I2.
Am nächsten Morgen mache ich mich fertig, gehe in die Küche und koche mir einen Kaffee mit viel Milch und eine riesige Schüssel Porridge mit Honig und frischen Erdbeeren. Ich nehme mein Frühstück mit in den Garten und setze mich auf die Terrasse.
Walid hat gestern Abend noch auf meine Nachricht geantwortet. Er schrieb: "Oh man, jetzt mache ich mir Sorgen. Wenn was ist, kannst du mich auch jederzeit anrufen. Natürlich komme ich morgen Nachmittag. Freue mich, dich zu sehen ♡"
Er ist wirklich lieb und ich bin froh, ihn zu haben. Ich antworte ihm: "Guten Morgen Liebling. Bin gerade am frühstücken und fahre danach zum Training. Ich freue mich auch auf dich, bis später ♡"
Ich schaue auf die Uhr. Ich habe noch anderthalb Stunden bis das Training beginnt, bin aber eigentlich schon startklar. Deshalb entscheide ich mich dazu, schon mal zur Eishalle zu fahren und vor dem Eislauftraining noch eine Ballett-Einheit zu absolvieren.
Ich hole von oben meine Spitzenschuhe, schnappe meinen Schlüssel und fahre zu unserem Trainingscenter. Dort angekommen mache ich erst etwas Stretching und einige Aufwärmübungen und danach einige Ballettübungen, bis meine Trainer kommen. Wir feilen mehr als zwei Stunden an meiner neuen Choreographie, mit der ich beim nächsten Wettbewerb auftreten werde.
Danach schleppe ich mich ziemlich erschöpft unter die Dusche, ziehe mich um und fahre wieder nachhause. Ich rufe von unterwegs Abbas an, der aber nicht an sein Handy geht und entscheide deshalb, uns Salat von Dean&David zu holen. Zuhause angekommen wecke ich Abbas, der ernsthaft noch geschlafen hat, und wir essen gemeinsam.
Am Nachmittag klingelt es irgendwann. Mein Herz klopft bis zum Hals. Ich öffne die Tür und Walid läuft mit schnellen Schritten über den Hof zu mir.
Er strahlt mich an und küsste mich liebevoll erst auf die Stirn und dann auf den Mund. Er trägt eine helle Jeanshose mit Rissen und ein hellgraues Shirt, dazu eine graue Adidas Cap und farblich passende Sneakers.
Wir gehen rein und setzen uns auf die große beige Couch im Wohnzimmer. Abbas kommt nach unten, begrüßt Walid freundschaftlich und bringt Getränke für uns alle. Dann setzt er sich zu uns auf die Couch und nickt mir zu.
Ich atme tief durch und sage: "Ich muss dir was erzählen. Du hattest ja gefragt, wieso wir gestern so überstürzt abgehauen sind. Wir haben dich angelogen. Gestern auf deiner Party ist jemand aufgetaucht, der mir etwas sehr schlimmes angetan hat. Wir hatten ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und waren total schockiert und wollten nur noch weg."
Walid guckt mich verwirrt an und fragt: "Wie? Wer denn? Und was hat er dir angetan?" Ich hole wieder tief Luft und merke, wie mir Tränen in die Augen schießen.
"Tarik. Er hat mich damals fast vergewaltigt. Er hat mir KO-Tropfen verabreicht und sich an mir vergangen und davon Fotos und Videos gemacht. Abbas konnte damals zum Glück das Schlimmste gerade noch verhindern. Er hat mir zwar nicht meine Unschuld genommen, aber er hat mich und meine Ehre für immer beschmutzt", sage ich, während meine Stimme immer wieder versagt.
Tränen laufen mir die Wangen herunter und meine Hände zittern. Ich habe unglaubliche Angst vor Walids Reaktion. Mir gehen alle möglichen Szenarien durch den Kopf. Wie er aufsteht und schreit. Wie er sich von mir abwendet, weil ich "beschmutzt" bin. Wie er ausrastet. Aber er tut nichts davon. Er sitzt nur stumm da und starrt Löcher in die Luft.
Ich werde immer nervöser und blicke zu Abbas. Der ist aufgestanden und hat sich eine Zigarette angezündet, obwohl wir im Haus eigentlich nicht rauchen. Er läuft wie ein Tiger im Käfig durchs Wohnzimmer. Sein Kiefer zuckt vor Anspannung und seine Augen funkeln schwarz vor Wut.
Die Luft ist erfüllt von Anspannung. Abbas bricht die Stille, indem er knurrt: "Dieser elende Bastard. Ich hätte ihn tot schlagen sollen! Was hat er bekommen? Bewährung!! Er hat einfach so weiter gelebt ohne Konsequenzen! Aber Shayan sitzt im Gefängnis?! Das soll mal einer verstehen!"
Ruckartig dreht Walid seinen Kopf zu Abbas. "Ist er deshalb aus München weggezogen?" Abbas nickt. Auch Walid zündet sich jetzt eine Zigarette an.
