anderes sagt. Aber wenn du willst, kann ich ihm das alles auch erzählen oder wir machen das zusammen."

Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich meinen Bruder liebe. Niemand steht so sehr hinter mir wie er. Er ist mein größter Fan und mein größter Kritiker zugleich. Diese Bindung zwischen uns ist einfach was ganz besonderes und ich habe keine Ahnung, was ich ohne ihn machen würde.

"Nein, du alleine nicht. Aber zusammen wäre vielleicht gut. Ich kenne Walid ja noch nicht so lange und gut wie du. Wir sind ja gerade erstmal dabei uns kennen zu lernen. Und außerdem hab ich es auch noch nie jemandem erzählt außer den Therapeuten, das hast ja damals alles du gemacht. Keine Ahnung ob ich das packe, das dann direkt meinem neuen Freund zu erzählen. Ich hab auch Angst vor seiner Reaktion. Ob er denkt, dass das eine Schande ist und mich dann verlässt oder so", denke ich laut.

"Nein Lilli, ich kenne Walid schon lange und das wird er nicht so sehen. Er verachtet Mädels, die sich jedem hingeben und mit jedem schlafen oder Frauen, die untreu sind und betrügen. Aber so bist du nicht, und das weiß er. Ich glaube, er würde auch damit klar kommen, wenn du keine Jungfrau mehr wärst. Ich hab eher Angst davor, was er dann mit Tarik machen wird. Nicht weil ich mir Sorgen um Tarik mache, sondern um Walid. Nicht dass es dann ein ähnliches Ende nimmt wie bei Shayan."

"Oh Gott, sag das nicht", antworte ich schockiert und schlage mir aus Reflex die Hände vor den Mund.

In dem Moment klingelt mein Handy. Eine WhatsApp Nachricht von Walid. Wenn man vom Teufel spricht..

"Hey Baby, ist alles gut bei dir? Ihr seid so überstürzt abgehauen, ich hatte das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Ich hoffe, ich täusche mich. Bitte vergiss nicht, dass du mit mir über ALLES reden kannst. Ich küsse dich. Schlaf gut."

Oh Gott. Er ist so süß. Und ich belüge ihn. Ich bekomme sofort ein schlechtes Gewissen. Kommentarlos zeige ich die Nachricht Abbas.

"Puh. Du musst wirklich mit ihm reden. Am Besten schreibst du ihm, dass er morgen Mittag vorbei kommen soll. Ich muss zwar morgen arbeiten, aber nachmittags bin ich zuhause. Dann können wir zusammen mit ihm reden", schlägt er vor.

Ich schlucke und schreibe Walid: "Hallo Bebi, ja soweit alles okay. Mach dir keine Sorgen um mich. Leider hat dich dein Gefühl nicht getäuscht. Kannst du morgen Nachmittag bitte zu uns kommen? Ich würde gerne mit dir über etwas reden. Ich küsse dich auch. Schlaf gut."

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Meine Lieben,

Hättet ihr das erwartet? Oder was dachtet ihr, was es mit Tarik auf sich hat?

A.

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