ZSM Leere

Das hier ist eine Zusammenfassung/gekürzte Fassung für das vorige Kapitel für diejenigen, die es aufgrund der Triggerwarnung überspringen, aber nichts verpassen möchten :)

Alle, die das vorige Kapitel bereits gelesen haben, können diese Zusammenfassung natürlich überspringen!

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Ich würde die perfekte Freundin sein, würde auf der Hochzeit lächeln und nicken und warten, bis es vorbei ist.

Unsere Beziehung tut mir nicht mehr gut, aber Tomate ist immer noch mein Freund, mein bester Freund und ihn im letzten Moment ohne Begleitung stehen zu lassen würde ich ihm nicht antun. So ein Mensch bin ich nicht.

Die Schiene an meinem Fuß ist ab, der Fuß selbst aber noch so demoliert, dass ich die Schuhe für die Hochzeit in zwei unterschiedlichen Größen kaufen musste, damit sie passen.

Dafür hat mein kaputter Fuß es in den hohen Absätzen einigermaßen bequem und genügend Platz. Ich habe es im Laden ausprobiert.

„Siehst du?", stolz zeige ich Tomate die Schuhe und er lächelt.

„Nicht schlecht, dass du die auftreiben konntest."

„Ja, die waren in der hintersten Ecke von so einem kleinen No-Name Laden. Den hätte ich unter normalen Umständen komplett übersehen", gestehe ich bei dem Gedanken an meine Suche nach den passenden Schuhen. Ich möchte, dass dieses Wochenende so normal wie möglich ist, dass wir feiern, dass Tomate sein Abi geschafft hat trotz der vorigen stressigen Monate. Ich wollte ihn während seiner Prüfungsphase nicht im Stich lassen und ihm noch mehr Sorgen bereiten. So ein Mensch bin ich nicht.

Aber nach diesem Wochenende können wir endlich reden. Der Gedanke an das bevorstehende Gespräch schnürt meine Kehle zu.

„Legt ihr eure Taschen bitte mit in Leons Zimmer?", Tomates Mutter lächelt mich freundlich an und ich nicke, während ich schon dabei bin, an ihr vorbei ins Wohnzimmer der Ferienwohnung zu gehen. Dort ist bereits die Couch zu einer Doppel-Schlafcouch ausgelegt und auf dem Boden befindet sich eine Luftmatratze, auf der Leon es sich gemütlich gemacht hat.

Wir sind nur zwei Nächte hier, morgen ist die Trauung, anschließend die Feier, und am Sonntag fahren wir wieder zurück. Alles ist penibel genau getaktet und ich will die Letzte sein, die dem Zeitplan im Weg steht. Alles soll so normal wie möglich sein. Ich liebe ihn, wir sind ein Paar. Ich vermassle bestimmt nicht die Hochzeit seiner Cousine.

„Was?", Tomates wütende Stimme lässt mich zusammenzucken und ich drehe mich erschrocken zu seinem zornigen Gesicht um. „Katie und ich wollten das Schlafzimmer haben."

„Tomate", versuche ich ihn zu beschwichtigen und sehe ihn eindringlich an. Ich habe absolut nichts dagegen, mit seinem kleinen Bruder ein Zimmer zu teilen. Kilian und ich haben uns ein Zimmer geteilt, bis ich zwölf war. Ich kann teilen. Ich will teilen.

Denn ich weiß nicht, wie lange ich die Fassade aufrechterhalten kann, wenn niemand mehr zuschaut und wir nur noch zu zweit sind.

„Nein", erwidert er stur und starrt seine Mutter unentwegt an. Ich lasse meine Taschen im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen und stelle mich neben ihn auf den Flur.

„Tomate", flüstere ich und hoffe, dass mein eindringlicher Ton ihn daran erinnert, dass ich genau weiß, warum er das Schlafzimmer für uns haben möchte und dass dies nicht stattfinden kann, weil ich weder Lust habe, noch eine heile Blase. Durch den ganzen Sex der letzten Monate, in denen ich nur dagelegen habe, wie Tomate sich das gewünscht hat, bin ich Opfer einer chronischen Blasenentzündung geworden und deshalb mit Antibiotika vollgepumpt.

