2.

Am nächsten Tag werde ich aufgrund der vorangegangenen langen Nacht erst um 12 Uhr war.

Was war das nur gestern?

Ich greife auf den Nachtisch und nehme mein Handy. Ich lese einige Nachrichten, die ich in den letzten Stunden bekommen habe und klicke dann auf die Whatsapp Statusmeldungen. Ich lasse die verschiedenen Bilder einfach durchlaufen, bis ich plötzlich vor Schreck das Bild anhalte.

Walid.

Ich habe schon fast vergessen, dass ich ihm gestern Abend meine Nummer gegeben habe. Nervös klicke ich auf meine Kontakte, wähle seinen Namen und öffne den noch leeren Chat.

"Zuletzt online heute um 11.57", steht unter seinem Namen. 11.57 Uhr - das ist gerade mal eine Viertelstunde her. Wach ist er also auf jeden Fall. Nur was schreibe ich ihm jetzt?

Ich sitze bestimmt zehn Minuten ratlos vor meinem Handy und starre auf seinen Namen. Immer mal wieder klicke ich auf sein Profilbild und schmachte ihn an. Es ist ein Foto von letztem Sommer. Er sitzt in einem Cabrio, trägt eine Sonnenbrille und ein schwarzes Ralph Lauren Poloshirt. Er sieht wirklich unfassbar gut aus mit seinem leichten Grinsen.

Irgendwann tippe ich dann schließlich einfach nur: "Danke für den schönen Abend, Lilli 😊". Reichlich dämlich, aber mir ist wirklich nichts besseres eingefallen.

Es dauert keine fünf Sekunden nachdem ich meine Nachricht versendet habe, dass sich sein Status in "Online" ändert. Man könnte fast meinen, er hätte sehnsüchtig auf meine Nachricht gewartet.

"Na, ausgeschlafen? 😂 Ich muss mich bedanken, dass ihr da wart und dass ich dich kennen lernen durfte", steht kurz darauf in seiner Nachricht und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

"Oh ja, und du? Schon lange wach?", frage ich nüchtern.

"Ja, seit 10 Uhr 😊", antwortet er prompt.

Überrascht schreibe ich zurück: "Wann warst du denn im Bett?"

"Um 7 😂"

"😳😳😳😳 Wieso???"

Wenn ich erst um 7 Uhr im Bett gewesen wäre, wäre ich jetzt noch lange nicht wach.

"Die Arbeit ruft. Heute ist doch die Eröffnungsfeier Teil 2", klärt Walid mich mit seiner nächsten Nachricht auf.

"Das heißt? 😂"

"Gestern war ja nur für geladene Gäste. Heute öffnen wir offiziell die Türen für alle."

Kurz darauf folgt noch eine weitere Nachricht: "Komm doch auch! Bring deine Freundinnen mit oder Abbas und kommt vorbei."

Ich überlege kurz. Ich bin eigentlich keine Partymaus, aber das Argument Walid wiederzusehen ist schon sehr verlockend. "Okay, ich frag mal, ob wer Lust hat mitzukommen", antworte ich knapp.

Dann sperre ich mein Display und schließe mein Handy erstmal zum Laden an, bevor ich aufstehe, mir eine schwarze Leggings und ein weites rosafarbenes Nike-Shirt anziehe und die Treppen runter in die Küche gehe.

Ich mache mir einen Kaffee und Müsli, schalte unser Hifi-System an und drehe die Musik provokant auf volle Lautstärke. Dann setze ich mich mit meinem Frühstück auf die Couch und fange an zu essen.

Es dauert keine fünf Minuten bis Abbas mit halb offenen Augen und genervtem Gesichtsausdruck das Wohnzimmer betritt. Mein Plan hat also funktioniert.

"Was zur Hölle ist denn falsch mit dir?", raunzt er mich an. "I got a Hangooover, wohooo!", singe ich extra laut in seine Richtung und ernte dafür einen bösen Blick.

Abbas lässt sich wie ein nasser Sack neben mich fallen. Ich stehe auf und hole ihm auch eine Tasse Kaffee, sowie ein großes Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette, wofür er sich mit einem gequälten Lächeln bedankt.

Nachdem wir beide gefrühstückt haben und Abbas seine Augen immerhin ganz auf bekommt, frage ich ihn scheinheilig: "Hast du heute schon was vor?"

"Ja, wieso?", erwidert er misstrauisch und wirft mir einen kritischen Blick von der Seite zu. "Was denn?", frage ich zurück. "Wieso denn?", dreht er nun den Spieß um.

