5.
Am nächsten Morgen werde ich nur schwer wach. Als ich es endlich schaffe meine Augen richtig zu öffnen, suche ich nach meinem Handy. Als ich es schließlich auf der anderen Seite des Bettes gefunden habe, entsperre ich das Display und sehe 8 entgangene Anrufe, davon 5 von Walid. Außerdem 28 WhatsApp Nachrichten, von denen immerhin 7 auf sein Konto gehen.
"Lilli, es tut mir wirklich leid was passiert ist. Bitte lass uns reden.
Ich will mich bei dir entschuldigen und dir alles erklären.
Es hat einen Grund wieso ich so ausgerastet bin..
Glaub mir, sowas wird nie wieder passieren.
Lass uns uns heute treffen.
Ich lade dich zum Essen ein und wir reden.
Guten Morgen, bist du wach? 😕"
Ich entscheide mich schweren Herzens dazu, ihm erstmal nicht zu antworten. Ich will ihn nicht hinhalten, aber ich weiß einfach selbst noch nicht, was ich will.
Ich bin gerade aufgewacht und schon werde ich wieder mit meinen Problemen konfrontiert, frei nach dem Motto: Guten Morgen liebe Sorgen. Am liebsten würde ich mir die Decke über den Kopf ziehen und mindestens für den Rest des Tages schlafen, aber leider ist das heute nicht drin, weshalb ich mich kraftlos aus dem Bett quäle.
Ich ziehe mir eine Sportleggings von Nike an und dazu ein lockeres blaues Shirts, bevor ich in die Küche gehe, wo ich mir schnell eine große Tasse Kaffee mit viel Milch mache. Ohne meinen morgendlichen Kaffee bin ich zu nichts zu gebrauchen.
Ich hole wieder mein Handy raus. Ich hatte nämlich noch drei weitere entgangene Anrufe und diese waren bei weitem erfreulicher. Leo hat nämlich angerufen.
Leo ist mein bester Freund und das seit dem Kindergarten. Er arbeitet als Ingenieur und ist letztes Jahr als Juniorpartner in die erfolgreiche Firma seines Vaters eingestiegen. Seitdem ist er leider wie momentan beruflich oft und lange unterwegs und wir sehen uns so selten, wie noch nie in all den Jahren zuvor.
Ich tippe seinen Namen in mein Handy und rufe ihn zurück. "Naaaa endlich", tönt die mir so vertraute Stimme aus meinem Handy und ich höre, wie er bei diesen Worten lacht.
Er bekommt beim Lachen immer kleine Grübchen in den Wangen, weshalb er trotz seines ansonsten männlichen Aussehens immer auch etwas kindliches hat.
Leo hat dunkelblonde Haare und einen Dreitage-Bart, strahlend blaue Augen und ist das ganze Jahr über relativ braun. Irgendwie sieht er immer ein bisschen aus, als käme er gerade vom Surfen. Auch seine wenigen Sommersprossen auf der Nase unterstreichen diesen Eindruck.
"Ja bitte? Was gibt's denn so wichtiges, dass du mich in aller Herrgotts Frühe aus dem Bett klingelst?", frage ich gespielt empört. Schuldbewusst fragt er: "Oh nein, wieso? Wie spät ist es denn bei euch?" "Es ist gerade mal halb zwölf, okay?!", antworte ich ironisch. Er fängt an zu lachen. "Spaß bei Seite, was gibt's denn, Leo?", frage ich neugierig.
"Ich sitze gerade in Istanbul am Flughafen. Jeden Moment ist Boarding und dann geht's zurück nach München. Ich habe ausnahmsweise mein Auto mal nicht am Flughafen geparkt, da ein Kollege mich mitgenommen hat und wollte fragen, ob du mich vielleicht abholen könntest? Der Flug geht um Punkt 12 Uhr und ich lande um 13.40 Uhr in München. Wenn du also um 14 Uhr am Flughafen sein könntest, hast du was gut bei mir. Vielleicht ein Mittagessen? Das könnten wir dann direkt im Anschluss machen, vorausgesetzt du hast nichts Besseres zu tun. Ich hab dich nämlich sehr vermisst."
