9.

Am nächsten Morgen erwache ich mit dröhnendem Kopf.

Wo bin ich?
Wer bin ich?

Scheiß Alkohol.

Ich höre leise, gleichmäßige Atemgeräusche und fahre erschrocken herum. Neben mir in meinem Bett liegt Walid und schläft friedlich wie ein Baby. Besorgt mustere ich ihn, aber er ist noch komplett bekleidet. Dann bleibt mein Blick an seinem Gürtel hängen und mir schießen augenblicklich Bilder der gestrigen Nacht in den Kopf.

Ich, wie ich auf Walid sitze. Wie wir uns küssen. Wie ich seinen Gürtel öffne und er ihn wieder schließt.

Meine Erinnerungen sind lückenhaft und verschwommen. Ach du Scheiße. Was habe ich getan?

Beschämt stehe ich aus dem Bett auf und schleiche in mein angrenzendes Badezimmer. Ich ziehe mich aus, stelle mich unter die Dusche und versuche, die Schminke und vor allem die Schande der letzten Nacht abzuwaschen. Ersteres gelingt mir mit viel Waschgel, letzteres leider nicht.

Ich trockne mich ab, binde mir ein Handtuch um den Körper und tappse auf nackten Füßen ins Ankleidezimmer. Ich ziehe mir einen viel zu großen weißen Hoodie und eine dunkelgraue Leggings an und laufe dann runter in die Küche.

Ich mache mir einen Kaffee und als das laute Brummen der Kaffeemaschine los geht, hörte ich ein gequältes Stöhnen aus dem Wohnzimmer. Auf der einen Couch liegen Kitty und Leo - nackt, notdürftig mit einer Decke bedeckt und auf der anderen Couch liegen Abbas und Younes. Ich fange an zu lachen.

Langsam reckt Kitty ihren Kopf hoch, schaut an sich herunter, dann neben sich und läuft knallrot an. Ich laufe rüber, sammele ihre Kleidung zusammen und reiche sie ihr. Sie nimmt sie dankend entgegen und zieht sich beschämt an.

"Na, habt ihr noch gut gefeiert, hm?", frage ich sie neckisch. "Sieht ganz danach aus", murmelt sie verkatert. Ich gehe wieder in die Küche und mache auch meiner besten Freundin einen Kaffee.

Wir gehen zusammen auf die Terrasse, legen uns auf die Liegestühle, eingekuschelt in flauschige Decken und genießen die warme Sonne und den frischen Kaffee.

"Oh man, dieser Mann macht mich verrückt", ergreift Kitty nach einer Weile zuerst das Wort. Fragend sehe ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Na Leo. Er will nichts Ernstes, aber er kann auch nicht die Finger von mir lassen. Und ich will diese Spielchen eigentlich nicht, aber kann ihm auch nicht widerstehen. Wieso ist der denn nicht wenigstens hässlich? Dann wäre es deutlich leichter" seufzt sie.

"Du hast gestern mit Milan und Luan getanzt und Leo ist total eifersüchtig geworden. Hat dich von denen weggezogen und meinte "Das ist meine". Ich glaube nicht, dass du für ihn nur irgendeine bist. Ich werde mal Nachforschungen anstellen", merke ich an.

Kitty sieht mich erstaunt an und antwortet: "Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern."

"Kannst du dich denn noch daran erinnern, wieso du nackt mit Leo auf meiner Couch lagst, während mein Bruder und sein bester Freund gegenüber lagen?", frage ich grinsend.

Kleinlaut antwortet sie: "Leider ja. Die beiden sind eingepennt und Leo und ich wollten auch schlafen. Wir haben wir ein bisschen geknutscht, die Küsse wurden immer leidenschaftlicher und irgendwie konnten wir uns dann nicht mehr beherrschen. Es war aber total kurz und wir waren sehr leise. Abbas und Younes haben nichts davon mitbekommen.. Hoffe ich zumindest."

In dem Moment geht die Tür auf und Younes kommt verschlafen und mit zerzausten Haaren heraus.

"Morgen Mädels", begrüßt er uns heiser und setzt sich zu uns. Er zündet sich eine Zigarette an und schwört sich: "Was für eine Nacht. Ich bin völlig fertig. Ich trinke nie wieder."

"Ich auch nicht!", sagen Kitty und ich plötzlich gleichzeitig. Wir fangen an zu lachen. Wir glauben uns das nicht mal selber.

"Lilli, konntest du mit Malik und Walid alles klären?", fragt Younes mich ernsthaft interessiert. "Oh ja, das interessiert mich auch. Wir haben es noch gar nicht geschafft, darüber zu reden", pflichtet Kitty ihm neugierig bei.

