I.
"Lilli, brauchst du noch lange?", ruft mein älterer Bruder Abbas ungeduldig durchs Treppenhaus. Er hat mich gebeten, ihn zu der Eröffnung eines Clubs zu begleiten, der zwei Kumpels von ihm, Walid und Kerim, gehört. Ich kenne die beiden zwar flüchtig vom Sehen, habe sie aber schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen.
"Nein, ich bin gleich soweit", rufe ich zurück und betrachte mich zufrieden in dem großen Standspiegel in meinem Ankleidezimmer. Mein sehr schlanker, fast schon zu schlanker Körper steckt in einer zerrissenen hellblauen Jeans und einem einfachen weißen T-Shirt. Ich habe die typisch zierliche Figur einer Ballerina, da ich schon seit meiner frühen Kindheit Ballett und Eiskunstlauf als Leistungssport betreibe.
Meine langen blonden Haare habe ich zu großen Wellen aufgedreht und mein Gesicht wie immer nur minimal geschminkt. Schwarze lange Wimpern, die meine dunklen Augen umrahmen, etwas farblosen Gloss auf die Lippen und Bronzer auf die Wangen - das reicht mir.
Genau so minimalistisch wie mein Outfit und mein Makeup halte ich es auch mit dem Schmuck. Schlichte goldene Creolen und meine goldene Rolex waren bei mir das Höchste der Gefühle. Zuletzt schlüpfe ich noch in meine schlichten nudefarbenen Louboutin-Highheels und laufe die großzügige Wendeltreppe nach unten.
Ich lebe mit meinen beiden älteren Brüder Abbas und Momo in einer schönen kleinen Stadtvilla in einem gehobenen Viertel Münchens. Unsere Mutter ist zwei Jahre nach meiner Geburt gestorben und unser Vater lebt seit einiger Zeit nun fest in unserer Heimat dem Libanon. Die fehlende Zeit erkaufte er sich mit teuren Geschenken, wie eben Rolex-Uhren, Designertaschen oder schicken Luxuswagen.
Allein ich kann mit meinen neunzehn Jahren bereits zwei hochpreisige Wagen mein eigen nennen: einen weißen Porsche Panamera Turbo RS und einen mattgrauen Mercedes Benz GLE.
Heute habe ich mich angeboten zu fahren. "Hop Hop", rufe ich meinen Brüdern zu und klappere lautstark mit meinem Schlüsselbund. Prompt kommen die beiden jungen Männer nacheinander die Treppe runter. Beide tragen weiße Hemden und dunkle Hosen. Sie sehen sehr gut aus und sind mit ihrer charmanten Art echte Frauenschwärme - und trotzdem Single.
Sie haben die gleichen fast schwarzen Augen wie ich, aber sie haben im Gegensatz zu mir beide schwarze Haare, die sie zum Undercut frisiert tragen. Abbas ist mit 24 Jahren der Jüngere von beiden. Er trägt seine Haare relativ kurz und dazu einen Dreitagebart. Momo, mit 28 Jahren der Älteste von uns drei Geschwistern, hat etwas längere Haare und einen Vollbart.
Ich folge meinen Brüder über den Hof zur Garage und schließe mit einem Knopfdruck den Porsche auf.
Abbas lässt sich auf den Beifahrersitz fallen und Momo steigt hinten ein, und das alleine verrät schon ziemlich viel über unsere Beziehung zueinander. Abbas und ich haben eine sehr enge Bindung. Er ist nicht nur mein Bruder, sondern auch mein bester Freund. Zu Momo habe ich zwar auch ein gutes Verhältnis, da er jedoch die meiste Zeit bei unserem Vater im Libanon ist, kann man das einfach nicht mit der Beziehung zwischen Abbas und mir vergleichen.
"Was erwartet mich denn heute?", richte ich mein Wort an die beiden und lenke die prachtvolle Limousine auf die Hauptstraße.
"Mein Freund Walid hat zusammen mit einem Kollegen einen neuen Club gekauft. Der Club heißt Infinity und ist ziemlich groß und echt edel. Heute ist die Eröffnungsfeier nur für geladene Gäste. Ein paar meiner Freunde kommen auch", informiert Abbas mich.
Neugierig hake ich nach: "Ach ja? Wer denn?"
