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Sechszehn Uhr, das hieß ich hatte endlich Feierabend. Die restliche Schicht war echt anstrengend, da ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Diese grünen Augen gehen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf! Sie leuchteten wie ein Smaragd und diese Tattoos erst. „Hör auf zu schwärmen so ein Mann hat bestimmt kein Interesse an so einem 0815 Mädchen wie dir", ermahnte mich meine innere Stimmen und sie hatte Recht, aber dieser Mann ging mir einfach nicht aus dem Kopf.

Fünf Minuten später kam ich zuhause an und zog meine Uniform aus, wusch sie ein letztes Mal und ging duschen.Es fühlte sich an als hätte ich mir alle Anstrengung von den Knochen gewaschen. Das war definitiv mehr als nötig gewesen, dachte ich innerlich, zog ich mir eine lockere graue Jogginghose und ein enges dunkel blaues Shirt anzog. Es war laut meiner Wohnzimmeruhr erst siebzehn Uhr, obwohl gefühlt eine halbe Ewigkeit vergangen war. Es war zu früh um schlafen zu gehen, also holte ich mein Handy aus meiner Tasche und rief Lina an. Es klingelte eine Weile, doch dann ging sie fröhlich klingend an ihr Handy.

L: Hallo, hier ist Lina.
A: Hey Lina, hier ist Abby. Hast du Lust auf ein Mädelsabend in Jogginghose mit Filmen und Sekt?
L: Ja klar. Gib mir eine Stunde und ich bin da.
A: Sehr schön. Bis später.
L: Bis später.

Das Beste an Telefonaten mit Lina war, dass wir genau wussten, wann es besser war kurz angebunden zu sein und wann wir die Zeit hatten stundenlang zu quatschten. Denn wenn wir uns jetzt während wir uns fertig machten schon über alles sprachen hätten wir uns später wohl kaum noch etwas zu erzählen. So ging es Michelle und Christy immer. Die beiden Tratschtanten hatten alles immer vor zu am Telefon besprochen und waren bei einem persönlichen Treffen dann mehr mit ihrem Smartphone als mit ihrem Gegenüber beschäftigt. Leider ein viel zu häufiges Peoblem in der jetzigen Gesellschaft, zu mindest meiner Meinung nach. Denn ich traf mich doch mit jemandem, weil ich die Zeit mit dieser Person verbringen wollte, also wieso sollte ich dann währenddessen mit zwanzig meiner Kontakte schreiben und mich zig Instagram Videos anschauen. Ich war während dem Popcorn machen so mit meinen Gedanken beschäftigt, dass mich erst das erste Poppen der Maiskörner zurück in die Realität holte. Während die Mikrowelle ihren Job mehr als befriedigend erledigte, stellte ich den Sekt kalt. Meine Couch verwandelte ich mit jeder Menge Kissen und Decken zu einer Kuscheloase. Mein Zeitgefühl war heute eine absolute Katastrophe. Als ich die letzten Kissen auf meine Couch legte, klingelte es schon an der Tür und Lina stand da. Sie sah so süß in ihrem pinken Pyjama aus! Zugegeben ein Pyjama ist keine Jogginghose, aber Lina tut selten das was man ihr sagte. Aber ich bin mir sicher hätte ich Michelle oder Christy in einer Jogginghose hergebeten, hätten sie aller höchstens auf ihre High Heels verzichtet. Versteht mich nicht falsch, ich mochte die beiden sehr. Es war auch nichts verwerflich daran, dass man sich als Frau schön machte, das tat ich auch sehr gerne. Aber in der momentanen Zeit, bei der Filter, Apps und co immer das Gefühl haben, dass du dich optimieren musstest, mochte ich es Zeit mit Frauen wie Lina zu verbringen. Sie war natürlich schön, innerlich und äußerlich und das völlig ohne Make-Up.

Wir legten uns beide in die Kuscheloase und entschieden uns dafür einen Horrorfilm zu schauen. Ich liebte Horrorfilme, aber alleine könnte ich sie mir niemals anschauen. Der Nervenkitzel war toll und zu gleich zu viel für mich. Mein armes altes Herz. Wir beide kuschelten uns in ein Kissen und bei jeder Szene in der wir uns erschreckten, schrieen wir wie kleine Kinder. Die Jump-Scare Szenen waren die schlimmsten. Notiz an mich selbst: das nächste Mal lieber einen Splasher als einen Thriller schauen. Als der Film zu Ende war und das Hälfte des Popcorns vor lauter Erschrecken auf dem Boden lag, fingen wir an über den heutigen Tag zu reden.

Während der Arbeitszeit kamen wir leider nur selten dazu auch über private Dinge zu reden oder wie der Tag der jeweils Anderen war. Doch Lina und ich hatte eine Freundschaft, die tief verwurzelt war. Wir konnten uns auch drei Wochen lang nicht sehen, aber wenn wir uns dann trafen war es so, als hätten wir uns gestern erst gesehen. Es war nicht wichtig für uns über was wir uns unterhielten, denn wir fanden immer eine neues Gesprächsthema und deshalb liebte ich sie umso mehr. Denn erzwungene Unterhaltungen waren ein absoluter Krampf, den wir beide schon zu Genüge in unserem Arbeitsalltag hatten.

