Berlin

Silvester vergeht wie ein Tiefschlaf, aus dem ich erst erwache, nachdem es vorbei ist. Aber es ist egal, ob ich wach bin oder schlafe, meine Gedanken kreisen ununterbrochen um Bigfoot.

Seit unserem Streit vor einer Woche habe ich nicht mit ihm geredet und er ist auch nicht aufgetaucht.

Mein Weihnachtsgeschenk für ihn liegt noch immer in meinem Schrank. Eine Box mit vielen kleinen Dingen, wie eine Kette mit seinem Geburtsstein, zwei neue Pins für seine Beanie, Eintrittskarten für den ersten Sword Art Online Film, einem seiner Lieblingsanimes, eine selbstgemachte Collage mit Fotos von uns und ein Shirt, auf dem draufsteht ‚Ich bin sehr gut im Bett, ich kann stundenlang schlafen'.

Genau sein Humor.

Wieder und wieder gehe ich unseren Chatverlauf durch und jedes Mal fühle ich mich, als hätte ich überreagiert, als sei die gesamte Situation komplett kindisch und unnötig.

Ich habe ihn wenige Minuten, nachdem ich seine Nummer blockiert habe, wieder entblockt, aber das hat nur für mehr Probleme gesorgt.

Er hat mich sofort angerufen, war komplett außer sich: „Du blockierst mich? Was ist das denn für ein arschiger Move von dir?"

Und ich habe nicht mal etwas erwidern können, weil er recht hat. Es war eine beschissene Reaktion von mir. Ich konnte nicht einmal in Worte fassen, was genau mich so wütend gemacht hat. Stattdessen habe ich herumgedruckst wie ein Kleinkind und Bigfoot hat schlussendlich einfach aufgelegt, ohne mich ausreden zu lassen.

Also habe ich ihn zurückgerufen, aber er ist nicht mehr rangegangen. Erst beim vierten Versuch hat er sich mit einem gelangweilten „Hallo?" gemeldet.

„Du hast einfach aufgelegt."

„Ja, du hattest nicht mehr wirklich was von Bedeutung zu sagen."

„Wow, das ist ziemlich arschig von dir."

„Ja, ist scheiße, was?", hat er geantwortet und wieder aufgelegt. Die Wut in mir ist hochgekrochen wie ein ekliger Tintenfisch, den ich lebendig gegessen habe, ich konnte sie absolut nicht unterdrücken, sodass ich nochmal angerufen habe, um ihm noch einmal zu sagen, dass er sich ficken soll, und er hat das mit ‚Schlampe' beantwortet.

Dabei haben wir es belassen und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Doch jetzt sitze ich vor meinem E-Mail Programm, und dort befindet sich eine ungeöffnete E-Mail von ihm.

Der Betreff ist mit ‚Brief' betitelt. Meine Brust zieht sich zusammen und ich weiß nicht, ob ich die E-Mail tatsächlich öffnen möchte. Meine Hände zittern leicht, als ich trotzdem die linke Maustaste drücke.


Hey mein kleiner Wunschtraum,

ich kann dir gar nicht sagen, wie ich sehr ich das gestern bereue.

Du wusstest es.

Es tut mir leid.

Und auch wenn ich dich verletzt habe, hat sich nichts für mich geändert - bis auf die Erkenntnis, dass ich einfach Scheiße zu dir war und ich es eigentlich gar nicht wollte.

Ich will, dass du mich verstehst, aber das ist schwer, denn ich versteh mich ja selbst nicht.

Wie konnte ich mein Mädchen verletzten...

Dich...

Ich hab beleidigt, schlimme Dinge gesagt und Dich zum Weinen gebracht.

Es ist, als wäre ich Opfer meiner Rage geworden.

Ich hab das Mädchen verletzt, welches ich nie verletzten wollte.

Es tut mir leid, ich hoffe, du kannst meinen Worten noch glauben schenken,

denn Ich Liebe Dich.

Du bist mein Wunschtraum und ich sehne mich nach dir.

