45.
Als ich am nächsten Tag in Walids Armen erwache, fühlt es sich immer noch an wie ein Traum. Ich küsse ihn wach und er zieht lächelnd seine Arme noch enger um mich. Wir bleiben noch eine Weile kuschelnd im Bett und genießen die Zweisamkeit bis wir irgendwann aufstehen.
Heute Abend geht unser Rückflug nach München, aber davor haben wir noch den ganzen Tag in Barcelona. Wir gehen mit langsamen Schritten in den Frühstückssaal, wo wir uns für 10 Uhr mit den anderen verabredet habeen. Da es bereits viertel nach zehn ist, sitzen die Jungs alle schon am Tisch und frühstücken.
Ich nehme mir vom Buffet einen Milchkaffee, Orangensaft, Rührei, Obst, ein Croissant, zwei Pancakes, Tomate-Mozarella und Joghurt.
Als ich mit meinem voll gehäuften Teller zum Tisch komme, sieht mich Shayan mit großen Augen an. "Ist das für Walid?", fragt er überrascht.
"Nein, wieso?", erwidere ich ernst. "Na weil das so viel ist, das schaffst du doch niemals alleine. Wie soll so viel Essen in dich kleine Person passen?"
Abbas lacht laut auf und wirft ein: "Oh oh, da kennst du Lilli aber schlecht! Die kann essen wie Younes."
Younes fragt empört: "Was soll das denn jetzt heißen? Wieso wie Younes?"
"Na weil keiner so viel futtern kann wie du, Younes. Tu doch nicht so!", mischt sich auch Zeyd ein.
"Ja wallah, Younes. Du bist einfach ein Fresssack", sagt Abbas jetzt lachend. Younes guckt ihn beleidigt an. Ich ziehe eine Augenbraue hoch und frage: "Aha, ich bin also auch ein Fresssack?"
"Ja! Nur wirst du nicht so fett wie Younes", stellt Abbas fest.
"Ist klar. Das sind 94kg pure Erotik", kontert Younes und klopft sich stolz auf den Bauch. Ich kann mir mein Lachen nicht mehr verkneifen und kneife ihm liebevoll in die Wange.
"Was machen wir denn heute?", wechselt Zeyd irgendwann das Thema. "Gute Frage", sagt Abbas.
Walid schaut mich eindringlich an und fragt leise: "Wollen wir alle was zusammen machen, oder willst du was mit mir alleine unternehmen?"
"Wir können ruhig alle was zusammen machen, das machen wir doch sonst so selten", sage ich ironisch. "Spaß beiseite. Es ist euer Jungstrip, ich schließe mich euch einfach an, egal was ihr vorhabt", erkläre ich.
Die Fünf entscheiden sich dazu eine kleine Yacht zu mieten und damit ein wenig die umliegenden Buchten abzufahren. Wir fahren nach dem Frühstück zum Hafen und buchen eine Yacht mit Kapitän, einem Kellner und einem Koch.
Das moderne Schiff fährt durch das türkise Wasser und hält immer wieder an verlassenen malerischen Buchten, an denen wir von Board gehen und im Meer schwimmen.
Walid und ich kleben den ganzen Tag zusammen. Wir liegen zusammen auf Handtüchern auf dem Dach der Yacht und sonnen uns. Ich greife nach Walids großer Hand und halte sie ganz fest. Walid richtet sich auf und beugt sich über mich. "Du brauchst mich nicht so fest halten. Ich geh nicht mehr weg."
"Wer weiß. Sicher ist sicher", antworte ich leise und drücke seine Hand noch fester.
Ich habe die Augen geschlossen und genieße die warme Sonne auf meiner Haut als sich plötzlich jemand triefend nasses auf mich legt.
Erschrocken stoße ich einen hellen Schrei aus und fahre hoch. Abbas ist aus dem Meer gekommen und hat sich auf mich gelegt. Er ist eiskalt und hat mich komplett nass gemacht
"Bist du bescheuert, Abbas? Was machst du?", kreische ich. Ich stehe auf und versuche ihn vom Boot ins Meer zu schubsen, was mir aber nicht gelingt.
Mit meinem Fliegengewicht von 48kg kann ich gegen meinen fast doppelt so schweren muskulösen Bruder nichts ausrichten.
Ich schiebe mit aller Kraft und stemme mich gegen ihn, aber er bewegt sich keinen Zentimeter.