"Jamal, Younes, Amin, Ibo und Malik", zählt Abbas seine komplette Clique auf. Die Jungs waren alle schon gemeinsam in der Schule und dementsprechend lange kenne auch ich sie. Alles liebe Jungs, doch trotzdem erwidert Momo mürrisch: "Na toll, wieso nimmst du Lilli dann mit?"
Abbas verdreht genervt die Augen. "Komm mal runter, Moe. Wenn's danach geht dürfte sie sich auch nicht mehr zuhause aufhalten."
"Besser wär's", nuschelt Momo, was Abbas nun jedoch gekonnt ignoriert und mich stattdessen durch die nächtlichen Straßen Münchens zum Infinity navigiert.
Ich sehe den Club schon von Weitem in der Dunkelheit leuchten. "Wow", entfährt es mir begeistert. Das Gebäude wirkt schon von außen nobel und Abbas' "sehr groß" scheint noch untertrieben gewesen zu sein.
Ich fahre auf den Parkplatz und parke meinen Wagen in einem Zug vor der Eingangstür. "Wallah, du liebst große Auftritte", spottet Momo von der Rückbank, bevor er schwungvoll die Tür öffnet. Abbas und ich tuen es ihm gleich und steigen ebenfalls aus. Meine Brüder begrüßen die Türsteher mit Handschlag und ich nicke ihnen freundlich lächelnd zur Begrüßung zu.
In dem Moment taucht ein grinsender junger Mann auf, der meine Brüder freundschaftlich umarmt. Dann kommt er zu mir und stellt sich mir als besagter Kerim vor. Er nimmt mir meine Jacke ab und heißt mich mit einem Handkuss willkommen. "Na wenn schon so eine schöne Frau unsere heiligen Hallen betritt, kann der Abend ja nur gut werden", sagt er mit einen breiten Grinsen im Gesicht. Dann winkt er eine Kellnerin herbei, die uns zu unserem Tisch bringt.
Am Tisch sitzen schon Younes, Amin und Malik. Nachdem wir alle nacheinander begrüßt haben, setze ich mich neben Malik auf die schwarzen Ledergarnitur. Malik hat wie all die anderen jungen Männer auch schwarze Haare, allerdings hellgrüne Augen, womit er immer ein wenig aus der Gruppe heraussticht.
Er bietet mir sofort etwas zu trinken an, woraufhin ich mich bedanke und mir eine Cola reichen lasse. Ich frage nach seinem Restaurant, er nach meinem Sport und wir unterhalten uns angeregt, bis ich plötzlich Abbas meinen Namen rufen höre.
Ich drehe abrupt meinen Kopf und sehe, dass er mich zu sich winkt. "Sorry, Malik, bin sofort wieder da", unterbreche ich ihn und laufe auf meinen Higheels schnellen Schrittes zu meinem Bruder.
Erst als ich fast bei ihm angekommen bin, sehe ich, wer neben ihm steht.
Walid.
Es trifft mich wie ein Blitz.
Ich habe ihn bestimmt schon seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und in dieser Zeit hat er sich wahnsinnig verändert. Er hat schwarze Haare und einen gepflegten Vollbart. Er trägt ein weißes Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hat, sodass sein tättowierten und trainierten Unterarme zum Vorschein kommen. Seine Augen sind hellbraun wie Honig und funkeln mich an.
Keine Ahnung wie lange ich ihn so anstarre bis er anfängt zu lachen, seine perfekten weißen Zähnen zeigt und seine Hand freundlich zu mir ausstreckt. "Walid", stellt er sich knapp vor. Seine Stimme ist rau und total angenehm.
Lilli, komm zu dir! - ermahne ich mich selbst.
"Ehm.. Lilli", druckse ich und schüttle verlegen seine Hand. Mein Herz schlägt aufgeregt gegen meine Brust und meine Haut beginnt zu kribbeln, wo er mich berührt. Mein Blick fällt auf Abbas, der immer noch neben mir steht und ich schäme mich augenblicklich in Grund und Boden. Dass er mich amüsiert angrinst, macht es da nicht besser.
"Lilli, möchtest du mal den ganzen Club sehen? Ich gebe dir eine exklusive Führung", richtet Walid nun wieder sein Wort mit einem leichten Augenzwinkern an mich. "Gerne", antworte ich schüchtern. Normalerweise bin ich nicht so wortkarg, ich würde mich eher als ziemlich schlagfertig bezeichnen, doch in Walids Gegenwart fühle ich mich plötzlich ziemlich verunsichert.