Doch das alles scheint Tomate nicht zu interessieren, der sich einen erbitterten Starrwettkampf mit seiner Mutter liefert, bis sie geschlagen mich ansieht. Ich versuche sie mit meinen Augen anzuflehen, aber es funktioniert nicht.

„Ich hätte gern ein wenig Zweisamkeit mit meinem Mann gehabt", flüstert sie traurig im Vorbeigehen, als sie ihre Taschen ins Wohnzimmer stellt.

Entrüstet schaue ich Tomate an, der triumphierend seine Taschen auf das Bett im Schlafzimmer wirft.

„Merkst du noch was?", flüstere ich ihm zu, in der Hoffnung, dass seine Eltern nicht mitbekommen, dass ich gerade dabei bin, einen Streit anzuzetteln. Am Hochzeitstag ihrer Nichte. Ich wollte doch einfach nur noch ein normales Wochenende haben.

„Was? Ist doch geil, wenn wir ein Zimmer für uns haben. Außerdem stinken Leons Füße ekliger als eine komplette Müllhalde." Zufrieden lässt er sich aufs Bett fallen und landet nur um Haaresbreite neben seinen Taschen.

„Du hast es nur wegen den Käsefüßen deines Bruders gemacht? Du weißt, wie sehr deine Mutter Zeit mit deinem Vater verbringen will", erinnere ich ihn, dass die beiden Eheprobleme haben, die sie vielleicht in diesem Zimmer hätten auskurieren können.

Aber Tomate zuckt nur mit den Schultern, als sei das nicht sein Problem. Wütend hole ich meine Taschen aus dem Wohnzimmer.

„Tut mir wirklich leid, er lässt sich nicht umstimmen", sage ich zu Jill, doch die zuckt genauso mit den Schultern wie Tomate eben.

„So sind die Männer eben. Stur bis ins Mark." Ich nicke traurig, will nicht glauben, dass einzig allein der Testosteronspiegel so ein kindisches Verhalten rechtfertigt.

Ich lasse die Taschen neben dem Bett fallen und schließe die Tür.

„Du weißt, dass wir das Wochenende keinen Sex haben können. Wieso hast du das getan?"

„Damit wir doch die Möglichkeit haben, wenn wir wollen."

„Aber es geht nicht", ich betone jedes Wort einzeln und bemerke, wie mich jedes Wort wütender macht, als zuvor. Muss ich mit ihm wie mit einem Kleinkind reden, damit er es versteht?

Tomate stöhnt und dreht sich von mir weg. Den gesamten Abend spricht er kein Wort mehr mit mir und wir schlafen schweigend nebeneinander ein.

**********

In der Nacht wird Katie von Tomate vergewaltigt.

**********

Vor dem Badezimmerspiegel schminke ich mir am Morgen der Hochzeit meine aufgedunsenen Augenlider weg, nachdem ich sie mehrere Minuten mit Eiswürfeln gekühlt habe. Auf meinem Brustkorb sind seine Fingerabdrücke, aber das Kleid verdeckt sie und so kann ich sie wenigstens für den Moment vergessen. Meine Haare forme ich zu sanften Locken, die ich mit einer Schmetterlingshaarspange zusammenbinde, ich sehe schön aus, aber Lächeln kann ich trotzdem nicht.

Ein Klopfen an der Badezimmertür lässt mich aufhorchen.

„Bist du soweit?" Seine Stimme schickt mir eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper, die ich nicht unterdrücken kann. Ich will sie nicht mehr hören, seinen Atem spüre ich immer noch in meinem Nacken, seine Hände sind überall, hinterlassen Druckstellen auf meinem Körper. Es fühlt sich an, als würde er mich immer noch fest an sich drücken, damit ich nicht entkommen kann.

Die Galle kommt mir hoch, sodass meine Antwort ein gehustetes „Gleich" ist.

Ich würde die perfekte Freundin sein, sage ich mir und werfe einen zweiten Blick in den Spiegel, bei dem ich mein Kleid glattstreiche. Nur noch die Hochzeit. Ich kann das.

Dann öffne ich die Tür, vor der Tomate bereits auf mich wartet. Er lächelt mich an, drückt mir einen Kuss auf die Stirn.

