56.
Der nächste Tag beginnt früh, da wir vor unserem Weiterflug noch in Ruhe frühstücken wollen.
Wir suchen uns ein Café und essen ein ausgiebiges türkisches Frühstück mit Sucuk, Eiern, Käse, Brot und Tee.
Nach dem Frühstück fragt Aliya mich völlig überraschend: "Lilli, Shayan will morgen Abend mit mir schick essen gehen, aber ich habe gar nichts für diesen Anlass dabei. Magst du heute Nachmittag mit mir Shoppen gehen? Die Jungs haben da sicherlich keine Lust drauf und außerdem möchte ich Shayan auch ein wenig überraschen."
"Ja klar, allerdings wollte ich eigentlich mit Abbas meinen Vater besuchen, das muss ich noch abklären, okay?" Sie nickt verständnisvoll.
Als wir im Auto auf dem Weg zum Flughafen sitzen, frage ich Abbas: "Abbas, wann wollen wir denn heute zu Baba? Aliya hat mich gebeten mit ihr einkaufen zu gehen, sie braucht ein schickes Kleid, da Shayan morgen mit ihr essen gehen will."
Walid, der fährt, zieht scharf die Luft ein. Sein Kiefer spannt sich an und er greift fester um das Lenkrad. Irritiert mustere ich ihn.
Schnell räuspert sich Abbas und sagt: "Ja, das passt doch gut. Baba hat mich eh angerufen, da er heute kurzfristig einen Mandanten besuchen muss und uns gebeten erst morgen Abend zu kommen. Dann geht Shayan mit Aliya essen und wir anderen fahren zu Baba."
"Wir alle?", hake ich nach. Walid trommelt nervös mit seinen Fingern auf das Lenkrad.
Ich drehe mich zu ihm und sage: "Walid, ihr müsst nicht mitkommen, du kannst auch mit Zeyd was anderes unternehmen."
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Abbas ihm einen strengen Blick zuwirft. "Ehm, ja, ich.. also Zeyd und ich.. Mal gucken, ja? Ich rede noch mal mit Zeyd", stottert er.
Irgendwas ist hier im Busch. Abbas und Walid verhalten sich so komisch, dabei ist Walid niemand, der wegen eines Treffen mit meinem Vater so nervös werden würde. Es muss irgendwas anderes hinter seiner Anspannung stecken.
Als wir am Autoverleih ankommen, um die Leihwagen zurück zu geben, springt Walid schnell aus dem Auto und läuft völlig kopflos direkt in den Autoverleih, ohne überhaupt erstmal unsere Koffer auszuladen. "Was ist denn mit den Koffern?", rufe ich ihm irritiert nach.
Abbas sagt zu mir gewandt: "Younes macht das schon", und sprintet Walid hinterher.
"Younes macht das schon, hast du gehört?", wiederholt dieser zynisch.
"Was ist denn mit Walid? Der ist total komisch, total nervös und angespannt und Abbas verhält sich auch nicht normal", spreche ich meine Gedanken laut aus.
"Keine Ahnung, Lilli. Vielleicht sind die nervös oder gestresst wegen des Fluges, ist sicher heute Abend wieder vorbei", versucht Younes mich zu beruhigen.
"Mmh", mache ich nur. Ich blicke in das kleine Gebäude in dem Walid, Abbas und nun auch Zeyd anstehen. Abbas und Zeyd reden auf Walid ein, der sich gestresst durch die Haare fährt. Irgendwann knickt er sichtlich ein, was auch immer die beiden ihm sagen, hebt beschwichtigend seine Hände und nickt.
Abbas scheint das aber nicht zu reichen. Er geht einen Schritt auf ihn zu und redet weiter wild gestikulierend auf ihn ein.
Zeyd, der immer die Ruhe selbst ist, komplett anders als seine zwei Brüder, schiebt Abbas sanft zurück und scheint die beiden zu beruhigen.
Als die drei wieder aus dem Autoverleih kommen, ziehen Walid und Abbas fast synchron ihre Zigarettenschachteln aus ihren Jackentaschen und stecken sich eine Zigarette an.