Walid beobachtet das Schauspiel amüsiert eine Weile lang, bis er aufsteht und Abbas mit einem kräftigen Stoß ins Meer befördert. Abbas ergreift in dem Moment blitzschnell mein Handgelenk und zieht mich mit sich ins weite Meer.
Ich tauche prustend wieder auf und sehe an Deck des Bootes Walid und Zeyd, die aus vollem Herzen lachen.
Grimmig ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. Ich hebe drohend meinen Zeigefinger, zeige auf Walid und rufe: "Das gibt Rache!"
Schnell klettere ich die Leiter hoch aufs Boot und versuche Walid ins Meer zu schubsen, aber scheitere genau so wie zuvor bei Abbas. Walid lacht sich halb tot aber bewegt sich kein bisschen.
Dann schlingt er auf einmal seine starken Arme von hinten um meine Taille, zieht mich an sich und springt dann mit mir zusammen ins Meer.
So geht es die ganze Bootsfahrt lang weiter. Wir springen ins Wasser, die Jungs schubsen sich gegenseitig oder schmeißen mich ins Wasser. Wir albern herum und lachen und sind völlig sorgenfrei.
Als die Sonne untergeht fährt das Schiff zurück Richtung Hafen. Wir sitzen gemeinsam an Deck, trinken Cocktails und beobachten die rote Sonne, wie sie langsam hinter dem Meer verschwindet.
Shayan sagt nachdenklich: "Das Leben ist schon komisch. Manche Tage ziehen sich wie Kaugummi, während hingegen solche schönen Tage wie im Flug vergehen."
Wir nicken alle. Es ist eine melancholische Stimmung. Der Tag war viel zu schön um schon zu enden.
Zuhause sehen wir uns zwar ziemlich oft, aber nie so intensiv wie heute. Wir sind einfach viel zu schnell erwachsen geworden.
Früher waren Abbas und Younes mit 15 oder 16 Jahren immer zusammen mit anderen Jungs Basketball oder Fußball spielen. Sie hingen jeden Tag zusammen. Abbas war wirklich ein guter Bruder. Er wollte nie, dass ich alleine Zuhause saß und hat mich immer mitgenommen.
Die anderen hatten nie Lust auf ihre kleinen Geschwister, aber bei uns war das anders. Ich war zu der Zeit zehn oder elf Jahre alt. Ich hatte einen kleinen rosanen Rucksack, in den ich immer Bücher packte.
Während die Jungs also spielten, saß ich am Rand und las. Nur selten spielte ich mit, aber ich war immer dabei.
Ich bin mit Younes und Abbas eng zusammen aufgewachsen. Younes war für mich immer mein dritter Bruder. Ich würde sogar sagen, dass ich eine engere Bindung zu ihm habe, als zu Momo.
Momo war schon immer ein sehr ernsthafter und ehrgeiziger Mensch. Er hat sich früher immer sehr auf die Schule konzentriert und war ein strebsamer Junge. Er lernte viel und schloss die Schule mit einem erstklassigen Zeugnis ab und ging dann zur Uni.
Als ich dann in diesem Jahr mit Walid zusammen kam, wurde auch die Bindung zwischen ihm und Abbas enger.
Zeyd ist mittlerweile auch wie ein Bruder für mich - in Schwager war ja eigentlich auch nichts anderes als ein dazugewonnener Bruder.
Auch mit Shayan verstehe ich mich immer besser, doch er ist oft noch ziemlich in sich gekehrt. Manchmal habe ich das Gefühl, er hat Schwierigkeiten sich nach all der Zeit im Gefängnis im Leben wieder richtig einzufinden.
Ich lasse meinen Blick über die Jungs schweifen, wie sie still da sitzen und den Sonnenuntergang beobachteten. Sie sind meine Familie. Man muss nicht das gleiche Blut haben, Loyalität macht Familie.
Walid nimmt sanft meine Hand und fragt leise: "Worüber denkst du nach, Schatz?" Ich antworte genau so leise: "Weißt du, ich habe gerade darüber nachgedacht, dass die wichtigsten Leute immer die hier sein werden. Unsere Familie."
Er nickt nachdenklich und sagt dann lächelnd: "Ich freue mich schon darauf, dass unsere Familie noch größer wird. Wenn unsere Brüder irgendwann alle heiraten und wir dann irgendwann auch alle Kinder bekommen. Hoffentlich werden unsere Kinder auch mal so gute Freunde."