„Du siehst unglaublich heiß aus, Katie", haucht er, aber mein Magen rebelliert bei jedem seiner Atemzüge. Ich will nicht in seiner Nähe sein.

Ich weiß nicht wie, aber ich schaffe es, die Hochzeit hinter mich zu bringen ohne Eskalationen oder Streitigkeiten. Ich lächel, lasse mich von Tomate in den Arm nehmen und küssen und unterhalte Smalltalk mit den anderen Gästen.

Aber Tomate und ich wechseln kaum ein Wort. Er versucht ein Gespräch mit mir aufrechtzuerhalten, das ich immer wieder abweise, bis er schlussendlich niedergeschlagen aufgibt.

In der zweiten Nacht will ich mich mit dem Rücken zu ihm drehen, aber ich schaffe es nicht, ohne dass vor meinem inneren Auge das Bild auftaucht, wie er meinen Körper so stark festhält, dass die blauen Flecke entstehen, die ich jetzt habe.

Das Vertrauen, das ich in ihn und uns hatte, das in den letzten Monaten immer weiter gebröckelt ist, ist nun komplett verschwunden. Ich bekomme kein Auge zu und spreche auch am nächsten Tag nur über das Nötigste.

Nahezu erlöst atme ich auf, als ich die aus dem Auto aussteigen und zu mir nach Hause gehen kann.

Sein Geruch nach Pfefferminz, den ich so geliebt habe, ist mittlerweile ein stechender Gestank in meiner Nase und seine liebliche Stimme nur noch ein kalter Schauder über meinem Rücken. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, spüre ich wieder seine Hände auf meiner Haut und mein Körper schüttelt sich unkontrolliert wie bei einem plötzlichen Schüttelfrost, um das Gefühl abzuwimmeln.

Ich will mit jemandem darüber reden, wissen, was das zu bedeuten hat, dass es mir so schlecht damit geht.

Es war doch nicht wirklich anders als die Male davor, nur, dass ich diesmal in seinen Augen nicht wach war und dementsprechend auch kein Film lief, mit dem ich mich hätte ablenken können.

Was also ist mit mir los? Warum reagiere ich plötzlich so über?

*

Tagelang verkrieche ich mich in meinem Zimmer mit der Decke über dem Kopf, in der Hoffnung, diese Erinnerung aus meinem Gedächtnis zu löschen. Erfolglos.

Immer wieder versuche ich, einzuschlafen, in der Erwartung, nicht mehr aufzuwachen, damit dieses Gefühl verschwindet. Und manchmal erwische ich mich dabei, wie ich mich frage, ob es überhaupt jemand merken würde, wenn ich einfach nicht mehr aufwache.

„Katie?", die Stimme meines Vaters dröhnt aus dem Wohnzimmer und ich schrecke zusammen, bereit in Kampfhaltung zu gehen, obwohl ich viel zu müde dafür bin.

„Hier", rufe ich zurück und laufe schon die Treppe runter, nur um meinen gutgelaunten Vater an der Terrassentür stehen zu sehen. Überrascht halte ich inne, er sieht sichtlich besser aus. Seine Augenringe sind verschwunden und beim Näherkommen rieche ich auch keine Bierfahne. Stattdessen hält er mir fragend eine Zigarette hin, die ich mehr als dankbar annehme. Nikotin.

Endlich etwas, das meinen Kopf vielleicht wenigstens ein wenig benebelt, meine Gedanken vielleicht ein wenig in den Bann zieht, die Zweifel zum Schweigen bringt.

„Papa?", frage ich und meine Stimme schlägt augenblicklich den weinerlichen Ton meines vier-jährigen Ichs an. Es bricht aus mir heraus wie ein Wasserfall und ich erzähle ihm alles. Meine Kehle schnürt sich zu und meine Zigarette ist durch meine Tränen und meinen Schnodder unbrauchbar. Ich habe Schnappatmungen, während ich versuche, in Worte zu fassen, was passiert ist und wie ich mich damit fühle, kann sie aber nicht unterdrücken.

Mein Vater hört sich alles an, verzieht keine Miene und schweigt für einige Zeit, wobei er tiefe Züge von seiner Zigarette nimmt und mir eine neue anzündet.