Ich schaue ständig auf mein Handy in der Hoffnung, dass du geschrieben hast.

Ich vermisse dich und mein Missen wächst.

Es ist ein unstillbarer Durst nach deiner Nähe.

Denn wir sind zwei getrennte Seelen, da bin ich mir sicher, und manchmal verletzen sich diese Seelen, finden aber immer wieder zueinander.

Ich Liebe Dich,

Bigfoot


Die E-Mail ist ein Tag nach unserem Streit abgeschickt worden, aber ich habe sie erst jetzt gelesen. Mir kommen die Tränen, als ich sie lese und lese und noch einmal lese. Schniefend und voller Rotz schaue ich mir die Zeilen an, die Bigfoot mir geschrieben hat.

Dann wische ich mir mit dem Ärmel übers Gesicht und mache mich auf zu ihm. Ich will seine Nähe wieder spüren, sein Lachen hören, ihm einfach nur sagen, wie leid mir diese ganze Situation tut, wie kindisch sie war. Dass wir Besseres zu tun haben, als uns zu streiten.

Auf dem Weg zu seiner Wohnung rufe ich ihn an, werde aber immer wieder weggedrückt. Daraufhin schicke ich ihm eine Nachricht, dass mir der ganze Streit leidtut und er mich bitte zurückruft, wenn er das liest. Und dass ich ihn liebe, mehr als alles andere.

Seine Mutter öffnet mir die Tür.

„Frohes neues Jahr", begrüße ich sie und sie tut es mir gleich. „Ist Tomate da?"

„Tom ist nicht zu Hause, er ist mit den Jungs das Wochenende weg. Ich dachte, du wüsstest davon?" Ihre Aussage klingt eher wie eine Frage. Anscheinend weiß sie auch nicht, wo genau ihr Sohn sich rumtreibt und hofft, dass ich es ihr sagen kann. Fehlanzeige.

„Ehm, nicht so schlimm, ich...ich versuch ihn einfach nochmal anzurufen und geb dir Bescheid, sobald ich was weiß." Sie lächelt mich freundlich, aber misstrauisch an, als überlege sie, ob sie mich tatsächlich gehen lassen soll. Ich zwinge mir ein Lächeln auf und verschwinde bereits in Richtung Fahrstuhl, bevor sie etwas erwidern kann. Nochmal wähle ich seine Nummer, werde aber wieder weggedrückt.

Wo ist er?

Ich nehme meine Kreiden hervor, die ich immer dabei habe, wenn ich Bigfoot besuche, und male ihm ein verschnörkeltes „Frohes Neues Jahr!" auf den Gehweg. So weiß er wenigstens, dass ich hier war und ihn gesucht habe.

Es ist besser als nichts, aber zufrieden mache ich ein Foto davon und browse danach gedankenlos noch ein wenig durch Facebook, weil das die einzige Plattform ist, die Bigfoot nutzt. Ich will noch nicht gehen, ich will die Luft und das Gefühl genießen, dass ich mich wieder mit Bigfoot versöhne, dass alles wieder gut wird. Ich stocke.

Ist das nicht?

Ich klicke auf das Bild, das sich auf meine Startseite verirrt hat. Ivan, ein Freund von Bigfoot hat ein Foto von sich, Tomate und zwei weiteren Jungs in Ivans Auto gepostet. Tomate ist verlinkt, weswegen es auf meiner Startseite auftaucht.

„Auf dem Weg nach Berlin mit den Jungs" ist die Überschrift und ich blinzele einige Male, um sicherzugehen, dass ich es richtig gelesen habe. Berlin?

Ich schüttele den Kopf, versuche die Gedanken an die Nachrichten von damals zu verdrängen, aber sie tauchen immer wieder auf wie ein zäher Kaugummi unter der Schuhsohle, unmöglich sie abzuwimmeln.

Der Klingelton meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Auf meinem Display erscheint Bigfoots Foto. Ich drücke auf den grünen Hörer.

„Hey, meine Wunschtraumprinzessin, ich bin gerade auf dem Heimweg."

