32.
Die nächsten Wochen ziehen ohne nennenswerte Ereignisse vorbei. Shayan gewöhnt sich gut zuhause ein und arbeitet Vollzeit in den Clubs mit, was zur Folge hatte, dass Walid und Zeyd entlastet wurden und mittlerweile deutlich mehr Freizeit haben.
Abbas und ich sehen uns hingegen weniger. Younes und er hängen neuerdings immer mit einer Clique, bestehend aus drei Mädels und zwei weiteren Jungs ab.
Die beiden gehen nun ständig feiern - nicht nur am Wochenende, sondern auch unter der Woche und immer bis in die frühen Morgenstunden. Sie feiern beide schon immer gerne und trinken Alkohol auch eher in Massen statt in Maßen, aber aktuell erreicht das völlig neue Dimensionen.
Ich gehe so gut wie gar nicht mehr feiern und hoffe deshalb, dass Walid oder seine Brüder die beiden im Blick haben. Es besorgt mich, wie die beiden sich gerade verändern. Neben den vielen Parties sind sie nämlich auch charakterlich völlig verändert. Abbas ist reizbar und aggressiv und dann wieder total euphorisch und übertrieben happy. Younes sehe ich noch seltener als Abbas, aber auch er scheint starke Stimmungsschwankungen zu haben.
Eines Nachts werde ich vom Klingeln meines Handys wach. Walid ruft an. Mein Herz klopft sofort schneller. Er würde mich niemals ohne triftigen Grund mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln.
Verschlafen gehe ich ran und Walid sagt: "Schatz, ich weiß du schläfst. Tut mir leid, dass ich dich wecke, aber kannst du mir bitte einen Gefallen tun? Kannst du Abbas und im Idealfall auch Younes vom Infinity abholen? Die beiden haben sich zuerst mit irgendwelchen anderen Jungs und dann mit meinen Türstehern geboxt."
Ich bin sofort hellwach. "Abbas?", frage ich ungläubig. Abbas hat sich bis jetzt vielleicht drei Mal in seinem Leben geprügelt und das liegt mindestens fünf Jahre zurück.
"Ist er wieder mit dieser komischen Clique da?", frage ich. "Ja genau und einer von den Typen war auch in die Schlägereien verwickelt", erklärt Walid. "Okay, alles klar. Ich komme."
Ich schnappe mir einen großen grauen Nike Hoodie, binde mir schnell einen Dutt und ziehe eine schlichte schwarze Leggings an. Dann schlüpfe ich in meine grauen Nikes, setze mir ein schwarzes Cap auf und ziehe die Kapuze meines Pullis noch über die Cap.
Schnell laufe ich die Treppen runter, schnappe mir den Schlüssel von meinem Mercedes und rase zum Infinity.
Dort angekommen parke ich mit quietschenden Reifen quer vorm Eingang. Normalerweise nutze ich den "Freundin vom Chef"-Bonus nicht aus, aber gerade kommt es mir ziemlich gelegen.
Ich hüpfe aus dem Auto und schließe es mit einem Knopfdruck ab. An der Tür wartet schon Walid. Er begrüßt mich mit einem schnellen Kuss und ich frage aufgebracht: "Wo sind die beiden Deppen? Was ist denn passiert?"
Er nimmt mich an die Hand und wir laufen zusammen rein, während er mir erzählt: "Die beiden und noch ein weiterer Kerl haben sich wohl mit zwei anderen Jungs geprügelt. Meine Security-Leute sind dazwischen gegangen und die anderen sofort rausgeworfen, Abbas und Younes haben hier Hausrecht. Damit ist die Sache eigentlich erledigt gewesen, aber dann hat Younes sich mit einem von meinen Leuten angelegt. Er hat ihn angeschrien und ihm eine Kopfnuss gegeben. Der Mitarbeiter hat natürlich zurück geschlagen, Abbas hat sich eingemischt und das ganze hat sich hochgeschaukelt. Normalerweise würde wir die beiden in so einem Fall direkt rausschmissen, die Polizei rufen und Anzeige erstatten, aber ich habe sie erstmal in mein Büro gebracht, damit die nicht noch mehr Unsinn machen. Weißt du was die Krönung der Sache ist? Der dritte Typ hatte Koks in der Tasche. Der hat natürlich sofort Hausverbot bekommen."
Ich schüttel ungläubig den Kopf. Wir sind mittlerweile die Treppen hoch gelaufen und stehen im Flur vor Walids Büro.