"Ja. Ich habe Malik gesagt, dass er für mich ein sehr guter Freund ist und immer sein wird, aber nie mehr. Und Walid hat mir sehr ehrlich gesagt, wieso er so ausgerastet ist und wir konnten das alles klären. Wir sind jetzt zusammen und wollen es miteinander probieren", kläre ich die beiden auf.

Kitty und Younes freuen sich aufrichtig für mich und gratulieren mir überschwänglich.

"Wann ist Walid eigentlich gestern abgehauen? Er hat sich gar nicht mehr verabschiedet", hakt Younes nach.

"Ehm, gar nicht. Der liegt oben und schläft", erwidere ich zögernd und ein wenig peinlich berührt. "Echt jetzt?", fragt Younes ungläubig und ich nicke nur. "Hoffentlich gibt das keinen Ärger", flüstert Younes mir zu und zwinkert verschwörerisch.

Bevor ich etwas erwidern kann, wendet Younes sich an Kitty und fragt sie: "Und was ist dir und Leo?"

Kitty zuckt resigniert mit den Schultern. "Wenn ich das wüsste", seufzte sie. Younes sieht sie belustigt an und antwortet: "Ich gebe dir einen guten Rat: Reden hilft."

In dem Moment geht erneut die gläserne Balkontür auf und Abbas kommt in Boxershorts und T-Shirt auf die Terrasse.

"Guten Morgen", rufe ich fröhlich, was er mit einem Brummen beantwortet. Abbas ist ein absoluter Langschläfer und wenn er dann mal wach ist, brauchte er erstmal seine Zeit um klarzukommen. Ein typischer Morgenmuffel eben.

Kurz darauf kommt dann auch Walid zu uns auf die Terasse. Seine Haare sind verwuschelt und sein Gesich ist noch vom Schlaf zerknittert.

"Sabāĥu al-khayr", wünscht er uns lächelnd einen guten Morgen. Die Jungs und ich antworten auf Arabisch, während Kitty nur Bahnhof versteht.

Walid bemerkt ihren hilflosen Blick und sagt deshalb sofort: "Entschuldigung. Guten Morgen." "Guten Morgen", antwortet sie grinsend.

Dann kommt er zu mir, küsst mich auf die Wange und setzt sich ans Fußende meines Liegestuhls. "Hast du gut geschlafen?", fragt er liebevoll. Ich nicke. "Kopfschmerzen?", vermutet er treffsicher. Ich nicke wieder. "Kann ich mir vorstellen", bemerkt er lachend.

Beschämt senke ich meinen Blick, beuge mich zu ihm vor und sage ganz leise: "Tut mir leid was ich gestern gemacht habe. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist."

"Wieso denn? Es ist doch nichts passiert. Alles ist gut, mach dir keine Sorgen, Kleines", beruhigt er mich verständnisvoll.

"Lilli, Zeyd hat einige unserer Freunde zum Grillen eingeladen und ich wollte dich fragen ob du auch kommen willst? Es sind zwar größtenteils Jungs, aber zwei oder drei ihrer Freundinnen kommen auch und ich würde dich gerne vorstellen", sagt Walid irgendwann zu mir.

Ich freute mich über die Einladung und sage zu.

"Okay, wir müssen dann so in anderthalb Stunden los. Also mach dich rechtzeitig fertig", weist er mich an.

Ich gehe rein und mache für uns alle Kaffee, backe Brötchen im Ofen auf und richte Frühstück am Esstisch an. Dann wecke ich Leo und rufe die anderen zum frühstücken rein.

Nach dem Frühstück eröffnet Walid mir: "Liebes, ich muss jetzt nachhause, duschen und mich umziehen. Soll ich dich gleich abholen?"

"Nein brauchst du nicht, ich komme zu dir und wir fahren von dort aus gemeinsam, okay?", biete ich an. Walid stimmt zu und verabschiedet sich von den anderen, bevor ich ihn zur Tür bringe.

Endlich ein kleiner Moment, in dem wir ungestört waren. Ich lege meine Arme um seinen Bauch und sehe ihm tief in die honigbraunen Augen. Er lächelt und drückt mir einen Kuss auf den Mund. Seine Küsse fühlen sich an wie Wolken.

"Ich freue mich auf gleich", sage ich glücklich. "Ich mich auch", erwidert er. Ich bleibe noch einen Moment an der Tür stehen und schaue ihm nach. Als er aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, schließe ich die Tür hinter mir und beginne den Frühstückstisch abzuräumen. Abbas kommt dazu und hilft mir.

"Alles okay?", fragte er beiläufig. "Mehr als das. Es könnte nicht schöner sein", antworte ich lächelnd. "Inschallah wirst du immer so glücklich sein", sagt er liebevoll und küsst mich auf die Wange.

"Ich bin jetzt gleich weg. Walid hat mich zum Grillen mit seinem Bruder eingeladen", informiere ich Abbas.

