57.

Als wir das Hotel betreten, entdecke ic die fünf Jungs in der Lobby, wo sie auf den dunklen Polstermöbeln sitzen und Whiskey trinken.

"Was geht denn hier ab?", erkundige ich mich. "Kleines Sit-in", erwidert Younes und zwinkert mir zu.

Abbas klopft auf den freien Platz neben sich. Ich lasse mich auf die Couch fallen und lehne meinen Kopf an seine Schulter. Walid schaut auf die vielen Tüten, die ich neben mich stelle und fragt grinsend: "Muss ich jetzt Insolvenz anmelden?"

Younes zieht eine Augenbraue hoch. "Bruder, selbst wenn sie das ganze scheiß Einkaufscenter gekauft hätte, wärst du noch flüssig."

"Wieso sitzt ihr hier?", versuche ich es noch mal und übergehe damit die Diskussion über Walids Finanzen. "Wir haben auf euch gewartet", antwortet Abbas. "Wir wollten doch jetzt Essen gehen. Ich sterbe fast vor Hunger."

"Wie? Ist euer Mittagessen schon so lange her?", frage ich skeptisch. "Mittagessen?", fragt Abbas und sieht mich irritiert an.

"Ja Mittagessen, Abbas. Hast du das halbe Hähnchen, was du verdrückt hast, schon vergessen?", fragt Shayan schnell und sieht Abbas mit einem merkwürdigen Blick an.

Als ob Abbas jemals ein Essen vergessen würde.

Aber Abbas lenkt ein: "Ach das! Das war doch kein Mittagessen, das war ein kleiner Snack."

Ich schlage mir mit der flachen Hand vor die Stirn. "Wer von euch kann denn jetzt noch fahren?", frage ich in die Runde. Die Jungs gucken sich gegenseitig an und grinsen.

"Ich kann auch fahren", bietet Aliya an. "Ich bringe nur eben meine Tüten aufs Zimmer, dann können wir los."

"Ja, ich auch", pflichte ich ihr bei. "Dann kann ich direkt noch meine Uhr holen, die Walid in den Safe gepackt hat. Mein Arm fühlt sich so nackt an ohne sie."

In dem Moment springt Walid wie von der Tarantel gestochen auf und sagt: "Ich geh schon, Lilli. Gib mir deine Tüten, ich bringe sie weg und hole deine Uhr."

"Nein Schatz, musst du nicht. Ich mache das schon", lehne ich sein Angebot ab.

"Nein, du weißt doch gar nicht wie der Safe funktioniert", entgegnet er nervös. "Na und, ich bin doch nicht dumm?", gebe ich schnippisch zurück.

"Naja", sagt Abbas frech. Ich drehe mich zu ihm um, schaue ihn fassungslos an und will gerade kontern, da nutzt Walid den Moment, schnappt sich meine Tüten und läuft mit Aliya zusammen zum Aufzug.

Schockiert sehe ich den beiden nach. "Was ist nur in den gefahren? Ich erkenne ihn gar nicht mehr wieder", sage ich kopfschüttelnd. Keiner antwortet mir, es herrscht betretenes Schweigen.

Als die beiden wieder kommen, legt Walid mir meine Uhr um. "Denkst du ernsthaft, das hätte ich nicht selbst geschafft?", frage ich ihn aufgebracht.

"Baby", sagt er und kneift mir in die Wange. "Ich weiß, dass du das alleine geschafft hättest, aber ich helfe dir nun mal gerne, wenn ich kann."

Seine Worte stimmen mich versöhnlich. Walid weiß mittlerweile genau was er sagen muss um mich zu kriegen.

Als wir nach dem Abendessen wieder zum Parkplatz gehen, sagt Abbas grinsend: "Lasst uns feiern gehen, irgendwie bin ich heute in Stimmung dazu."

Shayan und Aliya klinken sich aus und fahren mit einem der Autos zum Hotel zurück.

Ich will eigentlich auch lieber schlafen als weggehen aber lasse mich von den Jungs beknien, nicht zuletzt damit ich mal wieder Chauffeur spielen kann.

Wir fahren in einen schicken Club in Beirut, dessen Dachterasse einen direkten Blick aufs Meer hat. Als wir uns einen Tisch suchen, traue ich meinen Augen nicht. An einem Tisch am Rand sitzt ein Mann, den ich sehr gut kenne.

