48.
Momo parkt vor einer riesigen Privatklinik und führt uns zu der Station für Kardiologie. Dort angekommen läuft er zielstrebig auf eine junge Frau zu, die eine weiße Hose, einen weißen Kittel und einen weißen Hijab trug.
Abbas grinst mir zu und flüstert: "Das ist dann wohl die Göttin in weiß."
Momo reicht der jungen Frau schüchtern die Hand und sagt: "As-salamu alaykum." Sie antwortet friedlich lächelnd: "Wa alaykumu as-salam".
Dann sagt er auf Arabisch: "Ich bin Mohammed El-Habib, der Sohn von Ibrahim El-Habib." Lachend antwortet sie: "Das weiß ich doch, wir haben uns doch heute morgen schon vorgestellt. Ich habe sie doch auch angerufen."
Verlegen antwortet Momo: "Ja, ich weiß. Ich dachte nur, sie können sich vielleicht nicht mehr an mich erinnern."
"Doch, doch, natürlich. Ihr Vater ist gerade im Aufwachraum. Er hat die Operation gut überstanden. Wir haben ihm einen Bypass eingesetzt und hoffen, dass er jetzt keine Probleme mehr haben wird. Trotzdem ist es wichtig, dass er sich in der nächsten Zeit so viel wie möglich schont."
Dann sagt sie mit einem Blick auf mich: "Herr El-Habib, sie und ihre Frau können in seinem Zimmer auf ihren Vater warten."
Momo guckt sie verständnislos an und ich sage schnell: "Salam. Mein Bruder hat uns nicht vorgestellt, ich bin Liyanah El-Habib, seine Schwester."
Die junge Ärztin reicht mir die Hand und lächelt mich an. Ich habe das Gefühl, einen Hauch von Erleichterung in ihrem Blick zu erkennen. Dann reicht auch Abbas ihr die Hand und stellt sich vor.
Sie bringt uns zu dem Zimmer unseres Vaters, wo wir gut eine Stunde warten bis er endlich in seinem Bett reingebracht wird.
Ich erschrecke mich richtig über seinen Anblick. Er steht so schwach und zerbrechlich aus, wie ich ihn noch nie gesehen habe und seine teuren Anzüge stehen ihm auch definitiv besser als das OP-Hemd.
Müde lächelt er uns an. "Lilli, Abbas, was macht ihr denn hier?", fragt er mit kratziger Stimme. "Baba, was machst du denn hier?", fragt Abbas zurück. "Ach mein Sohn, wenn ich das wüsste. Es scheint so, als sei mein Herz nicht so stark wie ich."
Ich nehme mir einen Stuhl und setze mich neben sein Bett. Ich nehme seine Hand und sage: "Baba, du musst doch auf dich aufpassen. Trinkst du genug, isst du genug? Hast du zu viel Stress? Ich hab dir ja schon immer gesagt, du sollst etwas Sport treiben."
Wieder zwingt er sich ein müdes Lächeln aufs Gesicht und erwidert: "Ach mein Mädchen, mach dir keine Sorgen. Mir geht's gut."
Er mustert mich mit einem merkwürdigen Blick. Dann herrscht Stille. Ich habe das Gefühl, dass er etwas auf dem Herzen hat, was er vor mir jedoch nicht sagen will.
Deshalb schlage ich vor: "Ich gehe uns mal Wasser holen". Ich verlasse das Zimmer, bleibe aber noch einen Moment vor der Tür stehen und lausche.
"Ich habe mich gerade richtig erschrocken. Ganz abgesehen davon, dass Lilli immer dünner wird, dachte ich für einen kurzen Moment, Amina sitzt an meinem Bett. Lilli ist ihrer Mutter wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten", sagt mein Vater heiser.
Abbas antwortet: "Das stimmt. Sie ist genau so bildhübsch wie Mama und sie hat auch sehr viele Eigenschaften von ihr."
Mir wird klar, wieso mein Vater das nicht vor mir sagen wollte. Diese Äußerungen verletzen mich immer extrem. Auch wenn es lieb gemeint ist, es reißt immer alte Wunden auf.
Auch jetzt kann ich dieses Gespräch nicht länger ertragen und laufe stattdessen den Gang entlang und suche nach Wasser. Ich irre eine ganze Weile orientierungslos durch die sterilen Gänge bis mich eine Hand sanft an der Schulter berührte.