"Na klar. Ich geh jetzt schnell 'ne Runde joggen, dann dusche ich, danach male ich noch schnell ein "Welcome back"-Schild, kaufe Luftballons und Rosen und rase mit Lichtgeschwindigkeit zum Flughafen um dich pünktlich um 14 Uhr jubelnd und klatschend in Empfang zu nehmen", witzel ich.
"Danke Lilli. Du bist und bleibst ein Engel. Ich freue mich auf gleich und dann gehen wir was Leckeres essen und du erzählst mir was die letzten Wochen so passiert ist. Ich hab ja wahrscheinlich wieder einiges verpasst." "Okay, so machen wir das. Ich wünsche dir einen guten Flug, pass auf dich auf. Ich freue mich auf dich, bis gleich", verabschiede ich mich und lege auf.
Ich checke die Zeit: 11.42 Uhr. Das bedeutet, dass ich in gut zwei Stunden in München am Flughafen sein muss. Ich stelle meine leere Kaffeetasse in die Spülmaschine und flitze nach oben um mir meine Airpods zu holen. Dann renne ich die Treppen wieder runter, ziehe meine Laufschuhe an und stecke meinen Haustürschlüssel in die Tasche meiner dünnen Sportjacke.
Ich laufe erst unsere Straße entlang, ein Stückchen durch den Wald und dann an den großen wunderschönen See, der direkt in unmittelbarer Nähe unseres Hauses liegt. Ich laufe immer eine Runde um den See, das sind ungefähr 10 Kilometer und dafür brauche ich je nach Tagesform 45-55 Minuten.
Ich liebe das Laufen. Es befreit meinen Körper und meinen Geist. Es ist für mich jedes Mal eine Auszeit vom Alltag, nur für mich allein, doch heute kann ich irgendwie nicht richtig abschalten. Obwohl ich die Musik voll aufgedreht habe und versuche mich auf meine Schritte oder meine Atmung zu konzentrieren, kreisen meine Gedanken in Endlosschleife nur um ein Thema. Walid oder Malik? Was soll ich nur tun? Wie soll ich mich entscheiden?
Ich denke den ganzen Weg über alle Möglichkeiten, über alle Pros und Contras nach. Ich mag Malik wirklich sehr, aber er war nie mehr für mich als ein Freund. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, würde er das wohl auch nie sein. Das muss ich mir und auch ihm einfach eingestehen und auch genau so sagen, denn er verdient es, die Wahrheit zu erfahren.
Und Walid? Er hat mir ja geschrieben, er will mir alles erklären, und dass es einen Grund gibt, weshalb er so reagiert hat. Was gibt es wohl für einen Grund für ein derart aufbrausendes Verhalten? Das will ich auf jeden Fall wissen.
Es ist nur fair, ihm die Chance zu geben, sich zu erklären. Eine zweite Chance verdient jeder und wenn Gott verzeihen kann - wer bin ich, dass ich es nicht kann?
Und wenn ich mal ehrlich zu mir selbst bin - seit ich mich etwas beruhigt habe, und die Erlebnisse habe sacken lassen, kreisen meine Gedanken in Dauerschleife nur um Walid. Seine honigbraunen Augen, seine tiefe und raue Stimme und dieses perfekte Lächeln mit Zähnen weiß wie Schnee.
Ich entschließe mich dazu, ihm zu schreiben und mich mit ihm zum Essen gehen zu verabreden und mit ihm in Ruhe über alles zu sprechen.
Ich laufe wieder durch den Wald und die Straße runter, zurück zu unserem Haus. Es ist wirklich das schönste Haus auf dieser Straße, vielleicht sogar das schönste der ganzen Stadt.