"Hast du mit den beiden geredet? Wissen die, dass ich komme?", frage ich ihn. "Ja und ja", antwortet er. "Ich habe sie gefragt was das soll; wieso sie sich mit meinen Leuten boxen statt mich dazu zu holen, wenn es ein Problem gibt. Ich habe sie auch gefragt, was das für komische Leute sind, mit denen die beiden da abhängen und ob sie von dem Koks wussten. Younes hat anscheinend was mit einem der Mädchen am laufen. Dass die koksen wussten sie, aber nicht, dass die das in meinem Club gemacht haben, das haben sie mir geschworen. Stellt sich mir die Frage, wieso die dann überhaupt mit denen abhängen, aber das werden wir wohl heute nicht mehr klären können, so rotzevoll wie die sind."
"Oh man. Na dann lass mich mal zu ihnen", sage ich und Walid schließt die Tür auf.
Abbas und Younes sitzen auf der Couch in Walids Büro und sind immer noch total aufgebracht. Als ich rein komme, springen sie auf und fangen an wie kleine Kinder durcheinander zu brüllen: "Hast du gehört, was passiert ist? Diese Bastarde haben uns geschlagen, wir haben uns nur gewehrt! Und dann ist der Türsteher auch noch frech geworden! Wir lassen jede Woche so viel Geld hier, sind ständig hier, sind befreundet mit dem Besitzer und der Hund wagt sich, uns zu schlagen?", schreien die beiden durcheinander.
"Stop", sage ich energisch. "Schlägerei hin oder her, aber du", ich zeige dabei auf Younes, "Du hast den Türsteher ja wohl zuerst geschlagen. Wieso? Weil der frech zu dir war? Seit wann regelt ihr denn eure Probleme mit euren Fäusten? Ich dachte ihr seid erwachsene Männer. Und wenn ihr mit dem Besitzer befreundet seid und jede Woche so viel Geld hier lasst, hätte es dann nicht einen anderen Weg gegeben, das zu klären? Zum Beispiel, indem ihr Walid einfach dazu gerufen hättet, ihr Blitzbirnen?"
Abbas schweigt, ihn habe ich mit meinen Worten anscheinend erreicht. Younes hingegen ist immer noch total aggressiv und schießt nun auch gegen mich: "Was redest du da Lilli? Nur weil dein Freund dir was erzählt, glaubst du das direkt oder was? Hast du uns mal gefragt, wie es wirklich war? Nein. Und du warst überhaupt nicht dabei, also was mischt du dich ein?"
Walid baut sich vor ihm auf und stellt zorning klar: "Pass auf wie du mit ihr redest. Komm mal zu dir und lass deine Wut nicht an ihr aus. Sie will dir nur helfen."
Ich schiebe Walid zur Seite, stelle mich direkt vor Younes und schaue ihm tief in die Augen. Dann sage ich laut: "Nein nein, Walid. Lass ihn mal erzählen. Los, Younes, yallah! Erzähl mir mal, wieso du dich hier boxt. Und dann erzähl mir auch gleich mal, wieso du so mit mir redest? Du warst immer wie ein Bruder für mich. Ich habe zwischen dir und Abbas nie einen Unterschied gemacht. Ich bin mitten in der Nacht hierhin gekommen um euch abzuholen und nachhause zu bringen. Und weißt du was, Younes? Das hätte ich auch gemacht, wenn es nur um dich ginge und Abbas nicht dabei gewesen wäre. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was mit euch los ist. Ihr habt euch total verändert, vor allem du Younes. Denk mal darüber nach, während du nachhause läufst. Ciao!"
Die drei Jungs sind sprachlos wegen meiner klaren Worte. An der Tür drehe ich mich noch einmal um und sage: "Ach und Abbas, wenn du nicht auch laufen willst, solltest du mit runter kommen."
Abbas steht ohne zu zögern auf und knurrt: "Das war echt zu viel, du sprichst immer noch mit meiner Schwester!"
Jetzt steht auch Younes auf und baut sich vor Abbas auf. Ich habe das starke Gefühl, dass die beiden sich gleich quasi als Happy End noch gegenseitig auf die Schnauze hauen. Auch Walid scheint das zu befürchten, denn er schiebt die beiden auseinander und sagt zu Abbas: "Los jetzt, deine Schwester wartet."
Abbas starrt Younes noch einmal böse an und läuft mit mir zu meinem Auto. Ich schließe das Auto auf und setze mich hinters Steuer, Abbas setzt sich auf den Beifahrersitz.