"Oh Abbas, sag doch!", stöhne ich genervt. "Ich wollte heute mit Malik und Younes wieder ins Infinity, da ist heute die offizielle Eröffnung", antwortet er dann endlich. Ich grinse ihn zufrieden an.

"Was lachst du?", fragt er irritiert. Er setzt sich aufrecht hin und sieht mich mit strengem Blick aus seinen dunklen Augen an.

"Naja, ich wollte dich fragen ob du mit mir hingehst", gebe ich dann zögerlich zu. "Du? Wieso das denn?" Nun ist er vollends verwirrt.

Ich zögere. "Nunja. Ehm.. Walid hat mich eingeladen", gebe ich kleinlaut zu.

Mein Bruder zieht eine Augenbraue hoch. "Walid? Wieso hat er dich denn eingeladen? Und vor allem wie hat er dich eingeladen? Gestern oder was? Sag mal, was war das eigentlich gestern? Ich dachte du wirst gleich ohnmächtig", witzelt er und kann sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen.

"Abbas, ganz ehrlich.. Ich habe keine Ahnung. Ich war irgendwie total fasziniert von ihm. Wie er aussieht und lacht und redet und keine Ahnung", gebe ich euphorisch zu und bereue es sofort.

Das ist das erste Mal, dass ich sowas vor meinem Bruder ausspreche. Und eigentlich ist es auch das erste Mal, dass ich sowas überhaupt ausspreche, geschweige denn auch nur denke.

"Das wundert mich. Ich hätte nicht gedacht, dass er dein Typ ist", gibt Abbas zu. "Was mich wundert ist, dass du dich nicht darüber aufregst", kontere ich.

"Nein, wieso denn? Ich bin nicht Momo. Du bist alt genug, Lilli, und Walid ist wirklich ein guter Kerl. Er hat studiert, kommt aus einem guten Elternhaus und ich hab noch nie was wirklich Schlechtes von ihm gehört, auch nicht was Frauen angeht. Er ist kein Weiberheld", erzählt mir Abbas.

Seine Worte beruhigen mich. Er als mein großer Bruder wll mich schließlich um jeden Preis schützen und ist kritischer als jeder andere.

Ungewollt lächele ich. "Walid gefällt dir ja richtig", sagt er lachend, als er mein Strahlen bemerkt.

"Ja, deshalb bin ich auch total überfordert und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Bis jetzt war es ja immer einfach: Abblitzen lassen und gut. Aber auf ihn würde ich mich wirklich gerne einlassen", klage ich meinem Bruder mein Leid.

"Dann versuch es doch. Lass dich auf ihn ein. Sei du selbst und guck, wo das mit euch hinführt. Meinen Segen hast du", sagt er in einem liebevollen Ton.

Ich lehne mich zu ihm rüber und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. Wir entscheiden uns dazu, ein wenig Netflix zu schauen und dösen irgendwann beide noch mal auf der Couch ein.

...

Ich reiße ruckartig die Augen auf. Was zur Hölle ist das? Ich trete meinem Bruder in die Rippen. "ABBAS!!!" Er schreckt hoch und wühlt schlaftrunken in der Hosentasche seiner Jogginghose. Sein Handy verursacht also diesen ekelhaften Lärm.

"Hmmm?", meldet er sich. "Was redest du da? ... Ach du scheiße! Ok. In 'ner halben Stunde sind wir da. Sorry! Sag Malik bitte auch Bescheid, ja? .. Ok bis gleich."

Verdutzt schaute ich ihn an. Er springt von der Couch auf und ruft mir zu: "Schau mal auf die Uhr. Wir haben 22 Uhr! Mach dich schnell fertig. Ich hab Younes gesagt, wir sind in 'ner halben Stunde da!"

Ich springe hysterisch von der Couch und renne die Treppen hoch. Nach der letzten Nacht und diesem verpennten Tag brauche ich dringend eine Dusche. Zum Haare waschen, und vor allem zum föhnen und stylen, ist keine Zeit mehr.

Meine Zahnbürste nehme ich direkt mit unter die Dusche. Ich schäume mich mit extra viel Kokos-Duschgel ein, putze meine Zähne und entferne meine Pandaaugen von letzter Nacht.

Danach trockne ich mich sorgfältig ab und creme ich mich schnell ein. Ich schminke mich nur im Schnelldurchlauf: Mascara, Bronzer, Lippenstift - fertig.

Dann renne ich in ein Handtuch gewickelt in mein Ankleidezimmer. Hektisch beäuge ich die Tonnen an Klamotten, die an unzähligen Kleiderstangen hängen oder ordentlich gefaltet in den vielen Schubladen und Regalen liegen.