Als ich die beiden so nebeneinander stehen sehe, muss ich unweigerlich grinsen. Younes, der mich anscheinend beobachtet hat, fragt salopp: "Was grinst du so?"
Ich drehe mich zu ihm und erkläre: "Ich habe mich schon oft gefragt, wieso ich so verrückt nach Walid bin. Ich habe gerade die Antwort gefunden."
Er guckt mich fragend an. "Er ist genau wie Abbas. Stur, aufbrausend, impulsiv, aber beide haben ein Herz aus Gold, sind liebevoll und loyal. Sie sind sich so ähnlich, dass es schon fast erschreckend ist. Kaum zu glauben, dass es mir vorher nie aufgefallen ist."
Unser Flug ist ein Direktflug mit Turkish Airlines, der nur 1:45 Stunden dauert.
Ich setze mich zwischen Walid und Abbas, der natürlich am Fenster sitzt, und blättere in einer Zeitschrift, die ich mir am Flughafen gekauft habe.
Walid ist total in sich gekehrt und spricht den ganzen Flug über kaum ein Wort.
Ich nehme kaum ein Wort meiner Vogue wahr, da ich mir die wildesten Szenarien ausmalte, die für sein Verhalten verantwortlich sein könnten.
Am Flughafen nehmen wir wieder zwei Leihwagen, mit denen wir zum Hotel fahren. Wir checken ein und beziehen unsere Zimmer.
Walid ist immer noch still und langsam reicht es mir. Ich knalle die Hotelzimmertür zu, was Walid hochschrecken lässt. Wütend funkel ich ihn an. "Was ist los?", fragt er unschuldig.
"Was los ist? Das wüsste ich gerne von dir, Walid. Gestern streitest du dich mit Shayan, heute mit Abbas und Zeyd. Du bist total komisch, angespannt und in Gedanken vertieft, aber sagst mir nicht, wieso. Kannst du dir vorstellen, was ich für Gedanken in meinem Kopf habe?", fahre ich ihn an.
Bedrückt senkt Walid seinen Blick zu Boden. Dann kommt er auf mich zu und umarmt mich. Ich wehre mich, aber er lässt sich nicht davon abbringen.
"Es tut mir leid, okay? Ich habe gerade ein bisschen Stress mit dem Infinity, deshalb hab ich mich mit Shayan gestritten. Und Abbas und Zeyd haben mich heute ermahnt, so lange ich hier bin, die Arbeit mal ruhen zu lassen. Ich habe dir nur nichts gesagt, weil ich dich nicht damit belasten wollte", erklärt er reumütig.
Ich schaue ihm eindringlich in seine honigbraunen Augen. "Okay", sage ich nur. Dann küsst er mich.
"Ich muss mich jetzt fertig machen. Ich fahre doch mit Aliya in die Stadt, sonst wird es zu spät", erkläre ich.
Ich binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, ziehe mir eine blaue Jeans, ein graues Shirt und eine schwarze Lederjacke an. Dazu nehme ich schwarze Stiefeletten mit einem hohen Absatz und eine schwarze Yves Saint Laurent Tasche, die ich mir über die Schulter hänge.
Walid mustert mich streng. "So willst du jetzt alleine durch Beirut spazieren? Das hier ist nicht München. Echtlederjacke, Levis Jeans, Yves Saint Laurent Tasche, goldene Rolex - kleb dir doch noch einen Sticker auf die Stirn: Bitte raubt mich aus."
Ich verdrehe genervt die Augen. "Was soll ich machen? Ich habe nix anderes dabei."
Er nimmt meine Hand, zieht meine Uhr ab und steckt sie in den Hotelsafe. Dann ermahnt er mich streng: "Lilli, passt bitte auf euch auf und wenn dir irgendwas komisch vorkommt, ruf mich an, dann komme ich sofort. Und schick mir immer mal zwischendurch deinen Standort, okay?"
"Ja Papa", antworte ich bissig und strecke ihm die Zunge raus.
"Ya Allah, diese Frau macht mich krank", sagt er verzweifelt.
Ich küsse ihn auf die Wange. Dann halte ich meine Hand ausgestreckt hin. Er zieht sein Portemonnaie raus und legt seine Kreditkarte in meine Hand.