„Das hört sich ja fast so an, als seist du vergewaltigt worden", sagt er zwischen zwei Zügen an seiner Zigarette, als sei es ein unbedeutender Nebensatz in einer Werbung für Putzmittel. Aber ich schlucke bei den Worten, die er ausspricht.

Mein Hals wird ganz trocken. Ist es wirklich das gewesen? War ich ein Opfer in diesem Szenario? War es nicht das, was eine gute Freundin ausmacht; immer bereit zu sein für die Bedürfnisse des Freundes? Habe ich es nicht vielleicht einfach falsch verstanden? Hat er vielleicht einfach gedacht, dass es mir gefallen könnte? Ist er tatsächlich ein Täter?

Bevor ich eine klare Antwort finden kann, wechselt er das Thema: „Dodo hat ja bald Geburtstag und ich werde wieder ihre Kinder zu uns einladen als Überraschung. Sag das deinem Bruder und sorg bitte dafür, dass er sich benimmt." Da ist er wieder, der narzisstische Vater aus dem Lehrbuch. Seufzend drücke ich meine Zigarette im Aschenbecher aus.

„Klar", sage ich leise, während ich die Terrassentür in Richtung Wohnzimmer aufdrücke.

Heiße Tränen laufen meine Wangen hinunter und ich kann nicht fassen, was mein Vater gesagt hat. Ist eine Vergewaltigung nicht, wenn jemand Fremdes einen hinter den Busch zerrt? Ist es nicht das, weswegen Mädchen und Frauen nachts mit einem Schlüssel in der Hand durch die Dunkelheit laufen?

Es ist doch nicht der Partner, der die eigenen Wünsche ignoriert, der sich mit Freunden darüber abklatscht, dass er einen in die Bewusstlosigkeit gevögelt hat. Ist das nicht alles normal?

Ich brauche Antworten und weiß doch nicht, wen ich fragen kann. Ich will diese Bilder, diese Gefühle aus meinem Kopf haben.

Am liebsten würde ich in Fionas Armen einfach weinen, während sie mich tröstet und mir sagt, dass alles gut wird, wobei sie nicht vergessen würde zu erwähnen, dass sie es mir ja vorher gesagt hatte. Und obwohl sie mehr als berechtigt dazu ist, sowas zu sagen, kann ich es noch nicht hören. Ich will mit jemand Unbeteiligtem reden, jemanden, der Tomate nicht wirklich kennt und Fiona weiß dafür zu viel.

Entschlossen male ich ein großes Ausrufezeichen und Fragezeichen auf ein Blatt, aber bevor ich es ans Fenster kleben kann, zerknülle ich das Papier.

Ich brauche jetzt jemanden.

Wenn ich weiter allein bleibe hier in diesem Zimmer mit diesen Gedanken, werde ich mich vielleicht weitaus mehr verletzen als es die Rasierklingen der letzten Monate es je konnten.

Malte macht mir überrascht die Tür auf, lässt mich aber ohne Widerworte hinein. Kein Wunder bei meinem Anblick. Meine Augenringe müssen mir mittlerweile bis in die Mundwinkel hängen, so wenig, wie ich schlafe. Laut Waage wiege ich weniger als vierzig Kilo und mein Gesicht ist sicherlich trotzdem rot und aufgedunsen vom Weinen. Außerdem habe ich mir in den letzten Tagen mehr als einmal Haare rausgerissen.

„Komm", ohne Umschweife folge ich ihm in sein Zimmer und setze mich dort auf sein Bett. Ich schweige eine ganze Weile und Malte lässt mich.

Es dauert, bis ich es überhaupt schaffe, seinen Namen auszusprechen, weil selbst der Gedanke daran die Erinnerungen hervorholt, die ich so sehnlichst zu unterdrücken versuche.

„Tomate und ich haben uns...gestritten", erkläre ich und reibe mir die aufkommenden Tränen weg.

„Dein Freund heißt Tomate?"

„Was?", erst jetzt bemerke ich, wie merkwürdig der Name klingt, wenn jemand anderes ihn ausspricht. „Tom", korrigiere ich und es fühlt sich seltsam fremd an, seinen richtigen Namen auf der Zunge zu spüren.