Ich drehe mich um und blicke in die schönen dunklen Augen der jungen Ärztin. "Kann ich Ihnen helfen? Sie wirken so verloren. Suchen Sie etwas?", fragt sie freundlich.
"Ich wollte etwas zu trinken holen, aber ich habe mich komplett verlaufen", antworte ich und lache hilflos. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen wo Sie hinmüssen", bietet sie hilfsbereit an, was ich dankend annehme.
Während wir durch das Krankenhaus laufen fragt sie: "Entschuldigen Sie, wenn ich so direkt bin, aber kommen Sie nicht aus dem Libanon? Sie sprechen zwar Arabisch, aber sie haben so einen schönen Akzent."
Ich muss lachen. Dass mein Akzent schön ist, hat mir noch nie jemand gesagt. In Deutschland bin ich eine Araberin und im Libanon eine Deutsche.
"Meine Eltern stammen beide aus Beirut, aber ich bin geboren und aufgewachsen in Deutschland", antworte ich wahrheitsgemäß.
"Aber ihr Vater lebt doch hier in Beirut, oder? Oder sind Sie hier nur im Urlaub?", frag sie neugierig und ich ahne, worauf Sie hinaus will.
"Nein, mein Vater lebt schon seit vielen Jahren hier. Ich lebe aber in München, in Deutschland."
Sie nickt und schaut mich interessiert aus ihren rehbraunen Augen an, als sie nachhakt: "Und ihre Brüder? Leben die auch in München?" Ich muss grinsen. Wusste ich's doch.
"Mein ältester Bruder Mohammed lebt größtenteils hier in Beirut. Abbas und ich leben zusammen in München", erkläre ich.
Zufrieden lächelt sie. Sie scheint auch an Momo interessiert zu sein. Ich kenne meinen Bruder und weißnur zu gut, dass er niemals den ersten Schritt gehen wird, dazu ist er viel zu schüchtern, deshalb entschließe ich mich dazu ihm etwas Schützenhilfe zu geben.
"Haben Sie nicht Lust, morgen Abend mit uns essen zu gehen? Sie kennen doch bestimmt ein paar gute Insider-Tipps in Beirut. Mohammed sieht ja immer nur sein Büro von innen, deshalb will ich ihm nicht vertrauen", lüge ich grinsend.
Sie zögert kurz, doch sagt dann lachend: "Okay, wieso nicht? Ich bin sowieso viel zu selten unterwegs. Ich sitze immer nur in diesem Krankenhaus."
Wir tauschen unsere Nummern aus. Ich speichere mich in ihrem Handy als 'Lilli El-Habib' ein und sie sich bei mir als 'Medina El-Mroue'.
"Medina, was für ein wunderschöner Name", sage ich anerkennend.
Sie gibt mir eine Flasche Wasser und mehrere Gläser und bringt mich dann wieder zurück zu dem Zimmer meines Vaters.
Wir verabschieden uns voneinander und verabreden, dass sie mir ihre Adresse schickt und wir sie morgen um 20 Uhr abholen.
Als ich das Zimmer wieder betrete, fragt Abbas sofort: "Lilli, man, wo warst du? Hast du das Wasser direkt vom Brunnen geholt oder was?"
Ich grinse ihn an und sage: "Nein. Ich habe mich ein wenig verlaufen, aber dafür gehen wir morgen um 20 Uhr mit Medina Abendessen."
"Medina?", fragt Momo verwirrt. Abbas grinst mich schief an. Er kennt mich einfach zu gut.
"Medina El-Mroue?", fragt er. "Gut kombiniert, Sherlock", antworte ich. Mein Vater zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich streng an. Momo läuft knallrot an.
"Lilli, was hast du getan?", schimpft Momo. Abbas fällt vor lachen fast vom Stuhl und ruft: "Richtiger Wingman bist du, Lilli."
Beschwichtigend sagt ich: "Bleib ruhig, Momo. Sie hat mich ziemlich ausgefragt. Wo ich herkomme, und ob meine Brüder auch in Deutschland leben und sowas. Dann habe ich die Gunst der Stunde genutzt und sie unter einem Vorwand gefragt ob sie nicht mit uns essen gehen will. Wir haben Nummern ausgetauscht und holen sie morgen um 20 Uhr ab."