"Kauf dir was Schönes", sagt er und küsst mich auf die Wange. "Ich wollte eigentlich den Autoschlüssel", antworte ich lachend.
"Achso okay", sagt er und tut so als würde er die Karte wieder weg nehmen wollen. Schnell schließe ich meine Hand und stecke sie in meine Jackentasche. Er lacht und gibt mir den Autoschlüssel.
Dann verabschiede ich mich und klopfe an das Zimmer von Shayan und Aliya. Ich fahre mit Aliya zur ABC Mall in Beirut, einem riesigen Einkaufscenter in dem ich schon öfter war.
Aliya staunt nicht schlecht, als sie den imposanten Gebäudekomplex entdeckt.
"Also, nach was genau suchst du?", frage ich, als wir die Eingangstür passieren. Sie lacht. "Wenn ich das wüsste. Es soll kein Abendkleid sein, eher ein Cocktailkleid. Nicht zu auffällig, eher schlicht und elegant. Am besten schwarz, nicht zu tiefer Ausschnitt aber dafür vielleicht ein schöner Rückenausschnitt." "Klingt nach einem Plan", antwortete ich.
Wir gehen in ein Geschäft nach dem anderen und Aliya probiert gefühlt tausend Kleider an, bis sie endlich das richtige gefunden hat.
Es ist komplett aus schwarzer Spitze, wobei nur der Rock und der Brustbereich mit schwarzem Stoff unterlegt sind, wohingegen die Haut an Armen, Rücken und Beinen durchscheint. Das Kleid ist eng anliegend und hat wie Aliya es sich gewünscht hatte einen tiefen Rückenausschnitt. Es ist echt schön und steht ihr hervorragend.
Aliya ist wirklich brav und kauft nichts anderes außer diesem Kleid, ich hingegen habe mittlerweile schon sechs Tüten in der Hand.
"So, dann lass uns mal wieder zurück zu den Jungs, oder?", frage ich sie irgendwann am späten Nachmittag.
"Du, Lilli, ich habe riesigen Hunger. Lass uns doch noch was Essen gehen", erwidert sie nervös. "Wir gehen doch bestimmt gleich alle zusammen essen..", antworte ich irritiert.
"Shayan hat mir gerade geschrieben, dass die fünf schon Mittagessen waren und bis heute Abend halte ich es echt nicht aus", jammert sie.
Ich lasse mich breitschlagen. "Okay, dann gehen wir was essen."
Wir suchen uns in der Mall ein kleines Restaurant, wo Aliya einen Salat und ich Nudeln bestelle.
Sie ist heute auffällig oft an ihrem Handy und schreibt Nachrichten, so auch während wir auf unser Essen warten.
"Schreibst du Shayan?", frage ich neugierig. "Ja", antwortet sie und ihre Augen strahlen.
"Bist du verliebt?", hake ich nach. "Und wie. Ich hatte zwar schon zwei Beziehungen, aber mit Shayan ist es was ganz anderes. Er ist liebevoll, fürsorglich und ehrlich. Ich bin wirklich richtig glücklich mit ihm."
"Shayan ist auch sehr glücklich mit dir", antworte ich lächelnd.
"Und Walid und du, wie lange seid ihr schon zusammen?", fragt sie nicht weniger neugierig.
"Ein halbes Jahr", antworte ich. "Ehrlich? Ich dachte, ihr seid schon viel länger zusammen. Ihr wirkt wie ein altes Ehepaar", entgegnet sie verwundert.
"Ich weiß", sage ich lachend. "Ich schätze, wir passen einfach gut zusammen und wir haben schon einiges miteinander erlebt, ich schätze, das verbindet mehr, als Zeit es jemals könnte." "Da hast du Recht", stimmt sie mir zu.
Als wir aufgegessen haben, will Aliya plötzlich noch mal in einen Laden zurück, in dem wir schon waren, da sie dort Schuhe gesehen hat die ihr nicht aus dem Kopf gehen.
Als wir auch diesen Laden wieder verlassen, verkündet sie: "So, jetzt können wir zurück. Die Jungs sind auch wieder im Hotel."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top