„Hat er dich verletzt?"

„Nein", wehre ich ab, atme tief durch und ergänze: „nicht absichtlich. Glaube ich jedenfalls."

„Und die?" Malte zeigt auf meine Arme, die mittlerweile von hellen dicken Narben überzogen sind. Betreten verschränke ich sie hinterm Rücken.

„Ich brauche jemanden, der nicht urteilt", sage ich und weiß, dass Malte sich darauf einlässt, weil er ebenso nett wie neugierig ist.

Ich will ihm nicht alles erzählen, und doch ist es genauso schwer, drumherum zu reden. Ich versuche immer wieder zu betonen, dass es natürlich nur meine subjektive Wahrnehmung ist und ich noch nicht mit Tom darüber geredet habe. Aber Malte schüttelt nur immer wieder den Kopf und schlägt sich die Hand vor den Mund.

„Katie", haucht er und starrt mich mehrere Minuten nur erschrocken an. „Du brauchst Hilfe."

„Ich kann das", wehre ich ab und merke, wie ich sofort verschwinden möchte, weil Malte es auch nicht zu verstehen scheint.

„Warte, okay? Warte, ich meine ja nur, wenn du", er kratzt sich am Kopf, überlegt, wie er es am besten formulieren kann.

„Wenn du mit jemandem reden willst, der sich da auskennt", er schluckt, wartet, ob er das sagen darf, was er sagen will, „meine Mutter ist Therapeutin. Sie hilft, sie, du könntest bestimmt mit ihr reden."

Es ist ein Ausweg, von dem ich nicht mehr dachte, dass er tatsächlich noch für mich existiert. Ich nicke langsam. Wir nicken uns gegenseitig an und Malte atmet erleichtert aus.

Dann öffnet er die Balkontür, um frische Luft reinzulassen. Das macht er jeden Abend, bevor er sich ins Bett legt. Ich schlinge meine Arme um meinen Oberkörper. Die Nachtluft ist angenehm kühl auf meiner Haut, ein Kontrast zu den brennend heißen Berührungen, die Tom hinterlassen hat.

„Fuck, ist er das?"

„Was?" Ich haste zu Malte und folge seinem Blick. Wenige Meter vom Balkon entfernt unter einer Straßenlaterne steht Tom und starrt mich direkt an.

„Das ist schon ein bisschen gruselig, wie er dasteht."

„Ich...ich mach das."

„Bist du sicher? Ich geh gern runter."

„Nein, nein. Wenn du zu ihm gehst, denkt er noch, wir hätten was am Laufen und wird nur wütender. Ich geh runter und rede mit ihm."

„Mhm okay, aber mir gefällt das nicht. Ich bleibe hier stehen und behalte dich im Blick." Malte starrt Tom an, als sei er ein Bombenattentäter, bereit zuzuschlagen. Blinzelt nicht einmal, um ihn ja nicht aus den Augen zu verlieren.

„Danke." Schnell gehe ich hinaus, um Tom nicht noch länger warten zu lassen. Wir haben jetzt seit knapp zwei Wochen nicht miteinander geredet.

Kurz nach der Hochzeit habe ich versucht, es anzusprechen, zu sagen, dass es mir mit dem Vorfall nicht gut geht, aber Tom hat abgewehrt, nicht verstanden, was mein Problem damit ist. Schließlich sei es nicht anders als die anderen Male gewesen. Er war der festen Überzeugung, mich so zu wecken würde mir gefallen.

Der Gedanke daran lässt mich zittern. Denn obwohl ich versucht habe zu erklären, dass es mir nicht gefallen hat, war er anderer Meinung. Ich hätte ja was sagen können, wenn ich es nicht gemocht hätte.

Ich atme tief durch, denn das Gefühl, dass er mit seiner Aussage recht hat, kann ich nicht abschütteln.

Warum habe ich keinen Ton herausbekommen? Warum habe ich mich nicht gewehrt?

Mit wackeligen Schritten nähere ich mich Tom, der seinen Blick unentwegt Richtung Maltes Balkon geheftet hat.