Ich mache die Zentralverriegelung rein und starre ihn einen Moment lang wütend an. Dann keife ich: "Abbas, merkst du eigentlich noch was? Was geht ab bei dir? Feiern, saufen, Parties hier, Parties da. Jetzt noch Drogen. Was kommt als nächstes? Kokst du selbst?"
Abbas reißt die Augen auf. Er schreit mich an: "Übertreib es nicht Lilli! Wie redest du mit mir? Hast du keinen Respekt mehr vor mir?"
Ich schreie zurück: "Doch, habe ich - noch! Aber wenn du so weiter machst, verliere ich den Respekt langsam."
Abbas schreit nun noch lauter. So laut, dass schon die Türsteher unruhig werden und immer wieder zu uns rüber schauen. Einer zückt dann sein Funkgerät und ich bin mir sicher, dass er Walid Bescheid gibt, da er mein Auto kennt.
Abbas schreit: "Willst du mich verarschen? Mir ist das scheißegal ob andere Leute sich besaufen oder kiffen - was ich im übrigen auch schon gemacht habe und zwar mit deinem Freund Walid - oder koksen. Das geht mich nix an. Ich weiß, dass die koksen, aber das heißt noch lange nicht, dass ich das auch tue. Und jetzt fahr mich nachhause, ich habe die Schnauze voll für heute!"
Ich sitze sprachlos vor ihm. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, ihn aus meinem Auto zu schmeißen und ihn wie Younes laufen zu lassen. Andererseits habe ich Angst, dass er dann wieder zurück geht oder noch mehr Scheiße macht.
Plötzlich reißt jemand an der Beifahrertür. Erschrocken zucke ich zusammen und sehe, dass Walid an meinem Auto steht. Ich öffne die Tür von innen und Walid reißt sie auf. Aufgebracht fragt er Abbas: "Was ist los? Wieso schreist du hier so rum? Das ist immer noch deine Schwester mit der du redest!"
Abbas schnallt sich ab und steigt aus dem Auto. Er stellt sich dicht vor Walid und schreit: "Ja, richtig erkannt! Sie ist meine Schwester. Und was ist sie von dir? Deine Freundin. Sie ist nicht mal deine Frau. Du kennst sie seit ein paar Wochen, also spiel dich hier nicht so auf!"
Ich bin geschockt. So aggressiv habe ich Abbas noch nie erlebt und auch, dass er so respektlos mit Walid redet, beängstigt mich.
Walids Kiefer zuckt und seine Augen blitzen vor Wut. "Was hast du gerade gesagt?", knurrt er. Mittlerweile kommen schon die ersten Türsteher rüber und fragen Walid was los ist, doch er ignoriert sie.
Ich schnalle mich ab, steige aus dem Auto und laufe schnell auf die Beifahrerseite. Walid schreit Abbas noch mal an: "Was du gerade gesagt hast, habe ich dich gefragt?"
Abbas lacht und antwortet frech: "Das hast du ganz genau verstanden!" Walid schubst ihn an der Schulter nach hinten, sodass Abbas mit dem Rücken gegen mein Auto knallt.
Ich stelle mich zwischen die beiden, mit dem Rücken zu Abbas und schaue Walid tief in die Augen.
"Geh bitte zur Seite", zischt er mich wütend an. Ich nehme seine Hände und sehe ihn mit Tränen in den Augen an. "Bitte, geh wieder rein. Wir fahren jetzt nachhause. Ihr könnt morgen in Ruhe über alles reden", sage ich mit zitternder Stimme.
"Nein Lilli, ich will noch mal hören, was er gerade gesagt hat", knurrt Walid. "Was ich gesagt habe? Dass du nur ihr Freund bist, nicht mehr", schreit Abbas hinter mir.
"Bitte, wenn du mich liebst. Ich bitte dich", flehe ich ihn an. Walid sieht an mir vorbei und fixiert Abbas mit einem wütenden Blick. Dann dreht er sich um und geht wortlos.
"Steig ein", zische ich Abbas zu. Er tut zu meiner Überraschung sofort, was ich ihm sage. Ich knalle die Autotür hinter mir zu und sehe ihn mit Tränen in den Augen an.
"Ich wollte dir helfen und zum Dank streitest du mit mir und verursachst auch noch Streit zwischen Walid und mir. Ich liebe ihn, Abbas, aber das ist dir anscheinend scheiß egal."
Wütend lasse ich den Motor an, und lege den Rückwärtsgang ein. Im Rückspiegel sehe ich, dass Walid immer noch an der Tür steht und mein Auto beobachtet, bis ich vom Parkplatz fahre.
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