"Ich glaube das nicht. Ich kann das wirklich nicht fassen. Dieser ekelhafte Bastard. Und dann kommt der gestern noch in mein Haus und gibt mir die Hand als wäre nichts gewesen. Der muss euch doch gesehen haben, oder? Und dann wagt er sich noch sich da hinzusetzen und mit uns zu feiern. Aber nicht mit mir. Ich bringe jetzt das zu Ende was Abbas damals angefangen hat", knurrt Walid wutgeladen und springt auf.
Abbas stellt sich ihm in den Weg und sagt laut: "Das machst du nicht. Oder willst du so enden wie dein Bruder wegen so einem Hurensohn? Nein. Wir haben diese Sache hinter uns gelassen und damit reißt du nur Lillis alte Wunden wieder auf."
Walid schluckt und setzt sich wieder hin. Ich bin so froh, dass Abbas da war. Ich sitze immer noch wie ein Häufchen Elend auf der Couch, still und weinend. Abbas setzt sich zu mir und nimm meine Hand. Leise sagt er: "Alles wird gut, du bist nicht alleine."
Dann nehme ich all meinen Mut zusammen, blicke zu Walid und sage mit belegter Stimme: "Wenn du mich jetzt nicht mehr willst, kann ich das verstehen."
Walid hebt irritiert seinen Kopf. Sein Blick ist eiskalt aber als er mich ansieht, wird er sofort weich. "Was redest du da? Was denkst du denn von mir? Das alles ändert doch nichts an uns. Du bist doch die Letzte, die was dafür kann. Ich bin froh, dass du mir das erzählt hast. Du kannst mir immer alles sagen."
Er rutscht zu mir herüber und nimmt mich in den Arm. Während mir die ganze Zeit nur still ein paar Tränen die Wangen runter gelaufen sind, bricht nun ein lautes Schluchzen aus mir heraus. Ich lasse mich in seine Arme sinken und lasse meinen Tränen freien Lauf. Walid streichelt meinen Kopf und hält mich ganz fest in seinen Armen.
Er dreht sich zu Abbas und fragt: "Was soll ich denn jetzt machen? Das kann ich so nicht auf mir sitzen lassen. Seine Eltern sind Freunde unserer Familie und ich will, dass die nie wieder zu einem von uns Kontakt aufnehmen. Ich muss mit ihm reden."
"Dann komme ich mit", beschließt Abbas.
Schneller als ich gucken kann verabschieden die beiden sich von mir und steigen in Walids Auto. Ich höre den Motor laut aufheulen und das Auto schnell vom Hof fahren und dann.. Stille.
Ich versuche mich abzulenken, gehe in den Garten, dann wieder rein, laufe nervös im Wohnzimmer hin und her und rauche eine Zigarette nach der nächsten. Immer wieder rufe ich abwechselnd Walid und Abbas an, aber keiner von beiden geht ran. Mit jeder Minute, die vergeht, steigt meine Anspannung ins Unermessliche bis irgendwann endlich mein Handy klingelt.
Eine WhatsApp Nachricht von Abbas. "Kommen jetzt." Aufgeregt schreibe ich zurück: "Was ist passiert? Alles okay? Geht's euch gut?" Aber es kommt keine Antwort mehr.
Mein Magen zieht sich zusammen und Übelkeit steigt in mir auf. Es sind quälend lange Minuten, bis ich endlich ein Auto auf den Hof fahren hörte.
Ich stehe auf und laufe zur Tür. Gott sei Dank war es tatsächlich Walids weißer X6, aber dahinter fuhr noch ein Auto, ein saphirblauer BMW M3, Kennzeichen M-Z-1. Zeyd.
Als Zeyd mich begrüßt, sagt er leise zu mir: "Das was passiert ist, tut mir sehr leid für dich. Aber ich will, dass du weißt, dass wir alles dafür tun, dass sowas nie wieder passiert. Ich werde dich wie meine eigene Schwester beschützen. Wir alle passen auf dich auf."
Gerührt bedanke ich mich und schließe ihn kurz in meine Arme.
Wir setzen uns alle gemeinsam ins Wohnzimmer und ich erkundige mich: "Und? Was ist passiert? "
Walid antwortet gelassen: "Tarik hat sich fast in die Hose gemacht, als Abbas und ich zusammen vor seiner Tür standen. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich jetzt eine Freundin habe und ihm das gerne zusammen mit meinem Schwager erzählen wollte. Er hat einen Moment überlegt, und als er dann gecheckt hat, was ich damit meine, ist er kreidebleich geworden. Ich hab ihn reingestoßen, ihn an die Wand gedrückt und gefragt, wie erbärmlich man sein kann. Ich hab ihm gesagt, dass es nichts widerlicheres gibt, als sich an einer Frau zu vergehen und eine anständige Frau zu beschmutzen. Zeyd hat ihm dann gesagt, dass er nie wieder mit einem von uns geschweige denn mit dir in Kontakt treten soll. Er war sehr kleinlaut und meinte nur, dass ihm das alles so unfassbar leid tut, und dass das der größte Fehler seines Lebens war. Er hat mir versichert, dass er sich daran halten wird und sich von uns allen fernhalten wird. Das war's. Dann sind wir wieder gefahren. Ich hätte ihm für das, was er dir angetan hat, am liebsten ins Gesicht geschlagen, aber das ist er nicht wert."