Abbas zieht seine linke Augenbraue hoch und fragt grob: "Kinder? Was für Kinder? Wir sind selbst noch Kinder, mach mal langsam."
Ich antworte frech: "Abbas, schließ nicht von dir auf andere."
"Hahahaha", macht Younes. Abbas guckt Walid streng an und sagt: "Du weißt schon, dass Lilli die letzte von uns ist, die dran ist? Erstmal sind Momo, Shayan und ich dran mit heiraten und dann irgendwann darfst du bei mir um Lillis Hand anhalten kommen."
Shayan klopft Abbas auf die Schulter und sagt lachend: "Ich glaube, das kannst du knicken. Wenn die beiden nicht die ersten von uns sind, die heiraten, fresse ich 'nen Besen."
"Außerdem hab ich deine Erlaubnis doch schon", sagt Walid und zwinkert Abbas zu.
Wir fahren vom Hafen zum Hotel, wo wir unsere Koffer einsammeln und dann direkt weiter zum Flughafen. Wir checken ein und laufen gemeinsam durch den leeren Flughafen zum Gate, als eine Durchsage kommt, dass unser Flug sich um eine Stunde verspätet. Da wir extra frühzeitig zum Flughafen gefahren sind, haben wir jetzt noch fast zwei Stunden bis wir tatsächlich fliegen.
Die Jungs entschließen was essen zu gehen, aber ich habe keinen Hunger. Es ist mittlerweile später Abend und ich bin einfach nur müde und erschöpft.
Walid besteht darauf bei mir zu bleiben, obwohl ich ihm versichere, dass er ruhig mitgehen kann.
Wir sitzen auf den typischen Flughafenbänken und ich lege meine Beine quer über die Sitze. Ich lege meinen Kopf gegen Walids harte Brust. Er streichelt zärtlich meinen Kopf und meine Augen werden immer schwerer. Irgendwann schiebt er meinen Kopf behutsam auf seinen Schoß und legt seine Jacke über mich.
"Lilli.. Lilli, aufstehen. Wir haben Boarding", weckt mich Walids sanfte Stimme und er rüttelt leicht an meiner Schulter.
Langsam richte ich mich auf und schaue mich verschlafen um. Abbas, Shayan, Zeyd und Younes stehen um uns herum und warten auf uns.
Walids Jacke rutscht von meinen Beinen als ich aufstehe weshalb er sie mir um meine Schultern hängt.
Er hat seine schwarzen Beats Kopfhörer von den Ohren geschoben, so dass sie um seinen Hals hingen.
Beim Einsteigen sagt Abbas plötzlich: "Shotgun, ich sitze am Fenster und ich will Lilli neben mir haben, die nimmt am wenigsten Platz weg. Erstrecht wenn sie sich an Walid lehnt."
In der Reihe hinter uns sitzen Zeyd, Shayan und Younes. Es ist bereits stockdunkel, als das Flugzeug abhebt. Ich beuge mich zu Abbas, lehne meinen Kopf an ihn und schaue aus dem Fenster. Die Startbahn und auch die Stadt unter uns sind hell erleuchtet.
Dann lehne ich mich wieder zu Walid. Ich nehme seine Hand und lege meinen Kopf an seine Schulter. Er hat seine Kopfhörer wieder aufgezogen und hört Musik. Der Flug dauert nicht lange und die Zeit vergeht schnell.
Am Flughafen in München angekommen holen Zeyd und Abbas je einen Kofferwagen. Nach und nach kommen die Jungs mit den Koffern, und als der eine Kofferwagen voll ist, setze ich mich einfach im Schneidersitz auf den Kofferturm. Ich bin total geschafft, friere und will nur noch ins Bett.
Walid bedankt sich bei allen für den schönen Trip und verabschiedet sich von mir, da Zeyds Wagen woanders steht als meiner.
Abbas schiebt mich auf dem Kofferwagen zu meinem Auto. Ich schmeiße ihm kommentarlos meinen Autoschlüssel zu und setze mich auf die Rückbank.
Wir fahren noch Younes zu sich und dann nachhause. Tot müde aber unendlich glücklich schleppe ich mich nach oben und krieche in mein Bett, wo ich sofort einschlafe.
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