„Tom." Er zieht mich in seine Arme und drückt mich an sich. Sein Geruch nimmt mir den Atem.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht." Er streicht sanft über meinen Kopf. „Du wolltest Zeit für dich für eine Woche, aber es sind schon zwei und du reagierst nicht auf meine Nachrichten. Ich hab' überall nach dir gesucht."

„Es tut mir leid."

„Schon gut, wollen wir zu dir gehen?" Ich drücke mich von seiner Brust weg und sehe ihn abwartend an. Es dauert einen Moment, bis sich sein Blick von Malte löst.

„Mh?"

„N...nein", flüstere ich. Tom runzelt die Stirn, dann schnellt sein Kopf wieder hoch in Richtung Malte.

„Nicht wegen ihm, es ist nichts mit ihm", versichere ich und ziehe damit Toms Aufmerksamkeit wieder zu mir. „Ich muss nur über einiges nachdenken."

„Bei ihm?"

„Er ist nur ein Freund." Toms Hand ruht zärtlich an meiner Wange. Mit der anderen legt er eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Und für einen kurzen Moment kann ich diese Berührung genießen. Aber dann schließe ich die Augen und spüre wieder seine Hände, wie sie zupacken, und ich stolpere zurück.

„Wirklich. Ich rufe dich morgen an. Versprochen. Aber bitte gib' mir ein wenig Zeit allein." Tom schluckt, ich sehe, wie sein Kiefer sich anspannt und seine Hand, die eben noch an meine Wange gelehnt war, formt sich nun zu einer Faust.

„Gut", sagt er schließlich und nimmt die Hände von mir. „Ich bringe dich nach Hause."

„Alles gut, das sind zehn Meter, die kann ich allein gehen", antworte ich und weiß, dass er, wenn er an meiner Haustür steht, auch mit rein möchte. Er wird sich an mein Bett setzen, bis ich eingeschlafen bin, so wie er es immer gemacht hat. Aber diesmal will er sichergehen, dass ich heute nicht mehr mit Malte rede.

Soll ich ihm diesen Gefallen tun?

Sein Kiefer spannt sich wieder an und Tom knirscht mit den Zähnen.

„Wirklich, nimm den nächsten Bus nach Hause, sonst musst du am Bahnhof wieder stundenlang warten." Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem gequälten Lächeln.

„Für dich würde ich überall warten." Und bei seinen Worten muss ich den Kloß in meinem Hals wegschlucken. Ich atme tief durch.

„Es wird bestimmt kalt. Bitte gehe nach Hause, ich rufe dich morgen früh an."

Er schaut an mir vorbei, scheint die Möglichkeiten abzuwägen, nickt dann aber, was mich erleichtert aufatmen lässt.

„In Ordnung. Ich ruf dich morgen früh an", sagt er, drückt mich noch einmal an sich und dreht sich um. Ich sehe ihm hinterher, wie seine Silhouette mit der Dunkelheit vermischt, dann drehe ich mich zu Maltes Balkon. Er sieht abwartend zu mir hinunter. Ich nicke und gehe zurück zu seiner Haustür.

Tom wird mich morgen früh anrufen. Nicht ich ihn, sondern er mich. Ich schließe mein Handy an das Ladegerät und warte darauf, dass es leuchtet. Dann stelle ich es auf laut.


Meine kleine Seelenverwandte,

manchmal ist mit dir zu sein wie ein Traum, manchmal will ich nicht aufwachen, ewig das genießen, was wir haben.

Und manchmal bin ich mir nicht so sicher, was das überhaupt ist.

Wie kann ich von Liebe reden, wenn ich es nicht definieren kann?

Ich habe Momente, in denen ich gern alleine bin und welche, in denen ich nichts lieber täte, als bei dir zu sein.

Es gibt Zeiten, da würde ich dir am liebsten um den Hals fallen und die drei berühmten Worte sagen und es gibt welche, in denen bin ich unsicher, ob ich überhaupt etwas fühle. Sag mir, ist das Liebe?

Ich habe immer das Bedürfnis, dir Briefe zu schreiben, keine Ahnung, wieso, ich habe immer das Bedürfnis, dir alles so schnell wie möglich zu erzählen...

In Liebe, Bigfoot


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