Völlig überfordert von meinen Emotionen schreie ich laut auf, renne auf ihn zu und falle ihm in die Arme.

"Momo, was machst du denn hier?", kreische ich hysterisch. "Na auf dich warten", antwortet er grinsend.

Ich lasse ihn los und er begrüße auch die Jungs freudig. Abbas winkt einen Kellner heran und bestellt eine Flasche Moet und eine Flasche teuren Whiskey.

"Hast du was zu feiern?", frage ich Abbas. "Ja", antwortet er trocken. "Was denn?", frage ich interessiert. Walid versteift sich merklich. "Na mein Leben, jeden Tag aufs Neue", antwortet Abbas überzeugt.

"Abbas, du bist so ein Idiot, ehrlich. Ich ertrage das langsam nicht mehr", stöhne ich.

Ich wende mich an Momo und frage: "Wo ist deine Verlobte?" Sofort erhellt sich sein Gesicht. "Sie ist arbeiten, aber lässt dir schöne Grüße ausrichten." "Zurück", antworte ich lächelnd.

Ich entschließe mich die Toiletten zu suchen und Abbas begleitet mich. Zusammen laufen wir durch den vollen Club und drängen uns durch die tanzenden Menschen.

Auf dem Rückweg schlage ich ihm vor, eine rauchen zu gehen. "Ne, kein' Bock gerade", wimmelt er mich ab, lässt sich schlussendlich aber doch von mir überzeugen.

Auf der Terasse nehme ich einen Zug von meiner Zigarette und blicke meinem Bruder tief in die Augen. "Abbas, bitte sei ehrlich zu mir. Was stimmt mit Walid nicht? Steckt er in Schwierigkeiten? Geht er mir fremd?"

Abbas fängt laut an zu lachen. Dann guckt er mich ernst an und fragt: "Sag mal, hast du 'n Vogel, oder was? Fragst du mich gerade ernsthaft ob ich ihn dabei decke dich zu betrügen? Das ist echt eine Beleidigung.."

"Er verheimlicht mir auf jeden Fall etwas. Er benimmt sich total merkwürdig, ist ständig nervös und in Gedanken. Ich habe ihn darauf angesprochen und er meinte, dass er Stress mit dem Infinity hat. Ich glaube ihm aber nicht, dass das alles ist. Da muss noch irgendwas sein. Du weißt doch was los ist, Abbas, ihr wisst alle mehr als ich. Wieso lügt ihr mich an?", frage ich ihn verzweifelt.

Kurz sehe ich Mitleid in Abbas' Blick. Er nimmt meine Hand und sieht mir tief in die Augen.

"Lilli, vertraust du mir?"

"Natürlich vertraue ich dir. Wenn nicht dir, wem dann?"

"Dann vertrau mir, wenn ich dir sage: Es ist alles gut. Genieß einfach den Urlaub, okay? Bitte", sagt er mit Nachdruck.

"Bitte, Abbas, sag mir doch was los ist. Wieso tust du mir das an?", seufze ich.

Abbas rauft sich mit der linken Hand durch die Haare und stöhnt auf. "Mach es mir nicht so schwer, Lilli. Vertrau mir einfach."

Dann wirft er seine Kippe über das Geländer und läuft wieder rein. Ich folge ihm nicht sondern setze mich stattdessen auf eine Bank um die Ecke. Ich atme die kühle Nachtluft ein und lasse meinen Blick über das Meer schweifen. Die Wellen rauschen nur leise, da es fast windstill ist.

Am Horizont spiegelt sich glitzernd der große helle Vollmond. Am Himmel leuchten Abertausende kleiner Sterne und plötzlich fällt einer von ihnen vom Himmel. Eine Sternschnuppe.

Schnell schließe ich meine Augen und wünsche mir was. Ich wünsche mir, dass Walid und ich uns niemals verlieren. Dabei flimmern mir Bilder wie ein Film durch den Kopf, wie wir uns küssen, wie wir lachen.

Als ich meine Augen wieder öffne läuft mir eine Träne die Wange hinab. Ich schaue wieder auf das Meer. Es hat eine beruhigende Wirkung auf mich und ich fühle mich mit jeder Minute besser.

Irgendwann, nachdem ich minutenlang in die Ferne gestarrt habe, spüre ich, wie sich jemand wortlos neben mich setzt. Zeyd.

