33.

Zuhause angekommen, renne ich sofort nach oben und knalle meine Zimmertür hinter mir zu. Ich schmeiße mich aufs Bett und heule hemmungslos drauf los.

Was war das nur für eine Nacht? Ich wollte nur helfen und nun bin ich zerstritten mit Younes, Abbas und Walid.

Nach ein paar Minuten klopft es leise an meiner Tür. Ich ignoriere es, trotzdem öffnet sich die Tür langsam. Ich spüre, wie sich jemand neben mich legt und rieche an seinem Parfum, dass es Abbas ist.

Er streichelt über meinen Kopf und meinen Rücken. Heulend nuschel ich "Hau ab!" in mein Kissen, aber er rührt sich nicht. Ich hebe meinen Kopf und sehe ihn auf meinen verheulten Augen an. "Was willst du?", fauche ich. "Mich entschuldigen", antwortet er kleinlaut. "Nein danke!", erwidere ich wütend.

"Lilli, es tut mir leid, wallah. Ich weiß, dass mein Verhalten drüber war. Ich habe mich von Younes und den anderen mitreißen lassen. Als ich gesehen habe, wie er mit dir geredet hat, habe ich erstmal gecheckt, wie er sich verändert hat und ich war auch nicht besser. Ich weiß, dass ich Walid Unrecht getan habe, aber als er dich vor mir beschützen wollte, habe ich rot gesehen. Ich kann es gar nicht genau erklären. Lilli, es tut mir leid und ich werde mich morgen auch persönlich bei Walid entschuldigen."

Ich nicke und sage: "Entschuldigung angenommen. Jetzt geh bitte, ich will meine Ruhe." Abbas gibt mir einen Kuss auf die Wange und verlässt mein Zimmer.

Ich hole mein Handy aus meinem Sweatshirt und öffne Walids WhatsApp Chat. Ich schreibe ihm: "Schatz, bist du sauer auf mich?" Er kommt sofort online.

Kurz darauf kommt seine nüchterne Antwort: "Ja Lilli, ich bin sauer auf dich." "Bitte sei nicht sauer auf mich", antworte ich traurig.

"Bin ich aber. Weißt du überhaupt wieso? Du hast dich zwischen uns gestellt, aber auf Abbas' Seite. Du hast mich vor ihm klein gemacht, indem du mich gezwungen hast, nachzugeben. Du hast zugelassen und mich gezwungen zuzulassen, dass er so respektlos mit mir und dir redet", antwortet er.

"Walid, ich wollte einfach nur die Situation beenden, weil es nichts gebracht hat. Wäre es besser gewesen, wenn ihr euch auch noch geschlagen hättet?", rechtfertige ich mein Verhalten.

"Es wäre besser gewesen, wenn du dich einfach nicht eingemischt hättest. Wie auch immer. Ich bin auch nachhause gefahren, ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht", kommt kurz darauf zurück.

"Dann wäre es aber eskaliert, verstehst du das denn nicht?", beteuere ich, aber Walid kommt nicht mehr online und er antwortet auch nicht mehr.

Am nächsten Morgen mache ich mich wie gewohnt fertig. Ich ziehe eine Jeans, ein dünnes weißes Shirt und eine schwarze Wildlederjacke an. Dazu einen riesigen Schal und schwarze Doc Martens. Ich habe heute Mittag Training und packe schon mal meine Tasche bevor ich nach unten gehe.

Abbas sitzt schon im Wohnzimmer und frühstückt. "Guten Morgen", begrüßt er mich.

"Morgen", erwidere ich emotionslos. Ich habe seine Entschuldigung zwar angenommen, aber bin immer noch sauer auf ihn.

Ich mache mir ebenfalls Frühstück und setze mich auf die andere Seite der Couch. Wortlos beginne ich zu essen.

"Hat Walid dir Bescheid gesagt? Er kommt gleich zu uns. Ich habe ihm geschrieben, dass ich mit ihm reden will. Er meinte, er ist unterwegs und kommt gleich vorbei."

Ich erwidere zickig: "Schön für ihn. Mich will er bestimmt nicht sehen, er ist nämlich sauer auf mich. Ich esse auf und dann hau ich ab."

