T wie Totalausfall
TRIGGERWARNING für emotionale Erpressung und Gaslighting
Eine gekürzte Fassung für das Kapitel ohne Trigger im folgenden Kapitel "ZSM"
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„Hier, mach ein Foto", Bigfoot gibt mir sein Handy und ich fotografiere ihn, wie er in der Weihnachtsabteilung neben einem riesengroßen Weihnachtsmann aus Schokolade steht.
Eine Pop-up-Nachricht nimmt den Bildschirm ein und ich blinzle mehrfach, bevor ich erfassen kann, was da steht:
„Hey mein Süßer". Die Nachricht ist mit einigen Herzen und anderen Emoji verziert und mein erster Instinkt ist, sie wegzudrücken.
„Hast du das Foto gemacht?" Bigfoot sieht mich erwartungsvoll an.
Bevor ich antworten kann, folgt schon die nächste Nachricht. „Wann bist du wieder in Berlin?"
„Wann warst du in Berlin?", frage ich an Bigfoot gerichtet, ohne den Blick von seinem Handybildschirm zu nehmen.
„Was?" Sein Lächeln verschwindet und er kommt einige Schritte auf mich zu. Ich halte ihm das Handy entgegen.
„Da will jemand wissen, wann du wieder nach Berlin kommst", wiederhole ich die Pop-up-Nachricht, die immer noch zu sehen ist. Bigfoot nimmt mir sein Handy aus der Hand und lacht auf: „Ach, das. Ich kenne sie schon länger. Wir sind uns beim Rockfestival vor zwei Jahren das erste Mal begegnet und sie ist wie eine kleine Schwester für mich."
„Weiß sie das auch?", frage ich misstrauisch.
Bigfoot lacht wieder, ein warmes, herzliches Lachen.
„Natürlich, ich bin wie ein großer Bruder für sie."
„Das glaube ich nicht." Tomate beugt sich vor mich herunter, um mir direkt ins Gesicht zu sehen. Mit einem schelmischen Grinsen fragt er: „Bist du etwa eifersüchtig?"
Ich schnaube und verschränke die Arme, doch ich kann ihm nichts vormachen. Ich lasse die Schultern wieder hängen.
„Brauchst du nicht, Katie. Brauchst du wirklich nicht."
Auch wenn ich ihm glauben will, kann ich den Gedanken nicht komplett abschütteln. Dieses Jahr war er auch auf dem Rockfestival, letztes Jahr sicher auch und das Jahr davor haben sie sich anscheinend kennengelernt. Er kennt sie viel länger als mich, dennoch höre ich heute zum ersten Mal von ihr. In meiner Brust spüre ich einen stechenden Schmerz.
Er hört erst auf wehzutun, als Bigfoot mir wenige Tage später an meinem siebzehnten Geburtstag lächelnd eine kleine dunkle Box hinhält.
„Ich war mir erst nicht sicher, was ich dir schenken sollte", überlegt er laut. Ich streiche sanft über den Deckel der würfelartigen Box, weil ich noch keine Antwort gefunden habe, wenn sich in dieser Schachtel tatsächlich das befindet, woran mein pochendes Herz gerade denkt.
An meinem letzten Geburtstag waren wir nicht offiziell zusammen, trotzdem hat Bigfoot mir damals ein Geschenk vorbeigebracht; einen süßen Teddybären mit einer violetten Schleife um den Hals. Seitdem teilt er sich den Platz neben meinem Kopfkissen mit meinem anderen Teddy, den ich besitze, seit ich denken kann. Manchmal stelle ich mir vor, wie die beiden beste Freunde sind und sich freuen, wenn sie abends mit mir gemeinsam einschlafen.
Meinem Teddy habe ich als Kind alles Schreckliche erzählt, was ich erlebt habe. Nie hat er meine Geheimnisse ausgeplaudert oder mich in irgendeiner Form verurteilt, mich stattdessen immer getröstet. Er ist wirklich ein guter Zuhörer gewesen. Da ist ein Platz neben meinem Kopfkissen das Mindeste, was ich ihm im Gegenzug dafür anbieten kann.
Ich öffne die dunkle Schachtel, in der sich eine filigran gearbeitete Silberkette mit einem ‚T' als Anhänger befindet.
„Komm, ich mache sie dir um", stumm drehe ich mich mit dem Rücken zu ihm, mein Spiegelbild trifft meinen Blick. Diese müden Augen erschrecken mich für einen Moment, ich sehe um Längen nicht mehr so glücklich aus, wie ich es gewohnt bin, ich bin ausgelaugt. Das Metall klimpert, als der Schlüssel um meinen Hals mit dem neuen Anhänger aneinander klingt.
Hinter mir grinst Bigfoot in den Spiegel, was ich nur schwach erwidern kann.
„Was ist?"