Es ist mittlerweile 3 Uhr nachts und wir sind alle total fertig. Unser Vater sagt schließlich: "Danke, dass ihr gekommen seid, um eurem alten Herrn beizustehen, aber jetzt würde ich gerne schlafen und das solltet ihr auch."
Wir verabschieden uns und fahren zu dem Haus meines Vaters, einer schönen Villa in alt-orientalischem Stil.
Wir gehen alle noch mal duschen und fallen dann erschöpft ins Bett.
Am nächsten Tag werden wir erst gegen 13 Uhr wach. Wir machen uns fertig und fahren in ein Cafè um dort zu frühstücken. Im Anschluss daran fahren wir direkt wieder zu unserem Vater in die Klinik.
Unser Vater sieht heute schon wieder deutlich besser aus. Er fühlt sich auch gut, was man daran merkt, dass er fragt: "Abbas, Lilli, wann fliegt ihr wieder nachhause?" Ich gucke ihn schockiert an.
Abbas hingegen lacht und antwortet: "Baba, dir geht's ja schon wieder richtig gut, oder?"
Unser Vater nickt ernst und sagt dann an mich gewandt: "Lilli Schatz, du hast doch nächste Tage Geburtstag. Du musst doch nachhause und feiern. Du wirst nur einmal zwanzig. Siehst du, Schatz, das Leben ist endlich. Niemand von uns weiß, wie lange er noch hat, deshalb muss man jeden Moment nutzen, sein Leben so leben, dass man glücklich ist und die Feste feiern, wie sie fallen."
"Aber Baba, mir ist gerade überhaupt nicht nach feiern, nach dem, was passiert ist", entgegne ich traurig.
"Lilli, jetzt bitte ich dich aber. Das war nur ein Warnschuss. Mir geht es gut und ich lebe, also flieg wieder nachhause und feier deinen Geburstag! Und wenn ich wieder fit bin, komme ich nach München und rede ein ernstes Wort mit deinem Walid, das habe ich nicht vergessen", sagt er ernst und hebt drohend seinen Zeigefinger.
Ich bitte Abbas und Momo uns kurz alleine zu lassen. Widerwillig geben sie nach und gehen sich in der Cafeteria einen Kaffee holen.
Mein Vater sieht mich mit einem erwartungsvollen Blick an. "Also, was beschäftigt dich, Liebes?"
Ich nehme all meinen Mut zusammen und sage: "Baba, ich bin unglücklich mit meinem Leben und überlege seit einiger Zeit, etwas zu ändern. Ich habe vor zu studieren, und wollte hören, was du dazu sagst."
"Was soll ich dazu sagen, Schatz? Es ist dein Leben. Du musst das tun, was dich glücklich macht. Ich stehe immer hinter dir, das weißt du hoffentlich. Was willst du denn studieren?", fragt er liebevoll.
"Jura", antworte ich knapp. "Ja wirklich? Meinst du das ernst?" Ich nicke.
"Das finde ich großartig, Lilli. Ich glaube, dass dir das sehr liegen würde. Ich war immer traurig, dass keiner meiner Söhne in meine Fußstapfen getreten ist und würde mich sehr freuen, wenn du das tust", sagt er und sein Gesicht strahlt vor Freude.
Erleichtert küsse ich ihn auf die Wange. "Dann werde ich mich zum Wintersemester einschreiben", kündige ich an.
"In München?", fragt mein Vater. Ich nicke. "Dann werde ich mal meinen alten Freund Georg anrufen. Er ist Fachleiter der juristischen Fakultät der Universität von München. Dann sollte da nichts schief gehen", sagt er grinsend.
Einerseits mag ich es nicht, etwas durch Vitamin B zu erreichen und will mir meine Erfolge lieber selbst erarbeiten, anderseits bin ich mittlerweile so heiß darauf zu studieren, dass ich nicht noch mehrere Monate Wartezeit in Kauf nehmen will.
Momo, Abbas und ich bleiben noch den ganzen Nachmittag bei unserem Vater, bis wir zurück zu dem Haus unseres Vaters fahren und uns für das Abendessen mit Medina fertig machen.
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