"Nein Lilli, hör doch auf. Wir reden gleich und dann klärt sich alles", sagt er voller Überzeugung.

Ich lasse meinen Löffel mit einem lauten Klirren in die Müslischüssel fallen und blitze ihn mit wütenden Augen an. "Ach ja, Abbas, denkst du das wirklich? Denkst du man kann über alles reden und dann ist es einfach wieder gut?"

Ich schmeiße meine leere Kaffeetasse mit voller Wucht auf den Boden. Sie zerbricht mit einem lauten Knall in tausend Teile.

"Hier, schau dir die Tasse an. Jetzt rede ich mit ihr und entschuldige mich. Ist sie dann wieder ganz?"

Abbas schaut mich erschrocken an. Er schüttelt den Kopf und sagt: "Man kann sie aber kleben."

"Ja, kann man. Und dann? Sind die Risse dann weg? Wird die Tasse wieder genau so sein wie vorher?", fauche ich.

Er schweigt. "Siehst du. Man kann mit reden und entschuldigen auch nix rückgängig machen. Worte, die gesagt wurden, kann man nie mehr zurück nehmen", belehre ich meinen großen Bruder.

In dem Moment klingelt es an der Tür. Ich sehe Abbas an und kommentiere bissig: "Na dann hol mal deinen stärksten Superkleber raus."

Abbas steht auf und öffnet die Tür. Die Scherben der Kaffeetasse liegen immer noch auf dem Boden verteilt. Ich hole aus der Küche ein Kehrblech und fege alles zusammen.

Walid setzt sich indes wortlos auf die Couch. Abbas sagt: "Walid, es tut mir leid, was ich gesagt habe. Du wolltest meine Schwester vor mir, ihrem eigenen Bruder, beschützen und dann bin ich durchgedreht. Ich meinte das nicht ernst, was ich gesagt hab. Ich wollte dich einfach nur verletzen und ich wusste, dass ich dich damit kriege. Natürlich seid ihr nicht verheiratet, noch nicht. Aber das werdet ihr, das weiß ich. Und deshalb akzeptiere ich dich auch jetzt schon als meinen Schwager."

Ich habe mittlerweile die Scherben alle auf dem Kehrblech eingesammelt und stehe vor dem Mülleimer. Ich pfeife laut und beide drehen ihre Köpfe zu mir.

Dann öffne ich den Mülleimer und lasse die Scherben demonstrativ in den Mülleimer fallen. "Das macht man mit Scherben, Abbas", sage ich trotzig und gehe die Treppen hoch.

Am oberen Treppenabsatz angelangt halte ich einen Moment inne und lausche.

Walid fragt Abbas verwirrt: "Was war das denn jetzt?" "Sie hat die Tasse vorhin runter geschmissen um mir zu zeigen, dass man nicht alles mit reden und entschuldigen wieder klären kann."

Zu meiner Überraschung pflichtet Walid mir bei: "Da hat sie Recht."

Abbas fragt: "Heißt das, du verzeihst mir nicht?" "Doch, ich verzeihe dir. Aber das was du gesagt hast, werde ich jetzt wohl immer im Hinterkopf haben und das was Lilli getan hat, auch."

Abbas fragt ihn: "Was war denn zwischen euch? Wieso habt ihr euch denn gestritten?"

"Das fragst du im Ernst? Du warst doch gestern dabei. Sie hat sich zwischen uns gestellt und mir den Mund verboten. Denkst du sonst hätte ich zugelassen, dass du so respektlos mit uns redest? Nein. Ich bin nur wegen ihr gegangen. Sie hat mich zum Hund gemacht vor dir", erklärt Walid aufgebracht. 

Abbas erwidert laut: "Nein Walid, was redest du da? Was für "zum Hund gemacht"? Wir sind doch Freunde. Sie wollte einfach nur nicht, dass die Situation eskaliert. Ich meinte das nicht ernst und war nicht mehr zurechnungsfähig, das wusste sie einfach, sie kennt mich."