„Du warst in Berlin?", frage ich ihn unverblümt und bin überrascht über meinen Mut. Tomate hält inne, scheint in Gedanken mehrere Antwortmöglichkeiten durchzugehen, bevor er zum Sprechen ansetzt.

„Ja, mit den Jungs. Woher weißt du das?"

„Ivan hat es gepostet."

„Idiot", zischt Tomate und ich wünschte, ich hätte es überhört.

„Also hast du dich mit ihr getroffen?" Tomate antwortet nicht sofort.

Vielleicht überlegt er, ob es besser wäre, zu lügen.

Vielleicht überlegt er, was genau er alles sagen kann, ohne dass er dabei lügt.

„Ja, sie hat uns Berlin gezeigt." Ich schnaufe als ich spüre, wie sich meine Kehle zuschnürt und ein Brennen in meinem Bauch einsetzt.

„Nur das?"

„Ja", ich höre seine Stimme doppelt, weswegen ich mich umsehe. Tomate kommt vom Parkplatz aus auf mich zu. Wir legen gleichzeitig auf und er legt seine Hände an meine Taille und sieht mich lange an. Seine grünen Augen funkeln leicht und ich wünschte, dass sie nicht so schön sind, weil ich mich so leicht in ihnen verliere.

Ich schüttele den Kopf.

„Hast du bei ihr übernachtet?"

Bewusst mustere ich seine Gesichtszüge, kann aber nicht erkennen, was er denkt.

„Nein, wir haben alle im Auto geschlafen."

Ich überlege, ob das mit vier Jungs, die alle um die Eins achtzig groß sind, wirklich möglich ist, beschließe aber, nicht weiter nachzufragen, sondern ihm Glauben zu schenken. Ich will nicht wieder streiten. Die letzten Tage waren die Grausamsten, durch die ich durch musste. Ich weiß nicht, wie viele neue Narben meine Arme und Beine bekommen haben, aber ich weiß, dass es zu viele sind. Zu viele in zu kurzer Zeit, weil ich allein und einsam bin und mich nur in Bigfoots Armen wirklich wohlfühle.

„Ich muss jetzt aber wirklich duschen gehen. Kommst du mit?" Tomate sieht mich mit hochgezogener Augenbraue und einem neckischen Grinsen an. Ich weiß, was er mit der Frage meint und es ist sicher, dass wir nicht duschen, wenn ich mit ihm gehe. Jedenfalls würde ich mich danach dreckiger fühlen als vorher. Mich erschaudert der Gedanke und ich schüttele den Kopf.

Sein enttäuschter Blick sagt alles, aber er antwortet nicht. Stattdessen verschwindet er stumm im Haus.


Meine Wunschtraumprinzessin,

mit dir an meiner Seite, fühle ich mich der Unendlichkeit nahe, auch wenn die Zeit mit dir einfach viel zu schnell vergeht.

Damit will ich sagen, dass ich mein ganzes Leben mit Dir verbringen will, ich will die Zeit mit dir genießen, in der ich mit dir lache, in der ich mit dir weine.

Einfach die ganze Zeit die wir gemeinsam verbringen.

Ich will dir zuhören, wenn du was sagst.

Ich will dich verwöhnen, wenn du es nicht erwartest.

Ich will dich zum Lächeln bringen, denn dein Lächeln ist unbezahlbar wunderschön.

Ich will dir jeden Tag sagen, wie wunderschön du bist, denn egal wie schön jener Tag auch sein mag, du machst ihn immer zu schönsten Tag.

Du lässt mein Herz höherschlagen, als gäbe es für mich kein Limit.

Du lässt es so hoch schlagen, dass mich das Gefühl umgibt von dir geliebt zu werden, in jeder Sekunde und jeden Moment, in dem ich an dich denke.

Ich liebe dich, bitte vertrau mir,

Ich liebe dich und nur Dich,

Ich will, dass Du und Ich Wir bleiben,

Wir gehören für immer zusammen und, das werde ich niemals ändern.

In Liebe, Bigfoot

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