Walid läuft langsam vor und ich folge ihm quer durch den Laden. Nach und nach führt er mich überall herum. Er zeigt mir die verschiedenen Hallen und Bars, die Badezimmer, den Loungebereich und zuletzt das Büro.
Während wir durch den Club laufen, erfahre ich neben ein paar Infos über den Club vor allem einiges über Walid persönlich. Er ist 24 Jahre alt und das Infinity ist schon sein fünfter Club. Er scheint offensichtlich ziemlich erfolgreich zu sein, in dem was er tut und darüber hinaus ist er auch noch witzig, offen und zuvorkommend. Was er erzählt, ist interessant und die ganze Zeit über kann ich meinen Blick nicht von ihm lassen - ihm scheint es allerdings genau so zu gehen.
Als ich am Ende der kleinen Führung in sein Büro eintrete, schließt er die Tür hinter mir und der Lärm und die dröhnenden Bässe verstummen. "Jetzt haben wir wenigstens mal kurz die Gelegenheit uns ungestört und in normaler Lautstärke zu unterhalten. Wie gefällt dir denn der Club?", fragt er interessiert und sieht mir tief in die Augen.
"Die moderne Einrichtung und die ganze Gestaltung sind richtig schön. Man merkt, dass ihr euch sehr viel Mühe gegeben habt und ich bin mir sicher, dass es ein voller Erfolg wird", antworte ich ehrlich.
"Inschallah. Ich hoffe du warst nicht das letzte Mal hier", sagt er hoffnungsvoll und sieht mich prüfend an. "Nein, ganz bestimmt nicht!", antworte ich schnell und schenke ihm ein Lächeln.
"Gut, ich möchte dich nämlich unbedingt noch mal wieder sehen und dich richtig kennen lernen", antwortet Walid mit einem fast schon verlegenen Grinsen.
"Aber das können wir ja auch außerhalb des Clubs", erwidere ich plötzlich schneller als ich denken kann und beiße mir sofort auf die Zunge.
Was zur Hölle rede ich da?
Dieser Typ hat mir wirklich in den wenigen Minuten so dermaßen den Kopf verdreht, das kenne ich gar nicht von mir.
"Das wäre wirklich schön. Ich gebe dir einfach meine Nummer und wenn du magst, kannst du dich ja bei mir melden."
Beschämt über mein eigenes Verhalten nicke ich und reiche ihm mein Handy. Er tippt seine Nummer ein und gibt es mir zurück.
"Okay, dann bringe ich dich am Besten wieder zu Abbas zurück. Ich würde zwar am liebsten den Rest der Nacht hier mit dir verbringen und mich mit dir unterhalten, aber leider muss ich noch ein bisschen arbeiten."
Walid hält mir die Tür auf und ich trete in den Flur. Er steht noch hinter mir, als ich mich kurzentschlossen umdrehe und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange drücke. "Danke für die Führung", sage ich schnell verschwinde schnell in den Schutz der Menschenmenge.
Ich laufe zu den Toiletten, betrete eine Kabine, verschließe die Tür hinter mir und atme tief durch. Langsam setze ich mich auf den geschlossenen Toilettendeckel.
Was war das? Was ist nur los mit mir? Ich bin völlig durch den Wind. So kann ich auf keinen Fall wieder zurück zu den Jungs gehen. Ich entschließe mich dazu erstmal nach oben auf die Dachterasse zu gehen und eine zu rauchen, um mich selbst wieder runter zu fahren.
Oben angekommen setze ich mich auf eine Lounge aus dunklen Rattan, die mit weißen weichen Kissen bestückt ist und zünde mir eine Zigarette an.
Es ist eine sternenklare Nacht. Ich schwelge in meinen Gedanken, als ich plötzlich eine Sternschnuppe am dunklen Himmel entdecke. Schnell schließe ich die Augen und wünsche mir, dass das nur der Anfang von Walids und meiner Geschichte ist.
Auf einmal höre ich vertraute Stimmen, die sich mir nähern. Ich blicke auf und sehe Abbas, Younes, Malik und Amin, die geradewegs auf mich zu kommen. Sie setzen sich zu mir und zünden sich ebenfalls Zigaretten an.