"Ach echt? Fahren wir zusammen?", fragt er schief grinsend. "Hä wie?" Ich schaue ihn verständnislos an.

"Na ich bin auch eingeladen", hilft er mir auf die Sprünge. "Als ob?", gebe ich ungläubig zurück. "Ne, echt jetzt. Aber wenn du willst, kann ich auch absagen  falls dir das unangenehm ist, oder so", bietet er rücksichtsvoll an.

"Quatsch! Wieso sagst du sowas?", frage ich empört. Wieso sollte mir mein eigener Bruder unangenehm sein?

"Keine Ahnung. Sorry  ich meinte es nur gut", antwortet er und hebt beschwichtigend die Hände.

"Nein Abbas, es wäre nie ein Problem für mich, wenn du auch irgendwo bist. Denk sowas nicht mal", erkläre ich, um sein Gewissen zu beruhigen.

Da ich heute morgen schon geduscht habe, muss ich mich nur noch umziehen und fertig machen. Ich schalte Musik auf meinem iPhone an und gehe ins Ankleidezimmer.

Es fällt mir heute wirklich schwer mich für ein Outfit zu entscheiden. Ich will schick aussehen, aber auch nicht zu overdressed und vor allem nicht zu freizügig. Die Ehre einer Frau ist der Stolz ihres Mannes und ich will Walid auf jeden Fall stolz machen.

Ich ziehe mindestens zehn verschiedene Outfits an und wieder aus, bis ich mich schließlich für eins entschieden habe.

Ich ziehe ein weißes Maxikleid mit großen Blumen an. Es hat keinen zu tiefen Ausschnitt und keinen zu hohen Schlitz. Zu dem Kleid kombiniere ich weiße Sandalen und meine weiße Gucci-Tasche.

Ich ziehe meine goldene Uhr an, meine Haare lasse ich einfach offen und ich schminke mich ganz dezent. Etwas Bronzer, Lidschatten, Wimperntusche, Augenbrauen nachziehen, etwas nudefarbenen Lipgloss - fertig.

Da ich noch etwas Zeit habe, folge ich der Musik in Abbas' Ankleidezimmer, der sich seinerseits gerade auch sein Outfit zusammensucht.

"Die oder die?", fragt er und hält zwei Hosen hoch; eine beige Stoffhose und eine graue Jeans.

"Wozu denn?" "Ich wollte ein Jeanshemd anziehen." "Dann die beige Hose. Und deine schönen Segelschuhe dazu", schlage ich vor.

"Bist du aufgeregt?", erkundigt Abbas sich. "Ja schon", gebe ich zu.

"Walid scheint es echt ernst zu meinen, wenn er dich sogar mit nachhause, zu seinem Bruder und seinen Freunden nimmt", stellt Abbas fest.

"Ja. Das ist wirklich ein schönes Gefühl, aber ehrlich gesagt setzt es mich schon ziemlich unter Druck. Was, wenn die mich nicht mögen? Oder was, wenn es dann doch nicht mit uns klappt?", äußere ich meine Bedenken.

"So ein Schwachsinn. Ich kenne niemanden, der dich nicht mag. Und wenn es doch nicht mit euch klappt, ist das halt so. So spielt das Leben. Man kann es nicht wissen. Allahu alem", sagt er, um mich zu beruhigen.

"Was ist denn mit dir? Willst du nicht endlich mal eine Freundin?"

"Ich will schon, aber ich will nicht irgendeine, ich will die Richtige und die hab ich bisher noch nicht gefunden." "Die wird schon noch kommen. Du Abbas, mal was anderes. Kennst du einen Shayan?", frage ich meinen Bruder.

Abbas macht große Augen. "Shayan? Wie kommst du denn darauf? Welchen Shayan meinst du?" "Ach schon gut, ich dachte nur du kennst ihn vielleicht", lenke ich schnell ab, um nichts zu verraten, was Abbas nicht schon wusste.

"Du meinst Walids und Zeyds Bruder, ne?", fragt er vorsichtig. Ich nicke. "Walid hat dir also von ihm erzählt?", fragt er. Ich nicke wieder. "Dann, meine liebe Schwester, kannst du dir schon mal dein Hochzeitskleid aussuchen gehen. Es gibt gerade mal eine Hand voll "fremder" Leute, die davon wissen. Wenn er dir davon erzählt hat, muss er es wirklich ernst meinen", erklärt Abbas beeindruckt.

"Danke Abbas. Ich werde jetzt mal los fahren. Ich will nicht erst kommen, wenn schon Gäste da sind. Ich habe deren Haus ja auch noch nie gesehen."

"Na dann mach dich mal auf was gefasst", warnt er mich. 

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Meine Lieben,

Was denkt ihr - wie wird die Party verlaufen?

A.

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