Walid antwortet wütend: "Ja richtig Abbas. Du warst nicht zurechnungsfähig. Das bist du schon seit langem nicht mehr, seit du mit diesen ekelhaften Leuten abhängst und Younes ist noch schlimmer. Ich habe gestern noch mal mit meinen Leuten geredet und die haben einstimmig beteuert, dass Younes zuerst zugeschlagen hat und dass du dich dann erst eingemischt hast, um zu schlichten und das ganze dann eskaliert ist. Du alleine hättest doch nicht zugeschlagen, Abbas!"

Abbas antwortet kleinlaut: "Ich weiß. Ich bin auch gestern Abend noch aus deren WhatsApp Gruppe rausgegangen und habe gesagt, dass ich mit denen nichts mehr zu tun haben will. Und Younes muss sich erstmal bei Lilli entschuldigen."

Walid sagt: "Na, das ist doch immerhin ein Anfang." Dann hakt Abbas nach: "Und was ist mit Lilli und dir? Vertragt euch wieder, ihr liebt euch doch."

"Natürlich liebe ich sie, aber du hast gehört, was sie gesagt hat. Manche Dinge kann man einfach nicht mehr reparieren", erklärt Walid resigniert.

"Damit meinte sie sich mich", beteuert Abbas. "Wie auch immer. Ich glaube, wir müssen beide erstmal runter kommen. Das sitzt noch zu tief", sagt Walid bedrückt.

Dann verabschieden die beiden sich voneinander und Walid geht. Ich gehe in mein Zimmer und schaue mir noch eine Serie an, bevor ich zum Training fahre.

Walid hat sich den ganzen Tag nicht bei mir gemeldet. Ich vermisse ihn total, aber bin auch zu stolz, den ersten Schritt zu machen.

Als ich am nächsten Tag frühstücken gehe, sitzt Abbas schon wieder im Wohnzimmer und scheint auf mich zu warten. Als ich die Treppen runter komme, springt er sofort auf und sagt: "Du glaubst nicht, was gestern passiert ist!"

Ich schaue ihn fragend an. "Was ist denn passiert?" Abbas erzählt: "Walid hat mich gestern Nacht angerufen. Younes ist mit dem einen Mädchen, Jenny heißt sie übrigens, auf Toilette gegangen. Die Putzfrau dachte, sie wollten dort eine Nummer schieben, und da das ja verboten ist, rief sie einen Türsteher. Der ist dann in die Männertoilette gegangen und hat die beiden erwischt, wie sie in der hintersten Toilette bei offener Tür eine Line Koks gezogen haben. Er hat das Zeug ins Klo geschmissen und die beiden in Walids Büro gebracht.

Walid ist wohl richtig ausgerastet. Er hat ihn angeschrien, was die Scheiße soll, wieso er das überhaupt macht und vor allem wieso er das in seinem Club macht. Walid hat ihm erklärt, dass er ein beschissener Freund ist, weil er damit seine ganze Existenz gefährdet. Younes war total drauf und wurde wieder frech und übermütig. Daraufhin hat Walid die Beherrschung verloren und ihm eine Faust gegeben. Dann hat er ihn und seine Jenny von dem Türsteher rausschmeißen lassen."

Geschockt sehe ich Abbas an. Ich wundere mich, dass Walid mir nichts davon erzählt hat.

Ich hole mein Handy raus und schreibe ihm: "Abbas hat mir gerade erzählt, was gestern Nacht passiert ist. Wieso hast du mir nichts davon erzählt?"

Es dauert keine Minute bis Walid antwortet: "Wieso soll ich dir davon erzählen? Wir haben seit zwei Tagen nicht miteinander gesprochen."

Fassungslos schüttele ich den Kopf. Wütend tippe ich: "Ja und? Bei sowas kannst du dich doch wohl mal melden."

"Wieso sollte ich? Du hast dich doch entschieden. Du hast Abbas vor mich gestellt und mir gezeigt, dass ich dir egal bin und dann gibt's auch keinen Grund mehr, mich zu melden. Oder was soll ich mit dir für eine Zukunft haben? Wieso soll ich mit einer Frau heiraten und Kinder kriegen, wenn sie mir nicht loyal gegenüber ist?", ist seine Antwort.

Das saß. Vor Wut steigen mir Tränen in die Augen. Ich schmeiße mein Handy wütend auf die Couch und entscheide mich dazu, morgen noch mal zu ihm zu fahren, und mit ihm zu reden.

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