Er zündet sich eine Zigarette an und streichelt mir leicht über den Rücken, aber er sagt nichts. Er sitzt nur bei mir und schweigt und das ist genau das, was ich gerade brauche.

Nach einiger Zeit bricht er dann doch sein Schweigen indem er fragt: "Wollen wir wieder rein? Die anderen machen sich schon Sorgen."

Wir gehen zurück zu unserem Tisch, wo Shayan, Momo und Walid sitzen und sich angeregt unterhalten. Als sie uns sehen, scheinen sie das Thema zu wechseln, was ich einfach ignorierte.

Ich will mich gerade neben Walid setzen, als ich plötzlich seine Hände an meinen Hüften spüre. Mit einem Ruck zieht er mich auf seinen Schoß. Er legt seine Arme von hinten um mich und zieht mich an sich.

Leise flüsterte er in mein Ohr: "Ich liebe dich, Lilli. Du hast ja keine Ahnung wie sehr." Ich lasse meinen Kopf nach hinten sinken und lehne mich an ihn.

Zu meiner Verwunderung sagt Walid kurz nach Mitternacht, dass er langsam zurück ins Hotel will und komischerweise stimmen alle sofort zu.

Auf dem Weg nach draußen packt mich Abbas von hinten und umarmte mich. Ich drücke ihn weg. Er wirbelt mich herum, sodass wir direkt gegenüber voneinander stehen, packt er mich und schmeißt mich über seine Schulter.

"Abbas, lass mich runter", quietsche ich. "Ich denk' gar nicht dran", erwidert er.

Ich trommele wütend mit meinen Fäusten gegen seinen Rücken, doch Abbas lacht nur. "Lass mich runter, ich bin sauer auf dich, Abbas", schreie ich, doch Abbas lässt sich davon nicht beirren und trägt mich aus dem Club.

Die Leute um uns herum amüsiert dieses Szenario und auch unsere Freunde lachen lauthals.

Ich drücke mich an Abbas' Rücken hoch und schaue Walid an. Meine Augen funkeln vor Wut.

"Walid!", schreie ich. "Mach was!" Walid bricht in schallendes Gelächter aus, so laut und dreckig, dass sogar ich lachen muss.

"Waaaliiiiid", schreie ich erneut. "Was soll ich denn machen?", fragt er lachend. "Rette mich!"

Abbas läuft mit mir über der Schulter weiter zum Auto. Walid kommt hinter Abbas, ich strecke meine Arme nach ihm aus und gerade als er mich packen und runter heben will, rennt Abbas los.

Jetzt sind die anderen außer sich vor Lachen. Younes schlägt sich auf die Schenkel und lacht Tränen.

Momo schüttelt nur den Kopf und fragt mit Blick Richtung Himmel: "Oh Allah, wieso hast du diesen Jungen so verrückt gemacht?"

Ich sage verächtlich: "Guckt euch das an, der bleibt einfach stehen. Ich glaub das nicht. Abbas, bitte!"

"Achso, bitte. Sag das doch gleich", sagt er lachend und lässt mich endlich runter.

Ich atme tief ein und aus. Dann schaue ich wütend in Abbas' Augen, der dadurch noch mehr lachen muss.

Ich versuche ernst zu bleiben, was mir jedoch nur bedingt gelingt. "Abbas, was ist falsch mit dir? Du bist verrückt, wallah. Hol dir Hilfe!"

Er umarmt mich fest und küsst meine Stirn. "Ich würde alles tun, um dich lachen zu sehen und wenn ich mich dafür vor allen Leuten zum Affen machen muss, ist das halt so", sagt er schulterzuckend.

Meine Augen füllen sich mit Tränen. "Ey! Wenn du jetzt wieder heulst, trage ich dich so zum Hotel. Überleg dir das gut", sagt er grinsend. Ich schüttele schnell den Kopf und sage: "Nein, nein. Nicht nötig."

Ich verabschiede mich von Momo mit den Worten: "Wir sehen uns ja morgen schon wieder."

Er guckt erst mich irritiert an, dann Walid und Abbas. "Wir kommen doch morgen zu Baba, euch besuchen", sagt Abbas ernst. "Ach ja, genau. Bis morgen", sagt mein ältester Bruder schnell.

Als Walid und ich im Bett liegen zieht er mich an sich. Ich lege meine Arme um ihn und halte ihn in dieser Nacht noch fester als sonst.

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