„Es ist, ich finde die Kette schön, wirklich", ich nestle am ‚T' herum.
„Aber?"
„Nichts", antworte ich, aber Bigfoot lässt nicht locker. „Es ist einfach, keine Ahnung, zum Geburtstag, es passt nicht so ganz."
„Ist das wieder dein blödes Prinzip von Geschenken?"
„Es ist nicht blöd", erwidere ich und merke, wie ich mich angegriffen fühle.
„Katie, es ist blöd. Freue dich doch einfach über ein Geschenk. Wenn du kein Geschenk haben möchtest, das mit mir oder unserer Beziehung zu tun hat, dann solltest du nicht mit mir zusammen sein."
Ich stocke bei seinen Worten, eine Antwort bleibt mir im Hals stecken. Bigfoot hingegen hat die Brauen zusammengezogen und sieht mich wütend an.
„Die Kette sagt, dass wir zusammen sind. Willst du das etwa nicht den Leuten sagen?"
„Doch, schon, aber deswegen trage ich doch schon den Schlüssel und du das Schloss", ich zeige auf das große Umhängeschloss, das er seit fast einem Jahr mit sich herumträgt.
„Ja, und jetzt hast du noch ein T für Tomate."
„Damit alle wissen, dass wir zusammen sind?"
„Genau." Bigfoots Stimme wird mit jedem Satz lauter, während meine immer leiser wird.
„Ich dachte nur, bei meinem Geburtstag willst du mir was schenken, das mir eine Freude macht."
„Und das macht dir keine Freude?"
„Nein, doch, schon. Am Jahrestag vielleicht", ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll. Ich bin es so leid, in der Vergangenheit Geschenke von meinem Vater zu bekommen, die absolut nichts mit mir zu tun haben, weil er sich keine Mühe geben will. Das hier fühlt sich genauso an. Als hätte Bigfoot sich nicht genügend mit mir und meinen Hobbies beschäftigen wollen, als dass er mir tatsächlich ein Geburtstagsgeschenk besorgen wollte, das für mich gedacht ist.
Stattdessen schenkt er mir eine Kette, die wie ein Hundehalsband jedem sagt, dass ich ihm gehöre. Es stößt mich sauer auf, dass er sich für eine Kette entschieden hat, wenn ich doch seit knapp einem Jahr den Schlüssel als Anhänger trage. Es ist viel subtiler, viel romantischer als ein blödes ‚T'.
Wäre es wenigstens ein ‚K' für Katie.
„Gut zu wissen, dass ich dir nichts schenken darf, was mit uns zu tun hat."
„Das sage ich doch gar nicht. Es ist nur, du hast doch nach meiner Wunschliste gefragt und ich habe sie dir gegeben und-"
„Und ich habe mich eben für etwas anderes entschieden!" Bigfoot kommt einen Schritt auf mich zu und ich weiche instinktiv nach hinten aus.
„Hast du Angst vor mir?"
„Was?"
„Du bist gerade einen Schritt zurückgegangen", er klingt nicht besorgt, sondern noch wütender, vielleicht ein wenig verletzt. Seine Halsschlagader tritt hervor, wie es auch bei meinem Vater passiert, bevor er explodiert.
„Das ist doch unglaublich", Bigfoot lacht hohl, sieht mich dabei aber nicht an. Dann streicht er sich über das Gesicht. „Meine eigene Freundin! Erst will sie mein Geschenk nicht, dann hat sie auch noch Angst vor mir, pff", er stößt die Luft zwischen den Zähnen aus und schnaubt. Dann greift er hinter mich nach seinem Kleiderschrank. Ich gehe einen Schritt zur Seite, damit er die Tür öffnen kann, hinter der sich mein Poster befindet.
Mit einem Ruck reißt er es hinunter, wobei es in zwei Teile zerfällt.
Mein Herz setzt einen Schlag aus, weil ich nicht ganz glauben kann, was gerade geschieht.
„Bitte", er zeigt auf das kaputte Poster, das nun auf dem Boden liegt.
„Wofür?", meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern und ich schlucke.
„So fühlt es sich an, wenn sein Geschenk abgelehnt wird. Ist scheiße, was?" Ich mustere sein Gesicht, in dem ein Mundwinkel für einen Moment nach oben zuckt. Nicht lang genug, als dass jemand es normalerweise gesehen hätte, aber ich kenne dieses Zucken sehr gut. Ich habe es so oft im Gesicht meines Vaters gesehen, dieses momentane Entgleisen des Gesichts, bevor man seine Gesichtsmuskeln wieder unter Kontrolle hat.
In meiner Brust scheint sich mein Herz in einen Klumpen aus Eisen verwandelt zu haben, der mir hart auf die Lunge drückt. Ich bekomme kaum noch Luft, möchte am liebsten aus diesem Zimmer raus, mich einfach nur irgendwo verstecken in der Hoffnung, nie wieder gefunden zu werden.