Man kommt durch ein großes Tor einen Weg entlang zum Vorplatz des Hauses, auf dem ein großer Brunnen steht. Links und rechts außen ist jeweils ein Turm und das Vordach wird von dicken Säulen gestützt.
Neben dem Eingangsbereich stehen zwei große und imposante Löwenstatuen aus feinstem Marmor. Die Statuen haben sich meine Brüder gewünscht. Sie lieben Löwen und Abbas hat sogar das Porträt eines brüllenden Löwen auf dem Oberarm tätowiert.
Ich schließe die schwere Eingangstür auf und schaue auf die Uhr. Es ist kurz vor 13 Uhr. Ich schmeiße meine Schuhe in die Ecke und während ich nach oben renne, ziehe ich mir schon die Klamotten aus. Außer Abbas, der noch im Tiefschlaf ist, ist eh niemand da..
Ich dusche schnell und suche mir danach in Rekordzeit ein Outfit raus. Ich entscheide mich für ein kurzes weißes Kleid und kombiniere dazu einen Kimono, auf dem riesige rosane und rote Pfingstrosen sind. Dazu ziehe ich mir weiße Sandalen und meine goldene Uhr an und schmeiße mein Handy und mein Portemonnaie in meine weiße Gucci-Tasche.
Ich habe jetzt absolut keine Zeit mehr mich zu schminken und so tusche ich nur schnell einmal über meine Wimpern und stecke mir einen Lippenstift in die Handtasche. Meine langen Haare binde ich noch schnell zu einem Messi-Dutt zusammen.
Just in time laufe ich nach unten, schnappe meinen Autoschlüssel und steige in den grauen Mercedes.
Am Flughafen angekommen, parke ich mein Auto im Parkhaus und laufe zur Ankunftshalle. Ich schaue auf die großen Ankunftstafeln und sehe, dass Leos Flug zwar schon gelandet war, er aber noch auf die Gepäckausgabe warten muss. Deshalb setze ich mich auf eine der Bänke in der Wartehalle und hole mein Handy aus meiner Tasche, um mir damit die Zeit zu vertreiben.
Walid hat mir in der Zwischenzeit noch mal geschrieben. Dieses Mal nur: "???"
Er hat wahrscheinlich gesehen, dass ich seine Nachrichten zwar gelesen, aber nicht geantwortet habe.
Ich entscheide mich dazu ihn nicht mehr länger auf die Folter zu spannen und schreibe ihm: "Hey Walid. Sorry, dass ich dir jetzt erst schreibe, aber ich musste das erstmal alles sacken lassen. Ich war echt enttäuscht von dir, aber ich glaube dir, dass es dir leid tut. Deshalb würde ich mich heute gerne mit dir treffen und mit dir über alles reden. Wie wäre es mit einem Abendessen? Vielleicht um 19 Uhr?"
Es dauerte keine Sekunde bis er online kommt und zwei Haken sich blau färben. Einen Augenblick später bekomme ich auch schon eine Antwort: "Lilli, das freut mich sehr! Ich hoffe, dass wir alles klären können. Abendessen klingt gut und 19 Uhr passt auch. Ich hole dich ab. Bis später 😘"
Ich stecke mein Handy wieder in meine kleine Handtasche, stehe auf und stelle mich so hin, dass ich die Tür im Blick habe.
Es dauert nur noch ein paar Minuten und dann erblicke ich Leos strahlendes Lächeln. Er läuft schnell durch die Tür und auf mich zu. Er trägt zu meiner Verwunderung eine zerrissene blaue Jeans und ein weißes T-Shirt, dazu weiße Sneakers. Das ist wirklich ein seltener Anblick, da er sonst so gut wie immer einen Anzug trägt.
Ich laufe ihm entgegen und springe ihm in die Arme. Er lässt seinen Koffer fallen, drückt mich fest und küsst mich auf die Wange. Er hebt grinsend seinen Koffer wieder auf und erzählt mir von seinem letzten Auslandsaufenthalt, während er mir zum Parkhaus folgt.
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