Ich bin erleichtert, dass er das so geklärt hatte. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ihm schwer gefallen ist, den Impuls zu unterdrücken Tarik anders zur Rechenschaft zu ziehe.
Zeyd sagt lächelnd: "Genug davon. Lassen wir Vergangenheit vergangen sein. Ihr, Walid und Lilli, ihr seid die Zukunft, inschallah."
Abbas nickt und pflichtet ihm bei: "Ich will auch nicht mehr daran denken. Sollen wir noch zusammen was essen gehen? Ich habe total Hunger, ich habe heute Mittag nur Salat gekriegt." Seine Stimme klingt leidend, während er frech in meine Richtung grinst.
"Tja, wer nicht an sein Handy geht wie ein Kaninchen, kriegt auch essen wie ein Kaninchen", erwidere ich schulterzuckend und strecke ihm die Zunge raus.
Wir entscheiden uns dazu, zu Vapiano zu fahren. Im Auto machte Walid die Musik leiser, nahm meine Hand und sagte: "Danke für dein Vertrauen, Schatz. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du mir das alles erzählt hast. Aber wieso hast du denn gedacht, ich würde dich deshalb nicht mehr wollen? Selbst wenn du keine Jungfrau mehr wärst, auch wenn es freiwillig wäre, wäre das kein Grund für mich, dich aufzugeben. Klar, wäre es kein schönes Gefühl, aber wenn Allah alle Sünden vergeben kann, wer bin ich, dass ich es nicht kann?"
"Danke dir. Leider sieht das nicht jeder so, weißt du ja selbst. Aber das zeigt wieder mal, was für ein besonderer Mann du bist", erkläre ich.
"Und du bist eine besondere Frau, Schatz. Und ich lasse dich nicht mehr gehen."
Mit jedem Wort, jedem Blick, jedem Lächeln verliebe ich mich mehr in ihn.
"Willst du heute bei mir schlafen?", frage ich. Er schüttelt den Kopf. "Ich muss gleich noch ins Mandalay. Ich habe zwar unter der Woche weniger zu tun, da die Clubs nicht geöffnet haben, aber trotzdem muss ich mich auch da mal blicken lassen. Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf den Tischen. Und soweit wollen wir es ja nicht kommen lassen", verkündet er mit einem Zwinkern.
"Das heißt, am Wochenende hast du noch weniger Zeit?", schlussfolgere ich traurig. "Leider ja.. Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag sind bei mir unfassbar voll. Bei dem neuen Club hab ich ja Kerem mit reingeholt und ansonsten mache ich alles mit Zeyd zusammen, aber trotzdem weiß ich oft nicht, wo mir der Kopf steht. Aber wir kriegen das schon irgendwie hin. Ich denke ich muss endlich mal lernen, mehr Aufgaben und Verantwortung abzugeben, damit ich mehr Zeit mit dir habe", sagt er einsichtig und zieht mich für einen Kuss an sich heran.
Am Restaurant angekommen parkt er sein Auto und Zeyd parkt direkt neben uns. Wir rauchen noch eine Zigarette, bis Abbas und Younes, den er noch abgeholt hat, koömen und gehen dann gemeinsam rein.
Walid erzählt, dass in seinem Club W am Samstag "Arabische Nacht" ist und Younes und Abbas sind sofort Feuer und Flamme. Während das Infinity ein großer Club mit komplett gemischtem Publikum ist, ist W ein kleiner exklusiver Club mit ausgewählten Gästen.
"Wir werden ein riesiges arabisches Buffet von Nour haben, wir wollen überall Lampions aufhängen und orientalische Kissen verteilen, wie im Garten letztens. Es kommt ein arabischer Sänger und Bauchtänzerinnen", erzählt Walid.
"Okay, okay.. Überzeugt. Wir kommen", beschließt Abbas und meint damit Younes und sich.
"Wer hat euch denn eingeladen? W ist doch nur für geladene Gäste", necke ich meinen Bruder mit hochgezogener Augenbraue. "Aber vielleicht kann ich euch was klar machen, ich kenne den Besitzer."
"Natürlich ist mein Schwager immer herzlich Willkommen, das erklärt sich ja wohl von selbst", schleimt Walid, woraufhin Abbas antwortet: "Ich küss deine Augen, Habibi, wallah!"
Ich fange an zu lachen. Abbas ist total eingedeutscht und wenn er solche typisch arabischen Floskeln benutzt, klingt das irgendwie immer komisch.
Walid verabschiedet sich schon kurz nach dem Essen, da er noch arbeiten musste und Zeyd begleitet ihn.
Younes, Abbas und ich trinken noch einen Tee, fahren dann Younes nachhause und lassen den Abend auf der Couch mit Netflix ausklingen.
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Meine Lieben,
Wie findet ihr Walids Reaktion?
A.
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