Es fühlt sich an wie ein Vertrauensbruch, den ich so noch nie erlebt habe. Dass Bigfoot und mein Vater sich in dieser Situation so ähnlich sind, dass seine Stimmungen so schnell umschwenken, wie ich blinzele.
„Ich, ich sollte gehen", schnell packe ich meine Sachen zusammen und dränge mich an Bigfoot vorbei aus seinem Zimmer und aus der Wohnung. Ich laufe die Treppen hinunter, so schnell ich kann.
Frische Luft ist alles, woran ich gerade denken kann. Ich brauche Luft für einen klaren Kopf, denn meine flache Atmung geht immer schneller und ich spüre, wie sich der Druck auf meinen Ohren langsam ausbreitet.
Frische Luft, wenn ich nicht auf den Stufen ohnmächtig hinunterfallen möchte.
Frische Luft, wenn ich nicht unüberlegt eine Entscheidung treffen will.
Frische Luft und alles wird sich schon regeln.
Keuchend stoße ich die Eingangstür auf und atme gierig die kalte Winterluft ein. Es hat vorhin ein wenig geschneit, sodass der Gehweg von einer dünnen glitzernden Schneedecke belegt ist. Ich folge dem Glitzern, um mir meine Beine zu vertreten, um überhaupt irgendwohin zu gehen. Ein Ziel habe ich nicht, aber es dauert nicht lange, bis ich an der Bahnstation wiederfinde, wo ich mich auf eine der Metallbänke niederlasse.
Sie sind kälter als die Luft, aber das ist mir egal.
Mein Handy vibriert unaufhörlich und ein Blick auf mein Display verrät, dass Bigfoot mich anruft und mir Nachrichten schreibt.
„Komm zurück", lautet eine, daraufhin die nächste, „Das ist kindisch von dir."
Wieder ein Anruf, aber ich gehe nicht ran.
„Ich werde nicht aufhören", schreibt er, und kurz darauf: „Antworte, oder ich werde die ganze Nacht durchklingeln."
Ich kneife die Lippen aufeinander und schalte die Vibration aus. Aber mein Handy ist überfordert mit den vielen Nachrichten, die Bigfoot mir schickt, in denen er pro Nachricht nur noch einen Buchstaben schreibt, um mich voll zu spammen.
Ich kann es nicht mehr bedienen, weil die Pop-up-Meldungen zu schnell auftauchen, nicht einmal zurückschreiben kann ich ihm durch diese Spammerei.
Nach einigen Nachrichten, in denen er darauf plädiert, dass ich zurückkommen soll, weil ich so doch sicher nicht meinen Geburtstag verbringen will, bleibt es einen Moment ruhig.
Ich schreibe zurück: „Wollte ich auch nicht. Ist jetzt aber so. Ich brauche einen Moment für mich."
„Du lebst ja noch", kommt es prompt zurück.
„Wie meinst du das?"
„Naja, bei deinem Geritze wäre es kein Wunder, wenn du dich schon vor die Bahn geworfen hättest."
Unbewegt starre ich die Nachricht an, lese sie mir immer und immer wieder durch, meine Wangen werden heiß. Meine Kehle schnürt sich zu, während die aufkommenden Tränen langsam mein Blickfeld einschränken.
„Ach komm, denkst du, ich hätte die ganzen neuen Narben nicht gesehen?"
Wenn er sie gesehen hat, warum hat er dann nichts gesagt? Ich habe so hart versucht, sie ihm nicht zu zeigen, damit er nicht das Gefühl bekommt, dass er daran schuld sei.
Aber anscheinend ist ihm dieser Gedanke gar nicht erst gekommen. Was hat er sich bei alledem nur gedacht?
Die Antwort kommt sofort: „Du bist ein kleines Möchtegern-Emo-Mädchen, das nur Aufmerksamkeit wollte."
Ich ziehe scharf die Luft ein, weil der Stich in meiner Brust meine Lungen zu zerreißen droht.
Es vergehen einige Sekunden, in denen ich auf die Nachricht starre, aber in meinem Kopf befindet sich nur Leere. Lediglich zwei Wörter fallen mir ein und die tippe ich wutentbrannt zurück: „Fick dich."
Danach blockiere ich seine Nummer.
Manchmal wünschte ich, es wäre so einfach.
Dass du mich einfach in deine Arme schließt, ich weinen kann und du mir ins Ohr flüsterst, wie Leid es dir tut, wie sehr du mich vermisst hast und wie sehr du mich eigentlich liebst.
Dass du mir sagst, dass alles wieder in Ordnung wird und ich dir wieder Glauben schenken kann.
Glaubst du, dass es so einfach sein kann?
Katie
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