Ich entscheide mich nach kurzem Überlegen für ein knielanges, rosafarbenes und schulterfreies Kleid. Dazu ziehe ich weiße Highheels an und nehme eine weiße Clutch von Yves Saint Laurent aus dem Regal.

Als ich die Treppen runter komme, erwarte mich Abbas schon. Er sieht wirklich gut aus in seiner dunkelgrauen Chinohose und dem hellblauen Hemd mit feinen weißen Streifen.

Er mustert mich kritisch und fragt dann genervt: "Ein bisschen kurz oder?"

"Echt? Finde ich nicht. Sitzt ja nicht so eng", antworte ich gelassen. "Naja, wenn du meinst. Du brauchst heute nicht zu fahren. Ich muss heute mal 'ne Pause machen. Ich hab gestern zu viel getrunken", klärt er mich zu meiner Überraschung auf.

Normalerweise fahre ich immer freiwillig, da ich eh keinen Alkohol trinke, ganz im Gegensatz zu Abbas, der sich immer freut einen Chauffeur zu haben.

Wir verlassen das Haus, laufen zu Abbas' chromblauem 6er BMW und fahren zuerst zu Younes.

Younes und Abbas sind seit ihrer Kindheit die besten Freunde. Younes ist ziemlich groß, hat pechschwarze Haare, einen Vollbart und dunkelblaue Augen.

Er führt eine Auto-Werkstatt und ist wie ein dritter Bruder für mich. Ich vertraue ihm und er passt auch bei jedem Typen auf, der mir zu nah kommt - wie ein großer Bruder eben.

Als wir vor seiner Tür ankommen, steht er schon draußen. Ich steige aus und begrüße ihn mit einer herzlichen Umarmung. Dann setze ich mich nach hinten, damit er auf dem Beifahrersitz Platz nehmen kann.

"Junge Junge, lasst mich doch vielleicht noch länger warten", schimpft Younes los, sobald er die Autotür hinter sich geschlossen hatte.

"Ja Bruder, sag das Lilli. Die braucht jedes Mal so lange und sieht trotzdem aus wie vorher. Frauen halt", erwidert mein Bruder schulterzuckend. Wir fangen alle an zu lachen.

"Ist klar. Don Besoffski da vorne und ich sind auf der Couch eingepennt. Er musste seinen Rausch erstmal ausschlafen", verteidige ich mich empört. "Und du deinen Liebesrausch?", kontert Abbas immer noch lachend. Younes schaut ihn fragend an.

"Madame wurde das erste Mal von Armors Pfeil getroffen", klärt Abbas Younes auf. "Abbas!", ermahne ich ihn und boxe von hinten leicht gegen seinen Sitz.

Younes dreht sich abrupt zu mir um und sagt barsch: "Was ist los? Vertraust du mir nicht mehr oder was? Wer ist denn der Glückliche? Dass du dich mal verguckst ist ja seltener als ein Sechser im Lotto."

Ich verdrehe die Augen. "Walid", antworte ich knapp. "Echt? Walid? Der, der das Infinity eröffnet hat? Das erklärt natürlich auch, wieso du heute mitkommst", erkennt er schmunzelnd.

"Ja, er hat mich eingeladen. Aber bitte tu mir den Gefallen und behalte es noch für dich. Ich weiß noch nicht, was das zwischen uns wird und ich will nicht, dass jemand Auge macht", bitte ich ihn fast schüchtern.

Younes gibt mir sein Wort und wir beenden das Gespräch, da wir nun vor Maliks Haustür anhalten.

Zu Malik ist mein Verhältnis ganz anders als zu Younes. Malik ist mittlerweile auch ein guter Freund von mir, aber wir haben nicht so eine brüderliche Beziehung. Im Gegenteil: unser Umgang miteinander ist immer mit ordentlich Geflirte unterlegt. Er hat es zwar noch nie ernsthaft bei mir versucht, ich glaube dazu ist er auch einfach zu schüchtern, aber ich weiß ganz genau, dass er nicht abgeneigt wäre.

Von Abbas weiß ich, dass die Jungs ihn auch oft damit aufzogen. Er ist wirklich ein lieber und loyaler Kerl, aber ganz anders als beispielsweise Younes und Abbas. Während sie sehr männlich sind, wirkt Malik immer eher wie ein zu großgeratener Junge.

Abbas parkt seinen Wagen wenig später auf dem Parkplatz. Er hält mir die Autotür auf, hilft mir mit meinen hohen Schuhen auszusteigen und legt seinen Arm schützend um meine Schultern, als wir den brechend vollen Club betreten.

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