"Wo warst du die ganze Zeit?", fragt Younes mit hochgezogener Augenbraue. "Walid hat mir den Club gezeigt und auf dem Rückweg zum Tisch hab ich eine Freundin getroffen und mich verquatscht", flunkere ich. Sie müssen ja nicht wissen, dass ich mich in Wahrheit mit Walid verquatscht habe und am liebsten gar nicht mehr zurück gekommen wäre.
Wenig später gehen wir zusammen wieder nach unten und Malik zieht mich direkt auf die Tanzfläche. Es läuft "Niggas in Paris" von Jay-Z und Kanye West, einer meiner absoluten Lieblingssongs. Wir tanzen, lachen miteinander und albern herum, als mein Blick plötzlich in der Masse von Leuten auf Walids Augen trifft.
Das helle Funkeln von vorhin ist weg, stattdessen blitzen seine Augen böse auf. Er ist eifersüchtig.
Und egal mit wem ich tanze, rede oder lache - Walids Augen verfolgen mich den ganzen Abend lang.
Momo habe ich den kompletten Abend nicht gesehen, irgendwann gegen 2 Uhr hat er sich dann von uns verabschiedet. Gegen 4 Uhr legt auf einmal Abbas seinen Arm um mich, drückt mir einen feuchten Kuss auf die Wange und lallt in mein Ohr: "Willsu ma nachhause?" Ich muss lachen. "Besser ist das, hm? Ich hole mal unsere Jacken."
Ich laufe gedankenverloren zur Garderobe, als mich plötzlich jemand am Handgelenk packt und zu sich zieht. Ich knalle gegen eine harte Brust und rieche sein süßliches Parfum. Noch bevor ich nach oben schaue und in die honigbraunen Augen sehe, weiß ich, dass das Walid ist, der vor mir steht.
Er schaut mir ernst in die Augen und sagt: "Du bist ja ganz schön beliebt bei Männern."
"Findest du?", frage ich unschuldig. "Na irgendeiner war ja immer an deiner Seite", erwidert er genervt. Es ist nicht zu übersehen, dass ihm das nicht gefällt.
"Sind halt alles Abbas' Freunde", spielte ich seinen Vorwurf herunter. "Glaub mir, die Hälfte von denen sehen dich aber nicht mit freundschaftlichen Blicken an, das habe ich die ganze Zeit beobachtet", erwidert er nun provokant.
"Ach ja? Dann hast du ja hoffentlich auch meine Blicke gesehen, und dass ich ganz und gar nicht an einem von denen interessiert bin. Ich muss jetzt unsere Jacken holen und dann fahren wir nachhause. Ich..", rattere ich herunter, doch werde jäh unterbrochen, denn Walid fasst mit seiner Hand an meine Taille und schiebt mich noch ein Stückchen näher an sich. Wir stehen uns nun so nah, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren kann.
Er schaut mir tief in die Augen und sagt ganz leise: "Du bist wunderschön und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass dich ein anderer anfasst. Du wirst dich morgen melden, ja?"
"Ja", verspreche ich ihm atemlos, mehr kriege ich nicht raus. Er macht mich sprachlos.
Walid haucht mir ganz kurz einen Kuss auf die Stirn. "Soll ich noch euer Auto holen? Es regnet", fragt er fürsorglich. Ich grinse ihn an. "Näher als ich geparkt habe, geht es nicht mehr."
"Der weiße Porsche?", stimmt er in mein Lachen ein. Ich nicke. "Na gut. Dann fahr vorsichtig, ja? Schön, dass du da warst." Ich bedanke mich noch einmal für die Einladung und den wirklich schönen Abend und verabschiede mich dann von Walid.
Ich hole nun wirklich unsere Jacken, danach meinen betrunkenen Bruder und seinen betrunkenen besten Freund Younes und manövriere sie durch die noch feiernden Menschen zu meinem Auto. Ich setze erst Younes bei sich zuhause ab und fahre dann zu uns. Abbas küsst mich auf die Wange, wünscht mir eine gute Nacht und torkelt glücklich und betrunken in sein Bett. Ich tue es ihm gleich und schlafe innerhalb von fünf Minuten ein.
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