Abschluss
Es fühlt sich gut, das alles gesagt zu haben, meine Brust fühlt sich leichter an, die Wut ist verschwunden und mit einem Mal bin ich viel zu erschöpft und dankbar, dass Toms Umarmung mich gleichzeitig stützt, weil meine Beine sonst bestimmt nachlassen würden.
Nach einiger Zeit lösen wir uns voneinander, setzen uns ins Gras und sehen einer Gruppe Kinder beim Fußball spielen zu.
Es ist kein unangenehmes Schweigen, dennoch seltsam. Er schaut betreten zu Boden, als würde er erst jetzt realisieren, was er bei mir ausgelöst hat, und ich habe keine Worte für ihn übrig, um sein Schuldbewusstsein in irgendeiner Form zu erleichtern.
„Ich bin übrigens gegen Tomaten allergisch", durchbricht Tom die Stille.
„Warte, was?" Erschrocken drehe ich mich zu ihm um, denke an all die Tomaten, die ich gekauft und bemalt habe in den zwei Jahren unserer Beziehung. Tomaten, die wie Trophäen auf seiner Kommode gelegen haben, alle mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken vorn und Nachrichten auf der Rückseite.
„Ja, ich kann die nicht essen, es kribbelt dann im Rachen und ich kriege keine Luft." Er hält sich den Hals, als würde er würgen müssen.
„Und das sagst du mir erst jetzt? Was hast du dann mit all den Tomaten gemacht, die ich dir geschenkt habe?" Er zuckt mit den Schultern.
„Ich fand die Idee witzig und hab' sie eben solange behalten, wie es ging. Aber irgendwann"
„sind sie schimmlig geworden?" Ich kichere.
„Ja", er grinst verlegen. Dann mustert er mich interessiert und für einen Moment fühlt es sich an wie damals. Bevor das alles passiert ist, als wir unschuldig waren. Als wir Freunde waren.
„Wann warst du nicht mehr glücklich?", frage ich.
„Wie meinst du das?"
„Es gab einen Zeitpunkt, da hast du entschieden, auf meine Gefühle zu scheißen und dich nur um dich selbst zu kümmern. Du hast all diese schlimmen Dinge gesagt und getan und ich glaube, du hast das gemacht, weil du nicht mehr glücklich warst."
„Ich war ein Feigling, ich hätte dir ehrlich sagen müssen, dass ich unzufrieden bin, anstatt dir so viel Leid zuzufügen in der Hoffnung, dass du dann gehst." Tom rupft einiger Grashalme raus, um sie in Richtung seiner Füße zu werfen. Sie landen auf seinen Knien.
„Wie meinst du das?"
„Versteh' mich nicht falsch, es ging mir beschissen, nachdem du Schluss gemacht hast und ich hab' mich sofort in eine neue Beziehung gestürzt... Wie du."
Ich erröte bei dem Gedanken an Malte. Wir haben es miteinander versucht, aber ihm ist schnell bewusst geworden, dass ich Tom noch nicht gehen lassen konnte.
Es war von Anfang an zum Scheitern verurteilt und bei unserer Trennung nach zwei Monaten hat er gesagt, dass er nie eine Chance gegen Tom gehabt hat und wir beide das wüssten. Und obwohl ich ihn mit in mein Chaos gezogen und mich dafür entschuldigt habe, hat Malte mich glücklich angegrinst und gesagt, dass es mir nicht leidzutun brauche, weil die Beziehung das Beste war, was ihm seit Langem passiert ist.
„Das hat nicht wirklich funktioniert, war noch nicht bereit für was Neues", sage ich ehrlich und zupfe auch an einigen Grashalmen.
„Verstehe. Ich hab's auch gemerkt. Du warst überall."
„Und wann nicht mehr?"
„Ich sag's dir, wenn's soweit ist", antwortet Tom mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen. „Aber es ist gut, dass du Schluss gemacht hast. Ich war viel zu feige dafür. Aber", er schluckt, „wir haben uns nicht gutgetan. Auf lange Sicht, meine ich."
„Hm."
„Und ehrlich gesagt, ich habe dich wie Scheiße behandelt... Ich wollte nur noch ausbrechen und wusste nicht, wie, als dich so kaputt zu machen, dass du freiwillig gehst. Und erst als du tatsächlich Schluss gemacht hast, hab' ich bemerkt, was ich getan habe und ich wollte dich zurück", Tom macht eine Pause, in der er eine Weile durch die Gegend starrt, und doch nichts anvisiert, „aber ich wusste, dass es dir damit besser gehen würde."
Ich lache ein hohles Lachen, weil mir die Ironie bewusst wird. Erschrocken schnellt Toms Kopf in meine Richtung.
„Willst du mich verarschen? Mir ging es nicht besser. Jeden verdammten Tag habe ich mir die Augen ausgeheult und überlegt, zu dir zurückzukehren, weil ich so Schuldgefühle wegen dem Schluss machen hatte und jetzt kommst du dahergelaufen und erzählst mir nebenbei, dass du wolltest, dass ich Schluss mache? Weil du dich nicht getraut hast?"
Tom presst die Lippen aufeinander.
„Ich wünschte, es wäre alles ein wenig anders verlaufen", murmele ich, „aber ich habe das Gefühl, dass wir beide viel zu kaputt sind, als dass wir uns gegenseitig unterstützen können. Ich habe mich nachts in den Schlaf geweint und daran gedacht, dass es dir bestimmt jetzt besser geht mit deiner neuen Freundin und dass das die Schmerzen wert waren."
Tom sieht mich weiterhin stumm an, aber seine Augen werden glasig.
„Ich habe so oft versucht, alles richtig zu machen, das richtige zu sagen, anzuziehen, dir jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und du", meine Stimme bricht und ich folge dem Fußball mit den Augen, wie er von einer Seite zur anderen geschossen wird.
„Du hast so viele falsche Dinge getan, Tom. So viele", seufze ich, weil die Bilder der Hochzeit wieder auftauchen, das Stechen der Tätowiernadel unter meiner Brust wieder zu spüren ist.
„Ich weiß", murmelt er, doch ich schüttel den Kopf.
„Nein", sage ich lächelnd und bin ein wenig froh darüber, dass er es nicht weiß. „So oft habe ich unsere Beziehung im Schnelldurchlauf abgespielt, versucht den Fehler zu finden wie bei einem Ratespiel."
„Und? Hast du ihn gefunden?", fragt er.
Es ist seltsam, daran zu denken, was wir durchgemacht haben und nicht mehr wütend zu sein.
Aber wenn ich ihn jetzt ansehe, dann weiß ich, dass er nicht mehr die Person von damals ist.
Ich weiß, dass ich zu verliebt war, um die Warnhinweise zu sehen, zu verliebt war, um zu erkennen, dass er meine gesetzten Grenzen ignoriert. Ich weiß aber auch, dass wir, trotz allem, Freunde waren.
Es ist schön, neben ihm zu sitzen, mit ihm zu reden wie mit einem alten Freund, nachdem alles gesagt ist, was gesagt werden musste mit dem Wissen, dass ich ihn nach diesem Gespräch nie wieder sehen werde.
Weder in Wirklichkeit, noch hinter mir in meinem Spiegelbild.
Weil ich abschließen konnte. Und dafür werde ich ihm, trotz allem, dankbar sein.
„Nein", sage ich deshalb und lächele und es ist das erste echte Lächeln in vierzehn Monaten.
Weil es mir noch nicht gut, aber langsam und stetig besser geht.
Und das ist alles, was für mich zählt.
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