Mitten im Gespräch fragte Lina mich plötzlich grinsend "Wer war eigentlich der sexy Mann von heute morgen? Hast du dir seine Nummer geangelt?"
Ich fing an zu lachen und erzählte ihr die ganze Geschichte, obwohl ich mir sicher war, dass sie so ziemlich alles genau beobachtet hatte. Sie hörte mir aufmerksam zu und gab mir mit brummenden Geräuschen oder Gekicher die Bestätigung, dass sie mir zuhörte, auch wenn sie mich nicht unterbrach. Lina war ein sehr einfühlsamer Mensch. Sie wurde rot vor Fremdscham, in den selben Momenten meiner Erzählung, als ich das auch wurde. Besonders bei dem Part, als ich einen fremden Mann im Pausenraum eines Cafés bat sich für mich auszuziehen. Die Worte sprudelten förmlich aus mir heraus und ich genoss es, dass sie mich nicht verurteilte. Ich wollte ja schließlich nur höflich sein und das wäre ich auch gewesen, wenn Louis ein sechzigjähriger Mann, mit einem Bierbauch gewesen wäre. Zugegeben, ich hätte den Anblick dann wahrscheinlich um ein Vielfaches weniger Genossen, aber meine Intentionen waren gut.

Nachdem ich fertig mit erzählen war fragte sie ganz neugierig "Und wann seht ihr euch wieder?"

Leicht traurig über die Erkenntnis, dass das wohl kaum passieren wird, antwortete ich ihr deshalb genau das. Es war unwahrscheinlich, dass wir uns Wiedersehen würden, denn ich wusste nichts über ihn, außer seinem Namen und der war leider nicht so einzigartig, dass es in der näheren Umgebung davon nur einen gab. Und wer konnte mir denn überhaupt versichern, dass er aus der Nähe war?

„Ich habe mir ehrlich gesagt keine Gedanken darüber gemacht ob wir uns Wiedersehen, weil ich immer dachte, dass das Aussichtslos ist. Aber wenn ich genauer darüber nachdenke, will ich gar nicht, dass wir uns Wiedersehen. Das würde irgendwie die Magie aus diesem Moment nehmen. Diese Begegnung hatte das Potential für einen guten Liebesroman und ohne ein Wiedersehen musste ich mich schon nicht auf die ganzen Dramen einstellen. Und wir wissen beide, dass diese bei so einem Mann nicht ausbleiben würden", plapperte ich gedankenlos vor mich hin. Doch Lina schien anscheinend genau zu verstehen, was ich ihr damit sagen wollte.

Es war nun mal die traurige Wahrheit, wir hatten keine Nummern ausgetauscht und ich würde nicht mehr in dem Café arbeiten, also würden wir uns nicht Wiedersehen, obwohl ich mir das innerlich vielleicht doch zu einem gewissen Prozentsatz wünschte. Aber das hier war nun mal das echte Leben und in meinem Leben war noch nie Platz für Drama und große Veränderungen. Aber genau das liebte ich. Mein Leben war monoton und das war nicht nervenaufreibend, sondern heilsam entspannt.

"Sag niemals nie", riss Lina mich abschließend aus meinen Gestern und wechselte dankbarer Weise anschließend das Thema.

"Bis du eigentlich nervös wegen deinem ersten Arbeitstag morgen bei Coleman Industries?"

Das hatte ich vollkommen vergessen, zumindest bis jetzt. Wohl eher verdrängt.

"Bis jetzt noch nicht, aber sobald ich da sein werde, werde ich wahrscheinlich vor Nervosität sterben.", übertrieb ich wie immer gekonnt und fing lauthals an zu lachen.

Das war ein sehr auffälliger Tick von mir. Denn wenn mir etwas unangenehm war oder ich nicht wusste wie ich mit einer Situation umgehen sollte, dann begann ich zu lachen. Doch meine Nervosität machte mich manchmal so verrückt, dass ich sogar Angst hatte zu sprechen, da meine Stimme vor lauter Zittern mich verraten würde. Und wer würde eine Frau ernst nehmen, die wie ein kleines Schulmädchen stotterte, bei wichtigen Gesprächen. Ich war mir meiner Leistungen bewusst. Doch Coleman Industries gab mir als einzige Firma eine Chance. Es gab keine Alternativen, schließlich hatte es nach meinem Abschluss fast ein Jahr gedauert bis ich in meiner Branche einen Job gefunden hatte. Meinen Job im Café liebte ich, doch für mich war das von Anfang an eine Übergangslösung. Es machte mich mehr als nur glücklich, dass sich Coleman Industries für mich entschieden hatte, trotz meiner mangelnden Berufserfahrung und genau deshalb wollte ich ihnen zeigen, dass sie definitiv die richtige Wahl getroffen hatten.

Ich schaute auf die Uhr und es war bereits dreiundzwanzig Uhr. Ich sollte wirklich dringend schlafen gehen, morgen würde ein wichtiger Tag werden. Und nur ausgeschlafen konnte ich an meinem ersten Tag auch die Leistung bringen, die ich mir vorgenommen hatte. Abigail Jenkins würde in diesem Unternehmen nie weniger als einhundertzehn Prozent geben. Mein Grübeln war mir wohl anzusehen.

Denn ohne das ich etwas sagte stand Lina auf und verabschiedete sich mit den Worten, "Ich geh dann mal nach Hause, du solltest morgen fit sein."

Es war so unglaublich wie gut sie mich kannte. Aber die Zeit mit ihr ging leider immer wie im Flug um. Denn es gab nur wenige Menschen in meinem Leben mit denen ich so viel Zeit verbringen wollte, wie mit Lina. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, die einem Kraft gab, statt sie einem zu rauben. Und das machte sie als Freundin so wertvoll.

"Danke für den Mädelsabend, dass sollten wir in Zukunft öfter machen." Sagte ich deshalb lächelnd.

Sie stand schon im Türrahmen als sie mir zu rief. "Erzähl mir morgen ganz genau wie dein erster Tag lief" und bevor ich was erwidern konnte, drehte sie sich um und ging.

Jetzt war es höchste Zeit sich Bett fertig zu machen. Der morgige Tag würde so schon anstrengend genug werden.

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